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Ursprungsort dieser Geschichten ist eine prachtvolle Bahnhofshalle, unter deren hohen Dächern zwischen den Gleisen, auf Märkten und in Cafés abwechselnd Stille und Höllenlärm herrscht. Das geübte Ohr des Erzählers spürt in diesem brabbelnden und fiependen Klangmeer die einzelnen Stimmen auf, zerlegt die Interferenzen und mischt sie neu ab in vier Teilen zu je sechs Geschichten. Verspielte Soli wurzeln im Generalbaß und finden immer wieder zu ihm zurück. Der Bahnhof wirkt wie ein Sender, der als Hallraum sämtliche Geräusche verstärkt und in die Welt schickt, er birgt den "Nullstein", von dem…mehr

Produktbeschreibung
Ursprungsort dieser Geschichten ist eine prachtvolle Bahnhofshalle, unter deren hohen Dächern zwischen den Gleisen, auf Märkten und in Cafés abwechselnd Stille und Höllenlärm herrscht. Das geübte Ohr des Erzählers spürt in diesem brabbelnden und fiependen Klangmeer die einzelnen Stimmen auf, zerlegt die Interferenzen und mischt sie neu ab in vier Teilen zu je sechs Geschichten. Verspielte Soli wurzeln im Generalbaß und finden immer wieder zu ihm zurück. Der Bahnhof wirkt wie ein Sender, der als Hallraum sämtliche Geräusche verstärkt und in die Welt schickt, er birgt den "Nullstein", von dem aus "das Kontinentinnere vermessen wird". Peter Weber erkundet die Nischen des Bahnhofs, läßt seinen Erzähler Rolltreppen fahren und von oben auf das geschäftige Treiben blicken, und er schickt ihn hinab in die unterirdischen Stockwerke. Dort findet (oder erfindet) er ein weitverzweigtes Wurzelwerk, ein Geflecht aus Gräben und Gängen, in dem sichtbar bleibt, daß die neuen Träger und Wände auf alten und immer wieder überbauten Fundamenten ruhen - eine Architektur, die dem Über- und Ineinander des Akustischen entspricht. Die zentrale "Mutteruhr" gibt den Takt an für alle phantastischen Reisen, von denen der Autor mit modulierter Ironie erzählt und auf die er seine Leser schickt.
Autorenporträt
Peter Weber, geboren 1968 in Wattwil/Toggenburg, lebte nach seiner Schulzeit mehrere Jahre in Zürich und ist seit 1992 mit einem Generalabonnement der Schweizerischen Bundesbahn viel unterwegs. Zahlreiche Zusammenarbeiten und Projekte mit Musikern aus verschiedenen Bereichen, u.a. Bahnhofsprosa live mit Denis Aebli (Schlagzeug, Elektronik, Vox theremin), Singende Eisen, Spangen und Gleise mit den vier dichtenden Maultrommlern (Bodo Hell, Michel Mettler, Anton Bruhin, Peter Weber) und Auftritte mit dem improvisierenden Streichquartett "Die Firma" aus Zürich und Bern. 1993 erschien sein erster Roman, 2004/05 war er Stadtschreiber in Bergen-Enkheim bei Frankfurt. Für seine Romane erhielt er bereits zahlreiche Auszeichnungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2003

Unterwegs
Mit schneller Zunge:
Peter Webers „Bahnhofsprosa”
Ein schmales Prosawerk wie das dritte Buch des Schweizer Autors Peter Weber unterschätzt man leicht. Noch dazu, wenn es einen so bescheidenen Titel trägt wie dieses. Doch unter dem schlichten Gewand verbirgt sich eine gewagte Ambition. „Bahnhofsprosa” ist ein Sprachexperiment der besonderen Art. Es spielt Möglichkeiten durch, ob man sich ein Sesshaftwerden in den unbewohnbaren Räumen des Transits vorstellen kann.
Peter Weber ist dafür durchaus prädestiniert. Seit seinem sprachgewaltigen Debüt „Der Wettermacher” betreibt er die ungewöhnliche Kunst eines postmodernen Heimatromans. Der zwanzigjährige Ich-Erzähler des Erstlings wollte alles mit jedem in Kontakt bringen, das enge Toggenburger Tal mit der weiten Welt, die unterirdische Gegenwart im Kellergeschoss des Elternhauses mit dem offenen Himmel, die eigene Lebensgeschichte mit Märchen und Mythen, die gegenwärtige Landschaft mit ihrer Stein gewordenen Geschichte. Am Ende des Romans ging der Weg ins „Offene”, mit der Toggenburgbahn Richtung Zürich.
Der Erfolg des 1993 erschienenen „Wettermachers” katapultierte den damals Fünfundzwanzigjährigen, der bis dahin vor allem als Freejazzer unterwegs war, mitten hinein in den Literaturbetrieb. Nach seinem zweiten Roman, „Silber und Salbader”, der vom selben epischen Furor angetrieben wurde, ist „Bahnhofsprosa” ein Werk der Verknappung. Es ist dem Unterwegssein auf der Spur, aber wer sich, verführt durch den Titel, dazu hinreißen ließe, es als Begleiter für eine Bahnfahrt zu wählen, der schmisse es vermutlich am liebsten durchs geschlossene Fenster. Wie alle Bücher, die auf Immaterielles zielen, liest es sich nicht leicht. Man merkt ihm auf jeder Seite die Anstrengung an, etwas Undarstellbares zu beschreiben. In diesem Ansinnen aber steckt sein Reiz. Denn wer, außer Theoretikern und Essayisten, kümmert sich schon darum, die Umgestaltung der erfahrbaren Welt zu erfassen?
„Ich” ist das erste Wort des Textes. Dieses Ich ist ein Wahrnehmungsorgan, das sich durch die realen und irrealen Räume eines Bahnhofs treiben lässt, ein Seismograph sphärischer Erschütterungen. Von Anfang an verbindet es sich, die Kuppel der Sixtinischen Kapelle evozierend, mit dem Schöpfungsmythos. Unmissverständlich ist klar: hier will noch mal einer, gleichsam auf einem Stecknadelkopf, die Welt erfinden. Doch es ist nicht die Welt des ersten Schöpfungstages, sondern die der Globalisierung. Im Grunde beruht die Globalisierung ja auf nichts anderem als auf den technischen Möglichkeiten, die Ferne zu entfernen. Wir wohnen nicht, wir reisen, auch wenn wir uns kaum bewegen.
Alles klingt und kracht
Peter Weber sinnt diesen Phänomenen nicht theoretisch nach, sondern poetisch. Ein Zungenkünstler war er schon in den ersten Büchern, hier aber geht es um Beschleunigung: „wir brauchen schnelle Zungen, um den neuen Geschwindigkeiten beizukommen”. Und da ist dem Autor alles recht. Er durchkämmt die Bahnhofswelt von oben nach unten, entdeckt in den Verkaufszonen des Basements das übersteigerte Treiben des Marktes, nimmt es konkret, dann abstrakt, um schließlich die Abstraktion in ihr Gegenteil zu verkehren und das Ganze pflanzlich wuchern zu lassen. Peter Weber synästhesiert auf Teufel komm raus. Alles klingt und kracht, alles riecht, duftet und stinkt, alles ändert ständig seine Form, sein Ansehen. Und auch die Menschen verwandeln sich. Sie werden eingepasst in eine kafkaeske Welt, die keine Körpergrenzen mehr kennt.
Die Menschen werden zu Fischen, zu Fruchtkörpern – und auch zu Geschossen. In den Röhren des Transports, auf Schienen, Straßen oder Luftwegen, schießen sie durch die Gegend, ziellos, planlos und manchmal verzückt: „Die Hetzenden, die hier eingeschlossen sind, glauben sich tatsächlich fortzubewegen, sie strampeln sich in grünen und gelben Wassern ab, das durch ihre Bewegungen geschäumt wird. Wenn man sie befreit, rennen sie einfach weiter. Fluggäste liegen schwerelos in den Geschwindigkeiten, in kleinen Seen. Die Glücklichen lassen wir selig weiterreisen, sie denken nichts, erinnern sich an nichts, wir befreien sie nicht, sie stabilisieren die Mitte.”
Den rasenden Stillstand des Unterwegsseins hält man auf Dauer nicht aus. So willigt das Ich, den Träumen schon nah, in einem Zug sitzend, erleichtert ein, als ihm eine „Schwester” erholsamen Schlaf anbietet: „Wollen Sie sesshaft werden, Setzling sein?” Er solle von Gärten zu träumen versuchen, von Dörfern, Türmen und Hügeln. Halb Mensch, halb Flügeltier, halb schlafend, halb wachend, probt er mit anderen das Sesshaftwerden. Es besteht „Bindungs- oder Vermehrungspflicht”, man übt die „Kunst der Annäherung” und die „allgemeine Lehre des Schwärmens”.
Ein Schwärmer war Peter Weber schon in seinem ersten Buch, ein Schwärmer ist er auch hier. Allerdings wird deutlich, dass sich „Schwarmvorlagen” in einem heimischen Umkreis leichter finden lassen als in den Sphären der Globalisierung. Das ist vermutlich das Problem des Autors. Da es aber nicht nur das seine ist und wir alle mit den „Nicht-Orten”, wie der französische Ethnologe Marc Augé die postmodernen Transiträume nennt, zu kämpfen haben, folgt man den Verwicklungen dieser Prosa mit gespannter Aufmerksamkeit.
MEIKE FESSMANN
PETER WEBER: Bahnhofsprosa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 132 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Richtig interessant findet die Rezensentin Meike Fessmann diesen dritten Roman des Schweizer Autors Peter Weber, auch wenn die Lektüre zum Teil ein hartes Stück Arbeit sei. Doch die lohnt sich nach Fessmanns Meinung auf jeden Fall, denn der Autor versuche etwas, was sonst nur "Theoretiker und Essayisten" anstreben, nämlich "die Umgestaltung der erfahrbaren Welt zu erfassen". Dabei sei seine Herangehensweise eine poetische, keine theoretische. Der Autor wird so in Fessmanns Augen zum "Seismograph sphärischer Erschütterungen". Doch die als Leser auszuhalten, ist manchmal nicht so einfach, zumal sich der Autor diesmal ein komplizierteres Thema gewählt hat. Während seine früheren Romane nach Meinung der Rezensentin als "postmoderne Heimatromane" funktionierten, geht es in seinem neuen Roman auf einer recht abstrakten Ebene um Globalisierung, um die Frage "des Sesshaftwerdens in den unbewohnbaren Räumen des Transits".

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