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Ingrid Buchloh zeichnet ein neues und facettenreiches Bild eines Menschen und bedeutenden Künstlers, der immer noch vielen als »williger Diener der Nazis« gilt: Ein besessener Künstler zwischen Anpassung und Widerstand. Goebbels hielt Harlan für den Fähigsten aller deutschen Regisseure und hatte erkannt, dass sich Harlan-Filme aufgrund ihrer Emotionalität für eine subtile Vermittlung von NS-Botschaften nutzen ließen. Präzise Filmanalysen sowie die kritische Auswertung wichtiger Quellen und unbekannter Dokumente belegen, wie Goebbels die Entstehung der Filme bis hin zu kleinsten filmischen…mehr

Produktbeschreibung
Ingrid Buchloh zeichnet ein neues und facettenreiches Bild eines Menschen und bedeutenden Künstlers, der immer noch vielen als »williger Diener der Nazis« gilt: Ein besessener Künstler zwischen Anpassung und Widerstand. Goebbels hielt Harlan für den Fähigsten aller deutschen Regisseure und hatte erkannt, dass sich Harlan-Filme aufgrund ihrer Emotionalität für eine subtile Vermittlung von NS-Botschaften nutzen ließen. Präzise Filmanalysen sowie die kritische Auswertung wichtiger Quellen und unbekannter Dokumente belegen, wie Goebbels die Entstehung der Filme bis hin zu kleinsten filmischen Details kontrollierte und solange korrigierend eingriff, bis sie seinen propagandistischen Absichten dienlich waren. Veit Harlans Versuche, durch Verweigerung, Taktieren oder künstlerische Gestaltung Goebbels' Befehle zu unterlaufen, misslangen. Er stand jedoch bis zum Schluss zu seinen jüdischen Freunden und setzte sich im Beruf für Verfolgte des NS-Regimes ein. Die Politisierung des »FallsVeit Harlan« nach dem Krieg erlaubt einen Einblick in den Prozess der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit und den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland.
Autorenporträt
Ingrid Buchloh, Dr. phil., geboren 1942, Historikerin, studierte Geschichte und Romanistik an der Universität Köln und promovierte in Düsseldorf bei Wolfgang J. Mommsen mit einer Arbeit über die nationalsozialistische "Machtergreifung". Bis 2004 unterrichtete sie als Studiendirektorin am Gymnasium und arbeitete am Studienseminar in der Referendarausbildung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2010

Freispruch für den Starpropagandisten
Eine neue Studie fragt: War Veit Harlan heimlich ein Widerstandskämpfer?

Veit Harlan gehört zu den kontroversen Regisseuren der deutschen Filmgeschichte. Der hochbegabte, fanatische Filmemacher begann seine Künstlerkarriere 1918 als Schauspieler am Theater und wechselte dann zum Film. Wie viele andere Schauspieler, Regisseure und Wissenschaftler durchlebte er drei politische Systeme. In der Weimarer Zeit drehte er weitgehend belanglose, finanziell erfolgreiche Unterhaltungsfilme. In der Nazizeit schuf er Propagandafilme, die den deutschen Film weltweit diskreditierten ("Jud Süß", "Kolberg"). Und nach dem Zweiten Weltkrieg verlegte er sich wieder auf das Genre des Melodrams.

Ingrid Buchlohs materialreiches und detailliert gearbeitetes Buch zeichnet diese drei Perioden im Leben von Veit Harlan nach. Dabei lässt sie sich von dem Ziel leiten, ein differenzierteres Bild als das nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschende zu zeichnen. Damals galt Harlan als der Inbegriff des diabolischen Filmemachers, hatte er doch die Großprojekte des nationalsozialistischen Propagandaministers Joseph Goebbels publikumswirksam in Szene gesetzt. Buchloh schildert das komplexe Verhältnis zwischen dem Künstler Harlan und dem Agitator Goebbels eindrucksvoll in dem Kapitel über die Entstehung des antisemitischen Films "Jud Süß". Man liest mit Interesse, in welchem Umfang das Goebbelssche Ministerium in die konkrete Filmgestaltung eingriff. Dass das Verhältnis von Harlan und Goebbels dabei konfliktreich war, ist überzeugend dargetan.

Auch im Kapitel über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich Harlan wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu verantworten hatte, werden detailliert Zeugenaussagen berühmter deutscher Regisseure und Schauspieler in den Prozessen geschildert und kontroverse Positionen über den Beitrag von Harlan zur Vernichtung der Juden dargestellt. Dass Harlan in den letzten Jahren seines Lebens Ansätze von Selbstkritik erkennen ließ, notiert man mit einer gewissen Erleichterung angesichts der beklemmenden Schilderungen. Am Schluss gestand er seine Unfähigkeit ein, sich "Goebbels' verbrecherischen Händen zu entwinden".

Buchloh arbeitet das Dilemma zwischen dem von seiner Kunst besessenen Filmemacher und seiner Anpassung an die nationalsozialistische Filmpolitik präzise heraus. Was an dem Buch jedoch stört, sind Sätze wie der folgende: "Veit Harlans Haltung zum NS-Regime lässt sich kaum aus seinen Auftritten als ,Starregisseur' des Dritten Reiches, seinen öffentlichen Statements oder seinen von Goebbels oktroyierten und propagandistisch zugeschnittenen politischen Filmen erschließen. Sie ist vielmehr daran festzumachen, wie er im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchte, sich Goebbels' Propaganda-Aufträgen zu entziehen beziehungsweise dessen Anweisungen zu unterlaufen."

Es sei nicht bestritten, dass sich Veit Harlan in dem einen oder anderen Fall den Anweisungen des Propagandaministers widersetzte. Man will auch glauben, dass er sich für einige jüdische Kollegen engagierte. Das ändert aber nichts an Inhalt und Wirkung von Filmen wie "Jud Süß" und "Kolberg", die noch heute wegen ihrer antisemitischen oder kriegsverherrlichenden Tendenz nicht öffentlich aufgeführt werden dürfen. Es befremdet der Duktus des Buches: einen der perfidesten Filmemacher der deutschen Geschichte als eine Art Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus darzustellen.

Der Rechtfertigungscharakter des Buches mag sich daraus erklären, dass die Autorin selbst zur Harlan-Familie gehört und sich seit vielen Jahren mit ihr wissenschaftlich auseinandersetzt. So steht neben dem Verdienst des Buches, die Geschichte des Filmregisseurs Harlan neu zu schreiben, der Ärger darüber, dass dem Starregisseur der Nazis durchgehend attestiert wird, er habe außer Tod und Existenzvernichtung keine andere Alternative gehabt, als sich Goebbels' Diktum zu beugen. Und das angesichts der Tatsache, dass viele deutsche Schauspieler und Filmemacher durchaus nicht den Befehlen der Nazis folgten. Der Ärger über das Buch erreicht seinen Höhepunkt, wenn im Kapitel zur Entstehung von "Jud Süß" Harlan als eine Art Widerstandskämpfer gegen Goebbels stilisiert wird.

Ingrid Buchlohs erneute Beschäftigung mit Veit Harlan ist ein begrüßenswertes Projekt. Die Präsentation von historischem Material, das die Politisierung der deutschen Filmindustrie belegt, ist ein großes Verdienst. Ebenso vermag die Schilderung von Harlan als einer komplexen Persönlichkeit, die zwischen politischem Einfluss und künstlerischem Engagement zerrissen war, zu überzeugen. Nicht akzeptabel jedoch ist es, wie der Schauspieler Otto Wernicke formuliert hat, den "absoluten Propagandist(en) des Dritten Reiches" unter Hinweis darauf, er sei nicht Mitglied der NSDAP gewesen und habe einzelnen jüdischen Kollegen geholfen, von der politischen Verantwortung freizusprechen.

RAINER ERD

Ingrid Buchloh: "Veit Harlan". Goebbels' Starregisseur. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010. 347 S., geb., 34,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2010

Eine Kerze
für Veit Harlan
Eine neue Biographie versucht die Ehrenrettung von
Goebbels’ „Jud-Süß“-Regisseur – und scheitert gewaltig
Im Dritten Reich fehlte es an manchem, aber gewiss nicht an Spiel und Scherz. Komödien und Tanzfilme mit Marika Rökk und Heinz Rühmann lieferten das Allotria, das die Deutschen zwischen Arbeitsdienst und Winterhilfswerk bei Laune hielt. Der auch fürs Kino zuständige Propagandaminister Joseph Goebbels zeigte Herz und wollte den Volksgenossen keine politischen Filme zumuten. Die Leute sollten zwischen den Führer-Reden auch was zu lachen haben.
Eine besonders komische Szene muss sich im späten Sommer vor siebzig Jahren auf einer Gondelfahrt bei den Festspielen in Venedig zugetragen haben. Die alten Paläste zogen vorbei, eine neapolitanische Künstlertruppe sang, und Goebbels schäkerte so launig, dass die Hauptdarstellerin seiner neuesten Produktion in den Canal Grande sprang. „Sie konnte diese Redensarten nicht mehr mit anhören und war bekleidet, als es geschah“, wie sich der Reiseorganisator, der damalige Filmbeauftragte Fritz Hippler, erinnerte. Als ein anderer Zeuge behauptete, dass Frau Kristina Söderbaum dem Minister zulieb keineswegs angezogen war, sondern nackt im Wasser planschte, sprang ihr Mann Veit Harlan empört im Gerichtssaal auf. „Das ist furchtbar, diese Methode, Menschen kaputtzumachen!“
Dieses Kaputtmachen und der Streit um den Zustand, in dem sich die Schauspielerin Söderbaum in Venedig befunden hatte, fand 1949 vor dem Hamburger Landgericht statt. Dort saß Veit Harlan auf der Anklagebank. Dem Regisseur des Films „Jud Süß“ wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – genauer gesagt, es wurde ihm sein Film vorgeworfen. Dieser alte Film rückt jetzt neu ins Bewusstsein, weil Oskar Roehler demnächst „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ ins Kino bringt. Darin erzählt er die Entstehungsgeschichte von Goebbels’ perfidestem Propagandawerk, melodramatisch nachempfunden anhand der Leidensgeschichte des Hauptdarstellers Ferdinand Marian.
Das Original aus dem Jahr 1940 ist so gut wie unbekannt, denn es darf als „Vorbehaltsfilm“ nur gezeigt werden, wenn es mit ein paar Sätzen zur Entstehung und vermuteten Wirkung eingeleitet wird. Die Rechte an „Jud Süß“ liegen bei der bundeseigenen Murnau-Stiftung, die Verstöße gegen dieses faktische Aufführungsverbot im Interesse der vielfach verführten Deutschen streng verfolgt.
Bald nach Kriegsbeginn 1939 und noch vor der sogenannten Endlösung der Judenfrage gab Goebbels einen Historienfilm über Süß Oppenheimer, den Finanzier des württembergischen Herzogs, in Auftrag. Der aufstrebende Harlan sollte die Spielleitung übernehmen, Ferdinand Marian, ein Theaterstar, den Jud Süß geben, der nicht bloß seinen Herzog balbiert, sondern die schöne Arierin Dorothea vergewaltigt, für die wiederum Kristina Söderbaum bereitstand, die schwedische Ehefrau des Regisseurs.
Das Ganze ist staatspolitisch wertvoll, Kunst nicht bloß im Auftrag einer Diktatur, sondern ganz ungeniert als ideologisches Kampfmittel. Goebbels lässt sich den Film am 17. August 1940 vorführen und notiert zufrieden in seinem Tagebuch: „Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.“
Denn bei allem Bemühen, dem Publikum Unterhaltung zu bieten, darf doch nicht vergessen werden, welche Gefahr dem deutschen Volke vom Judentum droht. Harlan zeigt sich bei „Jud Süß“ als Meister seiner Kunst vor allem dann, wenn das Melodram in die hübsch kostümierte Pornographie übergeht. Die Vergewaltigung, insbesondere wenn sie durch einen so gut aussehenden Verführer wie Ferdinand Marian vollführt wird, ist kein Spaß, sondern Illustrierung der Nürnberger Gesetze, die „Rassenschande“ seit 1936 unter Strafe stellten. Als gutes deutsches Mädel weiß die geschändete Dorothea deshalb, was sie zu tun hat: Sie geht ins Wasser. Der Verführer kriegt, was er verdient: Er wird gehängt. Der Film ist aus, dem Gesetz Genüge getan: „Alle Juden haben innerhalb eines Monats Württemberg zu verlassen. Für ganz Württemberg gilt hiermit der Judenbann“, verkündet Dorotheas Vater. Im zweiten Kriegsjahr ist es höchste Zeit, dass die Judenvernichtung als gesamtdeutsche Aufgabe begriffen wird.
Im Jahr vor der Filmpremiere notiert Goebbels eine Vorbesprechung zum „Jud Süßfilm“: Harlan, lobt er, „hat da eine Menge neuer Ideen. Er überarbeitet das Drehbuch noch mal.“ Der Minister wählte die Schauspieler aus, er kontrollierte die Entwürfe, er redigierte das Drehbuch, er griff beim Schnitt ein, denn er wollte einen moralischen Film, einen Film mit einer Botschaft. „Jud Süß“ spielt zwar im 18. Jahrhundert, aber er soll zur Gegenwart sprechen, endet mit einer Mahnung von Dorotheas Vater: „Mögen unsere Nachfahren an diesem Gesetz ehern festhalten, auf dass ihnen viel Leid erspart bleibe an ihrem Gut und Leben und an dem Blut ihrer Kinder und Kindeskinder.“
Es geht um die Juden, es geht um die Reinheit des Blutes, und „Jud Süß“ gehorcht dabei seiner Kriegspflicht vorbildlich. „Man spürt und erkennt aus diesem Film, daß das jüdische Problem in Deutschland innerlich bewältigt ist“, schreibt Karl Korn, der spätere Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen , hoffnungsvoll in der ebenfalls von Goebbels verantworteten Zeitschrift Das Reich . Die Reaktion des Publikums bei der Berliner Premiere erfüllt den Minister mit Stolz: „Der Saal rast. So hatte ich es mir gewünscht.“
Am Tag nachdem Korns Kritik erschienen ist, verfügt Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, unter Tgb. Nr. 35/142/40: „Ich ersuche Vorsorge zu treffen, daß die gesamte SS und Polizei im Laufe des Winters den Film ‚Jud Süß‘ zu sehen bekommt.“ Der Wunsch wird massenhaft befolgt: Innerhalb eines Jahres sahen den Film zwanzig Millionen Deutsche. Veit Harlan, der kein Antisemit war, drehte „Jud Süß“ auf Wunsch, auf Befehl von Goebbels. Hätte er sich nicht gefügt, glaubt Ingrid Buchloh, wäre er vielleicht sogar erschossen worden.
Ingrid Buchloh hat eine neue Biografie über Harlan geschrieben, den sie nicht ganz falsch „Goebbels’ Starregisseur“ nennt ( Veit Harlan. Goebbels’ Starregisseur. Schöningh, Paderborn 2010. 348 Seiten, 34,90 Euro ). Der Minister vertraute ihm nicht nur den berüchtigten „Jud Süß“ und später das Durchhaltedrama „Kolberg“ an. Er ließ ihn auch das Drehbuch für eine Verfilmung des „Kaufmanns von Venedig“ schreiben – das, wie der Regiekollege Helmut Käutner später versicherte, „in seiner gewissenlosen antisemitischen Hetze . . . den Jud- Süß-Film weit in den Schatten“ stellte. Nicht zuletzt sollte Harlan auch einen „Zeitfilm“ über die Schlacht um Narvik drehen und auf besonderen Wunsch des filmnärrischen „Führers“ einen „ganz großen, monumentalen Nibelungenfilm“. Harlan war, wie ihm der Schauspieler Otto Wernicke nach dem Krieg schrieb, „der absolute Propagandist des Dritten Reiches“.
Andererseits war er „ausgesprochener Philosemit“ – jedenfalls bezeichnete er sich in einem seiner Rechtfertigungstexte so, und seine Biografin Buchloh gibt sich große Mühe, dieses Selbstbild zu bestätigen. In ihrer Argumentation steht sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Befehlsnotstands, mit dem Harlan sich bereits 1945 vor der Spruchkammer und 1949/50 in den beiden Prozessen, die gegen ihn angestrengt wurden, verteidigt hatte und auf den sich Wehrmachtsgeneräle wie KZ-Wärter berufen haben. Harlan sah sich – und das ist seine große inszenatorische Leistung, die bedeutendste, die ihm nach 1945 gelang – als Opfer der Nazi-Diktatur, vergleichbar eigentlich nur mit den Juden.
Nicht viel anders als Albert Speer nahm Harlan in den allgemeinsten Umschreibungen eine Schuld auf sich, die ihn selber gar nicht betraf. In einem zweistündigen Schlusswort führt er Staatsanwälte, Richter, Generäle, Künstler, Wissenschaftler an und setzt sie alle neben sich auf die Anklagebank: „Wir alle arbeiteten mehr oder weniger im Namen des Teufels.“ Wenn alle mittaten, kann ihm, dem Angeklagten Harlan, kein Vorwurf gemacht werden. Er war doch unpolitisch, ein Künstler. „Meine Partei ist die Kunst.“ Wenn man ihn nicht mehr weiterarbeiten ließe, fleht er das Gericht an, wäre es vorbei mit ihm: „Mein Leben wäre damit zu Ende.“
Harlan war ein Sündenbock, sein Verfahren ein Schauprozess, aber einer von der feineren Sorte. „Gut angezogene Frauen und Leute ohne Ofen füllen die Zuschauerbänke“, berichtete der junge Reporter Ben Witter 1949 für die Welt aus dem Gerichtssaal. So oft kam es in jenen Tagen nicht vor, dass ein prominenter Mitmacher vor Gericht stand, bestaunt und wohl auch bewundert werden konnte. Und dann war da noch die blonde Schwedin, die als „Reichswasserleiche“ die dunklen Jahre überlebt hatte.
Im Gericht kommt es zu Tumulten, als die „Halbjüdin“ (Ingrid Buchloh folgt der Nazi-Terminologie) Karena Niehoff als „Judensau“ beschimpft wird. Dem jungen Reporter und Prozessbeobachter Ralph Giordano platzt der Kragen, er ruft dazwischen: „Es sitzen hier nur Antisemiten im Saal! Das sage ich als ehemaliger rassisch Verfolgter.“
Ingrid Buchloh versteht sich als Historikerin, doch interessiert sie sich nicht im Geringsten für Zeitgeschichte, sondern nur für die der Harlan-Familie, zu der sie sich zählt. Ihr liegt an der Wiederherstellung des guten Rufes dieses „ausgesprochenen Philosemiten“. Sie hat einiges recherchiert, kann berichten, wo und wann Goebbels das Drehbuch für „Jud Süß“ immer wieder veränderte. Es mag auch zutreffen, dass Harlan tief unglücklich war über seine Rolle als Propagandist eines ästhetischen Antisemitismus. Doch noch in seiner Autobiographie „„Im Schatten meiner Filme“, die 1966, zwei Jahre nach seinem Tod, erschien, birst er fast vor Stolz, wenn er berichten kann, dass er bei der Uraufführung im Ufa-Palast in Berlin „in der Mittelloge neben ihm“, neben Goebbels, sitzen durfte, „und er drückte mir – vor dem gesamten applaudierenden Publikum – dankbar die Hand". Der Mann, der angeblich so heftigen Widerstand geleistet hat, ist am Jahresende in einer kleinen Gesellschaft Gast bei der Familie Goebbels. Es ist der Silvesterabend, und alle sind guter Dinge. Der Film ist erfolgreich, die Kriege gegen Polen, Frankreich, Norwegen sind es auch, die „Judenfrage“ macht gute Fortschritte. „Wie viel haben wir im vergangenen Jahr erlebt, und was wird das neue Jahr uns bringen?“ fragt der Tagebuchschreiber Goebbels. „Wir hoffen alle: den Sieg!“
Den Sieg, den Endsieg, beschwor Goebbels in den folgenden Jahren noch öfter – und nie drastischer als in seiner Rede im Sportpalast, als er sich bei seiner rhetorischen Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ von der zusammengekarrten deutschen Kultur feiern ließ. Die besten Sätze aus dieser Rede schrieb er ins Drehbuch für „Kolberg“, das letzte große Werk Harlans, die deutsche Antwort auf das auch von Goebbels geschätzte Bürgerkriegsepos „Vom Winde verweht“. Zu Drehbeginn formulierte Harlan für den Völkischen Beobachter , worauf es ihm ankam, nämlich „dieser leidenden Gegenwart zu sagen, dass das, was sie leistet unter den Bombenteppichen eines entarteten Feindes, von jeher zu den Bewältigungen deutschen Schicksals gehört“ hat.
Aber gut, vielleicht war Harlan wirklich nichts weiter als ein ängstlicher Mensch, der um sein Leben fürchtete und deshalb tat, was Goebbels wünschte. Die einfache Erklärung, die Harlan in einem weniger pathetischen Moment vorbrachte – „Ich wollte 1933 nicht wieder Straßenbahn fahren“ –, genügt seiner Biografin nicht. Lieber zählt sie genau auf, welche Widrigkeiten Harlan nach 1945 zu erdulden hatte, wie der Prozess dem übergewichtigen Mann zusetzte, sodass er einen zweiten Herzinfarkt erlitt. Schließlich bewahrte ihn aber ein verständnisvoller Richter vor dem Schlimmsten, doch ist nicht ausgeschlossen, dass himmlische Mächte mithalfen. Hat doch Frau Harlan, geb. Söderbaum, jeden Prozesstag eine Kerze für ihren Mann entzündet.
„Jud Süß“ ist der einzige Film, der je wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt worden ist. Er habe die Zuschauer „in ihrem gesunden Urteil und ihrer ursprünglichen Menschlichkeit vergiftet“ und damit „das Volk in seiner Gesamtheit dazu veranlasst, die von der Regierung durchgeführten Maßnahmen hinzunehmen und an ihrer Durchführung teilweise mitzuwirken“.
Nachdem „Jud Süß“ schuldig gesprochen war, ließ sich sein Regisseur umso leichter freisprechen. Der Film war’s, Joseph Goebbels war’s, aber er, Harlan hatte nichts damit zu tun, nein, sondern wurde sein erstes Opfer. Opfer einer Nötigung, es hätten ihm die Erschießung, das Kommando an die Front gedroht und so weiter. Wie die von seiner Frau gespielte Dorothea wurde Harlan von „Jud Süß“, diesmal dem Film, vergewaltigt.
Walter Tyrolf, der Richter, der Harlan gleich zwei Mal freisprach, war (anders als der Angeklagte) Mitglied der NSDAP gewesen und hatte als Staatsanwalt an einem Sondergericht bei Todesurteilen wegen „Rassenschande“ und Plünderung mitgewirkt, die auch vollstreckt wurden. Frau Buchloh will ihm nichts Böses nachsagen – aber in in seiner Urteilsbegründung verfällt der Richter dann auf das wohl irrsinnigste Argument: „Hätten die Juden nicht schon damals, 1940/41, ins Kino gehen und Strafantrag wegen Beleidigung stellen können?“ Doch, genau so heißt es in der Begründung des Landgerichts Hamburg, Schwurgericht II, Urteil vom 29. April 1950.
Folgt man Frau Buchloh, wurde die Nachkriegszeit dann trotz dieses Freispruchs ein wahres Martyrium für Harlan – weil er jetzt „auch gesellschaftlich geächtet“ ist. Einmal verweigert man ihm beispielsweise den Besuch der Hamburger Kammerspiele. Wer konnte nur so unhöflich sein? Es ist, wie sich die Autorin ausdrückt, die „jüdische Intendantin Ida Ehre“. Die einige Jahre zuvor im KZ Fuhlsbüttel inhaftierte Schauspielerin ist komischerweise nicht die Einzige, die Schwierigkeiten mit Harlan hat. Herbert Pardo, der „jüdische Nebenkläger“, kann ja nur gegen Harlan eingenommen sein. Die „Halbjüdin Karena Niehoff“ wagt es ebenfalls, gegen ihn auszusagen. Beim erwähnten Otto Wernicke, der sich weigert, Harlan das erbetene Leumundszeugnis auszustellen, zeigt sie Verständnis, ist er doch „mit einer Jüdin verheiratet“, seine Familie hatte im Dritten Reich „Schreckliches erlebt“. Zwei Töchter Harlans, die „Männer jüdischer Herkunft“ geheiratet hatten, wurden geschieden.
Kann es sein, dass Ingrid Buchloh damit sagen will, die Juden seien schuld an Harlans Schicksal? „Jud Süß“ jedenfalls machte seinen Regisseur zu einem der bestbezahlten Künstler im Deutschen Reich. Er wurde zum Professor ernannt und durfte die teuersten Filme drehen. Nach Kriegsende wollte sich Harlan begreiflicherweise von diesem Teil seines Schaffens distanzieren – aber die Juden sind immer noch da.
Es ist schwer zu begreifen, warum der angesehene, auf akademische Veröffentlichungen spezialisierte Schöningh-Verlag ein Buch veröffentlicht, das nicht mehr ist als eine Rechtfertigungsschrift, ein schlechterer Familienroman. Noch verwunderlicher allerdings ist das Vorwort, das der Historiker Hans Mommsen der Autorin spendiert hat. Sie hat einst – wie sie auf der Impressum-Seite vermerkt – bei seinem Bruder Wolfgang J. Mommsen promoviert, aber diese familiäre Nähe kann den Waschzettel kaum erklären, den Mommsen Frau Buchloh ausfertigt. Er beklagt allen Ernstes die „negative Nachrede“, die sich für Harlan trotz „Entlastung von den ihm unterstellten Vorwürfen“ erhalten habe. Frau Buchloh habe die „tatsächlichen Vorgänge“ rekonstruiert, wie Harlan „zum Werkzeug des Reichspropagandaministers werden konnte“. Ihre Untersuchung beruhe auf einer „erschöpfenden Auswertung der Quellen“.
Die tatsächlichen Vorgänge? Er habe keinen Verhandlungstag im Harlan-Prozess ausgelassen, schreibt Ralph Giordano in seinen „Erinnerungen eines Davongekommenen“ – „ein Martyrium, wie es schlimmer nicht hätte kommen können. Mir sind viele Hardliner der Unbelehrbarkeit begegnet, aber Harlan war der Unbelehrbarste von allen“. Jede Anschuldigung sei an „Harlans gigantischer Indolenz“ abgeprallt: „Er habe sich nichts vorzuwerfen.“
Harlan hatte sich nichts vorzuwerfen – und als ewiger Windmacher wusste er etwas viel Besseres als eine Entschuldigung. Am 2. April 1954 verbrannte er in Zürich vor geladenen Zeugen eine Kopie des Films „Jud Süß“, weil er sich nicht als „Aushängeschild eines neuen Antisemitismus“ missbrauchen lassen wolle. Besser geht’s nicht: Ein Autodafé des eigenen Werkes, was für ein süßer Künstlertraum!
WILLI WINKLER
„Ein ganz großer, genialer
Wurf“, notiert Goebbels
„Meine Partei ist die Kunst“,
sagt Veit Harlan vor Gericht
Sind am Ende die Juden schuld
an Harlans Schicksal?
Hübsch kostümierte Pornographie: Jud Süß (Ferdinand Marian) als jüdischer Verführer, der gleich eine Arierin (Kristina Söderbaum) vergewaltigen wird – Szene aus Veit Harlans „Jud Süß“ von 1940. Fotos: SZ-Archiv
Veit Harlan und Joseph Goebbels bei der „Jud Süß“-Uraufführung in Berlin.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Um Ausgewogenheit im Urteil bemüht, wertet Rezensent Rainer Erd immerhin Ingrid Buchloh für ihre präzise Betrachtung von Leben und Werk des Filmregisseurs Veit Harlan, der unter anderem den Nazipropagandafilm "Jud Süß" zu verantworten hatte. Gleichzeitig kann er aber seinen großen "Ärger" über die Versuche der Autorin, Harlan zu rehabilitieren oder gar zum "Widerstandskämpfer" zu stilisieren, nicht verbergen. Intention der Autorin ist, das seit der Nachkriegszeit vorherrschende Bild von Harlan als Inkarnation des "diabolischen Filmemachers" zu entkräften, erkennt der Rezensent. So versuche sie beispielsweise im Kapitel, das sich mit der Entstehung des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß" beschäftigt, allen Ernstes, Harlan als Opfer zu zeichnen, dem gar nichts anderes übrig blieb, als sich Goebbels Vorgaben zu unterwerfen, und ihn damit von der "politischen Verantwortung freizusprechen".

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