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"Eine Enzyklopädie der deutschen Geschichte jener Zeit, wie sie sonst nirgends zu finden ist." (Tagesanzeiger Zürich)
In seinem dritten Jahr in Paris setzt sich Kurt Tucholsky weiter nachdrücklich für die deutsch-französische Verständigung ein und schreibt in der "Weltbühne" und der "Vossischen Zeitung" gegen das nationalistisch verzerrte Frankreichbild der Deutschen. Stärker als die französische beschäftigt ihn jedoch die deutsche Innenpolitik; er beteiligt sich intensiv an den Diskussionen über ein neues linkes Bündnis, die "Schwarze Reichswehr", Justizwillkür und die Fememordprozesse.…mehr

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Produktbeschreibung
"Eine Enzyklopädie der deutschen Geschichte jener Zeit, wie sie sonst nirgends zu finden ist." (Tagesanzeiger Zürich)
In seinem dritten Jahr in Paris setzt sich Kurt Tucholsky weiter nachdrücklich für die deutsch-französische Verständigung ein und schreibt in der "Weltbühne" und der "Vossischen Zeitung" gegen das nationalistisch verzerrte Frankreichbild der Deutschen. Stärker als die französische beschäftigt ihn jedoch die deutsche Innenpolitik; er beteiligt sich intensiv an den Diskussionen über ein neues linkes Bündnis, die "Schwarze Reichswehr", Justizwillkür und die Fememordprozesse. Scharf äußert sich Tucholsky zu Abrüstung, Wehrpflicht und Militarismus und formuliert seine Position eines "militanten Pazifismus".
Hinzu kommt eine Fülle von Theater- und Filmkritiken, Reiseberichten, Pariser Alltagsbeobachtungen. Fasziniert bespricht er Kafkas "Prozeß". Anfang Dezember 1926 stirbt Siegfried Jacobsohn, Freund und Mentor. Tucholsky kehrt nach Berlin zurück, um die Redaktion der "Weltbühne" zu übernehmen.
Autorenporträt
Tucholsky, KurtDer am 9. Januar 1890 in Berlin geborene Kurt Tucholsky war einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker des vorigen Jahrhunderts. Er gewann als radikaler Pazifist und geradezu bestürzend frühzeitiger, prophetischer Warner vor dem militanten deutschen Nationalismus politische Bedeutung. Unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser war er fünffacher Mitarbeiter der «Weltbühne», einer Wochenschrift, die er gemeinsam mit Siegfried Jacobsohn und nach dessen Tod mit dem späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky zu einem der aggressivsten und wirksamsten publizistischen Instrumente der Weimarer Republik machte.Nach dem Absturz Deutschlands in die Barbarei nahm er sich am 21. Dezember 1935 in seiner letzten Exilstation Hindås/Schweden das Leben. Er starb im Göteborger Sahlgrenska Sjukhuset. Sein Grab liegt auf dem Friedhof Mariefred-Gripsholm.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Manche Kämpfe entscheiden sich im letzten Satz
Dieser Mann ist für alles zuständig: Kurt Tucholskys Pariser Feuilletons aus dem Jahr 1926 / Von Volker Weidermann

Was für ein Klotz! Der soll ein einziges Jahr im Leben des Journalisten Kurt Tucholsky umfassen? Auf 1015 Seiten? Was für ein Fleiß! Was für eine Textmaschine! Gut, fast die Hälfte der Arbeit haben die Kommentatorinnen geleistet. 550 Seiten Text stehen 450 Seiten Kommentar gegenüber. Allein das Abkürzungsverzeichnis umfaßt acht Seiten. Ja, man kann das zu ausführlich nennen. Muß man aber nicht. Der Kommentar ist ein beeindruckendes Zeitmuseum. Kein Zeitungsbericht, auf den Tucholsky verweist, der unerforscht bliebe, kein am Rande erwähnter Vortrag, kein jüdisches Gericht ohne Kurzrezept, und steht da endlich einmal verschämt ein knappes: "nicht ermittelt", möchte man den Kommentatorinnen erleichtert und beruhigend auf die Schulter klopfen und sagen: "Macht ja nichts. Man kann ja nicht die ganze Welt ermitteln." Die ganze Tucholsky-Welt, so wie sie war, damals, im Jahr 1926.

Eine große Menge hat er schon selbst erklärt, in seinen Texten. 218 Berichte und Gedichte hat er geschrieben in diesem Jahr, das er zu einem großen Teil als Korrespondent für die "Vossische Zeitung" und die "Weltbühne" in Paris verbrachte. An mehr als jedem zweiten Tag schickte er eine kleine Welterklärung an die Heimatredaktionen. Er beobachtete unentwegt, las unentwegt, kommentierte unentwegt, schrieb und kämpfte jeden Tag bis zur Erschöpfung. Im Mai dieses großen Arbeitsjahres schrieb er an den Freund und "Weltbühne"-Herausgeber Siegfried Jacobsohn: "Ich arbeite fast jeden Tag von morgens bis abends, ich gebe mir Mühe, und man kann gewiß nicht mehr Skrupel und Selbsthaß haben als ich. Du kennst meinen bis zur Lebensgefährlichkeit gesteigerten Mangel an Größenwahn: aber wogegen ich mich mit aller Macht stemme, ist die Anschauung, als sei in meinem Alter und bei meinem rein äußerlichen Erfolg das Verhungern, Geldpumpen, die Zahlungsschwierigkeiten - als sei das alles ein Normalzustand."

Tucholsky brauchte Geld. Das war zumindest einer der Gründe seines unglaublichen Fleißes. Im September schrieb er sogar einen Artikel in der "Weltbühne" über die skandalöse Bezahlpraxis im deutschen Journalismus. Er prangerte an, daß vom Tagesgeschäft ahnunglose Geschäftsführer die Höhe der Redaktions-Etats festlegen, daß festangestellte Redakteure gedankenlos mit den freien Kollegen umgingen, daß Texte immer erst nach Druck bezahlt werden und nicht nach Lieferung. "Seit wann zahlt man einem Schneider erst, wenn man den gelieferten Anzug zum ersten Mal trägt? Man zahlt, wenn er geliefert wird. Auch die Zeitung hat zu zahlen, wenn er geliefert wird."

Doch sie zahlte wohl viel zu selten und zu wenig. Den ganzen Sommer schrieb er, zusätzlich zu seiner Journalisten-Fron, gemeinsam mit Alfred Polgar Texte für eine komplette Revue für Max Reinhardts Deutsches Theater geschrieben, die niemals aufgeführt wurde. Alles umsonst.

1926 war kein sehr gutes Jahr für Kurt Tucholsky. Er hatte mit glänzenden Vorsätzen begonnen. Denselben wie 1920, 1921 und all die Jahre danach: "Kein Bier, keine Süßigkeiten, turnen, früh aufstehen, Karlsbader Salz, durch den Tiergarten gehen, Spanisch lernen, eine ordentliche Bibliothek, Museum, Vorträge, Vaseline auf den Waschtisch, keine Schulden mehr, Rasieren lernen. Radio basteln - Energie! Hoppla! Das wird ein Leben!"

Und wurde eben doch wieder nur ein Leben wie das Leben in den Jahren zuvor. Tucholsky ist für alles zuständig. Muß gegen alles anschreiben, gegen jeden Mißstand, den Lauf der Welt. Er muß sich m, alles kümmern. "Macht ja sonst keiner," wird er sich gedacht haben. Er muß die Sprache bewachen - oh, und niemand bewacht die Sprache so schön wie Kurt Tucholsky. Kleiner Einschub. Anfang eines echten, eines herrlichen, eines einmaligen Tucholsky-Artikels: "Bei meiner Jagd auf Modewörter springt ein seltsam schwarz-weiß gestreiftes Ding durch die Grammatik-Bäume, ich lege an, es bekommt die Ironie-Ladung gerade in den...ich habe vergessen, wie wir Jäger diesen Teil des Wildes nennen, und als ich näher trete, erkenne ich die Beute. Es ist ,die Angelegenheit'. Das ist ja eine dolle Angelegenheit." So bewacht der Mann die Sprache, und wer diesen Text einmal gelesen hat, wird das Wort "Angelegenheit" nie mehr vergessen und nie mehr benutzen.

Denn Tucholsky ist es ernst mit seinen Sprachurteilen. Ebenso ernst wie mit all den anderen Kampfplätzen, auf denen er schreibt. Ob er den alten Kaiser beschimpft, oder den neuen Präsidenten, ob er den Pazifismus-Streit endlich entscheiden will oder den endlosen Streit der Sozialisten, ob er Patrioten beschimpft oder das Deutsche Rote Kreuz, ob er Thomas Mann zurechtweist oder Alfred Kerr. Der Ernst, die Kampfeslust ist überall die gleiche. Manche Kämpfe entscheidet er erst im letzten Satz. Seitenlang zieht er da gegen ein neues Zensurgesetz zu Felde. Hast ja recht, hast ja recht, denkt man recht müde, und dann der letzte Satz: "Dieses Gesetz gegen Schmutz und Schande fällt unter sich selbst." Damit hat er uns wieder alle. Toll.

Und manchmal geht er einem natürlich auch schrecklich auf die Nerven. Mit seinem ständigen Warnen und seiner Ängstlichkeit. Einmal beobachtet er die Tour de France, und alles scheint gut zu laufen. Tucholsky gut gelaunt und voller Respekt vor den sportlichen Leistungen. Da heißt es im letzten Absatz. "Über diesen Betrieb vergißt er mitunter den Zweck des Rummels - und wer das zu benutzen versteht, der kann mit ihm Alles, Alles unternehmen, was er will. Sogar Kriege." Einfach so Sport, das ging eben nicht. Das mußte dann schon als Unglücksgleichnis herhalten. Man kann die Zuschauer der Tour de France sich auch als begeisterte Kriegsteilnehmer vorstellen. Ja, ja. Man kann. Muß man aber nicht.

Einmal, ein einziges Mal ist Tucholsky ratlos. Er hat den "Prozeß" von Kafka gelesen, und er versteht nichts. Er weiß, hier ist ein großes Buch. Aber er versteht - nichts: "Hier weißt du gar nichts. Du tappst im Dunkel. Was ist das? Wer spricht?" Ein Tucholsky kann das naturgemäß nicht ertragen. Er schreibt an Max Brod mit der Bitte um Deutung. Der schreibt blumig ein bißchen was von "inneren Richtern", erklärt aber auch, daß man mit Kafka niemals über Deutungen sprechen konnte. "Er selbst deutete so, daß die Deutungen immer neuer Deutungen bedürftig waren." Das war Tucholsky aus tiefstem Herzen fremd. Sein Größe macht es aus, daß er das erkannte und staunend vor diesem großen Buch stand und las und bewunderte und rätselte und fast religiös endete: "Wir dürfen lesen, staunen, danken."

Das Jahr endete schrecklich für Kurt Tucholsky. Siegfried Jacobsohn starb. Der Herausgeber der "Weltbühne", sein vielleicht bester Freund. Tucholsky schreibt in seinem Nachruf: "Siegfried Jacobsohns Arbeit soll nicht umsonst gewesen sein. Organisches Leben zieht Leben an - es soll nicht untergehn. Gib deine Waffen weiter, S.J. -!" Tucholsky hatte die Waffen längst übernommen. Jetzt mußte er auch den Posten übernehmen. Er kehrt zurück nach Berlin und übernimmt die Herausgeberschaft der "Weltbühne". Doch er bleibt nur für ein Jahr. Er gibt schnell auf. Das Sitzen und Regieren in Berlin ist nichts für ihn. Er muß weiterreisen, weiterschreiben, weiterkämpfen, noch sechs Jahre lang. Bis zum Schweigen. Bis zur Aufgabe. Bis zum Schluß.

Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Band 8. Texte 1926. Herausgegeben von Gisela Enzmann-Kraiker und Christa Wetzel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 1015 S., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine schier unglaubliche Fülle von Texten sei in diesem Band archiviert worden, so der "rh" zeichnende Rezensent - 218 Texte allein aus dem Jahr 1926. Da Tucholsky zu dieser Zeit Frankreich-Korrespondent war, fänden sich entsprechend viele Texte, die auch Frankreich zum Thema haben, allerdings ohne dass Tucholsky je Deutschland aus den Augen verloren hätte, auf das er aus der Distanz einen ganz neuen Blickwinkel entwickelt habe. Auch vom Genre her habe Tucholsky Vielfalt walten lassen - der Autor habe seine Themen journalistisch, poetisch und literarisch verarbeitet. Zudem ist der Rezensent voll des Lobes für die Herausgeberinnen, die "eine immense Arbeit" geleistet hätten, um diesen Band in seiner ganzen Fülle hervorbringen zu können.

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