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Was könnte die Sphinx von Ninive erzählen? Worauf hatte Medusas Friseur zu achten? Und hat Atlantis womöglich nie irgendwo anders existiert als in den Köpfen der Liebenden? In Silke Scheuermanns Gedichten korrespondieren Ausflüge ins Mythische mit lakonischen Beschreibungen der Jetztzeit. Da zeigen Ärzte den Träumenden im Schlaf neue Perspektiven der Schönheit auf, da wünscht sich Alice ein Rendezvous mit Rembrandt, da beobachten die Wände des Museums einmal umgekehrt die Besucher. Unter ihren barock anmutenden Überschriften beschreiben die Texte Suchbewegungen. Städter und andere Unbehauste…mehr

Produktbeschreibung
Was könnte die Sphinx von Ninive erzählen? Worauf hatte Medusas Friseur zu achten? Und hat Atlantis womöglich nie irgendwo anders existiert als in den Köpfen der Liebenden? In Silke Scheuermanns Gedichten korrespondieren Ausflüge ins Mythische mit lakonischen Beschreibungen der Jetztzeit. Da zeigen Ärzte den Träumenden im Schlaf neue Perspektiven der Schönheit auf, da wünscht sich Alice ein Rendezvous mit Rembrandt, da beobachten die Wände des Museums einmal umgekehrt die Besucher. Unter ihren barock anmutenden Überschriften beschreiben die Texte Suchbewegungen. Städter und andere Unbehauste sehnen sich nach der Aufhebung eigener Zerbrechlichkeit in jenen Momenten, da die Realität Schlupflöcher bekommt: nach dem "zärtlichsten Punkt im All", nach einer glücklichen Kulisse für ihre Inszenierungen.

Autorenporträt
Silke Scheuermann, geboren 1973 in Karlsruhe, lebt in Frankfurt am Main. Sie studierte Theater und Literaturwissenschaften in Frankfurt, Leipzig und Paris. Bislang veröffentlichte sie neben Kritiken Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien. Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen ist ihr Debüt.

Stipendien:
Literaturstipendium Lana 2003
Artist-in-Residence-Stipendium der Villa Aurora, Los Angeles, Juli-September 2004
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2004

Die Verlockungen der Hochhäuser
Silke Scheuermann stellt im Frankfurter Literaturhaus ihren neuen Gedichtband vor

Halbe Sachen will Silke Scheuermann nicht machen - das Hinundherspringen hingegen zwischen Arbeiten, zwischen Lektüren auch, gehört zu ihrer Natur. Die Gedichte ihres neuen Bandes "Der zärtlichste Punkt im All", der in diesen Tagen erscheint und den sie heute im Frankfurter Literaturhaus vorstellen wird, seien daher auch "eher nebenbei" entstanden, sagt sie.

Eigentlich habe sie an Prosatexten gearbeitet, die ihr viel Konzentration abverlangten. Da kam die Arbeit an den Gedichten gerade recht, "zur Entspannung". Selbst das stetige Umarbeiten der Texte sei ohne den Druck geschehen, den ihr die Prosa verursache, berichtet die junge Frankfurter Autorin, die demnächst Erzählungen veröffentlichen will.

"Flüsternde Dörfer" heißt das erste Gedicht des Bandes, die Verlockungen der Hochhäuser und ein Selbstmord verbergen sich darin. "Das war im Herbst 2001, damals haben ja alle angefangen, etwas über Hochhäuser zu schreiben", bemerkt Scheuermann dazu trocken. Inzwischen ist einige Zeit vergangen, und die übrigen Gedichte des Bandes machen sich auf zu Wanderungen an die mythischen Orte: nach Rom, nach Ninive, nach Atlantis. Es sprechen die Steine, die Mauern, doch auch ein lyrisches Ich, das das Verlorensein in der Großstadt kennt und "die Obsession, eine Vergangenheit zu haben", wie der erste Teil des schmalen Bandes überschrieben ist.

In den vergangenen drei Jahren hat sie mit ihren Gedichten Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Scheuermann, 1973 in Karlsruhe geboren, hat 2001 im Suhrkamp Verlag "Der Tag, an dem die Möwen zweistimmig sangen" veröffentlicht, im selben Jahr hat sie auch den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt erhalten.

Seither hat sich einiges in ihrem Leben verändert: An der Dissertation zu "Kafka und das Theater", die an der Universität Frankfurt entstehen sollte, arbeitet sie nicht weiter. Denn bei allem Hüpfen zwischen den Projekten wurde ihr klar: "Ich kann nur eine Sache ganz machen." Lange hatte sie, zwar intensiv, doch stets zum Privatvergnügen, an ihren Gedichten gearbeitet. Das zum Beruf zu machen sei ihr damals nicht in den Sinn gekommen: "Ich habe immer gern geschrieben - also dachte ich: Ich gehe zur Zeitung." Mit 25 Jahren beschloß sie, "mit dem Dichten etwas anzufangen". Und obwohl es ihr zunächst ein wenig seltsam vorkam, sich mit ihren Texten vorzustellen, sei der Anfang gar nicht so schwer gewesen, findet sie - es sei ja auch die Zeit des vielbeschriebenen "Fräuleinwunders" in der deutschen Literatur gewesen, das ein Interesse an jungen Autorinnen weckte.

Seitdem ist sie Teil der Literaturszene, finanziert sich mit Lesungen, die sie kreuz und quer durch Deutschland, ins benachbarte Ausland und sogar nach Korea führten, und hat zahlreiche Stipendien erhalten, unter anderem am Literarischen Colloquium in Berlin: "Da kommt man zum Arbeiten, weil es keine Ersatzhandlungen gibt." Außerdem lerne sie durch Stipendien und Lesungen Kollegen kennen - eine wichtige Bereicherung. "Gerade für Lyriker, die sich gern einkapseln, ist das gar nicht schlecht", findet Scheuermann, die sich in dieser Beziehung als typische Vertreterin ihrer Zunft sieht. Daß diese finanzierten Arbeitsaufenthalte auch eine hochgeschätzte Unterstützung junger Autoren sind, verhehlt sie nicht. Dennoch spürt auch sie, was oft behauptet wird: daß Lyrik im Kommen sei. "Ich hätte nie im Leben gedacht, daß man so viele Lesungen macht und so viel herumreist, daß es so viele Lesebühnen und Lesecafés gibt", sagt Scheuermann. Nach intensiven Arbeitsphasen wird sie nun wieder in den Rhythmus der Lesereisen finden: Gleich nach Frankfurt steht Graz auf dem Programm - mit einer von ihr verehrten Kollegin, der dänischen Lyrikerin Inger Christensen.

EVA-MARIA MAGEL

Silke Scheuermann liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus Frankfurt.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.09.2004

Die Invasion der Wünsche
Silke Scheuermann und die Suche nach dem Gedicht
Es gibt Gedichte, die so selbstverständlich klingen, als seien sie schon immer da gewesen, als seien sie ganz mühelos in die Existenz getreten, weil, in Jan Skaçels Worten, der Dichter nur die Verse entdeckt, die „immer schon tief drinnen vergraben waren”. Und „tief drinnen” muss gar nicht die Seele des Dichters, sondern kann auch den Fundus einer Sprache und ihrer Dichtung bedeuten: Traumhaft sicher scheinen (oder schienen) viele Dichter Möglichkeiten der lyrischen Sprache zu entdecken, die glücklich bereitlagen: sie schufen nur weiter, was als Anlage da war. In dem Moment, wo dieses selbstverständliche Vertrauen auf die Produktivität verloren ist, alle Parameter unsicher werden, muss alles neu erfunden und konstruiert werden, gerade in der Lyrik. Die Prosaschreiber können sich mit Stoff & Handlung über die Runden retten; sie kriegen, wenn sie einigermaßen Deutsch können, einen diskutablen Roman hin. Die Lyriker aber sind schlechter dran; sie brauchen das, was Gottfried Benn ein „primäres Verhältnis zum Wort” nennt, Vertrauen in die Magie der Nennung und die Fähigkeit, bildhaft zu denken.
Silke Scheuermann, Jahrgang 1973, gehört gewiss zu den Poeten bzw. Poetinnen der Gegenwart, die diese Mühe, aus Prosa überhaupt erst Poesie zu machen in einer gänzlich unpoetischen Welt, spürt und auf sich nimmt, weil sie eben doch auf „Wunderlandnahme” aus ist wie Alice, die hinter den Spiegeln was erfahren will; der „Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen” (so der Titel ihres ersten Gedichtbandes von 2001) ist ihr der utopische Zeitpunkt, da sich prosaisches Krächzen wunderbarerweise in Gesang wandelt.
Eine Fahne von fernen Planeten
Diesen Moment umwirbt sie in den verschiedensten Formen und Sprechweisen. Die Frage für heute entstehende Gedichte ist ja nicht, ob die Liebe oder das Lebensgefühl der jüngeren Generation oder das Spiel mit ein paar mythologischen Ingredienzen vorherrscht, sondern wie überhaupt ein Gedicht, ein Gedichtaufbau, ein Übersteigen der puren Prosa in einen poetischen Zusammenhang zustande kommt, mit Metrum oder ohne, mit Reim oder ohne, mit welcher Art von Rhythmisierung oder in Prosa gegen alle Erwartungen von Klanglichkeit, von Sangbarkeit ganz zu schweigen, über Assoziationsketten, über Wortspiele, über Assonanzen? Silke Scheuermann wählt meist den Weg über eine Prosa, die möglichst dicht mit verfremdenden Adjektiven, Bildern und Vergleichen durchsetzt wird. Sie erlaubt sich keine poetische Diktion, sondern bleibt stark beim Benennen und sogar Argumentieren; gegen Klangmagie und einlullende Rhythmen verhält sie sich spröde: Hat nicht zu Stilleben mit Rebhuhn und / Trauben Euphorischem Tragischem / Wohlgenährten Kindheiten / jeder eine andere Assoziation? Aber nicht nur, dass es nicht ‚klingt‘, sondern es bleibt leider argumentativ vage, und auch die Übersteigung des Prosaischen durch Bilder bekommt bisweilen etwas Gesuchtes: die Nacht hängt als eine von andern Planeten geknüpfte Fahne herunter und stürzt nah vor uns ab . . .
Wer knüpfte diese Fahne? Die Planeten? Oder hing sie nur von anderen Planeten ab? Dann ist aber das „als” ungenau und schwach. Man sieht, es gibt hier ein Problem der Verbildlichung des Gemeinten, des Abstrakten, und das Symptom des prekären Verhältnisses zwischen zwei Bereichen ist besonders gern die Genitivmetapher oder eine ähnliche Zuordnung. Da gibt es eine „Invasion der Wünsche”, es droht die „Guillotine der Nacht”, etwas erscheint „im blassen Ton des Computers” (Farbton oder Geräusch?), da sind „Wände aus inszenierter Verzweiflung” errichtet, da fällt „der letzte Vorhang des Abends”, vor dem aber gespielt wird - es wird aber doch im Theater hinter der Stelle gespielt, an der der Vorhang fällt? Es sei leicht, sich in den „Palimpsesten des Wahns” wiederzufinden - und was sind „Palimpseste des Wahns”? Nun, beispielsweise „ein paar Seiten Zeitung” oder „Ein Bildband der Paradiese von Bosch”. Und schließlich wird vermutet oder antizipiert: „Der Bus würde vom Rand der Verzweiflung her kommen.” Bei anderen wieder hat in ihren Gesichtern „die Sicherheit ein komfortables / Lager aufgeschlagen”.
Das sind keine unfair „aus dem Zusammenhang gerissenen” Bilder, es sind vielmehr Beispiele für eine wiederkehrende Art der Poetisierung von Sachverhalten durch erdachte, konstruierte Bilder, Zuordnungen von Konkretionen zu Begriffen, und das ist der Preis, den man als Lyriker leicht zahlt, wenn einem Bilder und Klänge unmittelbar nicht einfallen oder weil man zu kritisch oder skeptisch ist, Einfälle einfach passieren zu lassen. Dann droht die Gefahr, dass Gedichte, statt sich zu entfalten und zu entwickeln, nur rucken, stolpern und, statt ihr spezifisches Tempo zu bekommen, in addierten Sätzen und Bildern stecken bleiben.
Silke Scheuermann hat - das zeigt gerade die Vielfalt ihrer Versuche, einen spezifischen Ton zu finden, einen inneren Ablauf, eine eigene Konsistenz ihres Sprechens - das überindividuelle Problem, dass keine Diktion und keine Form mehr selbstverständlich sind und tendenziell jedes Mal neu erfunden werden muss, wie ein Gedicht aufgebaut werden könnte, wenn man nicht einfach auf gegebene Formen zurückgreift oder bei mehr oder weniger schick angeordneten gebrochenen Prosazeilen landet, die man dann vornehm „freirhythmisch” oder „Parlando” nennt.
Dass Silke Scheuermann selbst ein Quantum Unsicherheit spürt bei ihren nicht sentimentalen, aber oft intellektuell-sentimentalischen Gedichten, in denen sie das Wunderbare beredet und ersehnt und aus dem Alltag herausspringen lassen möchte, zeigen die oft so wortreichen Überschriften ihrer Gedichte; da liefert sie Stichworte und erläutert sie umschreibend in bis zu drei Zeilen langen Titeln: „Reisen im Cyberspace oder Wenn eine der fünf Theorien unser Universum beschreibt Wer lebt dann in den vier anderen”. Aber die zentrale Frage ist die der Überzeugungskraft von Vokabeln und Bildern; wenn eine Strophe beginnt mit den Worten (es handelt sich um Zeilen aus einer Art strophischem Prosagedicht): „Im Park blühten blaue Rosen, Sinnbilder für ich weiß nicht wessen Schmerz”, dann fühle ich mich als Leser eher geprellt, da alles im Vagen bleibt wie bei einer flach auf den Bauch gefallenen Pointe.
Und dann gibt es doch Gedichte, die sich nicht überanstrengen, ihren Duktus gefunden haben und gar nicht versuchen, in hochpoetische Gesten auszufahren oder sich in gnomische Sätze zu versteigen: sie heißen „das Meer wird geöffnet” oder „Wir wären mehr als federgewichtig weißt du.” Da wird man auch als Leser ruhig und muss nicht über so verstörende Sprüche nachdenken wie „Die Differenz zwischen Rausch und Natur beträgt Null”, auf die man ja wirklich nur „mit harter Pupille” starren kann.
JÖRG DREWS
SILKE SCHEUERMANN: Der zärtlichste Punkt im All. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 70 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Harald Hartung hält sehr viel vom zweiten Gedichtband der "im Todesjahr der Bachmann geborenen Autorin", deren Debütband "Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen" er bereits "makellos" fand. An den 37 Gedichte dieses zweiten Bandes beeindruckt ihn besonders der diskrete, ironische Ton und die "zutiefst skeptische Intellektualität". Silke Scheuermann liebe es, die Dinge zu miniaturisieren und dann sofort "unsere sentimentale Sicherheit" zu desillusionieren - und der Rezensent liebt das poetische Verfahren der Dichterin. Eine Vorliebe entwickelt er zudem für die langen und witzigen Gedichtüberschriften. Ihm imponiert Scheuermanns Verzicht aufs Tragische und das ironische Echo auf das lyrische Pathos einer Ingeborg Bachmann.

© Perlentaucher Medien GmbH"