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1961. Ein junger Mann Anfang 30. Sein erstes Buch, ein Erzählband, hatte Aufsehen erregt, die Kritik bescheinigte ihm Talent. Nun schreibt er an einem Rom-Buch. Es wird mit viel Vorschußlorbeeren bedacht, und ein bedeutender Literaturverlag will es herausbringen. Der Autor, der Beruf und Familie hinter sich läßt, um ganz im Schreiben aufzugehen, wähnt sich auf dem Olymp der deutschsprachigen Literatur. Als jedoch sein Buch 1963 erscheint, stößt es auf völliges Unverständnis. Den Autor, Paul Nizon, stürzt die Ablehnung seines furiosen Sprachkunstwerks Canto in eine Krise. Wie er sich daraus…mehr

Produktbeschreibung
1961. Ein junger Mann Anfang 30. Sein erstes Buch, ein Erzählband, hatte Aufsehen erregt, die Kritik bescheinigte ihm Talent. Nun schreibt er an einem Rom-Buch. Es wird mit viel Vorschußlorbeeren bedacht, und ein bedeutender Literaturverlag will es herausbringen. Der Autor, der Beruf und Familie hinter sich läßt, um ganz im Schreiben aufzugehen, wähnt sich auf dem Olymp der deutschsprachigen Literatur. Als jedoch sein Buch 1963 erscheint, stößt es auf völliges Unverständnis. Den Autor, Paul Nizon, stürzt die Ablehnung seines furiosen Sprachkunstwerks Canto in eine Krise. Wie er sich daraus langsam wieder herauskämpft und in die deutsche Literatur zurückschreibt, davon handelt dieser Journalband.
Das Tagebuch aus den Jahren 1961 bis 1972 - der erste einer auf vier Bände angelegten Journalreihe - erzählt von den Versuchen Paul Nizons, sich gegen alle Widerstände seiner Identität als Schriftsteller zu vergewissern und diese Identität in der eigenen Existenz zu begründen. Vor dem Hintergrund der sechziger Jahre entfaltet es zudem die Stoffwelten und Formideen seiner Bücher von Canto bis Untertauchen. Aus diesem »Rohmaterial« seines gelebten Lebens, aus diesem »Stoff- und Gedankenspeicher«, der Werkstattbericht und Alltagsprotokoll in sich vereint, hat Paul Nizon nichts weniger erschaffen als einen Roman: den Roman seiner künstlerischen Heraufkunft.
Autorenporträt
Nizon, Paul
Paul Nizon, geboren 1929 in Bern, lebt in Paris. Der »Verzauberer, der zur Zeit größte Magier der deutschen Sprache« (Le Monde) erhielt für sein Werk, das in mehreren Sprachen übersetzt ist, zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, u. a. 2010 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2002

Woher der Anspruch, etwas Großes leisten zu müssen?
Wichtig ist nur, was Literatur geworden ist: Paul Nizons Journal aus den sechziger Jahren dokumentiert Zerstörungsmanien

Sie kannten sich aus Rom, in Zürich trafen sie sich wieder: zwei Schweizer, zwei Schriftsteller, zwei Welten. Paul Nizon hatte einen aufsehenerregenden Erstling veröffentlicht, "Die gleitenden Plätze". Max Frisch gab den großen und generösen Förderer - der Literaturbetrieb glaubte, einen neuen Robert Walser entdeckt zu haben. Nizon bekam zahlreiche Angebote. Als erster Schriftsteller wurde er an das Schweizer Institut in Rom eingeladen. Frisch vermittelte ihn zu Suhrkamp. Praktisch als Auftragsarbeit entstand sein zweites Buch, "Canto". Es geht darin um seinen Vater, der als kranker russischer Privatforscher im Exil eine miserable Existenz geführt hatte, und die Erlebnisse in Italien.

Noch war "Canto" nicht erschienen, als sich Frisch und Nizon am 24. März 1961 auf den Straßen von Zürich wiedersahen. Der väterliche Dichter bestellte den jungen Kollegen zum Abendessen in die "Kronenhalle": Er war mit Dürrenmatt und den Direktoren des Schauspielhauses wie des Radios verabredet und führte ihnen den jungen Dichter vor. "Hemmungslos Propaganda" machte er für ihn: "Irrsinnig gute Mischung zwischen Bern und Rußland." Nizon beobachtet beide: "Dürrenmatt und Frisch sitzen sich wie zwei Gewerkschaftsführer gegenüber, es wird Literaturpolitik betrieben." Er durchschaut das Spiel der beiden Großdichter, Frisch präsentierte ihn "am Hof" als Figur seiner "Gefolgschaft": "Komisch, peinlich dieser Eintritt ins fremde Milieu." Er ist in ihm auch vierzig Jahre danach nicht heimisch geworden.

In der "Kronenhalle" beginnt das Journal des Dichters, das Nizon als sein Hauptwerk bezeichnet. Ein rundes Dutzend Bücher hat der inzwischen dreiundsiebzigjährige Schriftsteller veröffentlicht. Neben den Romanen und Erzählungen hat Nizon, der täglich schreibt, Tausende von Seiten gefüllt. Sie handeln von seinen Schreibateliers, von Städten, Menschen, Stimmungen, Reisen, Leseeindrücken, Obsessionen: von Paul Nizon. Er ist sein eigenes und einziges Thema. Jeder Schritt in seinem Leben hat nur das Ziel, Literatur zu werden. Nizon betreibt einen völlig anachronistischen Kult des Schreibens. Alles hat er ihm untergeordnet, notfalls geopfert. Eine Familie, mehrere Beziehungen. Nizon schreibt, wie er atmet - aus existentieller Notwendigkeit.

Das Nachtessen in der Kronenhalle ist der einzige Eintrag aus dem Jahr 1961. Für 1962 beschränkt sich das Journal auf programmatische Überlegungen zum Schreiben und einen Brief an Frisch, der ihn zum politischen Engagement auffordert. "Grosse Themen habe ich nicht an den Mann zu bringen oder in die Welt zu setzen. Ich möchte keinerlei Einfluss nehmen mit Geschriebenem, nicht belehren, nicht bekehren, nicht moralisieren, nicht aufbauen, nicht aufrichten." Nizon bleibt seiner Epoche entfremdet. Die erste Notiz mit politischem Charakter findet sich auf Seite 94 und betrifft das Jahr 1967. Zum fünfzigsten Jahrestag ihrer Revolution haben die Russen eine Raumkapsel zur Venus geschickt. Der Studentenaufstand findet in zwei Nebensätzen statt. Begeisterung empfindet Nizon für den Reformkommunismus in Prag.

"Canto" erschien 1963 und war von der Kritik einhellig heftig verrissen worden. Auch im Hinblick auf seine eigenen Erwartungen war das Echo eine Niederlage für den jungen Schriftsteller. Die Verarbeitung dieser Enttäuschung ist das zentrale Motiv der Aufzeichnungen. Ihre Themen sind die zunehmende Distanz zu Frisch, die Diskussionen mit dem marxistischen Kunsttheoretiker Konrad Farner, den "Canto" ebenfalls irritiert, die Freundschaft mit Elias Canetti (sie diskutieren über Nizons erste Liebe), der Abschied von der bürgerlichen Existenz (als Kunstkritiker der "Neuen Zürcher Zeitung") und von der Familie. Nizon beschreibt seine Obsession des Schreibens, seine Ästhetik, sein Ringen um die Form - doch schon Gattungen sind ihm zuviel. Das Wesentliche steckt in seinen Notizen, die sein Leben festhalten und die er als Urgestein seines Werks empfindet - Materie vor ihrer Verarbeitung zu Kunst. In Nizons Journal finden sich die Rohstoffe seiner literarischen Werke, die er für die Essenz seines manischen Schreibens hält. Erst sieben Jahre nach "Canto" gelang es ihm, ein drittes Buch zu veröffentlichen.

Es kann dem Verlag nicht leichtgefallen sein, Nizons Aufzeichnungen in Buchform zu publizieren. 1995 legte er unter dem Titel "Die Innenseite des Mantels" bereits einen Journal-Band mit Notizen aus den Achtzigern vor. Sie handeln von Nizon und Paris, wo der Schweizer als bedeutender Schriftsteller und ohne die Vorbehalte, die man ihm hierzulande bei aller Achtung entgegenbringt, anerkannt wird. Es gab darin keinerlei Hinweise auf weitere geplante Tagebuch-Veröffentlichungen. Nun erscheint - herausgegeben von Wend Kässens, der auch ein erhellendes Nachwort beisteuert - der erste Teil einer Ausgabe des Journals, die auf vier Bände angelegt sei. Er geht bis 1972. Soll "Die Innenseite des Mantels" als Teil drei in diese Edition integriert werden, nachdem sie aus den "Gesammelten Werken" (1999) ausgeklammert worden war? Wird es im Gegenteil neue Texte aus den achtziger Jahren geben, gar Überschneidungen, wann überhaupt kommt die angekündigte Fortsetzung? Auf diese Fragen findet man im ersten Band, der den Titel "Die Erstausgabe der Gefühle" trägt, keinerlei Antworten. Die späte Veröffentlichung ist auch eine frühe: Um eine endgültige Fassung kann es sich nicht handeln, zu offensichtlich sind die Auslassungen - wohl aus Rücksicht auf noch lebende Personen.

Sich selber schont Paul Nizon aber nicht. Mit seiner Selbststilisierung zur Kunstfigur und seinem Anspruch an die eigene Literatur, zu deren kritischen Beurteilung er ausschließlich an die Ewigkeit als Instanz appelliert, setzt er sich vielerlei Anfechtungen aus. "Ich habe Angst - vor mir", liest man auf den letzten Seiten. Nach dem Tod des Malers Friedrich Kuhn hat er "eine ganze Woche mit Sauferei, Herumtreiberei, Schlägerei verloren. In meinen, in letzter Zeit sich mehrenden Ausschweifungen kommt neben Sauf- und Sexgier immer mehr Aggressivität zum Ausdruck. Aggressivität in beängstigendem Ausmass, krankhaftem Mordwahn, Totschlaggelüste, Zerstörungs- und Selbstzerstörungsmanien." Es sind die Geburtswehen eines neuen Buchs. Man kann sich unschwer vorstellen, daß in Paul Nizons täglichen Aufzeichnungen konkreter davon die Rede ist als im publizierten Journal der ästhetischen Erklärungen und existentiellen Verklärungen.

"Woher dieser Selbstanspruch, unbedingt etwas Grosses leisten zu müssen, dieser verzehrende Originalitätstrieb?" Das Tagebuch, das sich jeglicher Psychologisierung - außer im Zusammenhang mit dem Vater - verweigert, gibt keine Antwort. Wie könnte, warum sollte es auch. Ursachen haben für Nizon keinerlei Bedeutung. Wahr und wichtig ist nur, was Literatur geworden ist. Sie bestimmt das Leben: Mehr als auf das Buch, das zur Zeit ihrer Aufzeichnung im Entstehen begriffen war, verweist "Die Erstausgabe der Gefühle" zurück auf "Canto". Er ist inzwischen zum Kultbuch geworden.

Paul Nizon: "Die Erstausgabe der Gefühle". Journal 1961 - 1972. Herausgegeben von Wend Kässens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 248 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2002

Was Marianne meint
Ein Geheimtipp gibt Auskunft: Paul Nizons Journal 1961-1972
Dieses enorm gediegen ausgestattete „Journal ” versucht, einem uneinlösbaren Anspruch zu genügen. In Tagebuch-Form, den Jahren 1961 bis 1972 gewidmet (drei weitere Bände sollen noch folgen), notiert Paul Nizon die Umstände, Krisen, auch die privaten Ereignisse oder Tragödien seiner Schriftsteller-Existenz. Und habe hiermit, so weiß es der Klappentext, „nichts weniger erschaffen als einen Roman: den Roman seiner künstlerischen Heraufkunft”.
Nun mögen solche Notizen sicherlich die Nizon-Gemeinde interessieren. Kenner seiner Gesammelten Werke erfahren Begleit-Umstände. Ein intelligenter, herber, kritischer, auch selbstkritischer, Schriftsteller äußert sich. Elias Canetti hat ihm imponiert, sein Gönner Max Frisch wurde ihm eher zum Ärgernis.
Für sich genommen aber wirken Nizons ruhig stilisierte Notate nicht allzu originell. Oder gar überraschend, witzig, verstörend, brillant. So wird auf Seite 207 die keineswegs schrecklich gewagte Einsicht – „Nun ist zu sagen, dass man ,Wirklichkeit‘ ja überhaupt nie treffen oder reproduzieren kann. Es ist immer die Wirklichkeit eines Buches und nur diese, was man herstellt” – sogar am Ende gesperrt gedruckt. Oder „Marianne meinte, vor allem müsste ich versuchen, als Erzähler schamloser hervorzutreten, sie nennt es: Prüderie abbauen. Einverstanden”. (Auch da kein Widerspruch).
Und am 7. Februar 1971 notiert Nizon: „Finde mich in einem miesen und schiefen Verhältnis zur Öffentlichkeit. Kein richtiges Privatleben und kein freies Berufsleben oder: keine freie Bahn für mein Berufsleben. Immer noch nicht richtig ausgeschlüpft. Oder ins Freie gelangt mit meinem geschriebenen Leben und Wort”. Verzagt befindet Nizon: „Ich habe Macht über die Menschen, wenn ich mündlich erzähle – wie ein Russe. Aber ich kann es nicht freimachen, wenn ich schreibe”.
Fontane, der Goethes „Tasso” nicht leiden konnte, spöttelte: „.. .und zu dem Gleichgültigsten von der Welt gehören Dichterreizbarkeiten”. Manchmal trifft das zu. So unersättlich unsereiner die Tagebücher von Max Frisch, Thomas Mann oder auch die sechs unausschöpflichen Bände der „Cahiers” von Paul Valéry liest, wiederliest, sich zu eigen macht – Nizons Journal fehlt solches Ganz-Besondere. Nichts wirkt ärgerlich, manches belanglos.
Der im Jahre 1929 geborene Autor galt einmal als Geheimtipp. Anfang der sechziger Jahre fand in Zürich eine Frisch-Uraufführung statt. Siegfried Unseld kam auch. Ich war natürlich neugierig auf den neuen Frisch. Unseld freilich sagte lachend zu mir, viel wichtiger sei ihm die Entdeckung eines jungen Genies: Paul Nizon. Beklemmend, wie sehr auch Überschätzung einem Schriftsteller zu schaden vermag.
JOACHIM KAISER
PAUL NIZON: Journal 1961-1972. Die Erstausgaben der Gefühle. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 248 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als 1963 "Canto", Paul Nizons erster bedeutender Prosatext erschien, war die Resonanz gering. Eine sich politisierende Öffentlichkeit zeigte sich an diesem weder formal noch thematisch so recht in eine Schublade zu steckenden Werk kaum interessiert. Diese frühen Jahre des Dichters bringt der Verlag nun mit dem ersten Band einer geplanten Gesamtausgabe wieder zur Anschauung. Eine Entwicklung ist fraglos abzulesen, wie der Rezensent Dieter Borchmeyer konstatiert. Zunächst steht für Nizon fest, dass ihm die Sprache nicht zum Abbilden taugt, auch zum regelrechten Erzählen nicht. Es geht ihm, stattdessen, um die, wie er sagt, "saubere Klarstellung der Schreib-Situation". Die Wende kommt mit dem Buch "Im Hause enden die Geschichten", hier erfolgt ein Aufbruch zum Erzählen oder, mit Borchmeyer, "vom Subjekt zum Objekt". Die Ironie dabei: als der Rest der Literatur in der Innerlichkeit ankommt, wendet sich Nizon der Außenwelt zu. Und hat, doppelte Ironie, damit nun Erfolg.

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