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Die langsame Louise träumt auf dem Sofa von einer Reise nach Neuseeland; für ihren Mann Feltzer, den Taxi fahrenden Choleriker, sind die angenehmsten Fahrgäste fünf ausgemergelte Stoffgiraffen. Man könnte es eine einigermaßen glückliche Ehe nennen. Sehnsüchte schweifen in die Ferne, der Alltag klebt hartnäckig am Hier und Heute, und ein leises Unbehagen durchzieht das Zusammenleben. Ein fremder Mann sitzt allzu traulich mit Louise auf dem Sofa. Und bleibt nach einer Fahrt in Feltzers Taxi verschwunden.

Produktbeschreibung
Die langsame Louise träumt auf dem Sofa von einer Reise nach Neuseeland; für ihren Mann Feltzer, den Taxi fahrenden Choleriker, sind die angenehmsten Fahrgäste fünf ausgemergelte Stoffgiraffen. Man könnte es eine einigermaßen glückliche Ehe nennen. Sehnsüchte schweifen in die Ferne, der Alltag klebt hartnäckig am Hier und Heute, und ein leises Unbehagen durchzieht das Zusammenleben. Ein fremder Mann sitzt allzu traulich mit Louise auf dem Sofa. Und bleibt nach einer Fahrt in Feltzers Taxi verschwunden.
Autorenporträt
Guy Helminger, geboren 1963 in Esch-sur-Alzette (Luxemburg), lebt seit 1985 in Köln. Er schreibt Lyrik, Erzählungen, Romane, Hörspiele und Theaterstücke.

2002 erhielt er den Prix Servais, 2004 den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. 2006 verlieh ihm seine Geburtsstadt den "Prix du mérite culturel de la ville d Esch" .
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Die Freaks der frühen Jahre
In Guy Helmingers Roman „Morgen war schon” öffnet sich ein Abgrund aus kölscher Alltagsgeschichte
Wo bei Sammlern und Sammlungen die Grenze zwischen Schrulle und manifester Zwangsneurose verläuft, ist nicht immer klar zu erkennen. Der eine sammelt Tonscherben aus der nordphrygischen Spätklassik und versetzt dafür Haus und Hof, der andere durchwühlt den Müll der Nachbarn, um die Kronkorkensammlung zu vervollständigen. Die Gestalten aus Guy Helmingers Roman „Morgen war schon” neigen eindeutig der zweiten Kategorie zu, mit bildungsbürgerlichem Kunstgebaren haben sie wenig am Hut. Viktoria sammelt Aschenbecher, ohne selbst jemals geraucht zu haben, der Taxifahrer Feltzer fährt mit seiner Stoffgiraffensammlung durch Köln, und Claudia, seine Aushilfskraft, pflegt die morbideste Macke von allen: Sie sammelt Lebensmittel, deren Verfallsdatum mit ihrem Geburtstag übereinstimmt, und durchkämmt dafür stundenlang die Supermärkte.
Aber zuerst einmal wirkt der Roman selbst wie eine Sammlung von Gestalten, die alle einen mehr oder weniger ausgeprägten Tick spazieren führen: Dahinter zeichnen sich weit zurückliegende Verletzungen ab, die sich sogar über die Familiengeschichte fortpflanzen – fast so, als sei jede Figur eine Art Wirtstier für einen Tick, der sich in immer neuen Ausformungen durch die Generationen mendelt. Neben dem Taxifahrer Feltzer, ein Choleriker, der unbotsame Fahrgäste schon mal mit dem Küchenmesser bedroht, ruht vor allem seine Frau Louise im Zentrum des Romangeschehens. Sie spricht und bewegt sich so langsam, dass der Begriff „Phlegma” beschönigend wäre. Louise liegt zuhause auf dem Sofa, liest sich durch ihre Reiseführersammlung und träumt von Neuseeland. Erst ein rätselhafter Taxifahrgast, der kurz neben ihr auf dem Sofa Platz nimmt, ändert diesen Rhythmus, und als sie schwanger wird, bringt das die gesamte Familie bis zur 95-jährigen Großmutter durcheinander.
Anders als in seinen früheren Erzählungen und Romanen – die von Stalkern, Hundequälern und Mördern wimmelten – hat der deutsch schreibende Luxemburger Autor Guy Helminger den Figuren diesmal mehr Alltagsgrau anschraffiert. Die dezent surreale Freakshow verflüchtigt sich immer mehr zugunsten eines bleiernen Realismus, der den Horror an die Kaffeetafel der Schwiegereltern verlegt und auf Splatterszenen verzichtet. Vor allem aber sind es die Rückblenden auf Feltzers und Louises Familiengeschichte, die aus „Morgen war schon” einen komplexen Puzzleroman machen.
Aus den Vergangenheitsschichten dreier Generationen ragen ungelöste Lebensfragen bis in die Gegenwart: Luises redseliger Vater Adolf etwa, ein Sanitär-Unternehmer, der mit seiner schweigsamen Frau ein etwas zu plakatives Laut-Leise-Duo abgibt, verliert seine Eltern durch deren ziemlich martialischen Selbstmord. Und während Adolf sein Trauma gewissermaßen im Dauerschwall untergehen lässt, findet sich auf der Feltzer-Seite ein zweiter großer Schweiger: Dieser Vater ist ein verschrobener Melancholiker, der seit Jahrzehnten an einer zerbrochenen Freundschaft leidet. Je tiefer es in die Vergangenheit reicht, desto dichter wird das Netz aus Mittelsmännern, Begegnungen und geheimnisvollen Gegenständen, das den Feltzer- mit dem Louise-Stammbaum verbindet: Man kommt nicht darum herum, ein kleines Pfeildiagramm anzulegen.
Dennoch ist „Morgen war schon” keine klassische Familiensaga: Der Trend mag – nicht nur in der Literatur – zur stammbaummäßig weit ausgreifenden, chronologisch glatt gestrickten Familienbiografie gehen; Guy Helminger dagegen konzentriert sich auf die entscheidend schmerzhaften Momente im Kriegs- und Nachkriegsleben seines Ensembles. Eine episch breite Familiengeschichte ist der Roman auch deshalb nicht, weil er so jäh abbricht: Im letzten Drittel verwandelt sich die Geschichte in eine genaue Beobachtung der Pränatalmedizin, und das abgrundtief traurige Ende schleicht sich so hinterrücks heran, als ob der Autor die Gewalt aus früheren Texten diesmal auf die brutal abgerissenen Erzählfäden verlegt hätte.
Neben diese Genealogie der Verkorkstheiten schiebt sich eine andere Ebene ins Bild: Köln ist die vierte Dimension, in der jede Bewegung mit exakten Ortsangaben protokolliert wird; wer sich nicht auskennt, muss sich zum Pfeildiagramm auch noch einen Stadtplan besorgen. Dass Straßen, Plätze und das Rumfahren so eine große Rolle spielen, liegt natürlich an Feltzers Taxi-Job; dazu kommt die Macke seines Vaters, der als pensionierter Briefträger täglich sein ehemaliges Veedel abschreitet. Barbarossaplatz, Nord-Süd-Fahrt, Deutzer Brücke, Ringe, Rheinufer – die ganze betonierte Pracht der Kölner Nachkriegskulisse – werden zum Straßen-Mantra des Romans, ein Realitätsraster, in dem Guy Helminger, Jahrgang 1963 und seit über zwanzig Jahren selbst wohnhaft in Köln, seine Figuren dingfest machen will. Zur durchwachsenen Stimmung passen auch die Lichtmetaphern, mit denen der Lyriker Helminger den Köln-Roman ausleuchtet: „Ein paar harmlose Wolken drifteten vereinzelt über die hellblaue Fläche, die sich wie eine Plastikplane über ganz Ostheim spannte”. Dabei trägt „Morgen war schon” gelegentlich zu viel Lokalkolorit auf; vom legendären Liedermacher Willi Ostermann über die „Höhner” bis zu den Domspitzen wird einfach nichts ausgelassen. Und je stärker die fünfziger und sechziger Jahre auf die erzählte Gegenwart abfärben, desto auffälliger wird auch eine muffige Kleine-Leute-Aura, die die Figuren manchmal wie Böll’sche Attrappen wirken lässt. Die Stärke des Romans liegt in seiner Kombinationstaktik: wie er die unterschiedlichen Verletzungen aufeinander prallen lässt, sie durch die Generationen verfolgt und die Zusammensetzung all der cholerischen bis phlegmatischen Temperamente in ein großes Suchbild verwandelt. Keine seelische Regung geht dabei verloren; nur die strahlende Zukunft bleibt auf der Strecke.JUTTA PERSON
Guy Helminger
Morgen war schon
Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 332 Seiten, 19,80 Euro.
Der Roman selbst wirkt wie eine Sammlung von Gestalten, die alle einen Tick haben
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Maike Albath lobt Guy Helmingers "Morgen war schon" als eine mögliche Zukunft des Familienromans - um anschließend relativ ausführlich dem roten Faden zwischen den "Verzwirbelungen" der vielen Handlungsstränge des Romans nachzuspüren. Ein "Gravitationszentrum" der Handlung lässt sich um den cholerischen Kölner Taxifahrer Feltzer und seiner "pathologisch" langsamen Frau Louise ausmachen. Mit deren Schwangerschaft gewinnt die Geschichte an Fahrt, verkrustete Familienstrukturen brechen auf und lange Tabuisiertes, wie der Suizid von Louises Großeltern, kommt wieder an die Oberfläche. Durch den Montagestil entsteht für die Rezensentin ein Stadtplan, auf dem sich die Lebenslinien der sechs Haupt- und unzähliger Nebenfiguren immer wieder überkreuzen, um sich schließlich zu einem "fesselnden Generationenporträt" zu verweben.

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