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»Man kann Bücher leider nur einmal zum ersten Mal lesen. Die großen Autoren entschädigen für diese traurige Einmaligkeit dadurch, daß ihre Bücher bei der zweiten und dritten Lektüre sich erst wirklich entfalten.« In zwölf Annäherungen aus höchst unterschiedlichen Richtungen erkundet Jan Philipp Reemtsma das Schmidtsche poetische Terrain. Dabei wird deutlich: Arno Schmidts Bücher sind voll Witz und Komik. Reemtsmas Lektüreprotokolle bestätigen die These, wonach die Bedeutung eines Werkes daran gemessen werden kann, wie viele Verständnismöglichkeiten es eröffnet. Zugleich führen diese Essays…mehr

Produktbeschreibung
»Man kann Bücher leider nur einmal zum ersten Mal lesen. Die großen Autoren entschädigen für diese traurige Einmaligkeit dadurch, daß ihre Bücher bei der zweiten und dritten Lektüre sich erst wirklich entfalten.« In zwölf Annäherungen aus höchst unterschiedlichen Richtungen erkundet Jan Philipp Reemtsma das Schmidtsche poetische Terrain. Dabei wird deutlich: Arno Schmidts Bücher sind voll Witz und Komik.
Reemtsmas Lektüreprotokolle bestätigen die These, wonach die Bedeutung eines Werkes daran gemessen werden kann, wie viele Verständnismöglichkeiten es eröffnet. Zugleich führen diese Essays vor: Diese Bedeutungsvielfalt, das Aufspüren überraschender Perspektiven und verborgener Zusammenhänge setzt einen Leser voraus, der sich genauestens an den Wortlaut der Texte hält und im selben Moment aufgrund seines Wissens eine Unzahl von Assoziationen freisetzt. Reemtsmas Freude während der Lektüre teilt sich in seinem Schreiben über Arno Schmidt mit: sie steckt zu eigenen Leseentdeckungen an.
Politik, Sexualität, poetische Sendung - so vielfältig die Möglichkeiten sind, sich dem Werk Arno Schmidts zu nähern, so eindeutig ist die Einladung, diesen Ausnahme-Autor neu oder wieder zu lesen.

»Was ist der Mensch? El hombre es un cigarro - am Ende bloß noch'n
ausgeknatschter ekler Stumpm, und etwas Asche. - Was iss das Lebm?
Die Auflehnung der Eiweiße gegen die Silikate.« Arno Schmidt
Autorenporträt
Jan Philipp Reemtsma, geboren 1952 in Bonn, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg und geschäftsführender Vorstand der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. 1981 gründete er die Arno-Schmidt-Stiftung, deren Vorstand er bis heute ist. Er ist Mitherausgeber der »Bargfelder Ausgabe« des Gesamtwerkes von Arno Schmidt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2007

Komik, die entsetzt
Ganz ohne Duden: Jan Philipp Reemtsma liest Arno Schmidt

Arno Schmidt ist trotz der tapferen Bemühungen der Literaturkritik und der Arno-Schmidt-Stiftung, die auch die Ausstellung des Nachlasses im Schiller-Nationalmuseum im vergangenen Jahr ausgerichtet hat, der berühmteste kaum gelesene Schriftsteller der deutschen Nachkriegszeit geblieben. Daran konnten auch die einst erstaunlich zahlreichen Nachbeter nichts ändern. Im Gegenteil schreckten die Adepten des Bargfelder Unikums das Lesepublikum eher ab, denn bei ihnen verwandelte sich dessen eigensinnige Sprachartistik in einen Ton der Überheblichkeit, der Schmidts kalkulierte Anmaßung der Sprache gegenüber im Zerrspiegel des Enthusiasmus als geschwollenes Gerede erscheinen ließ. Die Entzifferung der Texte durch das "Dechiffriersyndikat" aber nahm spätestens mit "Zettels Traum" (1970) das Odium der Geheimwissenschaft an.

Jan Philipp Reemtsmas verdienstvolles Engagement für Schmidts Werk und damit die Bargfelder Ausgabe wäre beinahe von solch einem Schmidt-Fan in seiner Bekanntschaft verhindert worden: "Er schien mir weniger ein Leser als ein Götzenanbeter zu sein. Das war nichts für mich: Also, dachte ich, ist dieser Autor auch nichts für mich." Zum Glück kam es anders, und zum Glück ist Reemtsma kein Fan, sondern ein passionierter Leser im vollen Sinn des Wortes, nämlich einer, der seinen Autor liebt und achtet, aber auch die Mühe und das periodische Leiden am Text kennt. Und er ist ein Literaturwissenschaftler, der Wert darauf legt, von Lesern verstanden zu werden, ohne dass diese ein Lexikon benutzen müssen (was beim Lesen der Texte Schmidts nicht selten vorkommt).

Neben vielen Gründen, warum Schmidt gelesen werden sollte (und auch ohne umfangreiches Expertenwissen gelesen werden kann), zeigt Reemtsma in der vorliegenden Sammlung von Aufsätzen und Lektüreprotokollen ebenso viele Gründe auf, warum er längst hätte gelesen werden müssen. So gab es 2002 eine Diskussion über das angeblich von der deutschen Literatur vernachlässigte Thema der Vertreibung der Deutschen nach 1945. Arno Schmidts Bücher aber wurden in dem Zusammenhang nicht erwähnt - mit einer Ausnahme (F.A.Z. vom 13. Februar 2002) -, obwohl er in den fünfziger Jahren mit "Leviathan oder Die beste aller Welten" und "Die Umsiedler" der Erste war, der die Erfahrung von Krieg und Vertreibung literarisch bewältigte. Das liegt nach Reemtsma vor allem daran, dass Schmidts Behandlung des Themas sich zur politischen Instrumentalisierung nicht eignet.

Schon in "Brand's Haide", dem im Jahr 1946 spielenden Heimkehrerroman, 1950 verfasst, zeigt sich, dass Schmidt die Komplexe Krieg und Vertreibung, im Gegensatz zur pathetischen Weinerlichkeit von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" (1947) wie auch in auffälliger Distanz zur Selbstgerechtigkeit der nicht gänzlich entnazifizierten Gruppe 47, in einer ganz neuen Form der Wirklichkeitsverarbeitung distanziert, unlarmoyant, frei von nationalistischen Tönen und Phantomschmerzen und sogar auf eine subversive Weise witzig darstellt. Mit seiner Transformationstechnik, durch die sich die Schilderung des Entsetzlichen in die Bilder bis hinein in die Mikrostruktur des Textes gleichsam einfrisst, erreiche aber Schmidt ein Ältestes, das von je für das "stellvertretende literarische Bewältigen historischer Katastrophen dort, wo es gelingt, charakteristisch ist. Ich meine die Transformation des Entsetzens in Komik. Ich meine Literatur, die uns lachen machen kann, ohne vom Entsetzlichen auch nur eine Spur wegzuleugnen."

Allerdings beabsichtigt Reemtsma nicht, Schmidt als einen politischen Denker mit einer ausgearbeiteten "Deutschland-Konzeption" darzustellen, dessen Programm ein primär ästhetisches jenseits des Nationalen ist. Neben Schmidts Fähigkeiten der komischen Darstellung hebt der Interpret vor allem die spezifische poetische Technik hervor, wie sie in "Zettels Traum" kulminiert. Sie erreiche durch Freigabe der Orthographie und der Bindung an nur eine Sprache "ein Vielfaches an Sinn (und Unsinn)" und damit eine ganz eigene Schönheit der Darstellung, eine Visualität und zugleich "eine Klanglichkeit, die das Beschriebene, man könnte sagen: unter sich lässt".

In den besten Passagen von Schmidts Werken kommen die Paradoxa von Tradition und Avantgarde zur Ruhe, legt sich das Zwanghafte, das bei Schmidt auch der liebende Leser nicht übersehen kann, wird die Anstrengung der poetischen Sendung "reine Poesie". So in der Übersetzung der Poe-Gedichte in "Zettels Traum": "Komm, Isabel, setz Dich zu mir, / wo just der Mondstrahl, Liebste, hier / hinfiel, so feengleich & zier. / Du hast, im Paradiesgewand, / durch Dein Geäug' mich stern=gebannt, / und seufzst - ich lausch', Dein Seel=Vagant." Reemtsma will, in ausführlichem Zitat und sparsamer Deutung und abschließend auch durch ein kleines Schmidt-Potpourri, vor allem Lust am Text wecken.

Die Redlichkeit und Verlässlichkeit seiner Leseempfehlungen zeigt sich aber auch in zahlreichen Hinweisen auf Fremdartiges, Übersteigertes oder schlicht Misslungenes. Bei Arno Schmidts repetitiver Darstellung von Sexualität und Erotik zum Beispiel werde der Leser wohl häufig nicht recht froh. Für solche Fälle sei eine Maxime aus den "Abenteuern der Sylvesternacht" zu beherzigen: "Wenn sich etwas derart sperrt, das soll man achten - oder ehren? - nee, ehren nicht, aber achten."

FRIEDMAR APEL

Jan Philipp Reemtsma: "Über Arno Schmidt". Vermessungen eines poetischen Terrains. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 294 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2006

Wie man Neuland vermisst
Ohne Getue: Jan Philipp Reemtsma liest und rühmt Arno Schmidt
Wer diese Zeilen liest, gehört bereits dazu, selbst wenn er noch nie ein Buch von Arno Schmidt in der Hand gehabt hat. Denn eine merkwürdig vorgängige Komplizenschaft umfängt diejenigen, die als Leser dieses Schriftstellers in Frage kommen. Man riecht den Braten, bevor man ihn schmeckt. Ausschließend statt einschließend formuliert: Wer nicht zum Schmidt-Leser taugt, ahnt dies meist schon, sobald ihn der Rumor von dessen Prosa erreicht. Und ist erst einmal eine vorauseilende Abwehr empfunden, wird man sich natürlich auch nicht auf Texte einlassen, die zum Verkehr mit den Werken dieses Ausnahmeautors einladen.
In „Über Arno Schmidt. Vermessungen eines poetischen Terrains”, erzählt Jan Philipp Reemtsma eingangs, wie er als Jugendlicher zu Schmidt fand, diesen wieder verlor, ihn dann als Student zum zweiten Mal entdeckte und schließlich das ganze damals zugängliche Werk, nicht ohne Mühe und trotziges Beharren, in einem Lesemarathon für sich eroberte. Dieses Bekenntnis des eigenen Werdegangs als Leser verbindet sich mit knappen, dicht gereihten Reflexionen zur Lustquelle Buch, zu Lesertypen, zur Eigenart der Erstlektüre und zu den Qualitäten des erneuten Lesens. Und schließlich endet der Eröffnungstext mit einem Schmidt-Zitat, mit einem einzigen Satz, der mehr verführerisch inszeniert denn gedeutet wird.
Zitat, Reflexion und Bekenntnis. Damit läßt sich grob markieren, was Reemtsma in den folgenden zehn Aufsätzen unternimmt. Wie viel dabei die Kunst des Zitierens leistet, ist kaum zu überschätzen. Schmidts Texte liefern Zitatwürdiges ohne Ende, sein Schreibverfahren, das er selbst „Dehydrieren” genannt hat, hat aus seinem Erzählen in hohem Grad dasjenige eliminiert, was bei anderen Autoren die raren Merk- und Kraftsätze umspült. Wer zu einem thematischen Aspekt hinreißend originelle Passagen sucht, der wird, gebeugt über Schmidtsche Prosa, kaum am Suchen, sondern eher am Finden verzweifeln.
Tapfer immer aufs neue verzweifelt ist wohl Schmidts verdienter Verleger und Lektor Ernst Krawehl, als er, beraten von seinem Anwalt, vom Sommer 1955 bis zum Sommer 1956 im Manuskript von Schmidts Roman „Das steinerne Herz” nach politisch bedenklichen und womöglich obszönen Stellen fahndete. Jan Philipp Reemtsma komponiert den diesbezüglichen Briefwechsel zwischen Autor und Verleger einschließlich der beanstandeten Passagen nahezu kommentarlos zu einem Zeitbericht von grimmiger Komik. So quälte sich die junge Bundesrepublik mit sich selbst herum; lesend leidet man mit.
Verfinsterung und Diskretion
Ein glückliches Gegenstück hierzu bilden Reemtsmas Überlegungen zu den Sex-Stellen in Schmidts langer Erzählung „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht”. Hier ist das Zitieren ganz der Erkenntnisfreude verpflichtet, dürfen das Zitat und die ihm gewidmete Reflexion eine lustvolle Balance finden. Nie entsteht der Eindruck, der poetische Text solle noch einmal „dehydriert” werden, um die gewonnenen Extrakte in theoretischem Gießharz zu fixieren. Dass noch weit mehr herauszuholen wäre, steht stets außer Frage. Der Interpret hat offensichtlich Überschuss in der Rückhand und nötigt sich nicht selbst, das Objekt seiner Verstehensbegierde auf angeblich letzten Begriffen trockenzulegen. Stattdessen wird eine Parallelerzählung auf hohem Niveau geboten.
Reemtsmas Verfahren, das neben dem durchgeführten reflexiven Bogen auch die aphoristische Komprimierung, die Andeutung, das Zur-Seite-Gesprochene, die Abschweifung und auch den Gedankenabbruch nutzt, wirkt angenehm offen, undogmatisch sowohl gegenüber dem besprochenen Autor wie gegenüber dem angesprochenen Leser. Besonders wohltuend ist dieser Habitus, wo Reemtsma an heikle Punkte rührt, etwa an die Frage, wie viel Liebes- und Lebensglück dem Schriftsteller Schmidt möglich waren und in wie weit existenzielle Versagungen das Werk mitprägten, ja partiell verfinsterten. So fehlt es den Überlegungen zu Alice Schmidts Tagebuch nicht an Originalität, Genauigkeit und Mut, aber nie geht Reemtsma, der Schmidts Frau gekannt hat, in der Preisgabe seines Wissens und in den Durchdringungsmöglichkeiten seiner Spekulation über das hinaus, was die Achtung gegenüber jenen Toten gebietet, die man noch als Zeitgenossen erleben durfte. Dazu passt, dass in diesen Aufsätzen strenges Urteilen nie in Verurteilen mündet.
Unter das Zeichen von Respekt und Liebe gehört auch das Bekenntnis zur imponierenden Größe, zur noch immer nicht befriedigend gefestigten Geltung Arno Schmidts. Wer entschieden zur Sprache bringen will, wie ungeheuer viel hier auf poetischem Gebiet geleistet wurde, welches Reich sich uns zur Teilhabe darbietet, muss das plump vertrauliche Prahlen des Fans wie das hochmütige Insider-Getue des etablierten Kenners vermeiden können. Andererseits braucht jedes Rühmen ein glückendes Pathos, eine intime Gestimmtheit. Die Größe des verehrten Autors zu benennen, ohne in falsches Großtönen zu verfallen - gerade dies gelingt Reemtsma auf eine tief anrührend dezente Weise. GEORG KLEIN
JAN PHILIPP REEMTSMA: Über Arno Schmidt. Vermessungen eines poetischen Terrains. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 293 Seiten, 22,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Respekteinflößend findet Georg Klein die Reflexionen Jan Philipp Reemtsmas über Arno Schmidt. Dabei gefällt Klein besonders, dass Reemtsma Schmidt eben nicht bejubelt, sondern mit "intimer Gestimmtheit" die Größe Schmidts betont, ohne in "falsches Großtönen" abzugleiten. Reemtsma hält Distanz, auch seine Urteile werden nie zu "Verurteilungen", was Klein als sehr angenehm empfindet, ebenso wie die "offene" Methode des Autors, die Reflexionen mit Exkursen, Andeutungen und Nebenbemerkungen zu kombinieren. Dass Reemtsma den Briefwechsel zwischen Schmidt und seinem Verleger nahezu "kommentarlos" dokumentiert, um dann im Aufsatz zu den erotischen Stellen der Schmidtschen Erzählung "Die Abenteuer der Sylvester-Nacht" zu einer "lustvollen Balance" aus Zitat und Reflexion zu kommen, führt der beeindruckte Rezensent als Beispiel für die Könnerschaft Reemtsmas an.

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