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Demokratie - so die zentrale These des Autors - sollte man als eine besondere Form der Kooperation verstehen. Diese These steht im Gegensatz zu einer verbreiteten Rhetorik, die in der sogenannten »Selbstbestimmung des Volkes« die Essenz einer demokratischen Ordnung sieht. Demokratie, so die hier entwickelte Gegenposition, bedarf keines kollektiven Akteurs. Die Idee einer Repräsentation des Volkswillens ist das späte Relikt feudalistischen Gottesgnadentums; sie erschwert die Entwicklung lebensfähiger föderaler Strukturen unterhalb der »nationalstaatlichen« Ebene und den Aufbau supranationaler…mehr

Produktbeschreibung
Demokratie - so die zentrale These des Autors - sollte man als eine besondere Form der Kooperation verstehen. Diese These steht im Gegensatz zu einer verbreiteten Rhetorik, die in der sogenannten »Selbstbestimmung des Volkes« die Essenz einer demokratischen Ordnung sieht. Demokratie, so die hier entwickelte Gegenposition, bedarf keines kollektiven Akteurs. Die Idee einer Repräsentation des Volkswillens ist das späte Relikt feudalistischen Gottesgnadentums; sie erschwert die Entwicklung lebensfähiger föderaler Strukturen unterhalb der »nationalstaatlichen« Ebene und den Aufbau supranationaler demokratischer Institutionen.

Demokratie als Kooperation steht jedoch auch in einem Gegensatz zur ökonomistischen Spielart des Pluralismus, dem zufolge Demokratie sich darauf beschränkt, bestimmte Spielregeln festzulegen, innerhalb deren Menschen ihre privaten Interessen optimieren. Die Auflösung der Bürgerschaft in konkurrierende Interessenmaximierer unterminiert die demokratische Verfassung eines Gemeinwesens. Die Suprematie des Marktes bedroht die Demokratie ebenso wie die Suprematie einzelner kollektiver Identitäten.

Einem einleitenden Kapitel über politische Ethik folgen Studien zur Kooperationsproblematik in der politischen Philosophie. Hauptziel der Argumentation des Autors: Grundlage einer zivilgesellschaftlichen Konzeption von Demokratie ist ein angemessenes Verständnis von Kooperation.
Autorenporträt
Nida-Rümelin, JulianJulian Nida-Rümelin lehrt Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Suhrkamp Verlag sind zuletzt erschienen: Demokratie als Kooperation (stw 1430), Ethische Essays (stw 1565) und Philosophie und Lebensform (stw 1932)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2000

Ich bin so frei
Braucht Kooperation Verzicht?

Die Leute halten sich im Großen und Ganzen an das Recht, weil sie damit rechnen, dass sich die anderen auch daran halten. Einen Vertrag erfüllt man, weil man erwartet, dass der Partner ihn auch erfüllt. Rechts fährt man, weil man erwartet, dass die anderen auch rechts fahren. Schwierig wird es, wenn die Erwartungen enttäuscht werden, etwa bei Verkehrsunfällen. Dann erwartet zwar jeder Sanktionen. Aber die Sanktionen können nicht eindeutig aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis abgeleitet werden. Das Ereignis lässt sich nicht rückgängig machen, nur noch ausgleichen. In den Ausgleich fließen Umstände ein, mit denen die Beteiligten nicht rechnen konnten, Vorsatz oder Fahrlässigkeit zum Beispiel. Deshalb muss festgestellt werden, was rechtens ist.

Hier beginnt in allen Gesellschaften die Frage nach der Rechtfertigung von Entscheidungsgewalt. Wer darf oder soll entscheiden? In vormodernen Gesellschaften war die Antwort: der Ranghöchste. In einer modernen Demokratie ist sie nicht mehr widerspruchsfrei zu beantworten, weil alle als gleich gelten. Da trotzdem entschieden wird und entschieden werden muss, kann die Rechtfertigung von Entscheidungsgewalt in einer Demokratie nur ideologisch ausfallen, es sei denn, man bekennt sich zum Paradox und erklärt rundheraus, demokratische Gleichheit rechtfertige einige wenige, über die Verhältnisse fast aller zu befinden, erzeuge aber den schönen Schein, jeder könne, wenn er nur wolle, zu den wenigen gehören.

Zu diesen theoretischen Fundamentalisten gehört Julian Nida-Rümelin nicht. Er straft sie mit Nichtbeachtung und will "rationalitätstheoretisch" - vor dreihundert Jahren hätte man more geometrico gesagt - beweisen, dass der Wille des Volkes gut ist. Der mündige und verantwortungsbewusste Bürger ist gern bereit, ihm zu folgen, zumal das Inhaltsverzeichnis Themen- und Perspektivenreichtum verheißt. Im Vorwort erfährt der Bürger allerdings, dass das Buch nur bereits anderweitig publizierte Arbeiten vereint. Gegen Aufsatzsammlungen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Wie ein Autor mit unterschiedlichen Gegenständen fertig wird und sein Konzept präzisiert oder abschleift, das nachzulesen hat oft seinen eigenen Reiz. Diese Aufsatzsammlung gehört zu den weniger häufigen Fällen. Die Frage ist immer die gleiche: Warum ist Demokratie ethisch? Die Antwort folglich auch: Weil sie "ziviles", also uneigennütziges Zusammenwirken ist. Die Begründungen sind so schematisch, dass Nida-Rümelin es sich leisten kann, einige Seiten aus einem Aufsatz über das Arrow-Theorem (Individuelle Präferenzen lassen sich nicht in das Interesse der Allgemeinheit überführen) fast wörtlich in einen Aufsatz über "Staatsbürgerschaft" zu übernehmen, der wiederum das Thema eines dritten Aufsatzes "Der zivile Staat" nur geringfügig variiert. Geschichte findet als Vorläuferin der heutigen politischen Ethik statt. In deren Sicht war Friedrich II. von Preußen der gleiche Diktator wie Hitler.

Nida-Rümelin sieht denn auch keine Schwierigkeiten, seine politische Ethik weltweit für verbindlich zu erklären. Seine wenigen Beispiele zeigen indessen, dass seine Theorie auf der ziemlich flachen euroamerikanischen Bewertung des Individuums beruht. So billigt er dem Mörder des israelischen Ministerpräsidenten Rabin moralisch-politische Beweggründe zu, meint aber, maßgebend sei, dass der Täter "den moralisch gebotenen Respekt vor menschlichem Leben (habe) vermissen lassen". So gesehen, war auch das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 unmoralisch. Das alte Problem des Tyrannenmordes lässt sich eben nur lösen, wenn das Leben nicht der Güter höchstes ist. Welches Gut höher steht, ist nicht einheitlich für den ganzen Erdball, sondern nur kulturabhängig zu beantworten. Um die Globalisierung der politischen Ethik Nida-Rümelins steht es daher nicht gut. Jedenfalls ist die "moralisch-politische Überzeugung" des Rabin-Mörders sehr wohl zu überprüfen. Dass Nida-Rümelin glaubt, darauf verzichten zu können, hängt mit seiner Entparadoxierung des Paradoxes von Gleichheit und Entscheidungsgewalt zusammen.

Schon Kant hat die reale Zustimmung in das Kriterium der Zustimmungsfähigkeit umgedacht. Danach ist Machtausübung nur legitim, wenn und so weit ihr die Freien zustimmen könnten. Aus einer Addition von Egoismen kann aber nichts entstehen, dem alle zustimmen könnten. Nida-Rümelin will die Zustimmung daher auf die Fälle beschränken, in denen "Bürger und Bürgerinnen kooperieren, um Güter, die der Markt nicht bereitstellen kann (kollektive Güter), zu produzieren, um Entscheidungen zu treffen, die die Gesamtheit der Bürgerschaft betreffen, um sich auf Regeln der Interaktion zu verständigen und gemeinsame Ziele zu verfolgen". Eine solche Kooperation verlangt Verzicht auf den unmittelbaren, augenblicklichen Vorteil, ist aber rational, weil sie mittel- und langfristig gemeinwohlgefällige und gemeinsam akzeptierte Verhaltensregeln verspricht: "Meine Bereitschaft, heute auf eine Blockade des missliebigen Abstimmungsergebnisses zu verzichten, erfolgt in Erwartung deiner Bereitschaft, morgen auf eine analoge Blockade zu verzichten." Klüngelwirtschaft als moralische Anstalt? Ein theoretischer Fundamentalist würde sagen: nicht schlecht.

Nida-Rümelin wird seine Demokratie-Theorie darin nicht wieder erkennen. Er hat sie anders gemeint, und zwar gut. Er hat sich ständig abgegrenzt, gegen Hobbes auf der einen und Locke auf der anderen Seite, gegen Egoismus und Fanatismus, gegen Herrschaftsvertrag und Gesellschaftsvertrag, gegen Liberalismus und Kommunitarismus, gegen bloße Verfahrensmodelle und kollektive Identitäten. Aber Abgrenzungen beweisen nichts. In der Mitte liegt eben nicht die Wahrheit, sondern das Missverständnis.

GERD ROELLECKE

Julian Nida-Rümelin: "Demokratie als Kooperation". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 223 S., br., 19,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ralph Schrader erläutert in seiner Rezension dem Leser zunächst in auch für Laien leicht verständlicher Form die wichtigsten Thesen der Entscheidungs- bzw. Spieltheorie. Dabei weist er darauf hin, dass Nida-Rümelin sich diesem Thema nicht von wirtschaftswissenschaftliche Seite aus nähert, sondern versucht, die Entscheidungstheorie "sozialdemokratisch zu deuten". Nida-Rümelin, früher Professor für Philosophie in Göttingen, heute Kulturreferent der SPD in München, spüre hier der Frage nach, welche Konsensformen die Voraussetzung sind für das Funktionieren einer sozialen Demokratie; wie es möglich ist, dass einzelne Bürger auch persönliche Nachteile in Kauf nehmen, damit eine soziale Demokratie überhaupt Bestand haben kann. Schrader stellt dabei fest, dass sich Nida-Rümelin mit seiner Betonung des "Kooperativen" stark von der verbreiteten "libertären" Haltung abhebt, die den"freien Austausch" propagiert, der auf Freiwilligkeit basiert, bei dem jeder Vorteile habe und aus dem sich der Staat weitestgehend heraushält, Allerdings gelinge es dem Autor nicht überzeugend, so Schrader, die Gründe, wieso Bürger sich auf einen Konsens einigen sollten, der sie persönlich womöglich einschränkt, zu erhellen. Zwar räume Nida-Rümelin ein, dass "historische Überlieferungen", (z. B. Tradition) dabei eine Rolle spielen können. Dies reicht dem Rezensenten allerdings nicht aus. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass dieser Band aufgrund einiger "formaler Analysen" nicht jedem Leser zugänglich sein dürfte. Dennoch hält er Nida-Rümelins Ansatz für "herausfordernd" und "interessant".

© Perlentaucher Medien GmbH
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