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"Bald nach dem Erscheinen meines ersten Buches versprach ich einem jungen Mann, daß ich mich in den nächsten Tagen entleiben werde. Als wir uns einige Zeit später - ich war immer noch am Leben - auf der Straße wieder begegneten, sagte er in einem Tonfall der Enttäuschung und des Vorwurfs: Weißt du, Josef Winkler, gerade von dir habe ich erwartet, daß du dein Wort hälst!"
1979 erschien im Suhrkamp Verlag Josef Winklers erster Roman Menschenkind. Josef Winkler hat Wort gehalten, inzwischen sind zehn Bücher erschienen, zuletzt die römische Novelle Natura morta.
In seinem neuen Buch
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Produktbeschreibung
"Bald nach dem Erscheinen meines ersten Buches versprach ich einem jungen Mann, daß ich mich in den nächsten Tagen entleiben werde. Als wir uns einige Zeit später - ich war immer noch am Leben - auf der Straße wieder begegneten, sagte er in einem Tonfall der Enttäuschung und des Vorwurfs: Weißt du, Josef Winkler, gerade von dir habe ich erwartet, daß du dein Wort hälst!"

1979 erschien im Suhrkamp Verlag Josef Winklers erster Roman Menschenkind. Josef Winkler hat Wort gehalten, inzwischen sind zehn Bücher erschienen, zuletzt die römische Novelle Natura morta.

In seinem neuen Buch Leichnam, seine Familie belauernd führt er uns in 80 Prosaminiaturen sein poetisches, stilistisches und geographisches Universum vor. 80 kleine Geschichten über Liebe und Tod, Kindheit und Jugend; über Lesen und Schreiben, über seinen Umgang mit Angst um Sprache und Sprachlosigkeit - gern auch ironisch, sarkastisch, leidenschaftlich und selbstentblößend.
Autorenporträt
Winkler, JosefJosef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering bei Paternion in Kärnten geboren. 2008 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2003

Ich blute nicht bei jedem Satz
Neue Prosa von Josef Winkler: Leichnam, seine Familie belauernd
In seiner abgegriffenen Ledertasche trägt Josef Winkler am liebsten Bücher mit sich herum, „die ich mühsam entziffern, Satz für Satz erobern muss, denn sobald mich die Sätze in einem Buch beim Lesen mitzutragen beginnen”, sobald er „zu genießen beginne”, höre er „zu lesen auf. Wenn sich mir ein Satz nicht wie ein Mühlstein um den Hals hängt, wozu soll ich ihn dann loswerden?” Der letzte Halbsatz verblüfft. Und heißt doch nur: Nicht schreiben, um etwas loszuwerden, sondern eben lesen. Letzteres erhält damit eine neue Wichtigkeit, ohne dass das Schreiben einfacher würde: „Nein, nein, ich blute nicht bei jedem Satz, ganz im Gegenteil, die Blutzufuhr kommt erst in Gang, wenn ich den Satz zwanzigmal bearbeitet habe und erst danach das Gefühl bekomme, jetzt ist er es wert, umformuliert oder zerstört zu werden.”
Winklers sprachliche Sorgfalt zeigt sich schon im preziösen Titel des schmalen, in der Edition Suhrkamp erschienenen Bandes „Leichnam, seine Familie belauernd”, in dem das Wort Familie – für diesen Autor – überraschende Konturen erhält: Es geht nicht ausschließlich um die weihrauch- und blutgeschwängerte Jugend im katholischen Dorf, nicht nur um den bäuerlichen Vater, der beim Fronleichnamszug „die blaue Laterne, nie den Himmel tragen” durfte oder um den „pferdeflankenbreiten, weißen Arsch” der Großmutter. Es geht auch um Josef Winklers eigenen Sohn.
Homosexualität war in Winklers Büchern nie nur ein biografischer Zufall. Unzählige Male hat er die Entdeckung der Texte Jean Genets und den Doppelselbstmord eines siebzehnjährigen Freundespaars im Heimatdorf als Katalysatoren seines Schreibens zelebriert. Seine Bücher sind reich an italienischen und sonstigen Tadzios, die Homosexualität gehörte mit zur Revolte gegen den Katholizismus im Drau-Tal und jetzt heißt es auf einmal: Josef Winkler lebt mit Frau in Klagenfurt, hat einen mittlerweile siebenjährigen Sohn und der erscheint auch noch in einem Buch von ihm. Auch auf dem einzigen Foto des Bandes (Winkler in Benares) steht am Rand ein weißer Junge.
Grabbesuch bei Julien Green
„Jetzt, da ich für meinen kleinen Sohn sorge, habe ich nicht einmal mehr die Freiheit, tagelang genussvoll daran denken zu können, dass ich eines Tages (...) mich entleiben, oder, wie man in Kärnten auf dem Land sagt, mich wegräumen könnte, so mir nichts, dir nichts.” Seit sein Sohn auf der Welt sei, „gehe ich kaum noch auf Friedhöfe, verlangsame auch nicht mehr meine Schritte, wenn ich am offenen Tor einer Leichenhalle vorbeigehe, besuche keine Kindergräber mehr.” Nur das Klagenfurter Grab Julien Greens besucht Winkler noch immer, mit Sohn, der sein Micky-Maus-Feuerzeug zum Kerzenanzünden verwendet.
Aber hat die Aufnahme des Nachwuchses in den Text (die Frau bleibt ungenannt) Auswirkungen auf das autobiographisch geprägte Schreiben Winklers? Auf den ersten Blick kaum. Das Erzähler-Ich folgt in einer der knappen, eine bis fünfzehn Seiten langen Geschichten nach wie vor einem schwarzen Jungen auf ein Klo am Bahnhof Zoo, wird anschließend ausgenommen, schwört sich, nie mehr mitzugehen und deutet gleichzeitig ein neues Erlebnis an. Auch die spießerferne Todesseligkeit, das Friedhofshafte von Winklers Schreiben bleibt in jenen Passagen, die sich nicht explizit auf den Sohn beziehen, erhalten. Gerade in den indischen Geschichten, die es auch im neuen Buch gibt.
„Zwei junge Männer banden den Kinderleichnam mit einem Hanfstrick auf einen schweren, flachen Stein, verknoteten den Strick auf der Brust des toten Mädchens, hoben den Leichnam aufs Boot, ließen sich an den bauchtief im Fluss stehenden Wasserbüffeln vorbei in den Ganges hinausrudern und kreuzten die Bahn eines Bootes, in dem mehrere Jungen saßen, die Papierdrachen aufsammelten, die im Ganges gelandet waren.” Erzähltechnisch haben die indischen Bilder die Funktion, den aussterbenden sinnlichen Altkatholizismus zu ersetzen, der Winkler seine Schreckensprägungen nur noch aus der Erinnerung liefert.
Als er zum erstenmal in Benares gewesen sei, hat Winkler einmal gesagt, habe er plötzlich gewusst, ihm werde der Stoff nie ausgehen. Der lebendige indische Tod versorgt sein artifizielles Schreiben mit Körperlichkeit und ihrer hübschen Bestattung: „Ein halbwüchsiger Junge schwamm mit einem Tuch, in das orangefarbene Tagetesblüten eingewickelt waren, in die Flussmitte hinaus, öffnete den Stoff und übergab die Blumenblüten an der Stelle dem Ganges, wo tief unter seinen strampelnden Beinen, am Grunde des Flusses, die toten Kinder lagen.” Und über das böse Bild österreichischer Hare Krishna-Leute findet auch das moderne Österreich in diese indische Szene.
Nein, Winkler spart nicht aus, was ihm schon bisher wichtig war. Eher führt der Familienzuwachs zu einer Erweiterung, die auch sanfteren, komischeren Tönen Raum gibt. Und einer formalen Gelassenheit, die in dieser Prosa um nicht wenige Leichen lapidare Notizen neben literarisch dichten Passagen stehen lässt. Nicht weniges deutet auf eine wachsende Souveränität im Umgang mit den bekannten Stoffen. Josef Winklers nächster Roman dürfte interessant werden.
HANS-PETER KUNISCH
JOSEF WINKLER: Leichnam, seine Familie belauernd. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 147 Seiten, 7 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Vom Lesen handeln diese "eine bis fünfzehn Seiten langen" Geschichten, von der "weihrauch- und blutgeschwängerten Jugend" in einem katholischen Dorf, vom Tod und von homosexuellen Begegnungen - alles Themen, die Josef Winkler schon früher beschäftigt haben, schreibt Hans-Peter Kunisch in seiner Rezension. Auch Indien kommt als Handlungsort wieder vor. Neu in diesem "autobiografisch geprägten Schreiben" ist allerdings Winklers siebenjähriger Sohn, der hier zum ersten Mal auftauche. Auf Winklers Scheiben, auf die Wahl seiner Themen, wirke sich das aber kaum aus. "Eher führt der Familiennachwuchs zu einer Erweiterung, die auch sanfteren, komischeren tönen Raum gibt", meint unser Rezensent. Die hier vorgelegten Geschichten lassen ihn hoffen, dass der nächste Roman des Autors "interessant" wird.

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