Marktplatzangebote
16 Angebote ab € 7,00 €
  • Broschiertes Buch

Mit einer Sammlung von 500, allesamt neuen, Geschichten - Die Lücke, die der Teufel läßt - setzt Alexander Kluge seine Chronik der Gefühle fort. Erzählte diese in "Lebensläufen" und "Basisgeschichten" von den Erfahrungen und vor allem den Gefühlen, mit denen wir auf Zeit, Epoche und deren Brüche reagieren, so führt das neue Buch in die Bedrohlichkeitsstruktur der Realität selbst. Stichworte wie Revolution, Holocaust, Weltkrieg, Tschnernobyl, 11. September oder Irakkrise bezeichnen einige der unheimlichsten Komplexe einer scheinbar kompakten, undurchdringlich-übermächtigen Wirklichkeit. In acht…mehr

Produktbeschreibung
Mit einer Sammlung von 500, allesamt neuen, Geschichten - Die Lücke, die der Teufel läßt - setzt Alexander Kluge seine Chronik der Gefühle fort. Erzählte diese in "Lebensläufen" und "Basisgeschichten" von den Erfahrungen und vor allem den Gefühlen, mit denen wir auf Zeit, Epoche und deren Brüche reagieren, so führt das neue Buch in die Bedrohlichkeitsstruktur der Realität selbst. Stichworte wie Revolution, Holocaust, Weltkrieg, Tschnernobyl, 11. September oder Irakkrise bezeichnen einige der unheimlichsten Komplexe einer scheinbar kompakten, undurchdringlich-übermächtigen Wirklichkeit.
In acht Kapiteln gehen Kluges Erzählungen diesen und anderen Menetekeln des 20. Jahrhunderts, der ihnen innewohnenden Mechanik und Zweckrationalität nach, um dann in der großen Coda eines neunten Kapitels noch einmal alle Motive und Themen zu variieren - und zu wenden. Vor allem von Gegenläufigem zu Gefährdung und Auslöschung ist nun die Rede: in Geschichten von Heimkehrern, von Aufbruch und Andrang an den Außengrenzen der "Festung Europa", von der Suche nach dem "Schatz des Lebens" und der tröstenden Aussicht, daß sich konkrete Menschen nicht allzulange auf der Höhe des Bösen halten. Das aber reißt die entscheidende Lücke in die Machinationen des Teufels. Es sind Geschichten von hoher analytischer Kraft: Aus der Perspektive von 2003, aus einer Neuen Welt, sagen sie uns: Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sind nicht abschließend.
Autorenporträt
Alexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, studierte in Marburg und Frankfurt/Main Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik. Nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt absolvierte er ein Volontariat bei dem Filmregisseur Fritz Lang und betätigte sich mit Erfolg als Filmemacher und literarischer Autor. Er erhielt zahlreiche Preise. So wurde Alexander Kluge 2003 der "Georg-Büchner-Preis" verliehen und 2014 der "Heine-Preis" der Landeshauptstadt Düsseldorf. "... Als wichtiger Vertreter der kritischen Theorie knüpft er an das poetische, publizistische und politische Schaffen Heinrich Heines an", so die Jury.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Zweck hat es nicht, aber es wärmt
Gut, daß wenigstens die Liebe ein Technologiedefizit hat: Alexander Kluge sucht "Die Lücke, die der Teufel läßt" / Von Jürgen Kaube

Nur was Anfang und Ende hat, hat eine Geschichte. Alles, was eine Geschichte hat, läßt sich erzählen. Alexander Kluge erzählt am liebsten von Geschehnissen, die nicht nur einen Anfang und ein Ende haben, sondern die geradezu mit der Absicht in Gang gesetzt werden, irgendwann beendet zu sein, von dem also, was man heute "Projekte" nennt. Seine Erzählungen sind voll von Personen, die sich etwas vornehmen, irgendwohin oder irgendwo herausmüssen, die eine Aufgabe zu lösen haben oder gerade etwas konstruieren. Unter allen Projekten beschäftigt ihn am meisten der Krieg und in ihm die einzelne Schlacht, das Gefecht. Aber auch Opern, Geheimdienstoperationen, Forschungen, Gerichtsverfahren, Konferenzen, Rettungsaktionen nach Katastrophen und Revolutionen sind solche Projekte. Sie sind für Kluge der Stoff der Geschichte.

Ganz bei seinem Stoff fühlt sich Kluge, wenn er erzählt, wie Projekte sich ineinander verwickeln und den Verstand wie das Herz der Beteiligten durch widerstrebende Erfordernisse beschäftigen. Wenn etwa eine Oper inmitten von Kriegshandlungen aufgeführt werden soll: In seiner "Chronik der Gefühle" waren es "Lohengrin" in Leningrad im Juni 1941 und die "Götterdämmerung" in Wien, März 1945; jetzt ist es "Fidelio" im Juni 1940 an der Pariser Oper. Oder wenn inmitten einer Katastrophe eine Konferenz einberufen wird: Ganze Abschnitte des neuen Buches gelten dem Untergang des U-Boots "Kursk", der Havarie von Tschernobyl und dem Anschlag auf das "World Trade Centre" sowie den vielen strategischen Besprechungen, politischen Erwägungen und technischen Maßnahmen, die jene Unfälle ausgelöst haben mögen. Oder wenn die verschiedenen Kriterien für Projekte durcheinandergehen: wenn etwa einer die Erträge eines Verkaufs der Schwarzmeerflotte an Schrotthändler erwägt oder wenn der KGB einen Romeo an die Seite der Onassis-Erbin geschleust hat und nach dessen Rückzug beide leiden.

Etwa fünfhundert solcher Episoden erzählt Kluge hier. Daß es nicht fünfhundert Projekte sind, hängt mit dem zweiten großen Stoff des Autors zusammen, mit der Liebe. Liebe ist kein Projekt. "Zweck hat es nicht, sagte sie", heißt es an einer Stelle, "aber es wärmt." Was Kluge an glücklicher wie mißlingender Liebe interessiert, ist ihr Technologiedefizit. Mitunter scheitern bei ihm sogar Scheidungsversuche. Was Kluge an Projekten interessiert, solchen, die er in Geschichtsbüchern und Zeitungen vorfindet, und solchen, die er in sie hineinerfindet, ist die Fatalität, der sie sich, wie die Liebe, entgegenstemmen. Seine Episoden scheinen die Stelle bezeichnen zu wollen, an der einer dem historischen Ablauf hätte in den Arm fallen können, oder es jedenfalls wollte. So hat er sich etwa Geschichten um die Eroberung von Paris durch die Deutschen 1940 ausgedacht und darin die wunderliche Anekdote von einem französischen Unteroffizier, der sich weigert, die leistungsfähigste Antenne der Stadt unbrauchbar für die Eroberer zu machen - also den Eiffelturm zu sprengen. Zur gleichen Zeit läßt er Hitler überlegen, welcher Einmarsch in die Stadt der würdigste für ihn wäre. Wenige Tage davor, so Kluge, stand in Gestalt des Kabinettssekretärs beim französischen Ministerpräsidenten für kurze Zeit ein Trotzkist an der operativen Spitze eines westlichen Staates. Keine Seite des Buches soll der Leser umblättern, ohne zu denken: Was hätte nicht alles passieren können.

Wer Projekte für den Stoff der Geschichte hält und Projektemacher für ihre Leistungsträger, den interessieren wie Kluge Heere mehr als Fabriken, Gerichte mehr als Verwaltungen, Expeditionen mehr als das Leben in den Städten. Denn das eine ist die Welt begrenzter Aufgaben, sie besteht aus Handlungen, die aufhören, wenn sie ihren Sollwert erreicht haben, das andere hat kein Ende in sich. In griechischen Begriffen: Kluge befaßt sich mit Technik und Poesie, nicht mit Theorie und Praxis, Produktion, nicht Kontemplation ist sein Metier. Übrigens auch nicht der Konsum: Den Waren, der Mode, und der Kunst - sofern diese nicht Oper, Theater oder Film, also Projekt ist -, räumt er erstaunlich wenig Platz in seinem Geschichtswerk ein. Was sich nicht organisieren läßt, fällt aus dieser Erkundung der Gegenwart und ihrer Vorgeschichte heraus. Umgekehrt erscheint der Krieg als Schlüssel zur Geschichte, weil er ganze Gesellschaften unter Organisationsdruck setzt. Die unzähligen Offiziersfiguren, die er sich ausdenkt und mit Anekdoten versieht, sind für ihn die Betriebswirte des Schicksals - so phantasievoll, erfahren und ohnmächtig wie die der Wirtschaft. An ihnen zeigt sich, was auch für alle anderen Handelnden gilt: daß ihnen die Folgen ihrer Entscheidungen davonlaufen, daß ihnen Rationalität nicht hilft, daß jede Regel historisch an den Punkt gebracht worden ist, an der ihr zu folgen wider jeden Verstand wäre. Die Welt ist fast alles, was der Zufall ist.

Aber ist Kontingenz eine Erzählform? Alles, was eine Geschichte hat, kann erzählt werden. Die Geschichte selber allerdings, im Singular, läßt sich nicht so leicht erzählen. Denn weder ist ihr Anfang bekannt, noch weiß außerhalb des Oval Office jemand etwas von ihrem Ende. Früher bot die Geschichtsphilosophie an, von den rohen Ursprüngen über die notwendigen Kriege und Stadien der Zivilisation bis hin zum bürgerlichen oder sozialistischen Schluß zu erzählen. Dem Freiheitsdrang, der Industrie oder dem Erkenntnisfortschritt wurde zugetraut, den Bogen dieser Mär zu spannen: von der Natur zur Kultur, von der Armut zum Komfort, von der Angst zur Selbstverwaltung. Der Name dieser Geschichtsgeschichte war "Aufklärung".

Doch Aufklärung ist kein Projekt mehr, denn wer könnte angeben, wann und wodurch es beendet wäre? Alexander Kluge schreibt ausdrücklich unter den Bedingungen einer "Dialektik der Aufklärung", also der Einsicht, daß die finstersten Zustände durch die Instrumente der Befreiung, der Naturbeherrschung, des Wissens hervorgebracht worden sind. Das Gute wie das Böse wächst, also lassen sich die historischen Zeiten nicht mehr vergleichend bilanzieren. Kluge trägt dem Rechnung, indem immer wieder das größte Unglück sich aus den besten Absichten ergibt, oder umgekehrt eine Frau den Mann, der ihr Leben von da an schützt, kennenlernt, weil über ihren Selbstmordversuch in der Zeitung berichtet wurde. Kluge schreibt insofern Zerfallsgeschichte. Nicht Verfallsgeschichte, denn er wendet nicht einfach den Fortschritt ins Negative, kehrt auch nicht zu zyklischen Modellen des historischen Auf und Ab zurück. Er schreibt vielmehr über einen Zustand, in dem Geschichte sich in tausend Trümmer zersprengt zeigt, den Nullpunkt der Theodizee und aller ihrer Säkularisate.

Das enthält ein Problem für den Erzähler. In früheren Werken hielt noch das Interesse an Charakteren und Karrieren seine Geschichten zusammen. Oder es waren historische Ereignisse - Stalingrad, die Bombardierung von Halberstadt -, die der Erzählung Anfang und Ende lieferten. Und über beidem, den Karrieren wie den unerhörten oder unerhört trivialen Ereignissen, stand "aus Deutschland". Mehr und mehr aber sind diese farb- und formgebenden Momente bei Kluge zurückgetreten. Selbst die Gattungsbezeichnung "Chronik", die er zuletzt wählte, um seine bisherigen Bücher zusammen mit neuesten Geschichten herauszubringen, war ein Euphemismus. Denn auch die bloße Chronologie, das ungewichtete Nacheinander gab hier keine Ordnung mehr ab.

In "Die Lücke, die der Teufel läßt" wird nicht einmal mehr behauptet, die Zeitstelle einer Episode sei aufschlußreich für ihren Sinn. Mal ist sie es, mal nicht. Einzelne Figuren ziehen die Mühe des nervösen Autors meist nur noch für ein, zwei Seiten auf sich. Und als Erkundung dessen, was er nicht nur aus der Zeitung, als Tourist oder aus den Interviews kennt, die er im Fernsehen führt, als Erkundung Deutschlands, läßt sich das Buch, das eine Art globaler Geschichtsanekdotik ausbreitet - das Pentagon, der Irak, viel Rußland nebst Asiatischem wird nacherfunden -, auch nicht verstehen. Wenn nach der Geschichte im Singular, den Lebensläufen und dem Spektrum deutscher Mentalität als Klammer des Erzählten sich auch die Chronik als Form auflöst, was hält dann die Geschichten zu einem Ganzen, dem Ganzen eines Kapitels, eines Buches, zusammen? Unter welcher Bedingung haben Adornos Geliebte, Spekulationen über den Ursprung von HIV, Maria Callas und Antigone etwas miteinander zu tun?

Viele dieser traurigen, bizarren, lehrreichen Szenen gelingen Kluge. Man kann lange darüber nachdenken, ob Croupiers im Sinne des marxistischen Arbeitsbegriffs arbeiten und also streikberechtigt sind. Oder über die Komtesse Oltrup, die wiederverheiratet ist, als ihr erster, totgeglaubter Mann heimkehrt. Oder über den Haufen zweitklassiger Gesellschafts- und womöglich erstklassiger Kosmosspekulationen, die Kluge mit fliegendem Atem berichtet, als sei etwas dran an ihnen. Wer auch nur eine Handvoll dieser Denkstücke nacheinander durchliest, steht jedoch vor einer Anstrengung sondergleichen. Denn manche kommentieren einander durchaus, aber zumeist wird der Zusammenhang, in dem sie stehen, dem Leser angedeutet und doch entzogen. Das Ende Karthagos, Kleists "Hermannsschlacht" und Zeitungsberichte über den Konkurs der Swissair - alles hängt mit allem zusammen, irgendwie. Genügt es "Was heißt Macht?" darüberzuschreiben?

Intelligenz und Kuriosität im einzelnen verbinden sich so mit einer raunenden Bedeutungsandrohung im Gesamtaufbau. Von ihr muß man fürchten, daß sie kalkuliert ist, um durch Geheimnishaftigkeit des Ganzen zu verbergen, daß es gar kein Geheimnis und gar keinen Schlüssel dazu gibt. Stehen wir vor dem seltsamen Befund, daß Alexander Kluge, der große Projektemacher, ein ganz großes Projekt nur vortäuscht, das alle seine Kunststücke umfaßt? In den Geschichten werden ständig Fragen aufgeworfen, die den Anschein erzeugen, als enthielten die Geschichten selber, als einzelne oder als Anordnung, Hinweise auf eine Antwort, als seien sie aktenmäßig aufgenommenes und sortiertes Beweismaterial. Man liest dann: Bewachen die Toten unser Leben? Was ist entterritorialisierter Geist? Kann ein Gemeinwesen ,Ich' sagen? Gründet sich Revolution auf Arbeit oder auf Ideen? Kluge läßt nicht erkennen, woher er diese Fragen hat, tut vielmehr so, als lägen sie auf der Hand. So erweckt er den Eindruck, eine geschichtsphilosophische Recherche durchgeführt zu haben. Hat er aber nicht, dafür ist er viel zu ungeduldig und zu sehr an Pointen anstatt an Schlußfolgerungen interessiert.

Zwei Beispiele: In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, heißt es, verlaufe eine historische Trennlinie zwischen der Epoche der "zornigen Ingenieure" und derjenigen der "vorsichtigen Organisatoren". Kluge hat sich das nicht als Parodie auf den Zäsurbedarf von Geschichtsphilosophien ausgedacht, sondern experimentiert selber mit dieser Unterscheidung eines sozialtechnologischen Paradigmenwechsels. Der Maschinenglaube, scheint er zu sagen, weicht dem Vertrauen auf Statistik und Versicherungen. Das ist interessant, ein bißchen verrückt - die Überlagerung beider Epochen wird auf den Mai 1940 datiert -, auch selbstironisch - eine Fußnote korrigiert: Schon im März 1940 habe sich der Geist der Versicherung gemeldet. Vor allem aber ist es leider fast völlig folgenlos, ein Gedanke, der nur kurz hergezeigt wird, um Evidenzeffekte abzuwerfen und dann in den Akten mehr oder weniger zu verschwinden. Und das, obwohl die Frage nach den Ingenieuren und den Organisatoren für Kluges Geschichtsbild zentral ist.

Ein anderer Fall: Die Titelgeschichte erzählt den Streit zweier Theologen zur Zeit der Reformation um die Rolle des Satans im inquisitorischen Verfahren. Einerseits stelle der Teufel die Hexe auf die Probe, indem er sie der Tortur ausliefere. Andererseits müsse er sie schützen. Wer nicht zu schützen vermag, ist kein Herrscher. Wie also ist es zu deuten, wenn die Gefolterte die Tortur zunächst erträgt und erst danach zusammenbricht? Einbekenntnis der Schuld oder sich meldende Natur? Und wenn Natur, dann teuflische? Kluge legt die Fragen auf den Tisch und läßt sie dort liegen. Der Erzähler von Kalendergeschichten darf das, die Entscheidung des zuständigen Richters, der als erster Jurist "im Zweifel für den Angeklagten" geurteilt habe, lautete ohnehin: unentscheidbar. Aber weshalb folgen auf die Episode andere, in denen es um den Teufel als Knecht Gottes, einen aufschneiderischen Alchemisten, der sich, auf die Probe gestellt, vergiftet, einen Fall unbefleckter Empfängnis in der Schweiz, den Attentäter Atta und die Buche als Symbol des Endsiegs geht? Kluges Auskunft: In alldem zeigt sich etwas von der Gegenwart des Bösen. Über dieses Etwas ließe sich diskutieren. Dazu müßte der Autor sich aber auf die Entfaltung von Gedanken und darauf einlassen, daß die Theologie und Philosophie des Bösen seit ein paar hundert Jahren nicht so untätig waren, daß man mit einigen Einfällen, selbst wenn es Geistesblitze sind, schon zu ihnen aufgeschlossen hätte.

Der Autor mag entgegnen, er sei ja Erzähler, kein Soziologe, Philosoph oder Historiker. Aber das würden wir ihm nicht abnehmen, zumal er den Literaturkritikern, die das Erzählen vermissen, bestimmt entgegenhält, er sei ja Forscher und kein Dichter. Alexander Kluge wäre gern beides, und das mag nicht aussichtslos sein, ist aber schwieriger, als er sich die Sache macht. Vor allem bedürfte es mehr konstruktiver Arbeit an der Frage, was denn nun sein spezifisches "Projekt" ist. Kluge aber will sich nicht auf etwas, sondern auf alles konzentrieren. Alles, was eine Geschichte hat, läßt sich erzählen. Aber nicht alles auf einmal.

Alexander Kluge: "Die Lücke, die der Teufel läßt". Im Umfeld des neuen Jahrhunderts. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 949 S., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Auch Alexander Kluge weiß nicht weiter, ist Martin Lüdke nach der Lektüre der "Lücke, die der Teufel lässt" klar geworden. Die große Sammlung von etwa 500 Geschichten sei aber Zeugnis dafür, dass Kluge unermüdlich immer weiter suche und damit zum "Glücksfall für unsere Literatur" werde. Die versammelten Stücke, die Lüdke beizeiten an die Essais von Montaigne erinnern, handeln von Katastrophen und Schlachten, von Heinrich von Kleist, von Krieg, Schicksal und Sachverhalten, kurz: "Kein Stoff, der nicht in Frage käme". Mit dieser Vielfalt will Kluge in erster Linie die "Präsenz des Bösen in der Gegenwart" zeigen, wie Lüdke vermutet. Mit literarischen Mitteln - die Trennung von Wirklichkeit und Fiktion spielt "keine Rolle", "hemmungslos und hingebungsvoll" werden Interviews und Zitate erfunden - komme Kluge zu einer Schlussfolgerung: dass sich das 20. Jahrhundert mit dem Mauerfall 1989 doch nicht zum Guten gewendet hat und für den Teufel immer eine "Lücke" frei bleibt. Leider, schreibt der Rezensent, erschließt sich dieser Subkontext nicht aus den Geschichten selbst, ein mit Kluge nicht vertrauter Leser könnte die Anordnung der Stücke auch für beliebig halten.

© Perlentaucher Medien GmbH