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Kühn und in alle Richtungen wuchert die Wundwurzel, Robert Schindels neue Lyriksammlung. Manche ihrer Enden ragen weit hinauf bis in die »Zukunftsgebirge«, andere seitwärts in die Gegenwart, zu den »ständigen Männern in der Hotellobby« mit den »nicht ungierigen Augen«, zur »nie gesehnen blonden Frau / im Speisewagen« und ins »Gezwitter dieses Sehnens / nach ausgewiesenen Bereitschaften«. Wieder andere, nicht zu kappende, reichen tief in die Vergangenheit, in den Rumbulawald bei Riga, wo die »Juden unterm immergrünen Hügel« liegen, »in ihrem Totsein zugegeben unflexibel«. In achtundsechzig…mehr

Produktbeschreibung
Kühn und in alle Richtungen wuchert die Wundwurzel, Robert Schindels neue Lyriksammlung. Manche ihrer Enden ragen weit hinauf bis in die »Zukunftsgebirge«, andere seitwärts in die Gegenwart, zu den »ständigen Männern in der Hotellobby« mit den »nicht ungierigen Augen«, zur »nie gesehnen blonden Frau / im Speisewagen« und ins »Gezwitter dieses Sehnens / nach ausgewiesenen Bereitschaften«. Wieder andere, nicht zu kappende, reichen tief in die Vergangenheit, in den Rumbulawald bei Riga, wo die »Juden unterm immergrünen Hügel« liegen, »in ihrem Totsein zugegeben unflexibel«.
In achtundsechzig neuen Gedichten entfaltet der »jüdische Troubadour, der dunkle Humorist aus Wien« (Marcel Reich-Ranicki) erneut die ganze Meisterschaft seiner Formkunst - vom zartesten Hauch bis zum Villonschen Aufbrausen, doch stets mit einem »Lächeln / vom Augendruck her«.
i'So liegt die Wurzel wund
So prangt sie nachtverschattet
Und geht zugrund
Ist in den Zukunftskerzen allbestattet
Verknotet Wörterbilder tief im
Sehnsuchtsmund

Autorenporträt
Schindel, RobertRobert Schindel, geboren 1944 in Bad Hall bei Linz, ist Lyriker, Autor, Regisseur. Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte er als Kind jüdischer Kommunisten in Wien. Er war Wortführer der radikalen Studentenbewegung Kommune Wien und Mitbegründer der Gruppe Hundsblume. 2009 wurde er als Professor an die Wiener Universität für angewandte Kunst berufen. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Erich-Fried-Preis (1993), dem Eduard-Mörike-Preis (2000), dem Preis der Stadt Wien für Literatur (2003), dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis (2007) und dem Heinrich-Mann-Preis (2014). Werke u.a. Gebürtig. Roman (1992), Mein liebster Feind. Essays, Reden, Miniaturen (2004), Fremd bei mir selbst. Die Gedichte (2004), Mein mausklickendes Saeculum. Gedichte (2008), Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden (2011), Der Kalte. Roman (2013).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2006

Ins Wort oder ins Wirtshaus?
Erotiker der Sprache: Neue Gedichte von Robert Schindel

Kaum hat Robert Schindel zu seinem sechzigsten Geburtstag mit dem großen Band "Fremd bei mir selbst" (2004) seine reiche poetische Ernte aus vier Jahrzehnten eingefahren, legt er in staunenswerter Produktivität ein neues Gedichtbuch vor. Schon der Titel, den er dessen erstem Kapitel gibt, soll zeigen, daß er mit diesem neuen Band thematisch, sprachlich, formal in ungebrochener Kontinuität sein großes lyrisches Lebensprojekt fortsetzen will: "Nur fortgeschritten, fort und fort". Da Schindel es liebt, thematisch benachbarte Gedichte unter einem Reihentitel durchzuzählen, hat sich der Leser deshalb auch darauf einzurichten, daß viele Gedichttitel des neuen Bandes bereits beim ersten Auftauchen der Reihe eine hohe Nummer tragen: "Reisevermerk 11", "Nullsucht 19", "Pour Hölderlin 15"; die Vorgänger wird er in den vorangegangenen Bänden finden. Schon dieses Verfahren zeigt, daß seine Gedichte auch für Schindel das sind, was Goethe (den er freilich nicht in seine poetische Ahnenreihe aufgenommen hat) "Bruchstücke einer großen Konfession" nannte.

Eine große poetische Selbstvergewisserung des Sechzigjährigen hat dem Band seinen Titel "Wundwurzel" gegeben: "Ist, da ich sechzig bin, eine alte Welt / Vorhanden, in die ich das Ganze meiner Nasenheit / Reintauch, als ob Vergangenes im Banne hält." Da beschwört der österreichische Jude Robert Schindel, dessen Vater im KZ Dachau starb, die Wurzeln seiner Existenz und damit zugleich die Kraft der Poesie als Medium der Erinnerung: "Ich bin so sukzessive kompatibel / Bloß mit vergangner Entourage / Stapel die Juden unterm immergrünen Hügel / Die sind in ihrem Totsein zugegeben unflexibel / So daß ich selten Künftiges erhasch."

Schindel ist ein Meister des verqueren Reims; man kann das hier daran erkennen, wie er, die Funktion des Reims ironisch brechend, "kompatibel" sich auf "unflexibel" reimen läßt, dazwischen den "immergrünen Hügel" des Gedenkens an das Furchtbarste schiebt und so die Erinnerung dadurch poetisch lebendig erhält, daß er ihre Automatismen lakonisch durchbricht.

Wer sich so bewußt und entschieden im Gedicht der Notwendigkeit der Erinnerung an "Erschießungsgräben, Knochenwolkendampf" stellt wie Schindel, für den liegt immer "die Wurzel wund" - und dies so sehr, daß er sich fragt, ob er noch fähig sei, "Neuklamüsertes zu alphabetisieren", also eine Sprache für die Gegenwart und für die "Zukunftstraumsekunden" zu finden. Aber schon die Art, in der Schindel solche Fragen formuliert, gibt bei allem Ernst eine Strategie der lyrischen Pathosvermeidung zu erkennen, die den Dichter, der "für die Gegenwart schon kein Besteck" mehr zu haben befürchtet, ganz und gar in seiner Gegenwart zu Hause erscheinen läßt.

Dies heißt freilich nicht, daß die direkte politische Auseinandersetzung mit seiner Zeit zu den besonderen Stärken des Lyrikers Schindel zählen würde; tatsächlich gehört das Gedicht "Amerikablues 2003" mit seinem Einspruch gegen einen Präsidenten, der den "Amerikablues" ("Terror gegen Mutterficker Islamisten") macht, zu den mattesten Stücken des Bandes. Das Einzigartige an Schindels Poesie besteht vielmehr darin, daß sich in ihr die Kraft des Erinnerns mit einer herzerquickenden Sinnlichkeit verbindet, mit einem Wirklichkeitshunger, den der Dichter mit allen Sinnen stillt.

Die "Sinnlichkeitsmumie" erweist sich in diesen neuen Gedichten als lebendiger denn je und kann, wenn's darauf ankommt, die schönsten Trinklieder ("Indes der junge und rote Wein / Mich umplätschert / Möchte ich ein schwimmender Schreiber sein") und die herrlichsten "Sehnlieder" singen: "Die Frauen so fern obwohl das Beste / Was passieren mag sind Frauen ganz nah". Schindel ist ein Meister des erwachsenen Liebesgedichts, das die Gewalt der Sehnsucht und des Begehrens besingt und sich dabei vor allen Idealisierungen hütet; so bleibt in diesen gänzlich unsentimentalen Liebesgedichten Eros auch auf völlig unromantische Weise auf Thanatos bezogen: "Gehen mundjenseits arschzugewandt / Heraus aus der Hitzigkeit / Hin zu den Todesvettern". Deshalb reichen die Enden der "Wundwurzel" bis weit in die seelischen Verästelungen der Liebe hinein: "Bin dir schön. / Ab in die Leibschrundigkeiten. Ab / In das wundgewurzelte Glück".

Schindel ist freilich auch ein großer Spracherotiker; er ist verliebt in die Sprache und ihre Sinnlichkeit, und so hat sich der Leser denn auf viele Wortneuschöpfungen einzustellen, von denen nicht wenige auch von wunderlicher Art sind. Poesie verbindet sich für Schindel in der Tradition der modernen Lyrik immer mit Sprachreflexion und dem poetischen Bedenken des eigenen dichterischen Tuns. "Tag um Tag weit ausgeworfen die Wortreuse / Aus den wechselnden Lichtern des Lebens zurückgeholt", so heißt es mit wunderbarer Einfachheit in einem "Salut auf Elisabeth Borchers". Aber auch die Reflexion der eigenen "Wortsucht" verbindet sich, um gar nicht erst den Eindruck eines poetologischen Pflichtprogramms aufkommen zu lassen, bei Schindel mit ironischen Brechungen: "Unangenehm ists, ins Wort zu gehen / Statt ins Wirtshaus." Das mag schon so sein. Gedichte aber von so fröhlich-ernster Weltzugewandtheit wie diejenigen Schindels dürften auch im Wirtshaus eine angenehme Lektüre bilden.

ERNST OSTERKAMP

Robert Schindel: "Wundwurzel". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 101 S., geb., 14,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Hans Christian Kosler warnt, dass der Genuss von Robert Schindels Lyrik dem Leser einiges abverlangt. Eine Art donnerndes "Naturereignis", das zudem noch fortwährend seine Gestalt ändert, ist nach Meinung des Rezensenten sein Stil. "Soll man diesen Lyriker ohne eine konstant lyrische Sprache einen verspäteten Expressionisten nennen?" Auf jeden Fall gibt es in Koslers Augen eine beträchtliche Menge von dem, was Adorno in Bezug auf moderne Lyrik als "inkommensurablen Rest" bezeichnet hat. Einfach zu interpretieren ist Schindels Arbeit nicht. Doch Kolsers Meinung nach lohnt sich die Mühe, denn es gibt eine "ureigenste Mischung aus Renitenz, Melancholie und Hedonismus" zu entdecken, in der sich "mancher Herzakkord" verbirgt.

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