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"Wir wissen die einfachen Freuden des modernen Lebens zu schätzen", und "jetzt essen wir das Brot", anstatt durchs Loch im Brot zu starren, das man als Kind gebohrt hat, um tief ins schöne Nichts zu fallen. Jetzt sind wir erwachsen geworden, haben einen Arbeitstag, treiben Sport. Und die große Liebe? Schon aufgebraucht?
Iris Hanika ist eine neue Autorin im Suhrkamp Verlag. Als Chronistin des deutschen Alltags von heute macht sie sich in Berlin, Wien, Chicago und anderswo einem Reim auf die Zustände. Ob im Aldi oder beim Warten auf Houellebecq, ob beim Friseur oder angesichts einer
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Produktbeschreibung
"Wir wissen die einfachen Freuden des modernen Lebens zu schätzen", und "jetzt essen wir das Brot", anstatt durchs Loch im Brot zu starren, das man als Kind gebohrt hat, um tief ins schöne Nichts zu fallen. Jetzt sind wir erwachsen geworden, haben einen Arbeitstag, treiben Sport. Und die große Liebe? Schon aufgebraucht?

Iris Hanika ist eine neue Autorin im Suhrkamp Verlag. Als Chronistin des deutschen Alltags von heute macht sie sich in Berlin, Wien, Chicago und anderswo einem Reim auf die Zustände. Ob im Aldi oder beim Warten auf Houellebecq, ob beim Friseur oder angesichts einer verliebten Freundin - überall trifft ihr Blick, der Blick einer Frau, auf Widerstand, und überall herrscht ewige Pupertät. Gottlob aber schauen wir ab und zu nach oben: Und oben "sind über den Himmel ein paar Cirruswolken gehaucht, an den Rändern, über den Wipfeln färbt er sich langsam lila. Und das ist Glück."
Autorenporträt
Iris Hanika, geboren 1962 in Würzburg, lebt seit 1979 in Berlin. Sie war feste Mitarbeiterin der Berliner Seiten der "FAZ" und führte eine Chronik im "Merkur". 2006 erhielt Iris Hanika den Hans Fallada Preis und 2011 den Preis der LiteraTour Nord.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2004

Bill Clinton und die einsamen Frauen
Aldi, Sex und weite Hosen: Iris Hanikas Chronik „Das Loch im Brot”
Warum Werbung nie Kunst sein kann? „Kunst verlangt: Schau mich an. Hör mich an. Lies mich. Sie verlangt nicht: Schau etwas anderes an, hör etwas anderes an, lies etwas anderes.” Ein altes Thema, ein präzise formulierter Gedanke. Im nächsten Satz wird er etwas verwässert: „Es sei denn, dieses andere wäre Gott”. Warum gerade der? Müsste es dann nicht heißen: „Es sei denn, dieses andere wäre der Mensch, ein Frühlingsmorgen, der Tod?”
Iris Hanika, die 1992 mit der buchlangen Erzählung „Katharina oder Die Existenzverpflichtung” debütierte, der Auseinandersetzung einer Berliner Studentin mit BRD-Herkunft und Neuköllner Umgebung, wählt in „Das Loch im Brot” Kürzest- und Kurzstrecken. Manche Sätze sind prägnante Aphorismen: „In jedem Mund ist die Geschichte eingraviert, die er verheimlicht”. Andere stehen im Zusammenhang mehrerer essayistischer Seiten („Aldi”, „Über Sex”). Dritter Texttyp sind Tagebuchaufzeichnungen in vor und zurück hüpfender Chronologie, die oft miteinander gelesen werden wollen („23.8.96/11.5.2002”) und immer den Sinn einer „Chronik” – so der Untertitel des ganzen Buchs – bezweifeln.
„Normal sein”, der erste Essay, hat Leitmotiv-Funktion: „Normal ist das Leben in dem Augenblick geworden, wo es egal ist, ob es noch fünfzig Jahre lang genauso weitergeht, wie es jetzt geht, oder ob man heute noch stirbt.” Eines der wichtigsten Themen des Buchs ist der nicht uninteressante Zwischenzustand des Nicht-mehr-jung-noch-nicht-alt-Gefühls, das die um Vierzigjährigen manchmal befällt. Wobei der Akzent auf der „Erstarrung der mittleren Jahre”, dem nicht mehr jung sein liegt: „Das Körperbewusstsein dient nur in zweiter Linie dazu, das andere Geschlecht anzulocken. In erster Linie geht es darum, möglichst wenig Schmerzen zu haben.”
Mit Foucault könnte man aufbauend kommentieren, das sei „die Sorge um sich”, doch der 1962 geborenen Hanika geht es darum, die Möglichkeiten von Negativität auszureizen, sie sucht nach Momenten des Memento Mori: „Geschminkt oder ungeschminkt: Wir kennen unser Gesicht zu lange, um es noch häßlich finden zu können. Fest drücken wir mit den Fingern hinein und ertasten den Totenkopf, der darunter schon wartet.” Schwächer sind die Stimmen, die Veränderung zaghaft als Fortschritt deuten: „Früher war das Leben anstrengend, weil wir ums Verrecken nicht mitmachen wollten”, das so genannte Erwachsenwerden hat eingesetzt, dazu gehören: „eine funktionierende Waschmaschine, ein funktionierender Kühlschrank, ein funktionierendes Auto”.
Das strukturelle soziale Problem, das den Text durchzieht, ist, dass die Unabhängigkeit liebenden städtischen Vierzigjährigen heute oft noch nicht in die „Fortpflanzungsfamilie” gefunden haben, aber müde werden. Tragikomisch formuliert Hanika dies in „Wir einsamen Frauen”. „Teil eines Paares” zu sein, wäre ihnen schon recht, doch können sie sich, da sich die, kaum vermisste, „große Liebe” zwecks Selbstsuche schon länger davon gemacht hat, nicht mehr erinnern, wie das ist. „Wie sehnen wir uns nach Italien!” Dort stehen ständig Männer in Hauseingängen herum und rufen „che bella signora” oder, netter noch, „che bel culo”. Männer, die Frauen schätzen, weil sie Frauen sind, wie Bill Clinton, würden von solchen Frauen „wieder gewählt”.
Kälter wehrt sich Hanika im Namen der einsamen Frauen gegen die Engführung von Liebe und Zeugung: „Durch das Gebären eines Kindes”„haben sie eindeutig bewiesen, welchem Geschlecht sie angehören, ihre Geschlechtlichkeit aber scheinen manche Frauen darüber vergessen zu haben. Ich meine die Erotik, ich meine, was zur Liebe, zum Trieb, zum Vorspiel gehört; zum dem, was vor der Empfängnis geschieht.” Mögen Männer dem noch schüchtern zustimmen, hätten sie den nächsten Tabu-Satz allenfalls Provinzgrößen von Cosenza bis Casarsa zugetraut: „Sie entblößen sich ohne jede Scham und stillen ihre Kinder in der Öffentlichkeit so selbstverständlich wie daheim.”
Erst die allerletzte Notiz des Buchs schlägt, was Kinder angeht, einen ganz anderen Ton an: „Mein liebstes Kind lag mir unterm Herzen steineschwer und weinte Blut, es weinte sehr”. Hanika ist besser, wo sie nicht verdammt. Auch der Ekel vor den verbliebenen Erscheinungsformen der DDR, die nicht ins halbwegs schicke Erwachsenenleben passen, hat etwas ebenso Preziöses wie Komisches: Vor allem, weil er zu seltsamen logischen Verknüpfungen führt: zwei junge Männer spazieren vorbei, „deren Jacken wie Hosen jeweils gleichermaßen schlecht sitzen.” Alles viel zu weit, Hanika folgert rhetorisch: „was anderes als Sehnsucht nach der DDR könnte das sein, diese Vorliebe für scheussliche Dinge und alles, was hässlich macht?”
Das Buch ist ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten, in der sich Kulturkritik heute befindet. Sie würde langweilig, wenn sie die Affirmationsbemühungen der Neunziger weiter triebe, ist in ihren Formulierungen von Widerspruch aber immer in der Gefahr weiter zurück, ins Ressentiment abzugleiten. Eine neugierige Kritik, die den Gegenstand wahrnimmt, seine Mängel sieht und die Differenz zu ihm behauptet, wie sie Hanika an anderen Stellen gelingt, kommt oft weiter. Manchmal genügt schon eine ungewohnte Perspektive: Am 11. September ist Hanika in Chicago und wirft aus dem Fenster ängstliche Blicke auf den Sears Tower.
HANS-PETER KUNISCH
IRIS HANIKA: Das Loch im Brot. Chronik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 171 Seiten, 8,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2004

Liebe geht, Arbeit bleibt
Vierzig verweht: Iris Hanika nagt am Schwarzbrot des Lebens

Älterwerden ist nicht leicht. Schon gar nicht für die postfeministischen Fortysomethings, die noch intellektuelle und moralische Ansprüche haben und denen die "Erotik des Matjesfilets" nicht genügt. Die Männer sind unreife Jungs oder Familienväter, die Haut ist auch nicht mehr so straff. Der Traum von der großen Liebe, die politischen Utopien, an denen sich die Achtundsechziger, die kleinen Distinktionsspiele zwischen ironischer Affirmation und koketter Verweigerung, an denen sich noch die Generation Golf festhalten konnte: alles ausgereizt, verschlissen, schal. "Früher war das Leben anstrengend, weil wir ums Verrecken nicht mitmachen wollten", schreibt Iris Hanika. Heute, in der "Erstarrung der mittleren Jahre" und der neuen Mitte angelangt, ist es kommod, kultiviert, mit einem Wort: langweilig.

Man ist leidlich erfolgreich, weit gereist, geschmackssicher, abgeklärt. Aber der Glutkern, der einen einst wach und lebendig hielt, ist erkaltet, die Lava jugendlicher Unbekümmertheit versteinert. Kein Wunder also, daß eine alleinstehende Frau von vierzig Jahren Melancholie ausbrütet: Was unter Männern midlife crisis heißt, macht sich bei urbanen, intellektuell reflektierten Singlefrauen als Hang zu Zynismus und stiller Resignation, galligen Ressentiments und gepflegten Depressionen bemerkbar. "Warum soll man sich überhaupt auf eine Zukunft einrichten, wenn man doch weiß, daß alles immer genauso weitergehen wird und die ausgesuchten Momente reinen Glücks wirklich selten sind? ... Unterm Gesicht sitzt der Totenschädel, und die Zähne sind mit Gold ausgegossen, wie es unser Herz einmal war. Das füllen wir nun mit Arbeit aus, denn: Liebe geht, Arbeit bleibt. In jedem Mund ist die Geschichte eingraviert, die er verheimlicht, und wir einsamen Frauen haben schmale Lippen. Keine Münder zum Küssen."

Nicht, daß früher alles besser war; die subjektive Desillusionierung läuft in anderen Rhythmen und Räumen ab als die gesellschaftlich-objektive. Aber es gab doch einmal Phasen, in denen das Jungsein mit kulturellen Aufbrüchen und sexuellen Revolutionen zusammenfiel und die Hoffnungen, Phantasien und Leidenschaften noch würdige Ziele fanden: "Wo wir früher mit Inbrunst die Faschisten haßten, hassen wir heute die Leute, die ihre Hunde das Geschäft auf dem Gehsteig machen lassen"; und antifaschistischer Sex ("Wir vögeln immer gegen Auschwitz") ersetzt keine romantische Liebe. Das tägliche Brot war immer hart; aber es gab etwas zu beißen und machte satt, und das kann man von den Löchern in den formlosen Teigfladen und Vollkornbrötchen heute kaum behaupten.

Hanikas Reflexionen und Tagebuchnotizen, zwischen 1995 und 2002 entstanden und zum Teil im "Merkur" und auf den "Berliner Seiten" dieser Zeitung veröffentlicht, zeugen von einer Müdigkeit, die von der retrospektiven Nostalgie ihrer Altersgenossen so weit entfernt ist wie von nackter, "uncooler" Verzweiflung. Auch wenn die Zweiundvierzigjährige gern im kollektiven "wir" untertaucht und auch nicht immer frei ist von den geschmäcklerischen Idiosynkrasien, altklugen Sentenzen ("Der junge Mensch geht hinaus, der alte kommt herein") und der Arroganz einer Tristesse royale: Ihr "Loch im Brot" ist nicht das Manifest einer Generation. Ihre Alltagsbeobachtungen, Aphorismen und kleinen Essays über Aldi-Kultur oder das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Großstädter verdanken in ihrer ernsten, weltklugen Illusionslosigkeit den französischen Moralisten mehr als der blasierten Ironie der Pop-Literatur; in ihren besten Momenten sind sie geistreich wie Lichtenbergs Sudelnotizen und so grimmig misanthropisch wie Martin Walsers Meßmer. Hanika erkundet sich und die Welt auf eigene Faust und Rechnung. Ihre Subjektivität ist unprätentiös, ihr schutzlose Intimität nie peinlich, ihre Bitterkeit frei von Larmoyanz. Und ein Augenblick reinen Glücks ist auch im falschen Leben immer drin.

Allerdings vermittelt schon die Beliebigkeit der Themen, der fragmentarische Charakter der Beobachtungen wie der teilnehmenden Beobachterin das Lebensgefühl einer Generation, die aus Zeit und Welt herausgefallen ist und nun orientierungslos und meinungsstark an ihren Rändern nistet. Die Flaneurin Hanika schreibt quer zu jeder chronologischen oder systematischen Ordnung: Reiseimpressionen aus Paris oder Auschwitz stehen neben ethnologischen Feldstudien über Kreuzberger Wildpinkler oder postmoderne Balzrituale, expressionistische Naturschilderungen neben "Bin ein Mägdelein klein"-Tagebuchpoesie, Gesprächsprotokolle aus Supermärkten und Zahnarztpraxen neben hellsichtigen Bemerkungen zu Michel Houellebecq.

Hanikas Feuilletons verraten, auch in sprachlicher Hinsicht, viel Stilgefühl; gelegentlich verschwimmen die harten Konturen ihrer Prosa fast in lyrischer Empfindsamkeit. Leider gerät sie dabei manchmal auch auf die ausgetretenen Pfade der Kultur- und Geschmackskritik. Wenn sie vergleichende Männerkunde betreibt oder öffentlich stillende Mütter abfertigt, verflüchtigt sich ihre Neugier in schwammigen Vorurteilen und Klischees: So lugt unter den alltagssoziologischen Physiognomien die alte Fratze des häßlichen Deutschen hervor, und der unbestechliche Blick beruhigt sich in einer "strengen Niedlichkeit". Hanika ist eine glänzende Beobachterin, aber als Moralistin oder Philosophin wird sie oft ungenau, ungerecht oder, noch schlimmer, banal.

"Einsamkeit macht dumm, weil eine Überprüfung des eigenen Weltbilds so schwer möglich ist, wenn keiner ernsthaft mit einem redet. Daher kommen dann die Schrullen, aber mehr noch kommen die vom Ungeliebtsein ... So bleibt man allein, wird immer schrulliger und am Ende unerträglich." Iris Hanika ist nicht mehr das zickige, starke Mädchen, dem sie nachtrauert, aber auch noch keine schrullige alte Jungfer. Solange sie das Schwarzbrot des Lebens so unsentimental und hart mit dem Messer schneidet, sind sogar die Löcher darin erträglich.

MARTIN HALTER

Iris Hanika: "Das Loch im Brot". Chronik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 171 S., br., 8,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ein geradezu unverzichtbares Brevier für die Forty-Somethings" sei dieses Buch von Iris Hanika (Jahrgang 1942), versichert Rezensent Thomas E. Schmidt (1959), warnt aber davor, es für ein Generationenbuch zu halten. Denn in dieser Chronik herrschen keine retrospektive Heiterkeit und keine ironisch getönte Polaroids, nein, "hier regiert ein kräftiger Strich". In Tagebuchnotaten, Reflexionen und Aphorismen zeichne Hanika ein treffendes, wenn auch ungerechtes Bild einer Generation, deren Anspruch auf Anderssein und Verweigerung im Zuge des beruflichen Aufstiegs und bequemen Lebens allmählich verläppert ist. Revolution wurde durch diskursive Praxis ersetzt und die irgendwann zum Selbstzweck. Die von Hanika beschriebene Ausweglosigkeit erklärt Schmidt so: "Es ist langweilig, an der alten Anti-Attitüde festzuhalten - aber sich angepasst zu haben ist genauso öde." Hanika selbst fasst das Post-Achtundsechziger-Syndrom: "Wir vögeln immer gegen Auschwitz".

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