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Mit seiner auch methodisch anspruchsvollen Untersuchung zur Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte der SBZ und frühen DDR betritt der Autor Neuland.
Er beschreibt die kirchlichen Strukturen, die sich unter Einfluß des Berliner Kardinals von Preysing formten, und wendet sich dann - gestützt auf weitverzweigte Archivrecherchen - der politischen Außenvertretung, dann den einzelnen Sozialisationsbereichen (religiöse Erziehung, Kindergarten, Schule) und der Ausbildung der Funktionseliten zu. Auch werden die Hilfe der Caritas und die katholische Presse-, Hörfunk- und Verlagspolitik jener Zeit…mehr

Produktbeschreibung
Mit seiner auch methodisch anspruchsvollen Untersuchung zur Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte der SBZ und frühen DDR betritt der Autor Neuland.

Er beschreibt die kirchlichen Strukturen, die sich unter Einfluß des Berliner Kardinals von Preysing formten, und wendet sich dann - gestützt auf weitverzweigte Archivrecherchen - der politischen Außenvertretung, dann den einzelnen Sozialisationsbereichen (religiöse Erziehung, Kindergarten, Schule) und der Ausbildung der Funktionseliten zu. Auch werden die Hilfe der Caritas und die katholische Presse-, Hörfunk- und Verlagspolitik jener Zeit eingehend analysiert. Die zahlreichen, meist unveröffentlichten Fotos ergänzen das eindrucksvolle Bild.
Autorenporträt
Wolfgang Tischner, Dr. phil., geb. 1967, ist wiss. Ass. am Historischen Seminar der Univ. Leipzig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2001

Abgetrotzte Freiräume
Die katholische Kirche in der SBZ/DDR bis 1951

Wolfgang Tischner: Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945-1951. Die Formierung einer Subgesellschaft im entstehenden sozialistischen Staat. Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 90. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 640 Seiten, 148,- Mark.

Von einem katholischen Milieu läßt sich mit Blick auf die DDR kaum reden. Dazu gehören mindestens der Schützenverein, die Fronleichnamsprozession und die schulklassenweise Vorbereitung auf die Erstkommunion. Und dennoch: Die Katholiken in Ostdeutschland haben dem sozialistischen Totalitätsanspruch Freiräume zur eigenen Entfaltung abgetrotzt. Dabei ging es keineswegs nur um das bloße Überleben einer weltanschaulichen Minderheit in einem atheistisch-repressiven System. Gerade in den ersten Nachkriegsjahren hatte die katholische Kirche in der entstehenden DDR mehr Gestaltungskraft, als bisher wahrgenommen wurde, so die These von Wolfgang Tischner. Wie aber schaffte es der Katholizismus in Ostdeutschland, sich seine Nischen zu erkämpfen und 40 Jahre Sozialismus einigermaßen unbeschadet zu überstehen?

Am Kriegsende war die katholische Kirche in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in einer erbärmlichen Lage. Die Diözesen waren durch neue Zonengrenzen zerrissen. Unter den Flüchtlingen aus dem Osten waren viele Katholiken, die die vorhandenen Gemeindestrukturen zu überfordern drohten: Von 1939 bis 1946 war die Zahl der Katholiken auf dem Gebiet der SBZ von 960 000 auf 2,1 Millionen gestiegen. Von der sowjetischen Besatzungsmacht war alles andere als eine kirchenfreundliche Politik zu erwarten.

Viel hing in dieser Situation von der Person des Berliner Bischofs ab. Konrad Graf von Preysing-Lichtenegg-Moos hatte das Amt seit 1935 inne. Bei Kriegsende war er 65 Jahre alt und kein bißchen amtsmüde. In den letzten fünf Jahren seines Lebens war er der wichtigste Geburtshelfer der katholischen "Subgesellschaft", die sich vor allem in Auseinandersetzungen um den Religionsunterricht, kirchliche Jugendarbeit und Presse profilierte. Tischner entscheidet sich für dieses Gesellschaftsmodell, das er knapp unterhalb der Schwelle der Milieubildung ansiedelt.

Eines der drängendsten Probleme angesichts der neuen kommunistischen Machthaber war die Frage nach der politischen Aktivität von Katholiken. Wie riskant war es, kritisch Stellung zu beziehen? Wie groß war die Gefahr der politischen Vereinnahmung? Zum ersten Volkskongreß Ende 1947 waren auch kirchliche Vertreter geladen. Daß er den Verzicht auf freie Wahlen bedeutete und den Weg in die Diktatur vorzeichnete, war offenbar nicht allen katholischen Verantwortlichen klar. Der Thüringer Generalvikar Josef Freusberg hatte seine Ansprache schon vorbereitet, als der Berliner Bischof ihn "zurückpfiff".

Nur Tage später veröffentlichte Preysing seinen Maulkorberlaß: Politische Äußerungen waren fortan nur dem Diözesanbischof oder dem gesamten deutschen Episkopat erlaubt. Die katholische Kirche zog sich damit bewußt in ein Ghetto zurück, um unerwünschte Kollaboration zu verhindern. Das Beispiel seines Meißener Amtskollegen Petrus Legge rechtfertigte aus Sicht des Berliner Bischofs das harte Durchgreifen. Legge hatte 1949 auf Wunsch der sowjetischen Besatzungsmacht in einem Hirtenwort zur Unterstützung der staatlichen Friedensbewegung aufgerufen. Nachdem der Text bereits verlesen war, änderte er ihn noch einmal um und benutzte unter Druck sogar kommunistische Terminologie.

Preysing hingegen ging einer Konfrontation mit dem neuen Regime nicht aus dem Weg. Die Staatsgründung der DDR kommentierte er in einem kritischen Hirtenbrief, der in der ersten Fassung mit denselben Worten begann wie die Enzyklika von Pius XI. gegen den Nationalsozialismus (Mit brennender Sorge). Wieder war es der Bischof von Meißen, der durch Opportunismus auffiel und sich als einziger weigerte, das Bischofswort gegen den Materialismus auf der Kanzel zu verlesen.

Trotz oder gerade wegen des Verzichts auf politische Aktivitäten erreichte die katholische Kirche jedoch erhebliche Zugeständnisse im sozialen Bereich: Durch entsprechende Lobbyarbeit wurde in der DDR-Verfassung immerhin das Recht auf Religionsunterricht in kirchlicher Eigenregie in den staatlichen Schulräumen festgeschrieben. In Berlin gab es sogar einige halblegale katholische Privatschulen, auf die überzeugte Eltern ihre Kinder aus ganz Ostdeutschland schicken konnten.

Während die katholische Kirche sich formal an der Gründung der einheitlichen FDJ-Organisation beteiligte, baute sie nebenher die eigene Jugendarbeit unter Berufung auf die Kultfreiheit kräftig aus. Attraktiv für Jugendliche waren dabei nicht zuletzt die materiellen Vorteile - beispielsweise bei Sommerlagern -, die sich aus den Spenden der westlichen Glaubensgenossen ergaben.

Für die Geschlossenheit der katholischen Weltanschauung war nicht zuletzt die Presse von großer Bedeutung. Im katholischen "Petrusblatt", das offiziell nur rein kirchliche Nachrichten enthalten durfte, waren immer häufiger auch politische Analysen und Kommentare versteckt. Es war das einzige Blatt, das während der ganzen Berlin-Blockade ununterbrochen erschien und sogar in die SBZ geliefert wurde. Da die Lieferung außerhalb Berlins verboten war, holten Pfarrer sich die Exemplare selbst ab oder ließen sie sich mit Privatpost ohne Absender zuschicken.

Tischners Studie basiert auf einer Fülle von akribisch aufbereitetem Archivmaterial. Das Resultat ist eindeutig: Die Katholiken auf dem Gebiet der DDR haben es in den ersten Nachkriegsjahren offenbar bestens verstanden, sich den Zugriffen der atheistischen Machthaber zu entziehen. Es spricht also viel dafür, sie trotz ihrer geringen Zahl mit den Worten Tischners als die "interessantesten Gegner der SED" zu sehen.

ULRIKE KOLTERMANN

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Tischner hat sich ausgiebig in diverse Archive begeben und das ans Tageslicht beförderte Material über die Katholische Kirche in der DDR gründlich aufbereitet, lobt Ulrike Koltermann, die bar erstaunt ist darüber, wie geschickt die Katholiken in den ersten Nachkriegsjahren den atheistischen Staat hintergingen und erfolgreich ihren Glauben praktizierten, Presseorgane, Religionsunterricht an staatlichen Schulen und Privatschulen inklusive. Einen Preis musste die Kirche allerdings dem Staat entrichten, berichtet die Rezensentin: Eine politische Aktivität war Tabu. Allerdings umging die Kirche im Laufe der Zeit auch das, in dem sie in eigenen Publikationen zumindest versteckt politische Analysen unterbrachte, wie der Leser erfährt.

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