Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 15,67 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Er war der "Liebling" Fontanes und des poetisch-reaktionären Preußenkönigs Friedrich Wilhelms IV. Seine Schriften haben seit 1851 immer neue Bearbeiter gefunden. Hier liegt nun die erste historisch fundierte und überdies glänzend geschriebene Biographie über Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777-1837) vor, der als frühkonservativer Widersacher Hardenbergs in die Geschichte eingegangen ist. Sein Leben wird in sechs Perspektiven erzählt, die die Lebenskreise des vormodernen Adels abschreiten: Familie, Religion, ländliche Herrschaft, Militär, Politik und Geschichte. In dem neuartigen…mehr

Produktbeschreibung
Er war der "Liebling" Fontanes und des poetisch-reaktionären Preußenkönigs Friedrich Wilhelms IV. Seine Schriften haben seit 1851 immer neue Bearbeiter gefunden. Hier liegt nun die erste historisch fundierte und überdies glänzend geschriebene Biographie über Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777-1837) vor, der als frühkonservativer Widersacher Hardenbergs in die Geschichte eingegangen ist. Sein Leben wird in sechs Perspektiven erzählt, die die Lebenskreise des vormodernen Adels abschreiten: Familie, Religion, ländliche Herrschaft, Militär, Politik und Geschichte. In dem neuartigen Ansatz verschmelzen Biographie und Gesellschaftsgeschichte zu dem anschaulichen Lebensbild eines altpreußischen Standesherrn in der Konfrontation mit einer neuen Zeit.
Autorenporträt
Professor Dr. Ewald Frie, geboren 1962 im Münsterland, ist Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Deutsche Geschichte des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, die vergleichende europäische Adelsgeschichte sowie die Geschichte Australiens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2002

Das wäre ein brillanter Kandidat
Ewald Frie rekonstruiert die Politik des Junkers von der Marwitz

Der "Junker von der Marwitz" galt fast eineinhalb Jahrhunderte lang als Urbild eines knorrig-unbeugsamen märkischen Adligen der Epoche nach 1800; sein hartnäckiger Widerstand gegen die Stein-Hardenbergschen Reformen (der eine, wenn auch kurze, Haft einschloß) ist mit der Zeit ebenso sprichwörtlich geworden wie sein unerschütterlicher, gegen Ende seines Lebens fast anachronistisch erscheinender Adelsstolz oder auch seine intellektuelle Brillanz, die nicht einmal seine politischen Gegner - und deren waren nicht wenige - in Zweifel zu ziehen vermochten. Ludwig von der Marwitz war schließlich ein sprachmächtiger Meister der Selbststilisierung, und es ist nicht das geringste Verdienst der neuen Studie von Ewald Frie, eben diesen Zug besonders herausgearbeitet und damit das bisherige Marwitz-Bild von manchen nachträglichen Übermalungen befreit zu haben.

Ob der Autor gut damit beraten war, die Biographie in einzelne Bestandteile aufzulösen, mag jeder Leser selbst beurteilen. Die persönliche Biographie, das Familienleben des zweimal verheirateten Adligen (die erste eine Liebes-, die zweite eine genau geplante Vernunftehe), den autodidaktischen Bildungsgang, schließlich die herrschaftliche Existenz des ländlichen Junkers umreißt Frie, gestützt auf Auswertung des umfangreichen Nachlasses, ebenso eindringlich wie im zweiten Kapitel Marwitz' Stellung zu Religion und Kirche. Hier wird eines der vielen Paradoxa im Leben dieses Mannes klar sichtbar: Obwohl sein einer umfassenden Ordnungsidee verpflichtetes Weltbild in letzter Konsequenz religiös grundiert war, scheute er sich durchaus nicht, die überkommene religiöse Lebenspraxis unter politischen Gesichtspunkten zu funktionalisieren.

Marwitz begriff Religion in diesem Sinne als Element zur Stabilisierung der ländlichen Lebenswelt, und vor allem hierin unterschied er sich von den eigentlichen späteren Begründern der konservativen Partei in Preußen. Frie hat recht, wenn er das um 1860 von eifrigen Traditionsbildnern kolportierte Bild eines angeblichen "Vaters der conservativen Partei Preußens" zurückweist: Marwitz gehörte einer Generation an, die von der neupietistischen Erweckungsbewegung, die zur Keimzelle des späteren preußischen Konservatismus wurde, noch weitgehend unberührt geblieben war. Im Kapitel über "Dorfgesellschaft, Gutsherrschaft und Agrarwirtschaft", das die Lebenswelt des Marwitzschen Gutes und Dorfes Friedersdorf rekonstruiert, bringt der Autor - im Detail wohl etwas zu ausführlich - die neuen Resultate der sozialhistorischen Forschung zur Praxis der ländlichen Gutsherrschaft in Brandenburg-Preußen in eine lesbare Form und erläutert sie anhand aufschlußreichen Quellenmaterials.

Marwitz stand an der Spitze einer Pyramide, in der sich nach Frie (eigentlich keine besonders neue Erkenntnis) "die völlige Asymmetrie der sozialen Beziehungen" manifestierte, und er war seinen Untergebenen ein harter Herr, der alles für die Fundamentierung dieses von ihm zu Recht als bedroht angesehenen Zustandes tat. Gleichwohl ist festzuhalten: Er dachte noch nicht in den Kategorien des unausweichlichen sozialen Kampfes, im Gegenteil. Als ihm ein Jahr vor seinem Tode ein Advokat zu einem harten Konfliktkurs gegen seine (ihren Ablöseverpflichtungen aus der "Bauernbefreiung" nur unzureichend nachkommenden) Bauern riet, reagierte Marwitz strikt ablehnend: "Dies ist mir geradezu unmöglich. - Ich bin hier immer der Vater gewesen, zu dem ein jeder seine Zukunft genommen hat."

In weiteren Kapiteln werden Marwitz' wechselhafte militärische Karriere - in der er es immerhin bis zum General brachte - sowie seine politische Tätigkeit rekonstruiert. Im Mittelpunkt steht hier nicht mehr jener berühmte, bisher von jedem seiner Biographen in den Vordergrund gerückte Konflikt mit Hardenberg von 1811, sondern der Autor rekonstruiert sowohl die früheren wie auch die späteren politischen Aktivitäten seines Protagonisten, der in der Zeit nach 1823 nochmals eine Rolle als "Landespolitiker" spielte, als führendes und einflußreiches Mitglied der brandenburgischen Provinzial- und der kurmärkischen Kommunallandtage. Erst Anfang der dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts zog er sich, durch einige Mißerfolge verärgert wie auch vermutlich durch die französische Juli-Revolution desillusioniert, aus dem politischen Leben endgültig zurück - nun eifrig mit der Ordnung seiner Papiere und vor allem mit der Abfassung seiner (leider niemals vollständig edierten) Memoiren beschäftigt. Zu seiner Rolle als Adliger und Politiker gehörte es, das eigene Bild für die Nachwelt zu stilisieren.

Es zählt zu den Vorzügen der sorgfältigen, immer quellennah argumentierenden Studie, die politische Ideenwelt Marwitz' in sich schlüssig zu rekonstruieren. Frie macht deutlich, daß es dem märkischen Adelspolitiker um eine keineswegs ausschließlich rückwärtsgewandte, sondern um eine sich den wichtigsten Herausforderungen seiner Zeit stellende Erneuerung der ständischen Institutionen ging, die "zeitadäquat und zukunftsfähig" gemacht werden sollten. Er war ein Gegner jeder - von ihm als "französisch" abqualifizierten - allmächtigen Staatsbürokratie. Diesem von den preußischen Reformern bevorzugten Weg einer Erneuerung von oben versuchte Marwitz "ein von England inspiriertes Modell der Selbstverwaltung entgegenzusetzen". Ihm kam es darauf an, den "Gegensatz zwischen Stadt und Land" als "strukturbildende Verfassungsgrundlage" fruchtbar zu machen, um ein alt-neues Sozialmodell im engen Zusammenwirken der beiden führenden Stände - das waren für ihn das städtische Bürgertum und der ländliche Adel - gegen eine vermeintlich übermächtige zentralisierte Bürokratie zu realisieren. Frie betont durchaus mit Recht, daß der märkische Landjunker mit derartigen Ideen keineswegs allein stand.

Gleichwohl mußte Marwitz scheitern, und das nicht nur deshalb, weil sein politisches Modell, modern gesprochen, sich als unterkomplex erwies und die radikalen Veränderungen und Umschichtungen innerhalb der sozialen Lebenswelt, verursacht vor allem durch die Bevölkerungsexplosion jener Epoche, nicht mehr in den Griff zu bekommen vermochte. Der Junker-Politiker stand sich und dem eigenen Anliegen auch selbst im Wege, weil sein in letzter Konsequenz vormodernes, auf Harmonisierung angelegtes Politikverständnis den Anforderungen der Zeit nicht mehr gewachsen war: "Wer ,Partheysucht' scheute, Kompromisse in Sachfragen schwer denken konnte, weil sie schnell an das eigene Selbstverständnis rührten, wer die Eigendynamik des Ökonomischen nicht zulassen konnte", schreibt Frie, "der war politisch nicht als pressure group handlungsfähig."

Was also bleibt von Friedrich August Ludwig von der Marwitz? Sicher die eigenwillige, hoch ehrenwerte Persönlichkeit, die nicht zuletzt die Dichter, von Theodor Fontane bis Günther de Bruyn, zur Beschäftigung und zur Auseinandersetzung angeregt hat - inzwischen fast so etwas wie eine märkische Adelslegende. Und sicher ebenfalls seine wortmächtig formulierte Unbeugsamkeit, mit der er im Mai 1812 (in einem freilich zu Lebzeiten nicht publizierten Manuskript) dem korsischen Usurpator, der sich auf der Höhe seiner Macht befand, seinen privaten Krieg erklärte. In diesen Worten drückt sich wohl nicht weniger als die Erfahrung einer ganzen Generation aus: "Ich habe so lange Gewalt erlitten, ich will sie länger nicht leiden. Du hast Dich in gar nichts in fremde Angelegenheiten zu mischen; ich betrachte Deutschland als frei, - und Deutschland reicht so weit man die deutsche Sprache redet."

Ärgerlich ist nur eines an Fries Darstellung: die so offenkundige Verachtung des Geschäfts eines Biographen, die den Autor allen Ernstes sagen läßt, die Biographik werde "auch nach diesem Buch ein eher halbseidenes Geschäft bleiben, ein im Geruch der Unseriosität stehender Zweig der Geschichtswissenschaft". Vielleicht mag Frie durch einen kleinen Text von Pierre Bourdieu zu dieser Formulierung veranlaßt worden sein, der sich vor einigen Jahren einmal über die angebliche "biographische Illusion" ausließ. Etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit soziologischen Modethesen täte dem deutschen Historiker eigentlich ganz gut; ein Seitenblick auf die angelsächsische Welt, wo die Biographie seit eh und je einen zentralen und zu Recht weitgehend unangefochtenen Platz innerhalb der Geschichtswissenschaft einnimmt, kann manchmal nützlicher sein, als man denkt.

HANS-CHRISTOF KRAUS.

Ewald Frie: "Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777-1837". Biographien eines Preußen. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2001. 382 S,, geb., 34,76 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Biografie von Ewald Frie über den schroffen, adelsstolzen, herrischen, aber aufrechten "gebildeten Gelehrtenfeind" und "hellsichtigen Reaktionär" Friedrich August Ludwig von der Marwitz hält Jens Bisky für recht gelungen. Der Rezensent empfiehlt die Lektüre allen Lesern, die weder weichgespülte Darstellungen des Preußens der Schlösser und Gärten mögen, noch das Zerrbild vom militaristischen Obrigkeitsstaat. Die Biografie ist kritisch, bezieht neue Quellen mit ein und enthält viele interessante Details über Marwitz und seine Lebenswelt, lobt Bisky. Doch leicht lesbar ist sie nicht, warnt der Rezensent, denn Frie habe seine Biografie nicht chronologisch, sondern nach Themen wie Religion, Adel, Kirche und Militär angeordnet. So spiegele zwar Marwitz' Lebensgeschichte die Umbruchsituation zwischen 1790 und 1830 wider, doch bleibe dafür der Protagonist in all seiner Widersprüchlichkeit auf der Strecke und zerfalle in Gutsherr, Offizier und Politiker. Eines aber ist dem Rezensenten deutlich geworden: Marwitz war kein Repräsentant seines Standes, sondern ein Sonderling, ein Außenseiter, den sogar viele seiner Gegner respektiert hätten.

© Perlentaucher Medien GmbH