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In »Die Gefangene« nimmt Marcel, der am Ende von »Sodom und Gomorrha« beschlossen hat, Albertine zu heiraten, sie zu sich nach Hause und hält sie vor den Augen der Welt versteckt. Sehr bald stellt er jedoch fest, daß mit dieser Gefangennahme die Liebe einer Eifersucht weicht, die ihn zum eigentlichen Gefangenen macht. Anders als Swann erkennt Marcel zwar die Mechanismen dieser Eifersucht, kann sich aber nicht von ihr befreien. Statt dessen werden Sehnsüchte nach anderen Frauen wach, nach neuen Reisen. Als sein Überdruß letztlich siegt und Marcel den Entschluß faßt, Albertine zu verlassen,…mehr

Produktbeschreibung
In »Die Gefangene« nimmt Marcel, der am Ende von »Sodom und Gomorrha« beschlossen hat, Albertine zu heiraten, sie zu sich nach Hause und hält sie vor den Augen der Welt versteckt. Sehr bald stellt er jedoch fest, daß mit dieser Gefangennahme die Liebe einer Eifersucht weicht, die ihn zum eigentlichen Gefangenen macht. Anders als Swann erkennt Marcel zwar die Mechanismen dieser Eifersucht, kann sich aber nicht von ihr befreien. Statt dessen werden Sehnsüchte nach anderen Frauen wach, nach neuen Reisen. Als sein Überdruß letztlich siegt und Marcel den Entschluß faßt, Albertine zu verlassen, erfährt er, daß sie ihm zuvorgekommen ist, und seine vermeintliche Gleichgültigkeit wird vom Schmerz über die Trennung konterkariert.
Autorenporträt
Proust, MarcelMarcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist zu einem Mythos der Moderne geworden.Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem - nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. In Swanns Welt, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, Im Schatten junger Mädchenb

lüte, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.

Rechel-Mertens, EvaEva Rechel-Mertens, geboren 1895 in Perleberg, studierte Romanistik, Germanistik und Anglistik in Berlin und Marburg. Sie war als Übersetzerin aus dem Französischen tätig, ihr Hauptwerk war Prousts À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Eva Rechel-Mertens starb 1981 in Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2010

Ewigkeitswert für einen Augenblick
Das Hörbuch: Es ist vollbracht – Peter Matic hat Marcel Prousts „Die wiedergefundene Zeit“ eingelesen
Weil alles seine Zeit hat, kommt nun auch diese an ihr Ende. Nach 9380 Minuten, festgehalten auf 128 CDs, nach 156 Stunden und 20 Minuten also oder sechseinhalb ununterbrochenen Tagen, mündet die erste komplette Lesung der „Recherche du temps perdu“ in das Wort, mit dem alles begann, das Wort namens Zeit. Diese und der Weltkrieg, der Erzähler und der Baron von Charlus sind die vier Hauptdarsteller des letzten, ausreichend monumentalen Teils „Die wiedergefundene Zeit“. Peter Matic liest ihn mit derselben noblen Geschmeidigkeit, derselben zurückhaltenden, leicht austriakisch eingefärbten Akkuratesse, die bereits während der 137 Stunden zuvor die „Landschaften unseres Lebens“ und deren innere Geographie plastisch auferstehen ließen.
Wie bannt man das Ich, wie fasst man die Zeit? Marcel Proust schichtet das Thema der „Recherche“ hier neu ineinander, greift sämtliche Themen und Tonlagen noch einmal auf, um sie in einem letzten Entschluss aufzuheben. Der bisher nicht durch sein Agieren, sondern sein Räsonieren und seinen Müßiggang charakterisierte Erzähler will jenes Buch endgültig schreiben, das uns als „Recherche“ bereits vorliegt, die teleskopische Geschichte, wie ein Mensch zur Welt und die Welt in den Menschen kam. Welt meint hier alle sonderbaren Dinge zwischen gedämpftem Rindfleisch und begehrtem Menschenleib, Geräusch und Geruch und Bewegung, die dem Geist ein Erleben seiner selbst schenken. Der Ich-Erzähler wird auf diesem Weg um Erkenntnisse, wie sie ihm perlengleich aus der Feder rieseln, einen Bogen machen: „Ein Buch, das Theorien enthält, ist wie ein Gegenstand, an dem noch ein Preisschild hängt.“
Theoriengesättigt und handlungsreich ist die „Wiedergefundene Zeit“. Sie besteht aus präzisen inneren wie äußeren, nach Art eines Rondos wiederkehrenden Handlungen. Der Erste Weltkrieg bildet den zeitgeschichtlichen Hintergrund. Im Pariser Salon der Madame Verdurin oder bei Monsieur Bontemps findet das große Kriegspalaver statt. Draußen tragen die Damen „zylinderartige Hüte“, Riemengebilde an den Füßen und „Tonnenkleider“ als Zeichen patriotischer Gesinnung. Der Erzähler notiert kühl, zu den „glücklichsten Fügungen dieses traurigen Krieges“ gehöre die Fähigkeit, „aus einem bloßen Nichts kokette Dinge zu zaubern“. Er protokolliert, er kommentiert, er lässt sich unwillkürlich davontragen ins Vergangene, sobald das Geräusch einer Dampfröhre oder der Klang eines Löffels, der den Teller berührt, ihn auf eine „Erinnerungsstrecke“ führt. Madame Verdurin erhält derweil Croissants gegen ihre Migräne, dank eines Attests von Dr. Cottard. „Ach“, entfährt es ihm, „ach, hätte Albertine noch gelebt“, zu der er in der „allerschmerzlichsten, eifersüchtigsten und, wie es scheint, individuellsten Liebe“ sich verbunden wusste, „ach, ich war allein.“
Die Wonnen der Melancholie bleiben in der „menschlichen Flora“ ephemer wie jene des Glücks. Im Gegensatz zum bisherigen Empfinden verdankt sich das „Freudegefühl“ jetzt einer anderen inneren Schichtung. Proust kleidet den Wandel in einen seiner typischen Schachtelsätze, die zu lesen und zu akzentuieren höchste Konzentration erfordert. „Das kam daher“, hebt Matic fast im Märchenton an und lässt die erste kleine Pause folgen, um in einem Rutsch anzuschließen, „dass das Glück, welches ich verspürte, nicht mehr aus einer rein subjektiven Spannung meiner Nerven herrührte, die uns von der Vergangenheit isoliert“, – kurzes Innehalten – „sondern im Gegenteil von einer Ausweitung meines Geistes, in dem sich die Vergangenheit neu gestaltete“, – kleine Pause – „zur Gegenwart wurde“, – Pause – „und mir“ – Pause – „nur für den Augenblick – ach – Ewigkeitswert verlieh.“
Wenn Glück Vergegenwärtigung meint: Wie ist es dann um die aktuell erlebte Gegenwart bestellt? „Alles nutzt sich ab, alles geht unter“, aber für Verzweiflung hat der Erzähler wie jeder „Gesellschaftsmensch“ keinen Raum in sich. Auch der erst soziale, dann physische Untergang des Baron von Charlus, eines halbgebildeten Gecken, der sich während des Krieges im „Tempel der Schmach“ mit einer Nagelpeitsche traktieren lässt und aus Gründen der Männerknappheit „sich mit kleinen Jungen abzugeben“ lernt, bleibt dem Betrachter ein Schauspiel. „Der alte, heruntergekommene Fürst“, blind und gelähmt, wird zur König-Lear-Figur. Matic schenkt ihm einen bewegenden Abgang, indem er sich dessen verzerrte, abgehackte Redeweise zu eigen macht: „Er fand kein Ende, alle Angehörigen seiner Familie oder seiner Kreise aufzuzählen, die nun nicht mehr waren. (. . . ) Mit triumphierender Härte beinahe wiederholte er monoton, leicht stotternd und grabesdumpf . . . “ – es folgt das Defilée der Toten.
Uns gewöhnlich unsichtbar
Die Zeit, die wiedergefunden wird, ist das, was bleiben wird im Wort. Das Glöckchen an der Gartentür, das in Combray erklang, die Pflastersteine vor dem Palais der Guermantes, der Geschmack der Madeleines und immer wieder diese und jene besondere Körperdehnung, denn „Beine und Arme sind voll von schlummernden Erinnerungen“: Alle diese Reize können das Vergangene gegenwärtig setzen und so die Gegenwart durchleuchten. Peter Matic findet hierfür einen Klang, der seinerseits kostbar ist und elegant und nach Erlebtem schmeckt, ganz so, als würde er „die Gestalt bezeichnen, (. . . ) die uns gewöhnlich unsichtbar bleibt, die Zeit.“
ALEXANDER KISSLER
MARCEL PROUST: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 7. Die wiedergefundene Zeit. Der Hörverlag, München 2010. 15 CDs, ca. 1137 Min., 99 Euro.
Peter Matic, hier in einer Aufführung der Volksoper Wien im vergangenen Jahr Foto: Lilli Strauss/AP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.1997

Der wasserdichte Abendanzug
Proust auf deutsch: Was die revidierte Übersetzung leistet · Von Friedmar Apel

Die Geschichte des deutschen Proust, man erfährt es in der Monographie der Berliner Übersetzerin Nathalie Mälzer, ist kurz und sonderbar. Sie begann mit einem Desaster: 1922 erwarb der ambitionierte Kleinverlag "Die Schmiede" die Proust-Rechte und beauftragte den jungen Altphilologen Rudolf Schottlaender mit der Übersetzung des ersten Bandes. Unter dem Titel "Unterwegs zu Swann" lag er 1926 vor. In verdächtig kurzer Frist erschien dazu in der "Literarischen Welt" eine vernichtende, pedantische Kritik des legendären Romanisten Ernst Robert Curtius, die das Urteil, das Werk Prousts sei "vom Verdeutscher übel zugerichtet worden", auf eine Liste gründete, die den Übersetzer mangelnder Französischkenntnisse und stilistischer Unfähigkeit überführen sollte. Curtius freilich hatte sich zuvor dem Verlag vergeblich als Übersetzer Prousts angedient und war so als Rezensent eigentlich nicht sehr schicklich. Von Hermann Hesse bis Thomas Mann gab es bald auch andere Meinungen über Schottlaenders Text, die jedoch niemand öffentlich kundtat. Curtius brachte die deutsche Proust-Rezeption nachhaltig ins Stocken.

Der Verlag versuchte zwar einen neuen Anfang mit Franz Hessel und Walter Benjamin, und 1927 erschien auch der zweite Band in neuem Format unter dem Titel "Im Schatten der jungen Mädchen". Dann aber war es um "Die Schmiede" schon geschehen, und die Rechte wurden von Ernst Reinhard Piper erworben, der das Projekt mit Hessel und Benjamin fortzusetzen gedachte. Die beiden versuchten freilich, teils aus leidvoller Erfahrung, teils aus propagandistischen und finanziellen Gründen, die Aufgabe der Proust-Übersetzung als titanisches, beinahe unmögliches Unterfangen hinzustellen. Proust sei, so schrieb Hessel an Piper, "unter den modernen Franzosen der, welcher bis in die letzte stilistische und syntaktische Nuance seinem Übersetzer die größten Schwierigkeiten bereitet und, wie er selbst immer wieder verbessert hat, auch in der Übersetzung immer wieder verbessert werden muß". Benjamin jedoch verlor alsbald die Lust an der "elenden Schinderei", der Proust sei in "lieb- und ahnungslose Hände" geraten, was die Situation des deutschen Proust-Verständnisses nur widerspiegele. 1930 erschien noch der Band "Die Herzogin von Guermantes", dann war Schluß, und der Piper-Verlag ging zur "großen Satisfaktion" Benjamins ebenfalls in Konkurs.

Als sich Peter Suhrkamp auf Anregung Hermann Hesses 1949 entschloß, den ganzen Proust der "Recherche" in einer einheitlichen Übersetzung herauszubringen, fehlte es denn auch nicht an warnenden Stimmen, die auf die steckengebliebene Proust-Rezeption in Deutschland und die enormen Schwierigkeiten der Übersetzung hinwiesen. Suhrkamp aber verfolgte auch pädagogische Absichten, wollte den Deutschen via Proust literarische Erinnerungsarbeit verordnen. Als Übersetzerin wurde nach einer Art Wettbewerb ironischerweise schließlich die Curtius-Schülerin Eva Rechel-Mertens verpflichtet. Sie übersetzte das Werk innerhalb von nur vier Jahren, so daß zwischen 1953 und 1957 die sieben Bände der ersten vollständigen Übersetzung erscheinen konnten. Sie wurde ein überraschender Erfolg.

Nicht von ungefähr zeigte sich sogleich der gestrenge Curtius zufrieden mit der Übersetzung, in der er gar "denselben Reiz" zu empfinden vorgab wie im Original. In Umkehrung der früheren Situation waren andere Gelehrte und Kritiker weniger enthusiastisch. Walter Boehlich bemängelte Flüchtigkeitsfehler, Auslassungen, falsch aufgelöste Satzkonstruktionen und unsinnige Explikationen, und Peter Szondi war dermaßen unzufrieden mit der "Gebrochenheit und Unmusikalität" der Übersetzung, daß er niemandem empfehlen wollte, Proust auf deutsch zu lesen. Erst 1985 aber kündigte der Zürcher Romanist Luzius Keller eine auf der Basis der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens revidierte Ausgabe an, die der interpretatorischen Dimension mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Nicht ganz so flott wie seinerzeit erschienen 1994 der erste Band "Unterwegs zu Swann" und 1995 der zweite unter dem revidierten Titel "Im Schatten der jungen Mädchen".

Pünktlich im Jahresrhythmus liegt nun der dritte Band unter dem verkürzten Titel "Guermantes" (La Côté de Guermantes) vor. Magisch leuchtet so der Name jenes Adelsgeschlechts, dessen nichtiges Reich der Erzähler von Prousts Roman im Vorangehenden mit seinen Phantasien und Träumen ausgestaltet hatte. In unserer Menschenkenntnis, so hatte Marcel schon erkannt, spielen Vorstellungen die Hauptrolle. In diesem Fall auch eine Theatervorstellung, denn im Theater darf der Erzähler den ersten wirklichen Blick auf die Objekte seiner Begierde werfen. In der Exposition von "Guermantes" wird es also ernst für Marcel, endgültig ernst aber auch für die Übersetzer, denn von nun an werden die Vor- und Rückdeutungen immer dichter. Alle Gegenwart des Erzählten wird von bildlichen Vorstellungen überlagert, die die dargestellte Wirklichkeit der Moderne mit einem phantasmagorischen Mittelalter und der ältesten Mythologie verknüpfen.

Schon in "Im Schatten der jungen Mädchen" war Gilberte mit Melusine verglichen worden. In "Guermantes" nun assoziiert Proust auf raffinierteste Weise die Geschichte der Guermantes mit der des Hauses Lusignan, dessen Begründerin nach der Sage jene Melusine war, die sich im Bade dem heimlichen Blick als Meerfrau mit Fischschwanz enthüllte. Bei dem Opernbesuch wird nun dieser Zusammenhang über einen Doppelsinn in die Gegenwart des von Marcel Angeschauten transponiert. "Baignoire" bedeutet nämlich sowohl "Theaterloge" als auch "Badewanne". In der Ausdeutung dieser mehr oder weniger willkürlichen sprachlichen Besonderheit des Französischen wird nun die Loge zur Grotte, die Damen des Hauses Guermantes erscheinen als Nereiden und die sie beobachtenden befrackten Herren im Parkett als Tritonen, als Wassergötter mit Fischleib und Schwanz.

So imaginiert nun der Erzähler durch die Vorstellungen der griechischen Mythologie hindurch eine neckische, vorsichtige Kommunikation: "Elles se penchaient vers eux, elles leur offraient des bonbons; parfois le flot s'entr'ouvrait devant une nouvelle néréide qui, tardive, souriante et confuse, venait de s'épanouir du fond de l'ombre; puis, l'acte fini, n'espérant plus entendre les rumeurs mélodieuses de la terre qui les avaient attirées à la surface, plongeant toutes à la fois, les diverses soeurs disparaissaient dans la nuit."

Die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens hatte gelautet: "Sie drehten sich nach ihnen um und boten ihnen Pralinés an; manchmal teilte sich die Flut vor einer neuen Nereide, die verspätet, lächelnd und verwirrt aus dem Dunkel hervorwuchs; war dann der Akt zu Ende und kein Melodiengeraune, wie sie es zuvor aus den Tiefen heraufgelockt, vom Festland mehr zu erwarten, tauchten alle mit einem Schlage zurück; die verschieden gearteten Schwestern versanken wieder in die Nacht ihres Elements." Im Gegensatz zu Hessel und Benjamin versucht die Übersetzerin, die wesentlichen Satzstrukturen zu erhalten, und sei es um den Preis der Holprigkeit. Figurative Bedeutungen finden meist nur dann ein Pendant, wenn sie mit Primärbedeutungen in Einklang zu bringen sind. Dafür fügt die Übersetzerin gelegentlich erläuternde Elemente ein.

Im einzelnen könnte man im Vergleich zum Original anmerken: "drehten sich . . . um" entspricht kaum der entworfenen Situation, "Pralinés" ist eine tantenhafte Preziosität, "verspätet" ist situativ nicht verständlich. "Dunkel" verallgemeinert sehr stark, "aus den Tiefen" wechselt den Aspekt, "Festland" konkretisiert im Gegenzug, "Melodiengeraune" moduliert unnötig, "mit einem Schlage" bringt Heftigkeit in den Vorgang, "verschieden geartete" ist gänzlich unangebracht ("diverses" bezeichnet hier einfach mehrere Schwestern), "ihres Elements" ist ein erläuternder Zusatz ohne lexikalische Entsprechung im Urtext.

Dennoch gelingt Eva Rechel-Mertens im ganzen eine angemessene und bewundernswürdige Übersetzung. Tatsächlich kommt es beim Übersetzen eines derart komplexen Texts auf Einzelheiten nicht vorrangig an. Das mag philologisch gebildete Pedanten verstören, ist aber angesichts der erkenntniskritischen Einsicht in die grundsätzliche Unmöglichkeit des Abbilds, die vor Prousts historisch gefärbten Erfindungen gerade in diesem Band ihre maximale Bestätigung findet, unwiderleglich. Entscheidend ist, ob der Übersetzer Einfälle hat und eine Konzeption findet, die seine Option erfaßbar und den notwendigen Abstand zum Original erfahrbar macht. Eva Rechel-Mertens hat sich für eine strukturenorientierte, distanzierende, den Leser nicht bevormundende Übersetzungskonzeption entschieden, und was Szondi Gebrochenheit und Unmusikalität nennt, kann man als bewußten Verzicht auf Glätte und vorgespiegelte Poetizität interpretieren.

Der revidierte Text von Luzius Keller: "Sie neigten sich zu ihnen hin und boten ihnen Bonbons an; manchmal teilte sich die Flut vor einer neuen Nereide, die verspätet, lächelnd und beschämt aus dem dunklen Grund heraufstieg; war dann der Akt zu Ende und keine Hoffnung mehr, die melodischen Geräusche der Erde zu hören, die sie an die Oberfläche gelockt hatten, tauchten die göttlichen Schwestern alle gleichzeitig wieder unter und verschwanden im Dunkel." Exemplarisch wird deutlich, was für den ganzen Text gilt: Die Konzeption bleibt letztlich erhalten, man könnte auch sagen: die Revision bleibt daran kleben. Die Veränderungen "Sie neigten sich . . .", "Bonbons", "die melodischen Geräusche" und "die Oberfläche" sind jedoch eindeutige Verbesserungen, alle anderen Änderungen sind unwichtig oder fragwürdig. "Erde" statt "Festland" nimmt eine hübsche Interpretation des angeschauten Theaterraums wieder zurück; mit "die göttlichen Schwestern" scheint sich gar ein neuer Lesefehler eingestellt zu haben, wenn es sich nicht um eine mythologische Belehrung handelt, die Proust dem Leser nicht zuteil werden ließ ("diverses" hat mit "divines" nichts zu tun); "gleichzeitig" statt "mit einem Schlage" beseitigt den konkretisierenden Bezug auf die Schwanzflossen der Nereiden; "Dunkel" statt "Nacht ihres Elements" verallgemeinert wieder, wo Eva Rechel-Mertens andeuten wollte, daß immer noch vom unergründlichen Wasser die Rede ist.

Aber auch hier ist keine Pedanterie à la Curtius am Platze. Es kann keine Rede davon sein, daß die Revision den Text der früheren Übersetzerin "übel zugerichtet" hat, vielmehr ist der Respekt für ihre Leistung und die Bemühung, Verbesserungen im Sinne ihrer Konzeption zu handhaben, überall spürbar. Was sich dabei vor allem nicht oder nur wenig ändert, ist, daß die figurativen Bedeutungen nur sekundär vermittelt werden. Eine Konzeption, die zum Beispiel versuchte, den bildlichen Kontext bei Erhaltung der Satzstrukturen direkter im Text erscheinen zu lassen, würde die Stelle vielleicht so beginnen: "Sie neigten sich ihnen zu, sie schenkten ihnen Zuckerwerk; bisweilen öffnete halb sich eine Welle über einer neuen Nereide, die lächelnd und verschämt aus dem Schattengrund heraufblühte;. . ." Ob ein solcher Ansatz ein Fortschritt wäre, steht dahin, er könnte seine Berechtigung nur in der Betrachtung einer Gesamtkonzeption erweisen.

Ein unbestreitbarer Vorteil der revidierten Ausgabe ist freilich die reichhaltige Kommentierung. Aber auch die ästhetischen und erzähltechnischen Anmerkungen sind im allgemeinen hilfreich. Gelegentlich fallen sie etwas dirigistisch aus. Angesichts der Geschichte der Proust-Rezeption in Deutschland darf sich der interessierte Leser gleichwohl glücklich schätzen, daß der ganze Proust bald in dieser schönen und sorgfältig gemachten Edition vorliegen wird. Es bleibt freilich die Frage, ob man nicht eine engagierte Neuübersetzung hätte wagen sollen. Aber das sagt sich leicht. Zuvor müßte, wie Nathalie Mälzer zum Beschluß ihrer instruktiven und zugänglichen Darstellung ausführt, geklärt sein, "welche Bedeutung dieses Werk in Deutschland heutzutage überhaupt hat oder haben kann". Die Autorin selbst scheint zu meinen, daß man Proust in einer Neuübersetzung als Gegengift zur postmodernen Indifferenz, als Sozialkritiker und Erzieher zu einer unverstellten Wirklichkeit geltend machen könnte. Falls sie das vorhaben sollte, müßte sie (und ein Verlag) es gegen die eigene Einsicht in den Stand des deutschen Proust-Verständnisses wagen.

Marcel Proust: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 3. Guermantes". Aus dem Französischen übersetzt von Eva Rechel-Mertens; revidiert von Luzius Keller und Sybilla Laemmel. Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von Luzius Keller. Werke II, Bd. 3. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966. 999 S., geb., 128,- DM.

Nathalie Mälzer: "Proust oder ähnlich". Proust übersetzen in Deutschland. Verlag Das Arsenal, Berlin 1996. 165 S., br., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Schwierigkeiten, Proust zu übersetzen verdeutlicht Hanno Helbling mit einer Charakterisierung Andrées, also einer der Nebenfiguren aus der "Recherche". Proust spricht einmal von "son visage gluant". Aber wie übersetzt man das : "ihr klebriges Gesicht", "ihr teigiges Gesicht"? Kommt alles nicht hin, meint Helbling. Eva Rechel-Mertens, deren einzige vollständige Übersetzung hier neu bearbeitet vorgelegt wird, schrieb "ihr aus einer wabernden Masse bestehendes Geicht", und die Neubearbeiter Luzius Keller haben daraus "ihr pappiges Gesicht" gemacht. Mit all dem ist Helbling nicht zufrieden - aber dennoch hat er viel Verständnis für die Probleme der Übersetzer. Es sei leicht, meint Helbling, über einen einzelnen Satz zu mäkeln - die Übersetzer aber hatten 4.000 Seiten zu bewältigen, von denen "Die Gefangene" ja nur einen kleinen Teil bildet. Insgesamt nennt Helbling die Neubearbeitung der Bemühugen von Rechel-Mertens "nicht zu verachten", auch wenn er bedauert, dass Proust keinen literarischen Nachdichter gefunden hat, so wie es James Joyce mit Hans Wollschläger widerfahren ist.

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