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Die obligaten Kapital-Kurse in Studentenkreisen um 1968 bilden den Anfang einer Entwicklung in den Geisteswissenschaften, die den positiven Wissenskanon der einzelnen Fächer dem Zerfall überläßt Ob Germanist, Philosoph oder Kunsthistoriker - Hauptsache, man hat seinen Marx, und später all die anderen gelesen. Der vorliegende Essay verfolgt die Leitwährungen der modisch variierenden Metadiskurse. Beginnend historisch mit der Frankfurter Schule, endend mit Derrida als Meisterdenker wird ihre Funktion beschrieben: Die postmoderne Monokultur erfüllt die politisch korrekte Aufgabe, aus den…mehr

Produktbeschreibung
Die obligaten Kapital-Kurse in Studentenkreisen um 1968 bilden den Anfang einer Entwicklung in den Geisteswissenschaften, die den positiven Wissenskanon der einzelnen Fächer dem Zerfall überläßt Ob Germanist, Philosoph oder Kunsthistoriker - Hauptsache, man hat seinen Marx, und später all die anderen gelesen. Der vorliegende Essay verfolgt die Leitwährungen der modisch variierenden Metadiskurse. Beginnend historisch mit der Frankfurter Schule, endend mit Derrida als Meisterdenker wird ihre Funktion beschrieben: Die postmoderne Monokultur erfüllt die politisch korrekte Aufgabe, aus den Geisteswissenschaften das genuine Wissen um je eigene Gegenstände und Methoden auszutreiben.
Autorenporträt
Wyss, BeatBeat Wyss, 1947 geboren in Basel. Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2010

Das Joch der Meisterdenker
Beat Wyss befreit sich von den Fesseln seiner Jugend
Beat Wyss, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, hatte sich täuschen lassen. Nachträglich hat er eingesehen, dass er einst als „Achtundsechziger” von mächtigen Meisterdiskursen in die Zange genommen worden war und nicht mehr selbst zu denken vermochte. Damals war er den Meisterdenkern der sechziger und siebziger Jahre auf den Leim gegangen, ohne wirklich verstanden zu haben, was mit ihm geschah. Wie eine selbstkritische Anamnese liest sich sein langer Essay, in dem er nun den „Diskurswelten um 1968” nachspürt, um damit zugleich seine eigene damalige Unselbständigkeit endgültig hinter sich zu lassen.
Nach den großen Erzählungen beginnt mit einer Erinnerung an Jean-François Lyotards Bericht „Das postmoderne Wissen”, in dem 1979 die „großen Erzählungen” von den Legitimierungen des Wissens zerstreut und zersplittert worden waren. Das postmoderne Wissen könne sich nicht selbst legitimieren, sondern vollziehe sich in Form instabiler, mannigfaltiger, performativer Sprachspiele.
Doch Lyotard, wendet Wyss ein, habe dabei völlig übersehen, dass mit der Postmoderne zwar die großen Erzählungen von Humanität, Freiheit, Rationalität und Bildung zu Ende gegangen waren, jedoch zugleich eine neue Ära von normativen Metadiskursen begonnen hatte. Wyss will es nicht allein erlebt und erlitten haben. „Wer, wie der Autor dieser Zeilen, sein Studium der Humanwissenschaften um 1968 begann, wird meine Erfahrungen teilen.”
Mit dieser Vergewisserung zeitgenössischer Zustimmung eröffnet Wyss seine diskurskritische Lektüre ausgewählter Schlüsseltexte, die damals en vogue waren. Er nimmt die Position eines Kritikers ein, der die Meisterdiskurse aus einem psychoanalytisch geschulten „hermeneutischen Winkel” betrachtet, der es ihm ermöglichen soll, „den Hebel anzusetzen und die Gedanken der Meisterdenker aus der Bahn zu bringen, die sie uns vorschreiben wollten.”
„Wir” wollen ihm dabei nicht weiter folgen und teilen als seine Zeitgenossen auch nicht seine Erfahrungen, in die Wyss „uns” einzubinden versucht. Zwar haben auch wir an Kapital-Lektürekursen teilgenommen und die 1970 postum veröffentlichte Ästhetische Theorie Theodor W. Adornos gelesen. Pierre Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen, ebenfalls 1970 erschienen, gab Anregungen, Umberto Ecos Einführung in die Semiotik wendete die Aufmerksamkeit auf den Zeichengebrauch in offenen Kommunikationen, während Michel Foucault in „Überwachen und Strafen” den Blick für die dunkle Seite der Aufklärung schärfte. Und schließlich spielte auch Walter Benjamins Essay über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, dem Wyss „mindestens sechs grundlegende Irrtümer” nachweist, keine unwichtige Rolle. Aber zwangen uns diese Arbeiten in ein diskursives Joch, das kein freies Denken mehr zuließ?
Waren wir damals in den Bann einer geschlossenen Diskurskultur geraten, aus der es keinen Ausweg gab? Ich jedenfalls habe es anders erlebt. Aber ich teile zumindest die Einsicht, mit der Wyss seiner Polemik am Ende eine hoffnungsfrohe Wende gibt. Er wählt sich Jacques Derrida zu seinem diskurskritischen Gefährten, der zu Recht an Immanuel Kants Aufforderung „sapere aude!” angeknüpft habe, um das Denken davor zu bewahren, nur noch die eigenen Vorgaben zu bestätigen.
Ach, wäre Wyss doch schon 1968 Kants Wahlspruch der Aufklärung von 1784 – „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” – gefolgt. Seine verspätete Selbstbefreiung wäre ihm und uns erspart geblieben. MANFRED GEIER
BEAT WYSS: Nach den großen Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 218 Seiten, 12 Euro.
Ach, wäre Wyss doch schon 1968 Kants Wahlspruch der Aufklärung von 1784 gefolgt!
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Manfred Geier weigert sich, in Beat Wyss' selbstkritischer Diskurskritik der 1968er Jahre auch sich selbst wiederzufinden. In seinem langen Essay nimmt der Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie die damals kursierenden Schlüsseltexte unter die Lupe und stellt für sich und seine Zeitgenossen selbstkritisch fest, dass man unter dem Einfluss der "Meisterdenker" wie Marx, Foucault oder Benjamin das eigene Denken weitgehend eingestellt hätte, erzählt der Rezensent. Er selbst fühlte sich allerdings nie unter ein diskursives Joch gezwungen, weshalb Geier mit Wyss' "verspäteter Selbstbefreiung" wenig anfangen kann.

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