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Ist der moderne Mensch noch zur Erfahrung fähig? Der titelgebende Essay geht von dieser Frage aus und gibt den thematischen Rahmen der Sammlung vor, der mit Motiven gefüllt wird, die, vordergründig gesehen, heterogener nicht sein könnten: die in unserer Kultur untergründige Komplizenschaft von Rationalität und Irrationalität; die Abspaltung der Begierde vom Mangel und das Auftauchen des Unbewußten; die Verlagerung des Abenteuerlichen vom Alltäglichen ins Außerordentliche; die Geburt des Ich und der Anspruch der modernen Dichtung auf das Unerfahrbare. Zusammengeführt werden all diese Motive in…mehr

Produktbeschreibung
Ist der moderne Mensch noch zur Erfahrung fähig? Der titelgebende Essay geht von dieser Frage aus und gibt den thematischen Rahmen der Sammlung vor, der mit Motiven gefüllt wird, die, vordergründig gesehen, heterogener nicht sein könnten: die in unserer Kultur untergründige Komplizenschaft von Rationalität und Irrationalität; die Abspaltung der Begierde vom Mangel und das Auftauchen des Unbewußten; die Verlagerung des Abenteuerlichen vom Alltäglichen ins Außerordentliche; die Geburt des Ich und der Anspruch der modernen Dichtung auf das Unerfahrbare.
Zusammengeführt werden all diese Motive in einer Theorie der Kindheit: Zentrale Themen des zeitgenössischen Denkens - wie etwa die anthropologische Opposition von Natur und Kultur und die linguistische Opposition von langue und parole - erfahren hier eine neue Verortung, und zwar aus einer Perspektive, in der der Mensch der metaphysischen Tradition nicht mehr als »das mit Sprache begabte Tier«, sondern als dasjenige Tier erscheint, das keine Sprache hat und sie deshalb von außen empfangen muß.
Autorenporträt
Agamben, GiorgioGiorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2004

Ohne Meister
Geist im Pelz der Natur: Die neuen Sachbücher

Der Geist treibt uns an, wir rennen ihm hinterher. In der Natur steckt er drin, wir wissen nicht wo und wie er darin untergebracht ist. Natur und Geist gehören zusammen, sie bilden, wie der Anthropologe Gregory Bateson sagte, eine notwendige Einheit. Schon der alte Schelling, der vor einhundertundfünfzig Jahren starb und deswegen in diesem Herbst mit der lesenswerten Biographie "Schelling" von Xavier Tilliette (erschienen bei Klett-Cotta) beschenkt wurde, wußte das und hielt an der Naturphilosophie fest. Ihm zur Seite steht Alexander von Humboldt mit seiner großen poetischen Erkundung der Natur im "Kosmos" (Die Andere Bibliothek bei Eichborn). Schiller traute der Einheit nicht. Mit seiner Leidenschaft für den Intellekt, der den Körper nicht schont, kommen wir, nachdem wir uns im ganzheitlichen Denken geschult haben, nicht weiter.

In seinem anregenden Buch über "Das erschöpfte Selbst" (Campus) und die grassierende Depression schreibt der Soziologe Alain Ehrenberg, daß in den demokratischen Gesellschaften der Geist, weit mehr als der Körper, ein Gegenstand heftiger Diskussionen sei. Ein Ende der Kontroversen sei nicht abzusehen. In diesen Debatten stehen unsere Überzeugungen über das Innere auf dem Spiel - nachdem schon im Mittelalter, wie der Historiker Valentin Groebner in seiner glänzenden Analyse "Der Schein der Person" (C. H. Beck) ausführt, der Mensch seinen äußeren Stempel durch Steckbrief, Ausweis und Krontrolle erhalten hat.

Ins Innere richten sich in diesem Herbst die Blicke. Der in Zürch an der Eidgenössischen Hochschule lehrende Wissenschaftshistoriker Michael Hagner unterstützt die Suche nach dem Geist mit einer spannenden Geschichte der neurowissenschaftlichen Bemühungen um die "Genialen Gehirne" (Wallstein). Mit seiner Kritik der Tradition möchte er einer vorschnellen biologistischen These vorbeugen. Diese Steilvorlage hat der Historiker Johannes Fried noch nicht genutzt. In seinem Buch "Der Schleier der Erinnerung" (C. H. Beck) versucht er, die Geschichtswissenschaft auf neurologische Füße zu stellen.

Die Natur selber liest im Buch der Natur nicht. Sie hat es deswegen einfacher als der Historiker. Ihr Gedächtnis sitzt fest im Muskel und im Reflex. Was uns das Hirn ist, das ist dem Albatros der Flügel. Die größten unter diesen Vögeln sind die Königs- und Wanderalbatrosse. Spannen sie ihre Flügeln, liegen über drei Meter zwischen der einen Flügelspitze und der anderen. Sie wiegen bis zu zwölf Kilogramm. Das Entscheidende ist: Sie müssen selbst nicht fliegen - sie gleiten. Tag und Nacht. An zwei Flügelgelenken rastet ein Versteifungsmechanismus ein, so daß nicht einmal der Vogel selbst seine Schwingen gestreckt halten muß. Diesem Wunder der Natur hat Carl Safina seinen "Flug des Albatros" (marebuchverlag) gewidmet. Der Geist der Natur ist uns, die wir die Natur des Geistes suchen, um Längen voraus.

"Der Natur des Guten" (Suhrkamp) hat die Philosophin Philippa Foot eine aufklärende Untersuchung gewidmet. Sie verbindet die Natur mit dem Geist, indem sie das Gute mit der Lebensform vereint. Gut sei, was lebensnotwendig für eine Spezies ist, mag es sich bei dieser Spezies um Pflanzen, Tiere oder Menschen handeln. Das Gute richte sich nach einem Muster natürlicher Normativität. Anders gesagt: Die Moral, der Sinn für das Gute, gehört nach Philippa Foot zum Menschen wie der Versteifungsmechanismus der Flügel zum Höhenflug des Albatros. Auf den Schwingen seiner ungestörten Natur, die sich in der Vernunft spiegelt, könnte der Mensch über die Gewässer des weniger Guten in aller Seelenruhe segeln. Tag und Nacht.

Dem Bodenpersonal ist manchmal anzulasten, daß es zu Bruchlandungen kommt. Der oben erwähnte Depressionsforscher Alain Ehrenberg erklärt, wieso heute die Menschen von einer allumfassenden Müdigkeit gepackt werden. Die Psychiater stehen ohne begriffliche Durchdringung vor dem Phänomen, dem sie mit Medikamenten beizukommen versuchen. Die Depression ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren soziale Normativität, um den Bogen zu Philippa Foot zu schlagen, nicht mehr auf Schuld und Disziplin gründen, sondern auf Verantwortung und Initiative. Nicht einmal Gutes zu tun gelingt dem müden Menschen. Die Depression ist die Tragödie der menschlichen Unzulänglichkeit vor den neuen Freiheiten. Zunehmend mehr Mitbürger stürzen in einer Zeit ohne moralisches Gesetz und ohne Traditionen in die Ausweglosigkeit, weil sie vor der Aufgabe versagen, sich selbst zu entwerfen.

Auf all diese neuen Müden könnte Schillers frischer Enthusiamus wie eine Kurztherapie heilend wirken. Doch fehlen die Werte, die er in Ehren hielt. Ein Wert könnte in der von allen geteilten Vorstellung liegen, daß der soziale Frieden durch das Recht verbürgt ist. Der Rechtswissenschaftler Michael Pawlik begründet in seiner konzentrierten Studie über "Person, Subjekt, Bürger" (Duncker & Humblot) die Strafe als eine Vergeltung für das Unrecht. Eine Strafe in diesem Sinne, meint der Autor, hielte dem Täter seine Verantwortung für das Allgemeine vor Augen und nehme ihn dadurch ernst. Wie der Historiker vor seinen trüben Erinnerungsquellen, so kann der Täter auf die Lücke in seinem Gedächtnis hinweisen, die ihm die Verantwortung für das soziale Ganze vergessen ließ. Der Gedanke ans Soziale würde die Individuen aus ihrer Müdigkeit scheuchen.

Früher litten die Nachbarn an den repressiven Normen rundum. Heute schweben sie im luftleeren Raum der Selbstverwirklichungen. Ohne fruchtbare Konflikte mit der Gesellschaft verkümmern sogar die Voraussetzungen für eine Demokratie. Die Erinnerungen "Begegnungen" von Joachim Fest (Rowohlt Verlag) und "Wir waren noch einmal davongekommen" von Wolf Jobst Siedler (Siedler Verlag) zeigen, welche intellektuelle Statur sich in der produktiven Reibung an der Gesellschaft bilden kann. Wie ein Donnerwetter mutet auch das Wirken Arthur Koestlers vor dem Hintergrund der Erschöpfung an. Dem Schriftsteller, der sich gerne seinem Selbst zuwandte, hat Christian Buckard die Biografie "Arthur Koestler" (C. H. Beck) gewidmet, aus der zu lernen ist, daß der Einsatz auf der Bühne der Taten dem Warten auf der Ersatzbank der Träume vorzuziehen ist.

Von allen Gedanken Schillers kann vielleicht die Idee einer ästhetischen Erziehung des Menschen noch einschlagen. Mit Umberto Ecos opulentem Bildband über die "Geschichte der Schönheit" (Carl Hanser) ist ein erster Wurf in diese Richtung wieder gemacht. Die Bilder mögen dem Müden als ein Stimmungsaufheller dienen, ob sie ihn aus seiner Malaise herausholen, ist ungewiß. Der Gesellschaft fehlt es nicht nur an Werten, sondern wahrscheinlich auch an Lehrern. Der Gelehrte George Steiner ist dem Verhältnis vom "Meister und seinen Schülern" (Carl Hanser) nachgegangen. Eine sehr lohnenswerte Aufgabe hat er damit übernommen, an deren Ergebnissen man ein zeitdiagnostisches Raster hätte ablesen können. Leider meistert Steiner die Meister nicht. Wir vermuten, daß ihm selbst als Schüler der Meister und das Vorbild der Meisterschaft fehlte.

In den Zirkeln, von denen Joachim Fest zu erzählen weiß, traten Meister auf, darunter die Philosophin Hannah Arendt, der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger. Manchem Müden hätte eine solche Begegnung auf die Sprünge geholfen. Oft fehlt ja nur der persönliche, der seelische Funken, der den Versteifungsmechanismus zum Guten auslöst. Dabei ist die Zeit, die einem für ein gelungenes Leben bleibt, ein knappes Gut, wie uns der französische Philosoph Jullien in seinem Buch "Über die Zeit" (Diaphanes) nachdrücklich vorführt.

Einen Trost im Brunnen des Selbst bieten Giorgio Agambens tiermenschfreundliche Essays "Kindheit und Geschichte" (Suhrkamp) sowie Roberto Zapperis Geschichte des "Wilden Mannes von Teneriffa" (Carl Hanser). Der wilde Mann hieß Pedro Gonzales, wurde im sechzehnten Jahrhundert geboren, war überall mit Haaren bedeckt und sah aus - nicht wie ein Albatros, sondern wie ein Pelztierchen. Er kam als Kind an den französischen Hof, und statt zu kapitulieren ob seines Aussehens studierte er und heiratete eine schöne Französin, die ihm tierisch behaarte Kinder schenkte. Die Welt bestaunte sie als Zwitter aus Mensch und Tier. Geist und Natur gingen hier eine pelzige, aber notwendige Einheit ein, aus der es kein Entkommen gab und in die es in diesem Herbst eine schöne haarige Einsicht gibt.

EBERHARD RATHGEB

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2004

Der Philosoph als gewesenes Kind
Giorgio Agamben versucht, die Grenze zwischen Stimme und Sprache zu erfahren
„Ein Mann kann nicht wieder zum Kind werden, oder er wird kindisch. Aber freut ihn die Naivität des Kindes nicht, und muß er nicht selbst wieder auf einer höheren Stufe streben, seine Wahrheit zu reproduzieren?” Wie eine Beantwortung dieser rhetorischen Frage von Karl Marx lassen sich die frühen Aufsätze und Glossen des italienischen Philosophen Giorgio Agamben lesen, die bereits 1978 unter dem Sammeltitel „Infanzia e storia” erschienen sind. Jetzt liegen sie in deutscher Übersetzung vor als Dokumente einer eigenwilligen philosophischen Entwicklung, an deren Anfang die strukturale Sprachwissenschaft und der historische Materialismus standen, Emile Benveniste und Walter Benjamin. Lang ist‘s her. Wie aus einer fremd gewordenen Epoche spricht es zu uns. Warum also diese Übersetzung mit jahrzehntelanger Verspätung?
Agambens Essays über „Kindheit und Geschichte”, in denen es unter anderem um Spielzeuge und vorsprachliche Erfahrungen ging, um revolutionären Genuss im Jetzt und mystisches Schweigen, um menschliche Infantilität und messianische Augenblicke, die in der weihnachtlichen Krippe still- und nachgestellt werden, wären wohl nicht publiziert worden, wenn sie nicht vom Autor der „Homo sacer”-Trilogie stammen würden. 2002 erschien der erste Teil dieser politischen Philosophie, die nicht nur in Deutschland große Aufmerksamkeit erregte. Das Wesen der modernen Politik stand zur Debatte, das Agamben nicht mehr durch die Trennung in Freund und Feind zu begreifen versuchte, sondern aus dem Zusammenhang zwischen „souveräner Macht” und einem „nackten Leben” ohne gesellschaftliche Humanität.
Vor allem der alltäglich gewordene „Ausnahmezustand” zeige, dass der menschliche Körper zum Material und Zeichen des Politischen geworden sei. Seit Beginn des Ersten Weltkriegs, über Faschismus und Nazismus, welche die Entscheidung über das nackte Leben zum höchsten politischen Kriterium erhoben, bis in unsere Tage, bis ins Lager von Guantanamo mit seinen rechtlosen Körpern, finde jene radikale Umkehrung statt, die Agamben mit zwei alten aristotelischen Begriffen zu begreifen versucht. Denn Agamben wäre kein Philosoph, wenn er nicht mit grundlegenden kategorialen Oppositionen arbeiten würde, aus deren Reibung sich das philosophische Denken entwickeln lässt.
Aristoteles liefert ihm die beiden Stichworte: „zoe” und „bios”. Dabei meinte „zoe” die einfache Tatsache des Lebens, die allen Lebewesen zukommt, das natürliche Leben als solches mit all seinen Empfindungen. „Bios” dagegen zielte auf die gesellschaftliche und politische Existenz, die einen Menschen oder eine Gruppe charakterisiert. Während dabei für die antike Tradition die Gründung der „polis” als Gemeinwesen durch die Zurückdrängung der „zoe” stattfand und der Mensch so zu einem „bios politikos” wurde, habe die moderne Politik der Souveränität das nackte Leben unter ihre Kontrolle genommen. Die Politisierung der „zoe” ist für Agamben das entscheidende Ereignis der Moderne.
Wie infantil ist der Mensch?
Vor dem Hintergrund dieser epochalen Transformation lassen sich Agambens frühe Aufsätze als sprachphilosophische Vorstudien lesen, allerdings in umgekehrter Perspektive, wobei ihm damals die aristotelischen Begriffe „phone” und „logos” zur Orientierung dienten. Denn Aristoteles hatte die „zoe” des natürlichen Lebens mit der bloßen Stimme als „phone” verknüpft, über die auch andere Lebewesen verfügen, um ihre Empfindungen zu äußern. Der Mensch dagegen, als „bios politikos”, galt ihm als das einzige Wesen, das Sprache als „logos” besitzt, um sich über das Nützliche und Schädliche, das Gute und Böse, das Gerechte und Ungerechte verständigen zu können.
Polis und Sprache, Natur und Stimme. Aus diesen begrifflichen Zuordnungen lasse sich das Wesen des Menschen begreifen: Er müsse den Übergang von der animalischen Stimme, die seine Laute mit dem Zirpen der Zikade und dem Iahen des Esels vereine, in die Sprache vollziehen, die allein ihm eine politische Existenz ermögliche. Doch Agamben wäre auch in diesen Studien und Reflexionen kein Philosoph gewesen, wenn er nicht die Differenz zwischen körperlicher Stimme und gesellschaftlicher Sprache problematisiert hätte. Er suchte nach der Schnittstelle von „phone” und „logos”, die für die menschliche Entwicklung wesentlich und entscheidend ist.
Was ist bereits in der animalischen Stimme als Disposition enthalten, um den Übergang zur Sprache zu ermöglichen? Und gibt es nicht umgekehrt auch in der phonologisch, semantisch und syntaktisch strukturierten Sprache noch Reste jenes Natürlichen, das ursprünglich vor der Sprache und vor der Entwicklung zum gesellschaftlichen Subjekt gewesen ist. Um diese doppelte Fragestellung kreiste Agambens frühe Theorie der Kindheit, der „infanzia”. Nicht zufällig geht dieses Wort etymologisch auf das lateinische „in-fante” zurück mit der wörtlichen Bedeutung: „nicht sprechend”.
Der Philosoph wusste, dass er zur vorsprachlichen Kindheit, in der die Stimme der Natur herrschte, nicht zurückkehren konnte, ohne „infantil” zu werden. Aber auf einer höheren Stufe strebte er zur ursprünglichen Wahrheit der „infanzia” und öffnete sich der Erfahrung des Menschen, „dass er Kind gewesen ist und immer noch ist”. Kindisch wollte Agamben zwar nicht sein. Aber als gewesenes Kind ließ er sich auf das zentrale Problem einer Theorie der Kindheit ein: „Gibt es eine In-fantilität des Menschen”, die sich in der Sprache selbst als Grenzerfahrung des Vorsprachlichen aufweisen und erleben lässt? In diesem Sinn erschien ihm die Kindheit als ein „experimentum linguae”, das er mit seiner eigenen Schreibweise nachzuvollziehen versuchte.
MANFRED GEIER
GIORGIO AGAMBEN: Kindheit und Geschichte. Zerstörung der Erfahrung und Ursprung der Geschichte. Aus dem Italienischen von Davide Giuriato. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 207 Seiten, 13,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Durchwachsen findet Thomas Macho diesen Band mit Studien Giorgio Agambens über "Kindheit und Geschichte" von 1978, die nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen. Im Zentrum sieht er die Kindheit als philosophisch zentrale Kategorie, die Agamben mit den Begriffen der Erfahrung, des Spiels und der Geschichte verschränke. Macho fühlt sich bei den "durchaus heterogenen" Studien "deutlich" an Walter Benjamins Werk und Arbeitsstil erinnert. Die einzelnen Titel der Essays wirken auf ihn "leichtfüßiger" als ihre Themen und Inhalte. Insgesamt kommt er nicht umhin, klarzustellen, dass Agambens Studien über die Zerstörung von Erfahrung, über Spiel und Ritual und über den Begriff der Zeit und der Geschichte "heterogene Fragmente" bleiben. Gelegentlich findet er diese "brillant und außerordentlich anregend", mitunter aber auch "enttäuschend, erfüllt vom platten Pathos der Kulturkritik." Entschädigt werde der Lesende durch das Gefühl, in eine Art Werkstatt der Spekulation eingeladen worden zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH