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Der hundertste Geburtstag Wolfgang Koeppens am 23. Juni 2006 und das Gedenken an seinen Tod am 15. März 1996 sind Anlaß, den verschlungenen, sich verzweigenden, oft schwer zu erkennenden oder absichtsvoll in die Irre führenden Weg in dessen Biographie genau zu verfolgen. Kurz: In dieser erstmals den gesamten Nachlaß einbeziehenden Lebens- und Werkbeschreibung geht es um Dichtung, um Wahrheit und um das Verhältnis zwischen beiden. Wolfgang Koeppen bewahrte fast alle ihn betreffenden Dokumente auf. Sie eröffnen neue Einsichten in seine persönlichen Geschicke, in lebensentscheidende Ereignisse…mehr

Produktbeschreibung
Der hundertste Geburtstag Wolfgang Koeppens am 23. Juni 2006 und das Gedenken an seinen Tod am 15. März 1996 sind Anlaß, den verschlungenen, sich verzweigenden, oft schwer zu erkennenden oder absichtsvoll in die Irre führenden Weg in dessen Biographie genau zu verfolgen. Kurz: In dieser erstmals den gesamten Nachlaß einbeziehenden Lebens- und Werkbeschreibung geht es um Dichtung, um Wahrheit und um das Verhältnis zwischen beiden.
Wolfgang Koeppen bewahrte fast alle ihn betreffenden Dokumente auf. Sie eröffnen neue Einsichten in seine persönlichen Geschicke, in lebensentscheidende Ereignisse und Begegnungen, in die wenigen Freundschaften und in heftige Liebesgeschichten, vor allem aber in eine von Bruchstücken, von Fragmenten, Plänen, Anfängen, Varianten, kleinen, uns vollendet erscheinenden, aber nicht veröffentlichten Kunststücken überquellende Schreibwerkstatt.
Koeppen hat die literarische Öffentlichkeit mit seinem Schweigen mindestens ebenso beschäftigt wie mit seinem Schreiben. Die hier entworfene persönliche und literarische Physiognomie entzaubert den einen oder anderen in der Öffentlichkeit kursierenden Mythos, gewichtet Realität und Fiktion neu und stellt so das große uvre eines singulären und zugleich repräsentativen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts in seinen Entstehungszusammenhängen und in seiner Wirkungsgeschichte dar.
Autorenporträt
Hiltrud Häntzschel, Dr. phil., arbeitet freiberuflich als Germanistin und Autorin in München. Mitarbeit an der Süddeutschen Zeitung, am Bayerischen Rundfunk, als Kuratorin an mehreren Ausstellungen. Publikationen zur Literatur der Weimarer Republik, zur Exilforschung, Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftsemigration, Biographik und zur Literatur von Frauen; Mitarbeiterin am Projekt "NS-Dokumentationszentrum München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2006

Am meisten auf der Welt muss man das Geld hassen
Gefesselt, beängstigt und doch sehr entzückt: Eine Ausstellung im Münchner Gasteig widmet sich Leben und Werk Wolfgang Koeppens
Ginge es in einer Ausstellung zur Literatur um Ernest Hemingway oder Ernst Jünger, dann ließen sich die Donnerbüchse des Großwildjägers zeigen, Memorabilia aus den großen Kriegen und viele Fotos, die einen jahrzehntelangen, routinierten Umgang mit den Größen aus Kultur und Politik festhalten. Aber bei dem nach innen gewendeten Wolfgang Koeppen? Kein Staatenlenker hat ihn je besucht, Affären mit Filmstars waren ihm nicht beschieden. Und selbst wenn es solche Dokumente gäbe, über die zauberhafte, unverwechselbare Eigenart von Koeppens Prosa und über die Imaginationsstrategien, die ihr zugrunde liegen, wäre noch kaum etwas gesagt.
Die Ausstellung in der Glashalle des Gasteig zieht aus diesen Schwierigkeiten eine einleuchtende Konsequenz: Sie beginnt mit einem Sprung in den Kopf des Schriftstellers. Der Besucher, der die Rolltreppe vom Foyer in den ersten Stock besteigt, gleitet durch ein Hängeportal, auf dem ein Motiv aus dem rätselhaften „Carceri”-Zyklus des Giovanni Battista Piranesi abgedruckt ist. In der späten autobiographischen Notiz „Der geborene Leser” hat Koeppen beschrieben, wie er, fast noch ein Kind, im Haushalt seines Onkels, eines Architekten, diese Radierungen entdeckte und seitdem in ihnen „verirrt” blieb, „gefesselt, beängstigt und unbegreiflich entzückt”. Mit der Vorstellung von der Welt als riesigem, unüberschaubarem Gefängnis ist ein in den Romanen und Reiseessays zumindest implizit stets präsentes Schlüsselmotiv aufgerufen. Weder die scharfe Zeitkritik des Autors noch seine mitunter übersehenen metaphysischen Spekulationen wären ohne dieses Motiv denkbar; dass es hier nun mehrfach als Stichwortgeber dient, ist ein glücklicher Einfall.
Eingesperrt fühlte Koeppen sich schon früh. Das pommersche Greifswald, in dem er als uneheliches Kind einer Näherin und eines Augenarztes geboren wurde, erfüllte ihn mit heftiger Abneigung. Ausweg aus den Bedrückungen der Provinz verhieß allein die Literatur. Die Mutter, die sich, allein gelassen, mehr schlecht als recht durchs Leben schlug, schenkte dem „lieben kleinen Wolfgang” zu Weihnachten 1910 eine mit einem Widmungsgedicht versehene Ausgabe der Grimmschen „Kinder- und Hausmärchen”. Später kamen - inzwischen eine bibliophile Kostbarkeit - die gebetbuchschwarzen Hefte der expressionistischen Reihe „Der Jüngste Tag” hinzu. An deren Verleger Kurt Wolff schickte Koeppen 1924 die handschriftliche Gedichtsammlung „Knospen Staubblüten Schrei”, erhielt sie aber ohne ein Urteil, nur mit Hinweis auf die angespannten „gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse” zurück. Aufgebracht schrieb er nach Hause: „Am meisten auf der Welt muß man das Geld hassen! Man muß!”
Ohne in die Untiefen des Voyeurismus zu geraten, gestattet die von Hiltrud und Günter Häntzschel besorgte Ausstellung eine intime Nähe, wie sie zuvor, ohne auf die Fülle des Nachlasses zugreifen zu können, nicht möglich war. Zu sehen sind nicht nur die Schreibmaschinen als stumme Zeugen jahrelanger Schreibhemmung, in einem Kubus hat die Bühnenbildnerin Julia Rogge zudem mit Originalmaterial das Arbeitszimmer Koeppens nachgebaut. In Wahrheit war dieses um einiges größer als die leicht schmuddelige, mit Büchern, Zeitungen und allem möglichem Kram vollgestopfte Höhle, in die sich jetzt durch ein Fenster spähen lässt. Dennoch trifft auf die Installation zu, was Koeppen über seinen Roman „Das Treibhaus” gesagt hat: Sie besitzt ihre „eigene poetische Wahrheit”. Seine Wohnung in der Widenmayerstraße empfand der Autor als Refugium und Kerker.
Zu den Verdiensten der Kuratoren zählt, die heiklen Seiten von Koeppens Tendenz zur Selbststilisierung, zum Blick auf sich als eine Romanfigur nicht zu verschweigen. Mit der autobiographischen Wahrheit konnte er durchaus großzügig umgehen - auch wenn es um sein Verhalten im „Dritten Reich” ging. Als der liberale „Berliner Börsen-Courier”, für den der junge Journalist und debütierende Romancier gearbeitet hatte, Anfang 1934 in der stramm rechten „Berliner Börsen-Zeitung” aufging, schrieb deren Chefredakteur einen kurzen Entlassungsbrief. Keine Rede davon, dass Koeppen, wie er immer behauptete, aus politischer Überzeugung ein attraktives Angebot ausschlug. „Die Mauer schwankt”, sein zweiter, 1935 erschienener Roman, wurde auch keineswegs von der Kritik ignoriert; zahlreiche, sorgsam auf die Blätter eines Fotoalbums geklebte Ausschnitte beweisen das Gegenteil. Während des Krieges ging es Koeppen finanziell so gut wie nie zuvor und danach; beim Film „untergestellt”, erhielt er, wie eine Abrechnung belegt, ein üppiges Salär. Lässliche Sünden? Ja, allesamt. Etwas undramatischer, unheroischer als später erzählt, war das Leben des Autors in dieser Zeit allerdings schon.
Die Kultur der Nylonhöschen
Eine Ahnung von dem prüde-restaurativen Klima der frühen Fünfziger, in dem „Tauben im Gras”, „Das Treibhaus” und „Der Tod in Rom” entstanden, vermitteln die Reaktionen auf den zweiten, in Bonn angesiedelten Roman, der von den Nöten eines sozialdemokratischen Parlamentariers erzählt. Auf einer Postkarte an den Goverts Verlag stehen die empörten Sätze: „Für einen Menschen mit Kultur nicht zu lesen. Es müßte heißen: ,Das Mistbeet’.” Aber auch der Verlagsbesitzer verlangte den Austausch von Formulierungen, die er als pornographisch empfand. Koeppen protestierte, gab dann nach - und so wurde etwa aus einem knappen „Nylonhöschen”, das eine Societydame erregend und enervierend im Schritt zwickt, ein unverfänglicheres „Mieder”.
Ein wenig zu kurz kommen die fast anderthalb Jahrzehnte währenden Schreibqualen, die der Publikation von „Jugend” vorausgingen. Dass Koeppen sich mit immer neuen Variationen allein des Anfangs abgemüht hat, war bekannt. Nicht jedoch, dass das schmale, meisterhafte Buch aus einem Konvolut von über 1 300 Seiten kondensiert wurde. Der Philologe, der sich in dieses Labyrinth wagt, wird einiges zu berichten haben. Einem umfangreicheren, exemplarischen Auszug hätte sicherlich aber auch der Besucher etwas abgewinnen können.
Die Lieb- und Freundschaften des menschenscheuen Schriftstellers waren nicht sehr zahlreich. Aus der Begegnung mit der jungen Schauspielerin Sybille Schloß - sie lebt heute 96-jährig in New York - ging 1934 der Debütroman „Eine unglückliche Liebe” hervor. Zettel aus den späten Zwanzigern, auf denen in einer Schrift, die an die Zwischentitel expressionistischer Stummfilme erinnert, der Name der Angebeteten und die Wörter „Mord”, „Umbringen” gekritzelt sind, dokumentieren eine obsessive Faszination, die sich zu Tötungs- und Suizidphantasien steigert. Problematischer noch war die Beziehung zu der alkoholkranken Marion Ulrich, dem Vorbild der Emilia in „Tauben in Gras”. Koeppen heiratete sie kurz nach dem Krieg, als sie noch minderjährig war, und die Briefe, die er im Laufe ihrer Ehe an sie richtete, sind erschütternde Dokumente einer großen Liebe und völliger Verzweiflung. Ein Halt war Koeppen dagegen Siegfried Unseld, der 1961 zu seinem Verleger wurde. Ohne dessen dauernde finanzielle Unterstützung von mehreren tausend Mark im Monat wäre er im Alter auf der Straße gelandet; ohne dessen unablässiges, behutsames Drängen wäre „Jugend” wahrscheinlich nie erschienen. Ein Brief Unselds aus dem Frühjahr 1970 trägt den handschriftlichen Zusatz: „Bitte schreiben Sie, schreiben, schreiben!”
Einen Erfolg bei den Lesern, der sich mit dem von Heinrich Böll oder Günter Grass annähernd messen ließe, hat Wolfgang Koeppen nie gehabt. Anders als Arno Schmidt hat er auch nicht zur Bildung eines Zirkels von Verehrern und Exegeten angeregt. Weder sein Todestag, der sich am morgigen Mittwoch zum zehnten Mal jährt, noch sein hundertster Geburtstag in einigen Monaten werden daran etwas ändern. Dass sich von dieser reichen, klug konzipierten Schau aber ein paar Neugierige zur Entdeckung oder gründlicheren Lektüre eines immer noch aufregenden Autors anstiften lassen - das ist wahrscheinlich.
CHRISTOPH HAAS
„Ich wurde eine Romanfigur. Wolfgang Koeppen 1906 - 1996”. Bis 25. Juni, Glashalle Gasteig München. Der Begleitband zur Ausstellung ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet 25 Euro.
Für einen Menschen mit Kultur muss es „Mistbeet” und nicht „Treibhaus” heißen: Wolfgang Koeppen in drei Lebensaltern.
Fotos: Ausstellung
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