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In dem vorliegenden Bestiarium, dem ein Florilegium, ein Lapidarium und ein Machinarium folgen werden, kommt dem Tier der Rang einer Wissensfigur zu. Es wird zum Agenten eines Wissens, das sich aus dieser Figur allererst generiert. Als konstituierende Bedingung einer Rede von Maschine und Mensch, von Natur und Kultur werden die Tiere des hier vorgestellten Bestiarium zum Übertier: Dieses wird zum Vorbild des Menschen, zur Verkörperung dessen, was der Mensch gerade nicht kann oder hat.

Produktbeschreibung
In dem vorliegenden Bestiarium, dem ein Florilegium, ein Lapidarium und ein Machinarium folgen werden, kommt dem Tier der Rang einer Wissensfigur zu. Es wird zum Agenten eines Wissens, das sich aus dieser Figur allererst generiert. Als konstituierende Bedingung einer Rede von Maschine und Mensch, von Natur und Kultur werden die Tiere des hier vorgestellten Bestiarium zum Übertier: Dieses wird zum Vorbild des Menschen, zur Verkörperung dessen, was der Mensch gerade nicht kann oder hat.
Autorenporträt
Bühler, BenjaminBenjamin Bühler ist Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich »Norm und Symbol« an der Universität Konstanz. Stefan Rieger ist Professor für Medienwissenschaft in Bochum.

Rieger, StefanStefan Rieger ist Professor am Institut für Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Im Suhrkamp Verlag bereits erschienen: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen (stw 1520); Die Ästhetik des Menschen. Über das Technische in Leben und Kunst (stw 1600); Kybernetische Anthropologie. Eine Geschichte der Virtualität (stw 1680) und - zusammen mit Benjamin Bühler - Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens (es 2459).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2006

Unsere Selbstauslegung aus der Tierwelt
Eine gute Wissensfigur: Benjamin Bühler und Stefan Rieger plazieren den Menschen im Bestiarium

Der Mensch ist ein Tier, freilich ein besonderes. Diese Vergleichsfigur, die das Menschliche aus seiner Differenz zum Tier bestimmt, hat eine weit zurückreichende Geschichte. Interessant wurde sie eigentlich erst, als die strikte Entgegensetzung von Tier und Mensch nicht länger als selbstverständlich erachtet, sondern zum Einsatz in den philosophisch-theologischen Debatten der Neuzeit wurde.

Damit tauchte die Möglichkeit auf, die menschliche Vernunft durch Hinweis auf die Fähigkeiten von Tieren zu düpieren; gleichzeitig büßten die für die Tradition verbindlichen höheren Seelenkräfte des Menschen mit dem Aufkommen naturalistischer Deutungen tendenziell ihre Erklärungsfunktion ein. Der Bereich der bloß animalischen Funktionen erweiterte sich und führt zur polemischen Frage, ob nicht manche Vernunftleistung im Tierreich überboten wird. Tiere haben keine Sprache und also keine Vernunft, argumentierte Descartes. Sie brauchen aber offensichtlich auch keine Sprache, um sich über komplizierte gesellschaftliche Arbeitsteilungen zu verständigen, hielt man ihm mit Verweis auf Ameisenvölker entgegen.

Selbst wenn Ameisen und Bienen, Papageien und Affen in diesen Debatten ins Feld geführt wurden: Mit Empirie hatte das noch wenig zu tun, und genaue Untersuchungen der tierischen Verhaltensformen standen kaum auf dem Programm. Gerade das sollte sich von der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an auf breiter Front ändern. Nun tritt das Tier als Untersuchungsgegenstand der Wissenschaften vom Lebendigen auf den Plan - eines Lebendigen, das sich immer deutlicher als evolutionäre Entfaltung von Organisationsmöglichkeiten zu erkennen gibt, in die auch der Mensch eingefügt ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt etwas neue Qualität, das man das Verfahren der Selbstauslegung des Menschen aus der Tierwelt nennen könnte: Es wird kleinteiliger und inhaltsreicher, ist nicht mehr bloßer Winkelzug der Argumentation für bestimmte ideologische Positionen - und hat doch immer mit bestimmten Auffassungen vom Wesen des Menschen und menschlicher Gemeinschaften oder Gesellschaften zu tun.

Stefan Rieger und Benjamin Bühler haben sich diese Szenarien genauer angesehen, in denen das Tier als moderne "Wissensfigur" auftritt, an der der wissenschaftliche Blick das Menschliche im Differenzverfahren bestimmt. Keine Kulturgeschichte des Tiers und keine Geschichte des Tiers in den Wissenschaften ist damit anvisiert, sondern "eine Geschichte des Wissens, das durch und über die Figur des Tiers erzeugt wurde und wird". Die Form der Darstellung ist geschickt gewählt, um ein weites Untersuchungsfeld durch eine Reihe von Beispielen mit der notwendigen Konkretion in den Blick zu bringen: ein "Bestiarium" mit dreiundzwanzig Einträgen, alphabetisch geordnet von "Ameise" bis "Zitteraal".

Sein Titel verweist auf eine Tendenz, die die beiden Autoren allenthalben ausmachen: Das Tier als evolutionäre Vorform des Menschen wird zur Verkörperung von Fähigkeiten, über die der Mensch nicht verfügt, die er aber noch zu entwickeln hätte. Im Sinne von Arnold Gehlens Diktum, daß das Mängelwesen Mensch durch künstliche Verfahren kompensieren muß, was ihm die Natur - zugunsten einer radikal beschleunigten kulturellen Evolution sozialer Einrichtungen und technischer Errungenschaften - vorenthalten hat.

Mit dieser Tendenz ist die Fülle des Materials, die das Bestiarium versammelt, allerdings nur recht grob umrissen, denn auf die Details der Konstellationen, in denen Tiere als "Wissensfiguren" auftreten, kommt es an. Der Mechanismus von Projektion und Rückprojektion kann fast ganz unverhüllt auftreten, wie etwa im Fall der sozialen Insekten, aus deren Organisation Ordnungsvorstellungen für die menschliche Gesellschaft abgeleitet werden; oder auch im Fall der zivilisationskritischen Verwendung, die Konrad Lorenz von der Graugans machte.

Aber je eher darauf geachtet wird, die menschliche Perspektive im Sinne wissenschaftlicher Objektivität zu eliminieren, um so interessanter wird der Nachweis, wie trotzdem und unvermeidlich "Folgerungen" für das Verständnis menschlicher Verhaltensformen gezogen werden: So kommt man vom Studium der Austernbänke zu Überlegungen über notwendige Regulierungen einer "Massenkultur lebendiger Wesen", von Konditionierungsexperimenten an Hunden zur Vorstellung menschlicher Handlungen als Reflexketten, von den Mutantenzüchtungen bei Drosophila zu Neuauflagen eugenischer Empfehlungen.

Aus den Einträgen dieses Bestiariums läßt sich auf fast beiläufige Weise eine Menge über neuere Wissenschaftsgeschichte lernen. Das ist kein kleiner Reiz dieses Buchs, das auf einprägsame Weise zeigt, welche Funktion die Tiere für moderne Bestimmungsweisen des Menschentiers und seiner Entwicklungsmöglichkeiten haben.

HELMUT MAYER

Benjamin Bühler und Stefan Rieger: "Vom Übertier". Ein Bestiarium des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006. 318 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Helmut Mayer ist beeindruckt von der Materialfülle des Bands und der Möglichkeit, mehr über die zumindest theoretische Differenz von Mensch und Tier zu lernen. Er betont, dass die Autoren Bühler und Rieger keine Kulturhistorie des Tieres vorlegen, sondern eine durch die Figur des Tieres erzeugte Wissensgeschichte. Die alphabetische Ordnung der Arbeit von "Ameise" bis "Zitteraal" hält er für angebracht, das weite Forschungsfeld in den Griff zu bekommen und den Vorgang von "Projektion" und "Rückprojektion" zwischen Mensch und Tier zu beleuchten. Am Ende weiß Mayer mehr über Zugangsweisen zum Verständnis menschlichen Verhaltens, über die diesbezügliche Bedeutung von Austernbänken und Fruchtfliegen und über die neuere Wissenschaftsgeschichte.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das ist kein kleiner Reiz dieses Buchs, das auf einprägsame Weise zeigt, welche Funktion die Tiere für moderne Bestimmungsweisen des Menschentiers und seiner Entwicklungsmöglichkeiten haben.« Frankfurter Allgemeine Zeitung