Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 13,19 €
  • Gebundenes Buch

Vor 175 Jahren schrieb Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland das Deutschlandlied - heute die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Untergang des "Dritten Reichs" reichten Tausende von Deutschen selbst Ideen ein. Diese zahlreichen Vorschläge lassen einen Blick in die verwundete deutsche Nachkriegsseele zu.Die Bonner Republik hatte zunächst keine eigene Hymne. Dies wurde besonders augenfällig, als mit zunehmender staatlicher Selbstständigkeit sich vermehrt offizielle Kontakte zum Ausland ergaben. Die Hymnen-Abstinenz der Bundesrepublik wurde in den Briefen an die Bundesorgane…mehr

Produktbeschreibung
Vor 175 Jahren schrieb Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland das Deutschlandlied - heute die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Untergang des "Dritten Reichs" reichten Tausende von Deutschen selbst Ideen ein. Diese zahlreichen Vorschläge lassen einen Blick in die verwundete deutsche Nachkriegsseele zu.Die Bonner Republik hatte zunächst keine eigene Hymne. Dies wurde besonders augenfällig, als mit zunehmender staatlicher Selbstständigkeit sich vermehrt offizielle Kontakte zum Ausland ergaben. Die Hymnen-Abstinenz der Bundesrepublik wurde in den Briefen an die Bundesorgane bedauert und teilweise harsch kritisiert.Waschkörbe voller Anregungen wurden in den Jahren 1949-1952 nach Bonn geschickt. Clemens Escher hat die damaligen Zuschriften und die Debatten um sie systematisch auf-gearbeitet. Seine Untersuchung liefert überraschende Ein-sichten in Kontinuitäten und Umbrüche des deutschen Selbstverständnisses - nicht zuletzt auf die Sehnsuchtsland-schaften, wie mansich, im Liede ausgedrückt, "sein" Deutschland wünschte.Das fieberhafte Aufsuchen eines deutschen Arkadiens nennt Escher eine "Epochenverschleppung" im Bewusstsein der Bundesbürger. Er hinterfragt dieses Verschmelzen des Neu-en mit dem Dagewesenen.
Autorenporträt
Clemens Escher, 1980 in Berlin geboren, promovierte mit vorliegender Arbeit im Fach Geschichte an der TU Berlin. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2017

Menschlichkeit, Du über alles!
Nationalhymnen-Suche

Vor 175 Jahren dichtete August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zur Melodie des Kaiserquartetts von Joseph Haydn das Lied der Deutschen - im August 1841, als Maas, Memel, Etsch und Belt ungefähr das Gebiet umrissen, in dem Deutsch gesprochen wurde, und als das "Deutschland, Deutschland über alles" der ersten Strophe auch die Sehnsucht nach einem geeinten Vaterland zum Ausdruck brachte. Im August 1922 führte Reichspräsident Friedrich Ebert das dreistrophige Lied als Nationalhymne ein und begründete dies mit der dritten Strophe: "Einigkeit und Recht und Freiheit". Das "Dritte Reich" kombinierte die erste Strophe des Hoffmann-Haydnschen Liedes mit Horst Wessels primitivem Gesang "Die Fahne hoch"; so entstand eine Art Doppelhymne mit getragenem ersten und marschmusikmäßigem zweiten Teil.

Nachdem sich die DDR für die Becher/Eisler-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" entschieden hatte, wollte die junge Bundesrepublik die "Proklamation der Bundeshymne" dem Bundespräsidenten überlassen. "Die im Deutschlandlied besungenen Gewässer gehörten nach 1945 allesamt nicht mehr zum deutschen Hoheitsgebiet, sie waren stets, um es vorsichtig zu formulieren, prekäre Grenzmarken gewesen. So hob auch Theodor Heuss immer wieder hervor: Das Deutschlandlied sei zu einer ,Irredenta-Hymne' geworden", konstatiert Clemens Escher in seiner gediegenen Studie über die Deutschen auf der Suche nach ihrer Nationalhymne. Dazu wertet er "Wäschekörbe voller Anregungen" aus, die damals in Bonn eingingen und heute im Bundesarchiv lagern.

Ausgangspunkt war der "Coup" des Bundeskanzlers Konrad Adenauer von Mitte April 1950 im West-Berliner Titania-Palast; zum Abschluss seiner Rede ließ er die dritte Strophe des Deutschlandliedes anstimmen. Nicht nur die SPD-Opposition fühlte sich düpiert, sondern auch Bundespräsident Theodor Heuss. Er trug sich längst mit dem Gedanken, eine neue Nationalhymne einzubringen; den Text bestellte er bei Rudolf Alexander Schröder. Dessen drei Strophen begannen mit "Herz der Treue, Vaterland", "Herz der Hoffnung, Heimatland" und "Herz der Liebe, deutsches Land". Die Trias Treue/Hoffnung/Liebe ersetzte der Bundespräsident nun durch Glaube/Liebe/Hoffnung: "Land des Glaubens, deutsches Land" hieß sein Anfang der ersten Strophe. Gegen diese "Verchristlichung" protestierte Schröder erfolglos. Nach einem Hymnen-Testlauf - vertont von Hermann Reutter - im Zuge der Silvesteransprache 1950 im Rundfunk erntete Heuss viel Hohn, Spott und Kritik. So meinte beispielsweise Bundestagspräsident Hermann Ehlers im März 1951, durch Aneignung jener drei aus der Bibel stammenden Begriffe auf "sehr innerweltliche Vorgänge" sei es zu Formulierungen gekommen, "die als abwegig bezeichnet werden müssen".

Den zahlreichen Eingaben - teils Umdichtungen, teils Neudichtungen - wendet sich Escher mit großer Akribie und durch selbstgesetzte Schwerpunkte wie "Generationenkluft und Erwartungsgemeinschaft", "Antikommunismus und Wiederbewaffnung", "Bacchus und Venus", "Gotteslob und Nationalismus", "Raum und Identität" sowie "Schuld und Verdrängung" zu. Oft wurden nur kleine Veränderungen der ersten Strophe des Textes von 1841 nach Bonn übermittelt: "Deutschland, Deutschland, Du mein alles" oder "Menschlichkeit, Du über alles, über alles in der Welt". Als Reaktion auf den Heuss-Vorstoß berichtete der Pfarrer und SPD-Politiker Heinrich Albertz im Januar 1951 dem Staatsoberhaupt vom "ungeheueren Eindruck" beim Besuch des ersten Länderspiels der Nationalmannschaft gegen die Auswahl des schweizerischen Fußballverbandes in Stuttgart am 22. November 1950. Imponiert hatte Albertz "die dreiminütige Schweigeminute als Hymnenersatz" - für ihn eine adäquate Antwort auf den Hymnen-Streit. Albertz sah laut Escher im Schweigen "eine provisorische Lösung für den provisorischen Staat".

Der Autor erkennt bei den Zuschriften einen "konstant hohen Anteil antisemitischer Vorurteilsmuster" ebenso wie "Mechanismen der Entlastung" beim Blick zurück auf die Zeit vor 1945. Escher spricht von Adenauers "Politik der Unempfindlichkeit" und diagnostiziert im Anschluss an Gregor von Rezzori eine "spezielle Form der Epochenverschleppung": In den Hymnenvorschlägen "malte eine gefühlsstarke Gemeinschaft dafür das Panoramabild einer vergangenen heilen Welt. Dort waren die Menschen nah bei Gott, dieser war nah bei den Deutschen." Heuss lenkte bekanntlich erst Anfang Mai 1952 ein und stimmte widerwillig dem Wunsch Adenauers zu, das Hoffmann-Haydnsche Lied "als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden." Allerdings verzichtete er auf eine "feierliche Proklamation" der eigenen Niederlage.

RAINER BLASIUS

Clemens Escher: "Deutschland, Deutschland, Du mein Alles!" Die Deutschen auf der Suche nach ihrer Nationalhymne 1949 - 1952. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017. 364 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2017

Der Nationalchoral
Wie Anfang der Fünfziger die neue Deutschlandhymne diskutiert wurde
Am 11. November 1950 wurde in Stuttgart das erste Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem Krieg ausgetragen. Statt die Nationalhymnen zu spielen, wurde eine Schweigeminute eingelegt. Das Sport-Magazin berichtete: „Totenstille herrschte im Rund der 115 000, die gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorbei.“ Auch Heinrich Albertz, der spätere Regierende Bürgermeister Berlins, empfing einen „ungeheuren Eindruck“. Das Schweigen schien ihm die richtige Antwort auf die „Hymnenfrage“ zu sein.
Es liegt auf der Hand, dass das Schweigen, so stark es 1950 gewirkt haben muss, nicht eine Lösung auf Dauer sein konnte. Zu sehr wirkte es negativ, zu stark empfand man die Lücke, die es markierte. Anderthalb Jahre später war die Lücke geschlossen. In einem Briefwechsel mit Konrad Adenauer bestimmte der Bundespräsident Theodor Heuss das Deutschlandlied Hoffmanns von Fallersleben zur Nationalhymne, ohne seinen Unwillen darüber zu verbergen. Heuss hatte die „Hymne an Deutschland“ von Rudolf Alexander Schröder (Musik Hermann Reutter) entschieden bevorzugt, „Land des Glaubens, deutsches Land“, war damit aber in der Öffentlichkeit nicht durchgedrungen.
„Deutschland, Deutschland, Du mein Alles! Die Deutschen auf der Suche nach ihrer Nationalhymne 1949 – 1952“ hat Clemens Escher sein Buch betitelt, das aus einer Dissertation hervorgegangen ist. Der Untertitel irritiert ein wenig, es sind nur die Westdeutschen auf der Suche, in der DDR war schon 1949 die Entscheidung für „Auferstanden aus Ruinen“ gefallen. Das setzte den Westen unter Druck. Die DDR-Hymne wurde als so zugkräftig empfunden, dass etwas ähnlich Effektvolles hermusste. Man möchte meinen, dass das kriegszerstörte Land andere Sorgen hatte.
Aber die Hymne beschäftigte die Bevölkerung stark. Selbst die Illustrierte Die Bunte veranstaltete ein Preisausschreiben zu der Frage. Wenn es stimmt, was ihr Herausgeber behauptete, dass zehn Prozent der Leser ihm darauf geschrieben hätten, ist das ein erstaunliches Zeichen der Anteilnahme. Daran scheiterte auch Rudolf Alexander Schröders „Hymne an Deutschland“. Aus allen Ecken wurden Einwände vorgetragen, darunter auch substanzielle.
Deren wichtigster war die starke christliche Aufladung. Die neue Hymne rief in den drei Strophenanfängen (Land des Glaubens – Land der Hoffnung – Land der Liebe) die Tugenden aus dem 1. Korintherbrief des Paulus auf. Der Sozialdemokrat Kurt Schumacher sprach vom „Nationalchoral“, aber auch die religiös Empfindenden waren irritiert. Der Bundestagspräsident Hermann Ehlers, CDU-Abgeordneter, ein Mann der bekennenden Kirche, beanstandete die „Infiltration pseudoreligiöser Gedanken in die Politik“.
So wurde nicht nur in der politischen Elite gedacht. Es ist der Vorzug Clemens Eschers, sich gerade für das zu interessieren, was der Durchschnittsbürger dachte. Sein Quellenmaterial sind die vielen Hundert Briefe zum Hymnenproblem, die den Bundespräsidenten und die Regierung erreichten. Auch hier überwiegt die Ablehnung der Schröder-Hymne. Ein Kommunalpolitiker aus dem Landkreis Flensburg moniert: „Wir sind weit davon entfernt, das Land des Glaubens und der Liebe zu sein“, und erinnert an die Judenverfolgung.
Wer sich zu einem Brief an den Bundespräsidenten oder die Regierung aufrafft, hebt sich allein dadurch natürlich vom Durchschnitt der Bevölkerung ab. Aber den Umfragen zufolge, die damals unternommen wurden, artikulierte sich, was weit verbreitet war, in individuellen Farben allerdings, gelegentlich witzig, oft nur unfreiwillig komisch, aber immer aufschlussreich. Deutsche Frauen und deutsche Treue werden noch einmal Thema, gerade weil ja alle von der Fraternisierung wussten und den Verhältnissen mit alliierten Soldaten („Amiliebchen“).
Die Mehrheit der Schreiben (vor allem die von Frauen) bemüht sich um Förmlichkeit, aber es gibt auch den munteren, ganz ungenierten Ton. Auffällig, wie barsch Heuss vielen Briefschreibern antwortete. Einige Autoren verweisen auf die deutsche Schuld, die die Hymnenfrage bestimmen müsse, die meisten aber sind von solchen Empfindungen frei und beanspruchen für Deutschland das, was andere Nationen auch zustehe. So ist das alte Deutschlandlied der Favorit. Wenn auch die SPD zögerte – sie hatte ihre eigenen Lieder –, so dürfte ihre Wählerschaft nicht ganz anders gedacht haben als die der Union und der FDP.
Dass es zuletzt auf das Deutschlandlied und seine dritte Strophe hinauslief, sorgte im Ausland für Unbehagen. Das Luxemburger Wort schrieb: „Die Aufwertung des Deutschlandliedes an sich wäre ein kleiner Fisch. Aber aus Heussens müden Worten ergibt sich die Resignation, dass das Alte wieder aufkommt und nicht einmal so viel Neues entstand, wie in eine armselige Nationalhymne hineingeht.“ Das war eine kluge Bemerkung und doch als Analyse der deutschen Dinge falsch. Denn eine Hymne ist etwas anderes als der Zukunftsentwurf einer Gesellschaft. Escher bedient sich eines Ausdrucks, den der Schriftsteller Gregor von Rezzori prägte: Epochenverschleppung. Jede Generation führt Vergangenheitsmaterial mit sich, das in ihre Gegenwart hineinwirkt. Das ist unvermeidlich und für eine Hymne nicht einmal schlecht.
Denn ihre Bedeutung besteht darin, der Nation eine Versicherung ihrer Stabilität zu geben. Die Niederländer singen mit dem „Wilhelmus“ ein Lied, dessen Ich erklärt, von deutschem Blute zu sein und den spanischen König immer geachtet zu haben. In „Jerusalem“, einer der halboffiziellen Hymnen Großbritanniens, singt man, nicht ablassen zu wollen vom geistlichen Streit. Das nimmt kaum jemand buchstäblich. Aber es spricht sich die Dauer der Nation in der Vergangenheit aus, der eine ähnliche Dauer in der Zukunft entsprechen soll.
STEPHAN SPEICHER
Clemens Escher: „Deutschland, Deutschland, Du mein alles!“. Die Deutschen auf der Suche nach ihrer Nationalhymne 1949 – 1952. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017. 364 Seiten, 39,90 Euro. E-Book 31,99 Euro.
„Wir sind weit davon entfernt, das
Land des Glaubens und der Liebe
zu sein“, schrieb ein Politiker
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr