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»Ich habe ihn geliebt. Er ist die große Liebe meines Lebens gewesen ...« Mit diesen Worten stellt sich dem zu einer Lesung in einer Kleinstadt am Rhein angereisten Autor eine alte Dame vor. Es ist November, Allerheiligen, schon der Weg zur Lesung hatte Erinnerungen wachgerufen, Vergangenes. Nun steht ihm diese Unbekannte gegenüber, AnnaAltmann, die behauptet, vor vielen Jahren die Geliebte seines Vaters gewesen zu sein.»Sie sind wirklich sein Sohn«, sagt sie, »Sie sehen ihm ähnlich.« Sie übergibt ihm ein Foto und ihre Telefonnummer. Die Begegnung läßt ihn ratlos zurück, er ruft nicht an,…mehr

Produktbeschreibung
»Ich habe ihn geliebt. Er ist die große Liebe meines Lebens gewesen ...« Mit diesen Worten stellt sich dem zu einer Lesung in einer Kleinstadt am Rhein angereisten Autor eine alte Dame vor. Es ist November, Allerheiligen, schon der Weg zur Lesung hatte Erinnerungen wachgerufen, Vergangenes. Nun steht ihm diese Unbekannte gegenüber, AnnaAltmann, die behauptet, vor vielen Jahren die Geliebte seines Vaters gewesen zu sein.»Sie sind wirklich sein Sohn«, sagt sie, »Sie sehen ihm ähnlich.« Sie übergibt ihm ein Foto und ihre Telefonnummer. Die Begegnung läßt ihn ratlos zurück, er ruft nicht an, schiebt die Gedanken daran hartnäckig fort - bis er eines Tages die Nachricht vom Tod Anna Altmanns erhält. Der Brief stammt von ihrer Tochter Vera, die ihn bittet, einpaar Dinge abzuholen: Fotos, Briefe, Liebeszeichen, die Anna über all die Jahre aufgehoben hatte, Zeugnisse der Liebe zwischen Anna und seinem Vater; Vera nennt sie das »Archiv«, das »Liebesarchiv«.Zunächst voller Unwillen, dann mit wachsender Faszination beginnt er an Veras Seite,dem Vergangenen nachzugehen und seine Erinnerungen an den Sommer des Jahres 1954, in dem der Vater für mehrere Monate verschwand, mit denen Veras zu verknüpfen. Knapp, präzise, leicht erzählt Urs Faes von Vergangenem, von großer Liebe, die sich im Kleinen bewahrt - und von einer Spurensuche, an deren Ende eine außergewöhnlicheEntdeckung steht: die Geschichte eines Vaters, die mancher geahnt,aber keiner gekannt hat.
Autorenporträt
Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane Paarbildung und Halt auf Verlangen standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007

Die leeren Seiten des Glücks
Ein Schriftsteller begegnet vor einer Lesung einer Dame, die vorgibt, die Geliebte seines Vaters gewesen zu sein. Gerade hat er am Grab des Vaters den alljährlich dort zu findenden Blumenstrauß entdeckt, auf dessen Schleife „eine Verehrerin” dem Toten „stilles Eingedenken und Ruhe” entbietet; eine Geste, die schon auf der Beerdigung für Zornesfalten der Mutter gesorgt hatte. Nun diese Frau: „Er ist die große Liebe meines Lebens gewesen, all die Jahre. Ich habe ihn nie vergessen, ich habe nur einen Sommer mit ihm gelebt; ein Sommer, in welchem der Mond die Sonne verdunkelte”, haucht sie dem verdatterten Sohn bühnenreif entgegen, entdeckt in seinem Gesicht die Züge ihres Verflossenen und hält ihm ein Foto unter die Nase, auf dem der Vater als junger Mann zu sehen ist, in innigem Einverständnis mit der damals gerade erblühten fremden Dame.
Der Schriftsteller absolviert halbherzig seine Lesung und kehrt heim nach Zürich. Aber die Begegnung lässt ihm keine Ruhe, sie führt ihn zur Auseinandersetzung mit seiner Kindheit. Kurz, der Schweizer Autor Urs Faes, Jahrgang 1947, hat ein klassisches Wer-waren-eigentlich-meine-Eltern-Buch geschrieben. Kein schlechtes Thema, zumal wenn sich ein Doppelleben anzudeuten scheint. Doch mit seinem blässlichen Protagonisten als Ich-Erzähler schlägt Faes auch den willigsten Leser alsbald in die Flucht. Der Held reist zu Vorträgen ins Baltikum, immer den gebrochenen Vater vor Augen, betritt schließlich die Höhle des Löwen, ergo der Geliebten. Doch hat auch diese inzwischen das Zeitliche gesegnet; ihre Tochter Vera aber pflegt hingebungsvoll das „Liebesarchiv” des heimlichen Paares, ein Sammelsurium aus Briefen, Fotos und kleinen Geschenken.
In Vilnius räsoniert der Protagonist über den Dichter Bobrowski, in Lissabon über die Nelkenrevolution. In Riga wandelt er auf den Spuren eines Juden namens Simon, denn auch die Mutter hatte eine frühere Liebe. Sollte dieser Simon gar sein Vater gewesen sein? Ein Identitätsdschungel tut sich vor dem Helden auf, der in gestelzten Sätzen voller Relativpronomina verzweifelt nach seinem Innenleben fahndet. Zu guter Letzt kommt die alte Mutter ins Spiel, die ihr lebenslanges Schweigen erneut zu inszenieren scheint und tagaus, tagein stumm im Rollstuhl sitzt, bis sie schließlich stirbt. Die Trivialität dieser Verknüpfungen wird noch überboten durch die Wiederholung der väterlichen Liebesbeziehung: der Ich-Erzähler verfällt mehr wehrlos als leidenschaftlich jener Vera und führt dabei hölzerne Dialoge, die etwa so gehen: „Das Warten auf etwas, das kommen würde. Etwas, das fehlt. Etwas, das vorwärtstreibt. Vera wandte sich mir zu. Sehnsucht, meinst du? Ich erschrak, tat, als hätte ich nicht richtig gehört. Ich meinte bloß, sagte Vera leise. Nenn es, wie du willst. Perioden von Glück sind ohnehin leere Seiten im Buch der Geschichte. Vera stampft leicht mit den Füßen auf. So nicht, ich bitte dich. Ich nickte”. So findet die Erinnerungsrecherche eine Sprache, in der die Vergangenheit vor lauter Geschwätzigkeit verstummt. MAIKE ALBATH
Urs Faes
Liebesarchiv
Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 227 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2007

Expeditionen ins Vaterland
Rege in Riga: Urs Faes auf den Spuren eines Doppellebens

Für die Studentin aus Riga ist die Frage nach den Vätern ohne Bedeutung. "Pater semper incertus est", habe schließlich schon das römische Recht konstatiert, und in der Gegenwart gelte diese Unsicherheit erst recht. "Väter, betonte sie, hinterließen überall Kinder als Spuren, in Vietnam, im Kongo, im Kosovo. Auch in Riga wimmle es von vaterlosen Gestalten, mit russischem, kirgisischem, deutschem Blut in den Adern." Wozu also die Sorge des Schweizer Gastes, der die Suche nach den Vätern zum dringlichsten Problem seiner Zeit erklärt? Eigentlich sollte der Schriftsteller an der lettischen Universität einen Vortrag über "Gedächtnis und Erinnerung" halten, doch kommt er nach einigen allgemeinen Bemerkungen zur europäischen Geschichte schnell auf die Suche nach der eigenen Identität zu sprechen. Seine jungen Zuhörer sind verwundert, denn sie haben Probleme, die allein der Gegenwart und Zukunft gelten, Berufswahl, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot vor allem. Väter sind für sie Nebensache.

Der Vortragsgast hingegen, der Ich-Erzähler dieses Romans, sieht sein ganzes Leben von der "Väterhypothek" belastet. Schon als Kind litt er unter der monatelangen väterlichen Abwesenheit; aber erst viel später, mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod, begreift der erwachsene Sohn, wie wenig er tatsächlich über seinen Vater weiß. Die Begegnung mit einer fremden Frau löst die Erschütterung aus. "Ich habe ihn geliebt", erklärt die Unbekannte dem erstaunten Schriftsteller am Rande einer Lesung und zeigt ihm ein Foto, das keinen Zweifel lässt: Der Vater und die Fremde waren vor vielen Jahren ein Liebespaar. Der Vater sei auf einer langen Expedition in den Bergen, hatten die beiden Söhne damals beschwichtigend zu hören bekommen; nun wird deutlich, dass diese Entdeckungsreise zu einer anderen Frau und in ein regelrechtes Doppelleben geführt hat.

Lange sträubt sich der Erzähler gegen diese Nachrichten aus der Vergangenheit, bis ihn eines Tages Vera, die Tochter der inzwischen verstorbenen Unbekannten, einlädt, das "Liebesarchiv" ihrer Eltern zu sichten. Briefe sind aus jenem glücklichen Sommer übriggeblieben, dazu ein paar Fotos, Kleidungsstücke und eine Kasperlepuppe, die von der Unbeschwertheit einer Liebe spricht, für die es in der engen kleinbürgerlichen Welt der fünfziger Jahre keinen dauerhaften Raum gab. Widerstrebend stellt sich der Erzähler den vielen Fragen. Sollte sein Vater, den er als mürrisch und verschlossen in Erinnerung hat, tatsächlich ein zärtlicher Liebhaber gewesen sein, der sich von der eigenen Familie eingeengt fühlte? Ist Vera womöglich seine Halbschwester, mit der ihn nun eine heftige, fast wütende Leidenschaft verbindet? Und hatte seine Mutter vor seiner Geburt wirklich eine intime Beziehung zu dem lettischen Juden Simon, dessen Spuren er in Riga zu entdecken hoffte?

Urs Faes schildert eine quälende Suche, die in die frühe Kindheit des Erzählers zurückführt. Wer die früheren Romane von Urs Faes kennt, wird in diesem neuen Buch bekannte Strukturen und Motive entdecken. Wie in seinen jüngeren Romanen - "Ombra" (1997), "Und Ruth" (2001) oder "Als hätte die Stille Türen" (2005) - führt Faes auch hier sein Erzählen über mehrere Zeitebenen und schafft so ein dichtes Netz von Bezügen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Vor allem aber greift er auf Motive zurück, die vermuten lassen, dass das Schicksal seines jüngsten Romanhelden eng mit seiner eigenen Lebensgeschichte verwoben ist und nicht allein der dichterischen Einbildungskraft entspringt.

Denn schon in dem Roman "Sommerwende" (1989) spielte der lettische Jude Simon eine wichtige Rolle, den auch dort eine Liebe mit einer jungen Schweizerin verbindet, die dann aber doch den ungeliebten Landsmann heiratet, ganz ähnlich also, wie der Erzähler des "Liebesarchivs" das Leben seiner Mutter beschreibt. Auch die Geschichte des beruflich und privat gescheiterten Vaters klang bereits in früheren Werken an: In seinem Roman "Augenblicke im Paradies" (1994) erzählte Faes von der Kindheit des Bauernsohns Steff, dessen unnahbarer Vater seinen Hof aus wirtschaftlicher Not aufgeben muss und danach immer siecher und hinfälliger wird.

So offenbart Urs Faes, der heute seinen sechzigsten Geburtstag feiert, schrittweise, Roman für Roman, im fiktionalen Erzählen Facetten der eigenen Lebensgeschichte, ohne freilich ins Autobiographische oder gar Dokumentarische zu geraten. Anders als in den sogenannten deutschen Vaterbüchern der siebziger Jahre, die zornig mit der politischen Vergangenheit der Väter zur Zeit der Nazidiktatur abrechneten, dominiert bei den Schweizer Autoren der mittleren Generation - außer bei Faes etwa auch in den jüngsten Büchern von Thomas Hürlimann oder Silvio Blatter - ein nüchterner, um Verstehen bemühter Blick, der von verhaltener Sympathie mit den Nöten der Eltern zeugt. Immerhin haben es die helvetischen Söhne auch leichter als ihre deutschen Generationsgefährten und Vorgänger, denn das politische Gewissen ist in der Schweiz dann doch deutlich weniger belastet.

Urs Faes findet in diesem Ensemble seiner Altersgenossen einen ganz eigenen Ton, der streckenweise eine hohe poetische Dichte gewinnt. Zitate aus der Lyrik Johannes Bobrowskis kommen dem Ich-Erzähler bei seiner Reise ins Baltikum in den Sinn: "Zeichen, Farben, es ist ein Spiel, ich bin bedenklich, es möchte nicht enden gerecht". Gerechtigkeit ist tatsächlich nicht der Maßstab, an dem der Erzähler das Leben seines Vaters zu messen bereit ist. Dass er am Ende Verständnis für eine Liebe zeigt, die das Familienleben seiner Kindheit zerstört hat, verleiht diesem Roman eine versöhnliche Dimension und zeigt, dass die Suche nach den Vätern nicht immer so sinnlos sein muss, wie es jene etwas vorlaute Studentin in Riga behauptet hat.

SABINE DOERING

Urs Faes: "Liebesarchiv". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 227 S., geb., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Am Sujet - ein Schriftsteller entdeckt die in Liebesdingen verwickelte Vergangenheit seiner Eltern - hat Maike Albath eigentlich gar nichts auszusetzen, aber wie Urs Faes seine Spurensuche entfaltet, trägt ihm ausnahmslos Rügen seitens der Rezensentin ein. Auf Albaths Tadelliste steht ein blass bleibender Ich-Erzähler, die höchst triviale Wendung, als der Protagonist sich in die Tochter der ehemaligen Geliebten seines Vaters verliebt, und schließlich der gedrechselte Sprachduktus sowie ungelenke, verplapperte Dialoge. So lasse sich die Vergangenheit nicht zum Sprechen bringen, schließt die Rezensentin unzufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH
"In Faes' Prosa glüht die Liebe dunkel und melancholisch wie bei einem García Márquez. Ein Roman voller Schönheit und Trauer"
Der Spiegel