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Zum 75. Geburtstag des prominenten Geschichtsdidaktikers Karl-Ernst Jeismann legen die Herausgeber einundzwanzig seiner jüngeren - z.T. noch unveröffentlichten - Aufsätze vor. Der Gedankenreichtum und die analytische Kraft des Autors machen sie zu wichtigen Beiträgen zur neueren Geschichte und ihrer Didaktik.

Produktbeschreibung
Zum 75. Geburtstag des prominenten Geschichtsdidaktikers Karl-Ernst Jeismann legen die Herausgeber einundzwanzig seiner jüngeren - z.T. noch unveröffentlichten - Aufsätze vor. Der Gedankenreichtum und die analytische Kraft des Autors machen sie zu wichtigen Beiträgen zur neueren Geschichte und ihrer Didaktik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2000

Knüppel in den Sack!
Vom öffentlichen Gebrauch der Vernunft: Karl-Ernst Jeismanns Aufsätze zur historischen Bildung

Das ganze Spektrum, in dem sich heutige Geschichtsdidaktik zwischen der Schärfe des Begriffs und bildungshistorischer Empirie bewegen kann (aber nicht immer muß), macht ein Sammelband anschaulich, der zum 75. Geburtstag des angesehenen Bildungshistorikers und Pädagogen Karl-Ernst Jeismann herausgegeben worden ist. Als Forscher ist er vor allem bekannt geworden durch seine große zweibändige Geschichte des "preußischen Gymnasiums in Staat und Gesellschaft", die er 1996 vollenden konnte, ebenso als Mitherausgeber des "Handbuchs der deutschen Bildungsgeschichte".

Der Band enthält eine Auswahl der wichtigsten Aufsätze des Autors aus seinen beiden Hauptarbeitsgebieten als Didaktiker und Bildungshistoriker. Jeismann ist beides aus Leidenschaft. Er schöpft aus einem breiten Fundus historischer Kenntnisse, wenn es darum geht, didaktische Thesen zu erläutern, und betreibt andererseits Bildungsgeschichte nicht als Selbstzweck, sondern theoretisch geschärft und mit stetem Blick auf gegenwärtige Probleme.

Die scharfsinnigen Eingangsstudien zur Frage nach der Wahrheit in der Historie, zu den "Grundfragen historischen Lernens" und zum "Geschichtsbewußtsein" als einer zentralen Kategorie der Geschichtsdidaktik beeindrucken durch ihre Sachlichkeit ebenso wie durch ihre Genauigkeit - übrigens auch durch ihre Ideologieskepsis, die der 1925 geborene Autor mit nicht wenigen seiner Generationsgenossen teilt. Einerseits macht er mit einem gelungenen Bild die Gegenwartsprägung alles historischen Interesses klar, indem er feststellt: "Selbst beim besten Willen zur ,Objektivität' und mit bedeutenden Unterschieden der Zuverlässigkeit fahren wir mit dem Magneten unseres spezifischen Deutungswillens gleichsam über die Eisenspäne, die uns die Vergangenheit an Überresten gelassen hat, und so ordnen sie sich zu dem Muster, das wir ihnen geben."

Doch auf der anderen Seite fordert er, diese Zeitbedingtheit als solche sich immer wieder bewußtzumachen. Das Grundaxiom des Historiums, nämlich "in objektivierender Distanz vom eigenen Standpunkt die Vergangenheit aus ihren eigenen Bedingungen und Werten als eine eigentümliche Lebensform des Menschen anzusehen", hält Jeismann auch weiterhin "für ein unaufgebbares Element des Objektivitätsanspruchs der Historie: Es ist ein Heilmittel gegen die Scheinwahrheit, die vorschnellen Analogien, die Selbstgerechtigkeit und die Scharfrichtergebärde, die der Historie eigen sein können."

Hier spricht nicht nur der historische Erkenntnistheoretiker, sondern auch der Didaktiker, der allen (besonders seit den sechziger Jahren) immer wieder erhobenen Forderungen nach ausschließlicher Gegenwartsorientierung historischen Lernens, gar nach bewußter politischer Einflußnahme, in welcher Richtung auch immer, konsequent widersprochen hat. Vergangenheit geht, so schärft er seinen Lesern immer wieder ein, nicht in "Vorläuferperspektiven" auf.

Jeismanns Stellungnahmen zu den historisch-politischen Kontroversen der achtziger Jahre, vor allem zum "Historikerstreit", entsprechen diesem rational grundierten Objektivitätsanspruch. Mit Christian Meier und Imanuel Geiss nimmt er eine vermittelnde Position ein; Habermas' Forderung, die NS-Periode als "Filter" zu gebrauchen, durch den die Traditionen der deutschen Geschichte hindurchmüßten, weist er entschieden zurück - als "gegen alle Selbstverständlichkeiten historischer Wissenschaft" gerichtet und als "Umkehrung der gleichen, wenn auch primitiveren Denkfigur, die den Aufstieg des deutschen Nationalstaates in einer Linie von Luther über Friedrich und Bismarck bis zu Hitler führen sah". Und auch das simplizistische Geschichtsbild einer Helga Grebing, die eine "schwarze" von einer "weißen" Linie der deutschen Geschichte meinte unterscheiden zu sollen, wird von Jeismann als politisch leicht durchschaubare "didaktische Reduktion" historisch komplexer Sachverhalte verworfen. Das gleiche gilt freilich auch für diejenigen, die versuchten, Geschichte im Sinne einer neuen "politischen Identitätsstiftung" zu instrumentalisieren. Den Versuchen einer "neonationalen" Neu- oder Umschreibung der deutschen Geschichte, auch einer kritiklosen Rehabilitierung traditioneller Denkmuster, erteilt der Autor - er nennt die Namen Diwald und Venohr - eine nicht minder entschiedene Absage.

Klarheit und Nüchternheit des Urteils prägen auch die im engeren Sinne bildungshistorischen Studien, die den Hauptanteil des Bandes ausmachen. Im Aufsatz über Grundfragen der Bildungsgeschichte wird "Bildung" historisch als "ein die Gesellschaft aktiv umformender, aber zugleich von ihr bestimmter Faktor der materiellen Entwicklung sowie der sozialen und politischen Kohäsion" definiert, und das bedeutet, daß Bildungsgeschichte niemals als Einbahnstraße betrieben werden kann, sondern gekennzeichnet ist durch ein "Wechselverhältnis von Emanzipation und Disziplinierung, das sich unter verschiedenen regionalen, sozialen und temporären Rahmenbedingungen unterschiedlich entwickelt".

Das große Paradigma, das Jeismann zur näheren Erläuterung und Veranschaulichung seiner Thesen dient, ist die Bildungsgeschichte des preußischen Staates, eines historisch abgeschlossenen Phänomens also, dessen Schulpolitik gleichwohl besonders gut dokumentiert ist. Auf diesem Gebiet hat der Autor als Forscher Grundlegendes geleistet - egal, ob es sich um einen Abriß der preußischen Bildungsgeschichte vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts handelt, um Friedrich den Großen als Bildungspolitiker, um Ludwig Natorp, einen bedeutenden Reformer der preußischen Lehrerbildung nach 1800, oder um einen Aufsatz zur Professionalisierung des Gymnasiallehrertums im 19. Jahrhundert.

Es leuchtet aber nicht ganz ein, daß die Herausgeber mitten unter die bildungsgeschichtlichen Studien auch einen Beitrag aus der Zeit der Kämpfe um die deutsch-polnische Schulbuchkommission in den 1980er Jahren eingefügt haben, in dem sich zwar viel Polemik gegen einzelne damalige Vertriebenenpolitiker wie Czaja und Hupka findet, jedoch keinerlei Reflexion darüber angestellt wird, ob es überhaupt möglich sein kann, mit Geschichtsfunktionären eines totalitären Regimes auf gleicher Ebene und mit vergleichbaren Absichten und Zielen zu verhandeln.

Immer wieder zitiert Jeismann ein bekanntes Diktum der amerikanischen Wissensoziologen Berger und Luckmann, die einmal skeptisch bemerkten, wer in "innergesellschaftlichen Konflikten" den "derberen Stock" gebrauche, habe "die besseren Chancen, seine Wirklichkeitsbestimmung durchzusetzen". Genau hiergegen schreibt Jeismann an, denn dieser Knüppel kommt all dem in die Quere, was er als ein der Aufklärung und den Grundsätzen der Vernunft verpflichteter Didaktiker erstrebt. Doch es erscheint als ein merkwürdiger Bruch, wenn er - als eigentlich typischer Angehöriger der Schelskyschen "skeptischen Generation" - am Ende nur wortreich die "Hoffnung" Blochs beschwören kann, die nicht nur ein Gefühl, sondern ein "Prinzip" sei, wenn er also darauf hofft, daß die "gemeinsamen vernünftigen Anstrengungen der Menschheit auf dem eng gewordenen Globus" den "derben Stock" baldmöglichst überflüssig werden lassen. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher.

Auf diesem Weg wird dem Autor also nicht mehr jeder folgen können. Das ändert indes gar nichts daran, daß jeder Leser diesen Band reich belehrt aus der Hand legen wird. Auch wer manche Thesen und Zukunftswünsche Jeismanns mit einem skeptischen Fragezeichen versehen muß, wird nicht umhinkönnen, ihm in seinem Grundanliegen zuzustimmen, das darin besteht, jeder Art von "dogmatischer Monopolisierung der Geschichtsdeutung" entgegenzutreten. Denn seine Warnung "Auch in demokratischen und rechtsstaatlichen Systemen haben Machthaber die Neigung, zu Rechthabern zu werden" ist nur allzu berechtigt.

HANS-CHRISTOF KRAUS

Karl-Ernst Jeismann: "Geschichte und Bildung". Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur Historischen Bildungsforschung. Hrsg. v. Wolfgang Jacobmeyer und Bernd Schönemann. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2000. 411 S., br., 88,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans-Christoph Kraus zeigt sich recht angetan von diesem Band, in dem er die wichtigsten Texte Jeismanns versammelt sieht. Deutlich wird nach den Ausführungen des Rezensenten vor allem eines: Jeismanns Plädoyer für eine möglichst große und ideologiefreie Historie, wohl wissend, dass diese `Objektivität` nicht unabhängig von dem zu denken ist, was "die Vergangenheit an Überresten gelassen hat". Dieses Problem müsse man sich jedoch stets bewusst machen, um "vorschnelle Analogien, die Selbstgerechtigkeit und die Scharfrichtergebärde" zu vermeiden. Jeismann zeigt sich dabei, so Kraus, auch oftmals als deutlicher Kritiker an Kollegen, insgesamt zeichnen sich die Schriften jedoch durch "Klarheit und Nüchternheit" aus, wie er feststellt. Ohne im einzelnen darauf einzugehen sei gesagt, dass es jedoch auch Ausführungen gibt, denen der Rezensent nicht ganz folgen kann und die er für fragwürdig hält. Dennoch: Der Leser werde durch die Lektüre "reich belehrt", und Jeismanns Anliegen, einer `dogmatischen Monopolisierung der Geschichtsdeutung` entgegenzutreten, könne man sich nur anschließen.

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