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Diese "kulturelle Anatomie" geht der Frage nach, inwieweit der menschliche Körper mittels einzelner Körperteile und Fragmente wahrgenommen und dargestellt wird. Zu lange wurde er im kulturtheoretischen Denken ungefragt als Ganzheit verstanden, über die sich Bilder und Diskurse formieren. Doch bei genauerer Betrachtung sind es zumeist nur Teile des Körpers, die hervorgehoben und inszeniert werden. Die 24 Beiträge dieses Bandes nehmen ein breites Spektrum in den Blick: vom materiellen Umgang mit menschlichen Körperteilen wie Toten- und Reliquienkulte bis hin zu symbolischen Verfahren der…mehr

Produktbeschreibung
Diese "kulturelle Anatomie" geht der Frage nach, inwieweit der menschliche Körper mittels einzelner Körperteile und Fragmente wahrgenommen und dargestellt wird. Zu lange wurde er im kulturtheoretischen Denken ungefragt als Ganzheit verstanden, über die sich Bilder und Diskurse formieren. Doch bei genauerer Betrachtung sind es zumeist nur Teile des Körpers, die hervorgehoben und inszeniert werden. Die 24 Beiträge dieses Bandes nehmen ein breites Spektrum in den Blick: vom materiellen Umgang mit menschlichen Körperteilen wie Toten- und Reliquienkulte bis hin zu symbolischen Verfahren der Ersetzung eines Teils für das Ganze in den Künsten, der Populärkultur, der Medizin etc.
Autorenporträt
Claudia Benthien ist Professorin für Neuere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Gender-Forschung an der Universität Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2001

Fleischermeister
Außen durch, innen roh:
Ein Sammelband über Körperteile
Niemand hat unterhaltsamer über das gespannte Verhältnis der Intellektuellen zum Fleisch geschrieben als Roland Barthes. Besessen von der immerwährenden Frage nach der Bedeutung des eigenen Tuns, wird der simple Verzehr eines blutigen Steaks oder Tatars zur beschwörenden Handlung, zum Flirt mit dem Vorsprachlichen, dem Regressiven und dem Sexuellen. Sich im Taumel der Zeichen und Bedeutungen verlieren, das kann auch beim bloßen Nachdenken über Fleisch und Körper, jenes Andere der Vernunft, passieren. Diesen Eindruck gewinnt jedenfalls, wer einen kurzen Blick in den von Claudia Benthien und Christoph Wulf herausgegebenen Band „Körperteile” wirft.
Wie der wilde Traum eines verliebten Philologen liest sich die Inhaltsübersicht: „Phantasmen der Nase. Literarische Anthropologie eines hervorstechenden Organs” riecht nach Bedeutung, in „Madensack und Mutterschoß” und „Die verrutschte Vulva” scheinen sich der Wille zur Alliteration und die Idee des weiblichen Körpers als abgründiger Problemlandschaft in die Haare zu geraten, im antithesenhaften „Der Hintern in der Antike” wird dem Vater die Faust gezeigt, und das nachdenkliche „Der Phallus zwischen Materialität und Bedeutung” hat ein heißes Eisen angefasst.
Doch der erste Blick lässt die Dinge kurioser erscheinen als sie sind. Dass das Reden über den Körper in Wahrheit meist ein Reden nur von Körperteilen sei, lautet die vergleichsweise nüchterne Ausgangsüberlegung des Bandes. Nicht als ganzer, unversehrter, leiblicher habe er die Phantasien, Bilder und Diskurse des Kulturproduzenten Mensch beschäftigt, sondern viel häufiger seien nur einzelne seiner Glieder, Teile und Ausschnitte Gegenstand künstlerischer und philosophischer Betrachtung gewesen. Vierundzwanzig Untersuchungen, jede über ein anatomisches Detail, sollen anschaulich machen, wie die „kulturelle Wahrnehmung, Darstellung und Codierung des Körpers” teilweise vollzogen wurde.
Die menschliche Kultur aber ist ein weites Feld, und so erfährt man in einem Beitrag von Fleisch und Knochen in himalayischen Gesellschaften, im nächsten von den Geschlechtsteilen als literarischen Helden des Mittelalters, im übernächsten vom Torso im Tanz – und hat am Ende doch den Eindruck, nichts erfahren zu haben. So zusammenhanglos stehen die Artikel nebeneinander, dass man bald begreift, warum die Herausgeber „das klassische top-to-toe- Prinzip”als Gliederungsmodell wählten: Vom Scheitel zur Sohle schreiten die Aufsätze voran, ohne konzeptionelle oder theoretische Beziehung zueinander.
Ähnlich ratlos wirken auch die Texte selbst. Beim Thema Haare liest Inge Stephan originellerweise Baudelaires „La Chevelure”, und Hartmut Böhme präsentiert den zerstückelten weiblichen Körper als Problem der Renaissance- Lyrik. Eine anregende Ausnahme bildet Gerhard Wolfs Prolegomena zur Geschichte der Füße.
Nicht um die „fragwürdige und von vornherein zum Scheitern verurteilte Erarbeitung einer Universalgeschichte”, geht es den Herausgebern Claudia Benthien und Christoph Wulf, sondern um individuelle und divergierende Zugänge in einer bewusst „unsystematischen, unübersichtlichen und auch widersprüchlichen Annäherung”. Dass hier absichtsvoll traditionelle wissenschaftliche Ordnungsmuster umgangen wurden, darf indessen bezweifelt werden. Die Wahrheit dürfte eher in der Entstehungsgeschichte des Buchs zu suchen sein, das aus einer letztes Jahr in Berlin veranstalteten Tagung hervorgegangen ist. Nicht das geduldige Fleisch hat hier den Geisteswissenschaftlern den Kopf verdreht, sondern der ungeduldige Wunsch nach einer Publikation.
EVA MARZ
CLAUDIA BENTHIEN, CHRISTOPH WULF (Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 2001. 528 Seiten, 36, 90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2001

Nicht nur sehen, man muß fühlen

Bevor er auch nur eine Zeile des Buches lesen konnte, hatte der Rezensent sich bereits an einer Seite den Handteller aufgeschnitten, und mehrere Blutflecken verzieren seither Einband und Buchschnitt. Doch bei welchem Titel wäre das passender als bei einem Werk, das sich schon im Untertitel "Anatomie" nennt (Claudia Benthien, Christoph Wulf : "Körperteile". Eine kulturelle Anatomie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 527 S., br., 36,90 DM)? Nun ist zwar Blut ein ganz besondrer Saft, doch dem Inneren und seinen Flüssigkeiten, Bahnen und Organen wird in diesem Band recht wenig Platz gewidmet. Hände, Beine, Füße, Augen, Haare, Bäuche, Phalli, Vulven, Ohren, Nasen - alles was man sehen kann (und zumeist bereits reichlich gesehen hat), ist in der seltsamen Ausdeutung von "Anatomie", die dem Band zugrunde liegt, willkommen, und selbst das Kapitel zu Schädel und Skelett stellt doch allein auf jenes Innere des Körpers ab, das schon zu Lebzeiten nur allzu sichtbar nach außen drängt und letztlich dann zum einzigen wird, was von uns bleibt. Zwar haben auch Magen und Leber eigene Beiträge erhalten, doch schnell entgleitet die Argumentation von Christoph Wulf, der sich dem Magen widmet, zu Hunger und Völlerei, zur sichtbaren Magenrepräsentation also, und Gerburg Treusch-Dieter entdeckt wiederum in der Leber vor allem deren Opferpotential und ihre aus der Antike bezeugte Eignung als Quelle für "Seherkraft". Ein Seher? Soso. Da sind wir also glücklich wieder beim Sichtbaren gelandet. So ist die Kollektion im wörtlichen Sinne äußerst anschaulich geraten, doch sie perpetuiert ein Körperbild, das gerade nicht - wie es der Anspruch des Buches ist - "das Leitbild des abgeschlossenen, monadischen Körpers" zugunsten der "Wechselbeziehungen von Zerteilung und Zusammenfügung" ablöst. Der Band erneuert statt dessen nur die traditionelle Reduktion des Körpers auf das, was er einem Betrachter zu bieten hat. Und Introspektion paßt dabei nur bedingt ins Spektrum. Das darf man getrost überraschend nennen, hat doch die Ausstellung "Körperwelten" mit ihren Abermillionen Besuchern die Sucht des Publikums nach Ein- statt Ausblicken eingeweidlich bewiesen. Doch der seit Jahren etablierte Körperdiskurs der Geisteswissenschaften hat dafür nur bedingt Interesse, und diese akademische Mode ist einfach nicht totzukriegen. Aber wie kann eine Kulturgeschichtsschreibung, die zudem im Rahmen einer Reihe erfolgt, die sich in allumfassendem Anspruch "Rowohlts Enzyklopädie" nennt, solche Aspekte ausblenden? Haben Hypochonder oder wirklich Kranke denn nie darüber geschrieben, wie sie den Körper wahrnehmen? In den Beiträgen zum Bauch, zum Hintern, zu den Geschlechtsorganen wären doch, der Kalauer sei gewagt, tiefere Einblicke möglich gewesen. Sind Körperöffnungen nicht Fenster? Nein, sie sind es offenkundig nicht, denn dem inhaltlichen Prinzip des Bandes, den Körper vom Scheitel bis zur Sohle entlangzubuchstabieren, entspricht keine Bewegung, die die Analyse auch von außen nach innen führen würde. Schwarzes Haar, grüne Augen, an beiden Armen Tätowierungen und auch sonst beachtlich - wer sich an solchen Beschreibungen einer Unbekannten ergötzt, der wird in "Körperteile" erhellende Erläuterungen zu seinen Vorlieben, Manien und deren kulturellen und ethnologischen Grundlagen finden. Wer jedoch hinter die erotische Tarnung blicken will, dem wird seine Madame X auch nach der Lektüre ein Geheimnis bleiben. Denn das Herz hat kein eigenes Kapitel. Herzblut wurde aber ohnehin von den Autoren nicht vergossen; das bißchen Fingerblut am Buch kann darüber nicht hinwegtäuschen.

ANDREAS PLATTHAUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Kokett findet das Rezensent Valentin Groebner, wenn die Herausgeber Claudia Benthien und Christoph Wulf allen Ernstes behaupten, mit ihrem Sammelband einen "bisher nur wenig beachteten Bereich" zu behandeln. Wo doch die Körpergeschichte seit langer Zeit schon Erfolge feiert. Dass ausgerechnet in diesem Band dann "das ganze paradoxe Elend akademischen Publizierens in einem rasant expandierenden Feld" offenbar wird, scheint Groebner umso unverzeihlicher. Alle aktuellen Zauberworte, so der Rezensent, wollen bedient werden. Da wird ein Aufsatz mitunter zur bloßen Materialschau. Einige wenige Beiträge, in denen eine "Fokussierung" glückt, hat der Groebner indes auch entdeckt: Überlegungen zum Bauch der Gottesmutter und zu den Füßen Christi etwa.

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