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Paul Brodowskys Prosaminiaturen nehmen Alltägliches in den Blick, aber auf eine Weise, dass dieses in ein merkwürdiges Licht gerät. Zunächst meint man, vertraute Situationen vorgeführt zu bekommen: Familiengeschichten, Landschaftliches, Erotisches, tastendes Sich-Vergewissern eines suchenden Ichs - aber dann bricht das Unerwartete herein; man kann es sehen, schmecken und riechen, und doch wirkt plötzlich alles geheimnisvoll, surreal. Das vermeintlich Reale schlägt um ins Absurde; die Ordnung der Dinge gerät durcheinander; ihre Selbstverständlichkeit wird lakonisch in Frage gestellt. Die…mehr

Produktbeschreibung
Paul Brodowskys Prosaminiaturen nehmen Alltägliches in den Blick, aber auf eine Weise, dass dieses in ein merkwürdiges Licht gerät. Zunächst meint man, vertraute Situationen vorgeführt zu bekommen: Familiengeschichten, Landschaftliches, Erotisches, tastendes Sich-Vergewissern eines suchenden Ichs - aber dann bricht das Unerwartete herein; man kann es sehen, schmecken und riechen, und doch wirkt plötzlich alles geheimnisvoll, surreal. Das vermeintlich Reale schlägt um ins Absurde; die Ordnung der Dinge gerät durcheinander; ihre Selbstverständlichkeit wird lakonisch in Frage gestellt. Die präzisen Sprachbilder Paul Brodowskys fixieren diese Irritation auf eine wunderbar leichte, poetische Weise.
Autorenporträt
Paul Brodowsky wurde 1980 in Kiel als jüngstes von sieben Kindern geboren. Von 1999 bis 2005 studierte er »Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus« an der Universität Hildesheim und in New York; seit 2005 ist er Diplom-Kulturwissenschaftler.
Er war im Jahr 2000 Mitbegründer und bis 2004 Herausgeber der Literaturzeitschrift BELLA triste. Er hat Beiträge in zahlreichen Anthologien und Literaturzeitschriften publiziert (u. a. in Büchner, Edit und Qvest); darüber hinaus Veröffentlichung von kulturjournalistischen Arbeiten in verschiedenen Tageszeitungen und im Rundfunk.

2003 war er der Initiator sowie künstlerischer Co-Leiter des Hildesheimer Literaturfestivals PROSANOVA. Das Festival präsentierte an vier Tagen im Mai 2005 über sechzig junge Autoren, Musiker und Medienkünstler aus Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Im Frühjahr 2006 wurde sein Theaterstück Stadt, Land, Fisch in einer Werkstattinszenierung an den Münchener Kammerspielen präsentiert (Regie:Laurent Chetouane).
Zur Zeit lebt Paul Brodowsky in Berlin. Er schreibt neben Theaterstücken, Hörspielen und Essays vorwiegend erzählende Prosa.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2002

Leere Rätsel
Paul Brodowskys Prosaband
„Milch Holz Katzen”
Sorry, die deutsche Literatur steht ja momentan hoch im Kurs, aber mit diesem Debüt sind keine Lorbeeren zu holen. Vielleicht hätte man im Fall von Paul Brodowsky, Jahrgang 1980, ein paar Jahre zuwarten sollen, und dann vielleicht eine Hoffnung der deutschen Gegenwartsliteratur vorstellen können. Aber so wurde diese Chance vertan. Hier ist einer zu schnell zu früh gereift.
„Ich kenne inzwischen alle Arten von Hefe, Trockenhefe, Würfelhefe, Schlaghefe.” „Ich habe mich entschlossen, meine Tür zu streichen.” „Ich lebe im vierten Stock.” „Ich frage mich, ob ich das Aufprallgeräusch hören werde.” In jeder dieser 45 Prosaminiaturen – selten länger, manchmal erheblich kürzer als eine Druckseite – meldet sich ein Ich zu Wort.
Jedes Ich setzt sich ab von dieser Welt und definiert sich über sie. Um zu sich selber zu kommen, beschreibt es alles, was der Fall ist. Das Ich hadert mit dieser seiner Welt und freut sich an ihr, es ist in jedem Fall gezwungen, Stellung zu beziehen, kalt bleibt es nie. Nur für ein in seinem autistischen Käfig gefangenes Ich braucht es keine Welt, weil die ganze Welt dieses Ich selber ist. Aber jeder andere, der feststellt, dass es außerhalb der engen Grenzen des Ich noch etwas anderes gibt, findet erst zu sich, wenn er für das andere Begriffe gefunden hat.
Bei Paul Brodowsky treffen wir auf ein Ich, das stets ein anderes und peinlich darauf bedacht ist, keine Berührungspunkte mit einem anderen Ich aufzuweisen. Einem Ich widerfährt etwas, ein Ich macht eine Beobachtung, ein Ich befindet sich in einer misslichen Lage, stets ist der Autor zur Stelle und macht eine kleine Episode daraus. Ein paar Sätze, und schon verrätselt er die Welt. Mit seiner Ästhetik der Willkür und Effekthascherei stiftet er vorsätzlich und virtuos leere Verwirrung.
Kurz, Brodowsky gehört zu jenen Autoren, die an eklatantem Mangel an Stoff leiden, aber unbedingt etwas erzählen wollen. Und so spielt er ein bisschen herum mit Sprache und Realitätspartikeln, nimmt hier eine Phrase („Nicht gut Kirschen essen, sagt man”) und dort ein Versatzstück aus der Wirklichkeit („Wieder sind Wespen in meinem Bad”) und beginnt schnurstracks, sich aus der bekannten Realität fortzuschreiben. Aber es reicht nicht zu mehr als zu einem sehr kontrollierten Wahnsinn, zu einer Art beflissener, disziplinierter Raserei.
Brodowsky hat den Ehrgeiz, stets dorthin vorzustoßen, wo der gewöhnliche, beschränkte Erfahrungshorizont endet. Einer stürzt im freien Fall vom Himmel, einer liegt in einem Raum zwischen Koffern, einer läuft und läuft ohne Ende – und damit hat es sich schon. Solche Exerzitien des Extravaganten sehen aus wie eine Materialsammlung, die erst noch bearbeitet werden will. Die Texte haben nichts Verstörendes, weil sie in einem luftleeren Raum stehen. Der Leser bekommt einen winzigen Ausschnitt von einer Lebenswelt mit, die in großen Teilen ausgesperrt bleibt. Der Autor gibt sich zufrieden mit einem Sandkorn, und der Strand liegt unbeachtet vor ihm.
Das Ich bei Borowsky macht sich interessant, indem es alles verbannt, was nicht unmittelbar mit ihm zu tun hat. Nur Floskeln wie „ich habe gehört”, „sagt man”, „heißt es” deuten an, dass es andere Instanzen der Wahrnehmung auch noch geben muss. Schon nach einigen Seiten wirkt diese enge, beschränkte, bemüht auf Verschrobenheit angelegte Welt Paul Borowskys allzu selbstgenügsam, allzu bescheiden.
ANTON THUSWALDNER
PAUL BRODOWSKY: Milch Holz Katzen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 73 Seiten, 7 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2002

Aus anderem Holz gedrechselt
Eine Milchmädchenrechnung, die aufgeht: Paul Brodowskys Debüt

"In meiner Wand gibt es jetzt ein Loch", lautet der erste Satz des schmalen Prosabandes von Paul Brodowsky, der fünfundvierzig Miniaturen enthält. Viele dieser Texte füllen auch großzügig gesetzt nicht einmal eine Seite, nur wenige sind länger. Das Loch, von dem hier die Rede ist, kann vieles sein: "Es muß ein Durchbruch sein, aufgestemmt, die Ziegel noch schrotig. Gelegentlich falle ich hinaus. Dahinter scheint kein Tageslicht, aber es ist hell vom Lehm. Vögel leben dort." Ob das prosaische Ich hier in die Rolle eines Tieres schlüpft oder sich vielleicht an Phantasiebilder frühester Kindheit erinnert, bleibt offen. Vielleicht ist auch von jenem kleinen Loch die Rede, durch das die Innenwelt des Autors an die Öffentlichkeit tritt.

Brodowskys Texte erzeugen vom ersten Satz an eine große Neugierde; ihre Ungereimtheiten im eigentlichen Sinne des Wortes lassen eine Spannung wachsen, die nie ganz aufgelöst wird, sondern sich mit jedem zusätzlichen Detail verschärft. Seine Texte sind musikalisch durchkomponiert, sie arbeiten mit Leitmotiven - der Titel nennt einige - und gleichen oft Kadenzen, die mit immer neuen Zwischen- und Untertönen eine Auflösung verweigern. "Aus Holz ist viel", so beginnt einer der titelgebenden Texte, um dann fortzufahren: "Die Tischdecke, Lehm, die Wolken am Abendhimmel." Es folgt eine vermeintliche Erklärung, die in Wahrheit noch mehr verrätselt: "ich meine kaum: Rotbuche, noch weniger: Eibenholz; ich spreche von dem Holz, das seine Kanten verloren hat, am Grund von Seen liegt." Der Stoff, aus dem diese Traumgebilde sind, findet sich nicht in realen Landschaften, sondern auf weiten, unbegrenzten Sprachebenen.

Dennoch bleibt hier nichts abstrakt. Ländliche Welten werden hier mit allen Sinnen evoziert, Wälder, Küsten, ein Bauern- oder Fischerhaushalt mit mehreren Geschwistern, die allerdings nichts Idyllisches haben, sondern wie im überscharfen Bewußtsein eines Kindes ins Monströse gleiten. Schnecken, die ihre dünne, glänzende Spur auf dem Körper zurücklassen, oder tote Wespen werden zur Bedrohung, ein unerklärlicher Gasgeruch liegt in der Luft, ein dünner Aschefilm findet sich allerorten, selbst auf der Zunge der Geliebten. Des Nachts sind merkwürdige Geräusche zu hören - Holzwürmer, die die Dielen des Zimmers durchlöchern - oder ein unerträgliches Rauschen in der späteren Wohnung in der Stadt. Manches klingt nach märchenhaft-verspielter Verfremdung erwachender Sexualität, wie das von halb ekligen, halb lockenden Gerüchen umgebene "Milchmädchen" oder "Die Molchfrau" mit den kalten und feuchten Händen, die in einem geheimen Zimmer eines weitläufigen Gebäudes haust. In anderen Stücken bricht - etwa in Gestalt des "Amselmanns" mit seinen blutigen Netzen - rohe Gewalt aus.

Die romantische Sehnsucht nach der verlorenen Einheit mit der Natur ist hier umgeschlagen in schleichende Renaturalisierung der Umwelt des Ichs, in die Fortdauer organischer Vorgänge im menschlichen Tun. Alles wird zur Feldarbeit, zur Kultur im ursprünglichen Wortsinne. Der Vater, der eines Abends beschließt, er werde Orgel spielen, legt im Garten Dampfgänge, setzt "ganze Register" an wie Kohlköpfe. Im Badezimmer wachsen "Rohrkolben". Manchmal werden Märchenmotive verwendet, so das vom Hasen und Igel. Der Igel, der in mehreren Stücken den Namen Einar trägt, hinterläßt Spuren, doch bleibt selbst unsichtbar. Die stumme Natur bildet eine allgegenwärtige und doch geheime Welt im Hintergrund, die den alltäglichen Kausalitäten ins Handwerk pfuscht, aber nie wirklich dingfest zu machen ist: "Ich habe gehört, daß Igel Schlangenfleisch mögen; ich kann mir nie sicher sein, die Spuren bleiben zu selten. Einar bleibt ruhig. Ich, angestachelt, sitze neben meinen Beeten, wartend", heißt es in "Schwache Witterung", dem letzten Text des Bandes.

Die Unmöglichkeit der Kommunikation mit der Flora und Fauna, die als Gegenwelt mit eigenen Gesetzen jenseits bearbeitender, "kultureller" Logik mehr sinnlich erfühlt als erfahren wird, ist das eigentliche Thema Brodowskys. In "Babel" wird der Turmbau mit seinen Materialien, den Holzgerüsten, den Hanfseilen, den Bronzenägeln konkret heraufbeschworen. Der Text endet mit dem Gerücht, "die Kranleute, die Händler an den Rändern" hätten angefangen, "für die Waren eigene Wörter zu benutzen". Und in "Noah" fragt sich das Ich am Ruder der Arche, ob es angesichts der Möwe mit dem Ast im Schnabel nicht doch den Kurs besser ändern soll.

Die Bewegung weg von der Zivilisation, zurück in eine ursprüngliche Zwiesprache mit der Natur, in die Einsamkeit des Meeres, ist ein urromantischer Topos. Doch indem er in der Variation des Mythos Sprache wird, wird zugleich seine Unmöglichkeit eingestanden. "Abends flicke ich die Netze, das Garn wird noch Jahre reichen" - von dem 1980 in Kiel, also am Meer geborenen Brodowsky ist nach diesem überraschend ausgereiften Beginn noch einiges zu erwarten.

RICHARD KÄMMERLINGS

Paul Brodowsky: "Milch Holz Katzen". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 80 S., br., 7,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Da geht einer hin und will sich partout an Ilse Aichinger messen, schreibt Samuel Moser nicht ohne Bewunderung. Das verlange "Mut zum Epigonalen" und den stelle der erste 22-jährige Paul Brodowsky durchaus unter Beweis. 45 Kurzprosatexte seien entstanden, die bis in die Textarchitektur nach Aichinger klingen: ihre Paradoxien, ihr Witz, ihre fröhliche Resignation, ihr Kampfgeist, all das lässt sich bei Brodowsky wiederfinden, meint Moser, und es ist "nicht einmal schlecht gemacht, im Gegenteil". Dennoch, etwas fehlt. Brodowsky ist nicht Aichinger, auch wenn er fast wie sie schreiben kann. Er ist einfach zu jung, findet Moser. Aichingers Dissidenz sei aus Lebenserfahrung erwachsen, dagegen spüre man bei Brodowsky nur eine "melancholische Komponente". Zu viel Können sei das Problem dieses Autors, der zukünftig erst lernen müsste zu verlernen, auch wenn das paradox klinge. Für den Anfang aber, meint Moser, ist es nichts Schlechtes, sich an Ilse Aichinger abzuarbeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH