Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 12,00 €
  • Gebundenes Buch

"Ich habe hart mit diesem Buch gerungen, habe widerwillig beim Zubettgehen, beim Aufstehen darin gelesen; habe es mit Kopfschmerzen gelesen, diese Spur von Haß entwickelt, die wir gegenüber Autoren vollkommener Werke empfinden; aber es war nutzlos. Wirklichkeit und Verlangen hat mich mit seiner makellosen Vollkommenheit besiegt, mit seiner Liebesagonie in Ketten, seinem Zorn. Ein Buch, zart und schrecklich zugleich."
Federico García Lorca, Zeitgenosse und berühmter Dichterkollege, ist nicht der einzige, für den das lyrische Werk Cernudas zur Herausforderung wurde: In der gesamten
…mehr

Produktbeschreibung
"Ich habe hart mit diesem Buch gerungen, habe widerwillig beim Zubettgehen, beim Aufstehen darin gelesen; habe es mit Kopfschmerzen gelesen, diese Spur von Haß entwickelt, die wir gegenüber Autoren vollkommener Werke empfinden; aber es war nutzlos. Wirklichkeit und Verlangen hat mich mit seiner makellosen Vollkommenheit besiegt, mit seiner Liebesagonie in Ketten, seinem Zorn. Ein Buch, zart und schrecklich zugleich."

Federico García Lorca, Zeitgenosse und berühmter Dichterkollege, ist nicht der einzige, für den das lyrische Werk Cernudas zur Herausforderung wurde: In der gesamten spanischsprachigen Welt ist es bis heute ein Maßstab für die Lyriker geblieben.

In seiner Dichtung entscheidet sich Cernuda gegen das Geläufige, Erprobte, Eingängige und wählt einen eigenen komplexen Rhythmus, jenseits klangvoller oder folkloristischer Metaphern. Über die englische Lyriktradition holt er die Geschichte ins spanische Gedicht, und über die deutsche eignet er sich die kunstvoll geformten Bildgedanken eines Hölderlin an und verwandelt sie in einen Sturzbach von Worten, schroff und elegant zugleich.

Abseits von allen literarischen Strömungen und im Wissen um die Singularität seines Werks hat Cernuda seine gesamte lyrische Produktion aus vier Jahrzehnten unter dem Titel Wirklichkeit und Verlangen zusammengefaßt, eine im deutschen Sprachraum noch kaum erforschte Insel, deren Reichtum mit dieser starken Auswahl neu zu entdecken ist.
Autorenporträt
Susanne Lange, geb. 1964 in Berlin, ist eine deutsche Philologin und literarische Übersetzerin sowie Gutachterin für Verlage im Bereich spanischsprachiger Literatur. Sie studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft und ist seit 1992 als freie Übersetzerin von literarischen Texten in die Deutsche Sprache tätig. Susanne Lange lebt und arbeitet in Barcelona. 2009 wurde sie mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2004

Keine Kunst ohne Aufrichtigkeit
Der große Siebenundzwanziger: Luis Cernudas Gedichte

Es fehlte bisher nur einer, und das war Luis Cernuda. Von allen anderen großen Lyrikern aus der spanischen Generation von 1927, einschließlich der Vorläufer Antonio Machado und Juan Ramón Jiménez, lagen Buchveröffentlichungen in deutscher Sprache vor. Von Luis Cernuda gab es nur einzelne Gedichte auf deutsch in Anthologien und ein 1978 in Leipzig erschienenes Auswahlbändchen, vor allem der frühen Gedichte, das außerhalb der DDR kaum bekannt wurde.

Um so verdienstvoller ist jetzt die zweisprachige Ausgabe im Suhrkamp Verlag, die eine umfangreiche Auswahl von Gedichten aus den verschiedenen Schaffensperioden enthält: von den frühen Gedichten aus den zwanziger Jahren über "Ein Fluß, eine Liebe" und "Die verbotenen Lüste" (1931) bis zu den großen Werken aus dem Exil. 1963 ist Cernuda in Mexiko gestorben; unter dem Titel "Wirklichkeit und Verlangen", den der vorliegende Band trägt, hat er selbst in mehreren Ausgaben zwischen 1940 und 1958 Gedichte aus seinen verschiedenen Büchern gesammelt. Dieser Band ist so etwas wie eine lyrische Biographie Cernudas, in der sich die verschiedenen Stile seiner Dichtung finden: von der andalusischen Leichtigkeit und Transparenz der frühen Phase über die Nähe zum Surrealismus, das freie Versmaß bis hin zu der Verzweiflung und Verbitterung der letzten Werke.

Cernudas Lyrik ist abstrakter als die der anderen Dichter seiner Generation. Er vermeidet vor allem im Rhythmus die Nähe zum andalusischen Volkslied, wie sie andere Lyriker aus Südspanien suchten, García Lorca etwa und Alberti. Rhythmus und Satzakzent fallen bei Cernuda selten zusammen, ebensowenig wie die Verslänge und die Länge des Satzes, so daß der Vers und der Satzinhalt in einen Kontrast geraten. Vom Leser verlangt eine solche Verskonstruktion Nachdenklichkeit, und die Übersetzer stellt sie vor beachtliche Schwierigkeiten. Hans Magnus Enzensberger hatte 1960 einige Gedichte Cernudas für sein "Museum der modernen Poesie" übertragen, Fritz Vogelgsang dann den Zyklus "Wo das Vergessen wohnt" für das Jahrbuch "Ensemble". Susanne Lange hat sich an "Wirklichkeit und Verlangen" herangewagt und dieses Werk glanzvoll gemeistert. Die deutschsprachigen Leser verfügen jetzt in gelungener Übersetzung über eine umfangreiche Auswahl aus dem Werk eines der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts.

Luis Cernuda war ein Einzelgänger innerhalb der Dichtergruppe von 1927. Er lehnte die spanischen Traditionen, auch in der Literatur, ab und entwickelte Haßgefühle gegenüber seinem Land, das er von Mittelmäßigkeit beherrscht sah. Seine Kindheit in der fröhlichen Stadt Sevilla sieht er von einer drückenden Atmosphäre wie der in seinem Elternhaus bestimmt:

"Schweres Schweigen, zugezogene

Vorhänge

( ... ) am Kopfende der verdrossene Vater,

die launische Mutter ihm gegenüber,

mit der älteren Schwester, unerträglich und freudlos,

und der jüngeren sanfteren, kaum

freudvoller,

bilden sie mit mir das Heim,

das Elternhaus, das Nest der Menschen,

brüchig und starr wie Glas,

das jeder bricht, doch keiner biegt."

So eine Strophe in dem Gedicht "Die Familie".

Die Zeitgenossen, Schriftsteller wie Kritiker, haben häufig ungerechte und oberflächliche Urteile über das Werk Cernudas abgegeben. Er hat mit seiner nihilistischen Aggressivität und dem Stolz des Außenseiters Feindschaften geradezu provoziert. Seine Homosexualität, in einer die gleichgeschlechtliche Liebe ablehnenden Zeit und Gesellschaft, hat noch seine Distanz zu den Kollegen verstärkt. Dabei waren auch andere Lyriker der Generation von 1927 homosexuell veranlagt.

Diese Generation erhielt ihren Namen von einem Gedenkakt für den schwierigen und einsamen Dichter Luis de Góngora, zu dem sich 1927 in Andalusien junge Lyriker versammelten. An Góngora erinnert vor allem die überraschende und oft dunkle Metaphorik der Siebenundzwanziger, für die bei aller Formvollendung der Inhalt der Gedichte wichtig war. Luis Cernuda sah sich dem Menschen Góngora sehr nahe, der dreihundert Jahre zuvor, in stolzer Armut und von den Zeitgenossen verkannt, in Córdoba lebte. Cernudas großes Gedicht "Góngora" wirkt fast wie ein Selbstporträt in Versen. Wie Luis de Góngora wurde auch Luis Cernuda nach seinem Tod hoch gelobt. Auf einmal entdeckten die Kritiker die große Musikalität seiner Verse, selbst jener mit intellektuellen Inhalten.

Cernuda ist nach Meinung von Octavio Paz der europäischste unter den spanischen Dichtern seiner Zeit, einmal wegen seines polemischen Verhältnisses zu seinem Land und dessen Tradition und auch wegen seiner Modernität. Cernuda verdankt einiges dem Surrealismus und auch der deutschen Romantik, die Paz zufolge "Quelle und Ursprung der modernen westlichen Poesie" ist. Und er war einer der wenigen spanischen Autoren seiner Zeit, die sich in fremden Sprachen und ausländischen Literaturen auskannten. Er fühlte sich angezogen von den englischen Dichtern Keats, Blake, Yeats und Eliot. Die spanische Sprache verdankt ihm Übersetzungen von Hölderlin und Shakespeare.

Cernuda wird gewöhnlich als einer der großen Dichter der Liebe bezeichnet - die Liebe ist das wichtigste Thema seines Werkes, Grundlage aller anderen wie Einsamkeit, Verherrlichung der natürlichen Welt und der menschlichen Werte. Bei ihm ist es immer die gleichgeschlechtliche Liebe. Er spricht von keiner anderen. Die Frau kommt in seinem poetischen Werk kaum vor. Es gibt keine Zweideutigkeit, wenn es in den Gedichten um Homosexualität geht, zu der sich Cernuda aufrichtig und direkt bekennt. Er umschreibt und verheimlicht nichts. Die Männer werden als Ziel seines Verlangens, auch in dem Bändchen "Die verbotenen Lüste", nie als Frauen verkleidet, sie sind und bleiben in den Gedichten immer Männer. Cernuda sucht nicht den Skandal oder die Provokation der Gesellschaft, sondern besteht auf einer intellektuellen und moralischen Aufrichtigkeit, die aber, wie es auch der Surrealismus wollte, für ihn zu einem Akt der Befreiung wurde. Man kann sein Werk nicht ganz verstehen, wenn man über seine Homosexualität hinwegsieht, wie man es bei García Lorca lange Zeit getan hat; ebenso falsch wäre es allerdings, wenn man seine Werke auf diese Veranlagung oder erotische Entscheidung reduziert.

Cernuda ist nicht vom Christentum und dessen Werten geprägt. Dem Christentum setzt er andere Werte entgegen, welche die seinen sind und die er für die wahren hält. "Es würde schwer sein, einen Schriftsteller spanischer Zunge zu finden, der weniger christlich als Cernuda ist", schreibt Octavio Paz in seinem großen und überaus einfühlsamen Essay über das Werk des Dichters. Für Cernuda ist die wahre Wirklichkeit die der Imagination, so ist auch seine Bemerkung in einer Anthologie seiner Gedichte zu verstehen: nur das Leben von Figuren des Mythos oder der Dichtung wie das "Hyperions" von Hölderlin sei lebenswert.

Direkte politische Themen finden sich in Cernudas Poesie nicht. Doch nahm der Dichter klar Stellung für die Zweite Spanische Republik 1931 bis 1939 und arbeitete für sie. Der Zyklus "Die Wolken" gilt zwar als das neben Nerudas "Spanien im Herzen" wohl bedeutendste vom Spanischen Bürgerkrieg inspirierte Werk. Es handelt vom Schrecken und den Leiden dieses grausamen Bruderkriegs, geht aber nicht auf die politischen und ideologischen Gegensätze ein, die zu Ursachen dieses Krieges wurden. Nach dem Aufstand des Generals Franco, der zum dreijährigen Bürgerkrieg und zur jahrzehntelangen Diktatur führte, ging der Dichter ins Exil, aus dem er nicht mehr nach Spanien zurückkehrte. 1963 starb er in Mexiko-Stadt. Zu dem Scheitern seiner politischen Ideen kamen für den einsamen Melancholiker Cernuda auch menschliche Enttäuschungen. So wird seine Dichtung immer düsterer bis hin zu der bitteren Ausweglosigkeit von "Die Trostlosigkeit der Chimäre", dem langen Gedicht in dem Zyklus gleichen Namens, der 1962 in Mexiko veröffentlicht wurde.

Vor einigen Jahren, aus Anlaß seines hundertsten Geburtstags, wurde Cernuda selbst vom damaligen Ministerpräsident José María Aznar, nach eigener Aussage ein eifriger Lyrikleser, gefeiert. Aznar, der politisch aus dem anderen der vielzitierten "beiden Spanien" kommt, gedachte des Dichters mit einer gar nicht schlechten und offensichtlich ehrlich gemeinten Rede. Die Ausgabe sämtlicher Werke im Madrider Siruela Verlag war sicher eines der wichtigsten Ereignisse im literarischen Leben Spaniens der letzten Jahre. Auf die Lyriker der sechziger Jahre wie Gil de Biedma oder Caballero Bonald übte Cernuda einen stärkeren Einfluß aus als die übrigen Siebenundzwanziger.

In der spanischen Werkausgabe liegen übrigens jetzt auch die literarkritischen Essays Cernudas vor. Literaturkritik war für ihn wie für Eliot auch kreatives Schreiben. Der unabhängige Geist Cernudas verachtet den auch heute noch existierenden Brauch, nach dem der Kritiker die Werke befreundeter oder ihm persönlich bekannter Autoren nicht hart kritisieren kann, sie allerhöchstens nur in gemäßigter Form loben darf, um seine Unzufriedenheit und Ablehnung kundzutun. Für Cernuda gehören einige in Spanien damals nicht so sehr geschätzte Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts zu den ganz Großen seines Landes, unter ihnen Pérez Galdós, Valle-Inclán und Gómez de la Serna. Auch ihm unterlaufen einige Ungerechtigkeiten - so mit Rubén Darío, den er wegen seines Hangs zur wohltönenden Rhetorik ablehnt, und mit Juan Ramón Jiménez, mit dem sich Cernuda schon in Spanien vor dem Exil beider Dichter nicht verstand, in einer Zeit also, in der das Urteil von Jiménez für die Anerkennung junger Lyriker ausschlaggebend war.

Innerhalb der Generation von 1927 gab es so unterschiedliche Autoren wie Rafael Alberti und Gerardo Diego, Jorge Guillén und den späteren Nobelpreisträger Vicente Aleixandre, Federico García Lorca, Pedro Salinas, den Mentor Cernudas, und Dámaso Alonso. Luis Cernuda war einer der jüngsten und auch der eigenwilligsten unter ihnen. Diese Autoren haben in verschiedenen Stilrichtungen die spanische Moderne, eine der Hoch-Zeiten europäischer Lyrik des vergangenen Jahrhunderts, geschaffen.

WALTER HAUBRICH

Luis Cernuda: "Wirklichkeit und Verlangen". Gedichte. Spanisch und deutsch. Auswahl, Übertragung und Nachwort von Susanne Lange. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 293 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dass Luis Cernuda als einer der ersten Vertreter der Moderne in der spanischen Dichtung gelten kann, das hatte schon Octavio Paz erkannt, als er ihn einen "Moralisten" im Sinne von Nietzsche nannte, erklärt die Rezensentin Cornelia Jentzsch gleich zu Anfang. Umso wichtiger also, dass nun eine "breit gefächerte" Auswahl seiner Gedichte in Neuübersetzung vorliegt. Paz' Analyse, dass Cernudas Werke "unsere Werte und Glaubensanschauungen" kritisch durchleuchten, indem sie "Zerstörung und Schöpfung untrennbar miteinander verbinden", scheint die Rezensentin zuzustimmen. Sie spinnt diesen Gedanken weiter, und erklärt den ganzen Band zu einem "einzigen großen Gedicht", in dem der Mensch - von Gott desertiert - beginnt mit sich selbst zu reden. Doch sie stellt Cernudas Lyrik auch in einen anderen Zusammenhang, in dem "Verlangen und Wirklichkeit" zwei "einander suchende Teile eines Ganzen" bilden. Diese Ausgabe, so Jentzsch, ist in doppelter Hinsicht fruchtbar: Zum einen, weil Susanne Langes "nüchterne" Übersetzung "das Bild eines genaueren, schlagartigeren und desillusionierteren Cernudas" vermittelt und zum anderen, weil sie Cernudas Werk neu gewichtet, indem sie sich auf die "späteren Zyklen" konzentriert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Vision einer künftigen Welt ohne Schranken.« DIE WELT