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Burg verschreibt sein Leben der Erforschung der Medizingeschichte im Nationalsozialismus. Was eher zufällig beginnt, entwickelt sich zu einer zerstörenden Obsession, die auch die Wahrnehmung der Gegenwart zwanghaft überformt. Burg wird zum Pionier einer verspäteten Forschungsrichtung - und verirrt sich. Peter Schneider unternimmt den riskanten Versuch, den Blick von der deutschen Vergangenheit zurück auf einen ihrer Erforscher zu lenken. In der Erzählung "Skizze eines Enthüllers" zeichnet er das Psychogramm eines Verlorenen, der den genauen Blick in diese Vergangenheit nicht übersteht. Der…mehr

Produktbeschreibung
Burg verschreibt sein Leben der Erforschung der Medizingeschichte im Nationalsozialismus. Was eher zufällig beginnt, entwickelt sich zu einer zerstörenden Obsession, die auch die Wahrnehmung der Gegenwart zwanghaft überformt. Burg wird zum Pionier einer verspäteten Forschungsrichtung - und verirrt sich. Peter Schneider unternimmt den riskanten Versuch, den Blick von der deutschen Vergangenheit zurück auf einen ihrer Erforscher zu lenken.
In der Erzählung "Skizze eines Enthüllers" zeichnet er das Psychogramm eines Verlorenen, der den genauen Blick in diese Vergangenheit nicht übersteht. Der Autor erzählt in einer lapidaren und trügerisch leichten Sprache von den Momenten des Missverstehens, von den Augenblicken, in denen das Verstehen aussetzt, in denen sich das Leben als ein "Fest der Missverständnisse" kristallisiert.
Der Band enthält eine Auswahl bereits publizierter, nicht mehr lieferbarer Erzählungen, unter ihnen luzide Geschichten wie "Die Wette", "Experimente mit mehreren Männern", "Der große und der kleine Bruder", die Peter Schneider neben neue Texte stellt.
Autorenporträt
Peter Schneider, geboren 1940 in Lübeck, ist in Süddeutschland aufgewachsen, studierte in Freiburg Germanistik und Geschichte und lebt seit 1961 als freier Schriftsteller. 1972 Staatsexamen, 1973 Berufsverbot als Referendar. Mehrere Förderpreise; 1977/78 Stipendium der Villa Massimo. Schneiders theoretische Schriften dokumentieren den Ablauf der Studentenrevolte der späten 60er Jahre, an der er in Berlin und Italien aktiv teilnahm. Diese Erfahrungen sowie das zeitweilige Berufsverbot bestimmen seine ersten Erzählungen. 2009 erhielt er den Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen.
Rezensionen
"Ein Fest der Missverständnisse - in der Tat. Was Rotwein im Kopf des Italienreisenden anrichtet oder des zu dritt Urlaubenden - haben nun Tina und Klaus unzulässigerweise oder doch nicht? - bringt Peter Schneider mit der Gelassenheit des Wissenden lakonisch auf den Punkt. Jede dieser Skizzen und Erzählungen kreist um einen Moment des Nicht-Begreifens, klug und spröde berichtet Schneider und ist dabei meist gut zu verstehen." (Hörzu)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2003

Hundepatrouille an der Mauer
Berliner sind überall Grenzgänger: Peter Schneiders Erzählungen

Für ihn war die Mauer kein Hindernis. Peter Schneider betrachtete das Berliner Bauwerk, das deutsche Geschichte und Gegenwart akkurat in zwei Teile zerschnitt, stets als sportive Herausforderung. Sie war eine Bedingung seines Schreibens und Denkens, das man je nachdem grenzüberschreitend oder auch vagabundierend nennen könnte. Schneider begann schon in den siebziger Jahren damit, sich mit den ideologischen Einigelungen seiner Kampfgenossen der Achtundsechziger-Ära auseinanderzusetzen. In seinen "Mauerspringer"-Geschichten erzählte er 1982 von Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen mit der Teilung nicht abfinden wollten. Schon damals prophezeite er als geübter Grenzgänger zwischen West und Ost: "Die Mauer im Kopf einzureißen wird länger dauern, als irgendein Abrißunternehmen für die sichtbare Mauer braucht."

In seinem aktuellen Erzählungsband liefert Peter Schneider nun eine letzte Mauergeschichte nach. Sie handelt von der Orientierungslosigkeit, die das Abrißunternehmen zurückgelassen hat. Fred, Hauptfigur dieser Erzählung, ist am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Verlassen von Frau und Sohn liegt er mit blutender Nase auf einer feuchten Parkbank im eigenen Alkoholdunst, als ihm ein Schäferhund übers Gesicht leckt und fortan nicht mehr von der Seite weicht. Selbst Tritte können das Tier nicht verjagen. Der Hund ist ziemlich räudig und hochgradig verstört. Er frißt nicht richtig, kann nicht bellen, fürchtet sich vor dem kleinsten Dackel, entfaltet aber ein unglaubliches Zärtlichkeitsbedürfnis und eine treue Anhänglichkeit, die den neuen Herrn zu Tränen rührt. Nur in einer Situation ist dieser Hund, der den Namen "November" bekommt, nicht zu halten: An Fassaden von Amtsgebäuden oder Friedhofsmauern läuft er wie an der Schnur gezogen auf und ab und vergißt alles um sich herum.

Schließlich stellt sich heraus, daß November einer der 6500 Mauerhunde gewesen sein muß, der im Grenzstreifen zwischen Ost und West seinen Dienst verrichtete. Angeschlossen an die Hundelaufanlage hatte er in völliger Einsamkeit und Eintönigkeit jahrelang preußisch vegetiert, bis ihm das Schlimmstmögliche widerfuhr: Die Freiheit. Die seltsame Freundschaft zwischen Fred und November wird damit zu einer Metapher des West-Ost-Verhältnisses, der räudige Hund zum Sinnbild für den Zustand der verstörten deutschen Psyche. Damit ist die Geschichte zwar etwas überstrapaziert, und doch gelingt es Schneider hier, unaufdringlich und leise zu erzählen. Die Bedeutungen werden von ihm nicht triumphierend vorgeführt, sondern stellen sich nebenbei ein.

Alte und neue Erzählungen stehen in diesem Band nebeneinander, ohne daß deshalb ein ästhetischer oder ideologischer Bruch sichtbar würde. Einige sind bereits 1978 in dem Sammelband "Die Wette" erschienen, aus dem Schneider nun einige Texte ausgewählt hat, die vom Verhältnis zwischen Männern und Frauen handeln. Sie stammen aus der Zeit, in der das Private für politisch erklärt und das Geschlechterverhältnis stellvertretend für die ganze Gesellschaft revolutioniert werden sollte. Die Macker und Machos, die da im Mittelpunkt stehen, sehen sich mit irritierend selbstbewußten Frauen konfrontiert, die gleich zur Begrüßung derbe Sätze formulieren: "Ich interessiere mich nicht dafür, was Männer machen, außer sie arbeiten an ihrer Abschaffung." Dennoch geht es ihnen, ebenso wie den sportlich-souveränen Schneider-Männern, beruhigenderweise weiterhin nur um das eine. Die Umwälzung der Geschlechterverhältnisse, das war schon 1978 abzusehen, würde eine lange und schwierige Angelegenheit werden. So kommt es, daß diese alten, zumeist im sonnig-utopischen Italien angesiedelten Erzählungen ihre Frische bewahren konnten: Sie sind immer noch aktuell.

Politisch entschiedener als die Spätachtundsechziger-Geschichten sind erstaunlicherweise die neueren Texte, in denen weltanschauliche Grundsatzthemen wie Antifaschismus und Pazifismus behandelt werden. In der "Skizze eines Enthüllers" geht es um einen Mann, der die Aufklärung der Verbrechen der Medizin im Dritten Reich so verbissen selbstgerecht und unversöhnlich betreibt, daß ihm das eigene Leben völlig entgleitet. In dem reportagehaften "Frühling in Sarajevo" berichtet ein mit dem Autor scheinbar weitgehend identischer Ich-Erzähler von einer Reise durch das kriegszerstörte Bosnien. In Sarajevo, wo er eine Konferenz besuchen will, übernachtet er allein in der Wohnung einer befreundeten Fernsehredakteurin, auf die er vergeblich wartet. Über die Brücke vor ihrem Haus geht er in die andere, die serbische Hälfte hinüber, beweist sich also auch hier als gelernter Berliner: als Grenzgänger in einer geteilten Stadt. Doch in Sarajevo bleibt der Mauerspringer in beiden Stadthälften ein Fremder. Die Differenz zwischen kriegserfahrenen Bewohnern und dem reisenden Tagesgast ist nicht zu überbrücken.

Die neueren Texte leiden daran, daß Schneider Positionen, die er in seinen Essays vertritt, allzu direkt ins Literarische hineinschreiben wollte. "Dieser aggressive deutsche Unschuldskomplex", heißt es in klischeehafter Kritik eines Bellizisten an Kriegsskeptikern, "der Glaube, man könne unschuldig bleiben, indem man den Blick abwendet. Das Nichtstun wird als die moralisch überlegene Haltung verkauft. Eine Abweichung erträgt man nicht und diskreditiert den Abweichler." Schlimmer noch ist der Meinungsüberhang in der Geschichte "Das Ende jeder Diskussion", in der ein alternder Professor mit zwei Einbrechern in seiner Wohnung fraternisiert, um so das Schlimmste zu verhüten. Vom Revolver, den er plötzlich in der Hand hält, macht er keinen Gebrauch und hilft statt dessen mit, die eigenen Wohnung auszuräumen. Man kann sich denken, daß die Aktion übel gewalttätig enden wird. Die Parabel auf den hilflosen deutschen Pazifismus - Schneiders Lieblingsthema - ist überdeutlich, literarisch aber wenig ergiebig. In besseren Momenten ist Peter Schneider ein sensibler Beobachter, der eine klare und präzise Sprache spricht. Am besten ist er immer dann, wenn er nichts beweisen will, sondern bloß erzählt. Aber das fällt ihm recht schwer.

JÖRG MAGENAU

Peter Schneider: "Das Fest der Mißverständnisse". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 186 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2003

Störenfrieds Abgesang
Peter Schneider begräbt die Achtundsechziger
Offensiver lässt sich ein Klischee nicht bestätigen: Zikaden zirpen im Sonnenuntergang, das toskanische Bauernhaus döst auf einem Hügel vor sich hin, der Gast aus Deutschland fährt einen alten VW-Cabrio, vier Frauen harren seiner. Gleich die erste Erzählung, „Papagalli”, gibt allen Vermutungen über den intellektuellen Niedergang einer Generation recht. Peter Schneider, einst neben Rudi Dutschke der scharfzüngigste Achtundsechziger, legt in seinem 63. Lebensjahr vier neue Erzählungen vor, vier neue Abgesänge auf Leidenschaft, Lebensmut, Bewusstseinswandel. Die wilde Zeit, da Schneider als „Verfassungsfeind” galt, taugt nicht einmal zur Verklärung. Geblieben ist der Drang, vor dem Ich zu fliehen – in die Toskana, nach Bosnien oder wenigstens in die Liebe zu einem Hund.
Ziellose Absetzbewegungen vollzieht Schneider, weil er an den Sinn jedweden Engagements nicht mehr glauben mag. Auch das erzählerische Engagement scheint ihm Relikt einer vergangenen Epoche zu sein, und darum werden die lethargischen Helden von einem missmutigen Erzähler durch ihre Malaisen geführt. Der Cabrio-Fahrer darf sportlich tauchen und charmant mit den vier Damen plaudern, doch da diese eigentlich unter sich bleiben wollen, ist er stets der Störenfried. Jedes Gespräch steht unter einem „Rechtfertigungsdruck”, ein Bericht wird wider Willen zum „Geständnis” – die ehedem politisch eingesetzte Tribunalisierung der Lebenswirklichkeit kehrt sich gegen ihre Verursacher. Wo es aber nichts aufzudecken gibt, erschöpft sie sich im Gerede. Am Ende „flattern fünf fette Rebhühner mit einem gewaltigen Flattern in den Himmel” davon. Da möchte der Leser mitfliegen – heraus aus dem Buch.
Glücklicherweise verweilt er noch auf Peter Schneiders Seiten, denn die folgende „Skizze eines Enthüllers” ist in ihrer Selbstironie beachtlich. Der Enthüller heißt Burk, ist 45 Jahre alt und hochmütig, unnahbar, selbstgerecht. Diese Eigenschaften sind Resultat der Besessenheit, mit der Burk sich in die nationalsozialistische Geschichte eingegraben hat. Burk hat als Erster die Verbrechen der Psychiater ans Licht gebracht – freilich um einen hohen Preis: das Leben ist ihm vergällt, seine eigene Sprache wird „kontaminiert” von der Sprache der Täter, er lebt „im Innern eines Mahlstroms, der all seine Gedanken und Gefühle in einen Sog des Hasses” reißt. Er kann keine „Portion” Eis bestellen, weil er zu oft von einer „Portion Juden” gelesen hat. Er steigert sich in einen „Hassrausch”, als wolle er „im Alleingang die Aufklärungs- und Trauerarbeit für eine ganze Generation” leisten. Burk nimmt sich das Leben, doch der Suizid ist kein Vorwurf an die Gesellschaft, sondern Schlusspunkt unter eine Verblendung.
„Hatte ich”, fragt der Erzähler, „kein Recht auf meinen Abwehrreflex, auf eine Pause wenigstens?” Eben dieses Recht, die „Vergangenheitsbewältigung” zu unterbrechen, haben vor 30 Jahren die Söhne bestritten, die Väter indes trotzig eingeklagt. Schneider steht nun selbst auf der Seite der Väter. Die einzige Politik, die er sich gönnt, ist die Politik der Geschlechter. Selbst das kriegszerstörte Sarajevo, Schauplatz der dritten Erzählung, gibt lediglich den Rahmen ab für sentimentale Erinnerungen an eine heiße Nacht. Schneiders Unbehagen an seiner Generation kulminiert in der Geschichte eines Schäferhundes. Der liebesbedürftige Hund weicht einem Lehrer nicht von der Seite. Der „Kaspar Hauser unter den Vierbeinern” entpuppt sich jedoch als „Killerbestie”, abgerichtet von den Grenzwächtern der DDR. Hund und Lehrer verstehen sich dennoch blendend: Sie verbindet ihr „schäbiges Kollektivschicksal”. Von eben diesem Fluch, noch in den mühsamsten Abnabelungsprozessen Produkt einer überlebten Gemeinschaft zu sein, erzählen Peter Schneiders lethargische Nachrufe auf die Achtundsechziger.
ALEXANDER KISSLER
PETER SCHNEIDER: Das Fest der Missverständnisse. Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 184 S., 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jörg Magenau hat in diesem Band mit Erzählungen, die teils älteren Veröffentlichungen entnommen, teils aktuelle Texte sind, sowohl zu Lobendes als auch weniger Lobenswertes gefunden. Der Rezensent stellt zu seiner Überraschung fest, dass die älteren Erzählungen "immer noch aktuell" sind und er lobt ihre "Frische". Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Geschlechterverhältnis, das in vielen Texten eine Rolle spielt, nach wie vor von Interesse und letztlich ungelöst ist, meint der Rezensent. Auch die neuere Erzählung über das innige Verhältnis eines Gescheiterten mit einem- wie sich später herausstellt - ehemaligen Mauerhund lobt Magenau als "unaufdringlich und leise" erzählt, wenn er hier auch bereits die Gefahr der Bedeutungsüberfrachtung dräuen sieht. Immerhin werde hier Bedeutungen nicht "triumphierend vorgeführt", lobt der Rezensent. Bei den aktuellsten Texten allerdings stört in das Bemühen des Autors, seine Botschaften und Überzeugungen allzu angestrengt ins Literarische übertragen zu wollen. Dies ist nach Ansicht des Rezensenten "literarisch wenig ergiebig" und er vermisst hier die "klare und präzise Sprache" und die feinen Beobachtungen, die in anderen Erzählungen durchaus zu finden sind, wie er betont.

© Perlentaucher Medien GmbH