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Die Mondlandung von Apollo 11 im Sommer 1969 aus der Sicht eines spanischen Jungen. In Andalusien dringt der Fortschritt ein und verändert das Leben.
"Muñoz Molinas Diktion ist erfüllt von mediterraner Poesie, bildhaft, farbenreich und zupackend." Die Welt

Produktbeschreibung
Die Mondlandung von Apollo 11 im Sommer 1969 aus der Sicht eines spanischen Jungen. In Andalusien dringt der Fortschritt ein
und verändert das Leben.

"Muñoz Molinas Diktion ist erfüllt von mediterraner Poesie, bildhaft, farbenreich und zupackend."
Die Welt
Autorenporträt
Antonio Muñoz Molina wurde 1956 im andalusischen Úbeda geboren. Sein belletristisches Werk ist vielfach preisgekrönt; so wurde er beispielsweise gleich zwei Mal mit dem spanischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet. 1995 wurde er in die Königlich Spanische Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Muñoz Molina lebt derzeit in Madrid und New York City, wo er bis 2006 das Instituto Cervantes leitete. 2013 wurde er mit dem Prinz-von-Asturien-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2010

Nicht die Hände eines Herrensöhnchens

Antonio Muñoz Molina kehrt in seinen Romanen immer wieder in die spanische Provinz zurück. Mit "Mondwind" legt er das intimste Zeugnis seiner Selbstsuche vor.

Mágina ist ein heißer, fast lebensfeindlicher Ort, an dem die bäuerliche Bevölkerung der trockenen verkrusteten Erde nur mühsam etwas Essbares abtrotzen kann. In der andalusischen Provinz, in die Antonio Muñoz Molina mit seinem neuen Buch "Mondwind" führt, ist das Leben Ende der sechziger Jahre ein archaisches, vom Wetter und den Jahreszeiten bestimmtes. In der Kleinstadt Mágina träumt sich in der Dachstube eines ärmlichen Steinhauses ein dreizehnjähriger Junge, Sohn eines Gemüsebauern, mit Hilfe seiner Bücher aus der Enge und Trostlosigkeit des bildungsfernen Elternhauses hinaus. In der Lektüre von Jules Vernes findet er Stoff für Tagträume; Kapitän Cooks Reisen um die Welt und Amundsens Expeditionen regen seinen Wissensdurst an. Im Juli des Jahres 1969 ist es allerdings vor allem die amerikanische Mondmission, die seine Phantasie beflügelt und sein Fernweh weckt. Es gibt in dem alten Bauernhaus zwar kein fließendes Wasser, aber einen Fernseher. Und der zeigt in diesen Tagen Bilder von der Mondreise der Apollo 11, die der Vater für eine Fälschung hält, die dem Sohn jedoch als Symbol für den Aufbruch in ein neues, technologisches Zeitalter gelten.

Die Geschwindigkeit der Mondreise wird in Fuß pro Sekunde gemessen, aber die Zeitungen, in denen über sie berichtet wird, erreichen Mágina erst mit einigen Tagen Verspätung. Der jugendliche Ich-Erzähler kennt jedes Detail des Apolloflugs und berechnet in der mittäglichen Sommerhitze von seinem Bett aus die Flugbahn. Sein Umfeld reagiert auf seinen Wissensdrang und seine Technikbegeisterung mit Besorgnis, hegt man doch auf dem Land ein tiefes Misstrauen gegenüber gelehrten Büchern; Sprichwörtern und Volksweisheiten misst man mehr Wahrheitsgehalt zu als den Weltnachrichten im Radio oder im Fernsehen. "Wie willst du deinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn du nicht lernst, auf dem Feld zu arbeiten, sondern die ganze Nacht liest?", fragt der ratlose, ja enttäuschte Vater, der sich von seinem einzigen Sohn erhofft, er werde einst die Gemüsezucht übernehmen. Dass der begabte Junge als einziger Stipendiat zwischen den Söhnen betuchter Bürger das Gymnasium besuchen kann, erfüllt den Vater weniger mit Stolz als die Schwielen, die er von der Feldarbeit mitbringt. Zufrieden lässt er sich "die Hände eines Mannes und nicht eines Herrensöhnchens oder Priesters" zeigen.

Der Junge merkt bald, dass der Fluch "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen", den die Priester als universal erklären, auf seiner Schule, einem katholischen Salesianerkolleg, nur für ihn alleine gilt. In den Weihnachtsferien, wenn die Schulkameraden lange schlafen und den Tag vor dem Fernseher verbringen, steht er noch bei Dunkelheit auf, um in den Frost hinauszuziehen und Oliven zu ernten. Mit noch fast kindlichen Händen, die steif von der Kälte sind, und auf vom Kriechen auf gefrorenem Boden aufgescheuerten Knien klaubt er die vom Baum gefallenen Früchte auf und sehnt sich unter der Last der Olivensäcke nach der Schwerelosigkeit des Alls. Im Jahr 2000, ist er sicher, werden Computer und Roboter alle schweren Arbeiten verrichten. Es wird fliegende Autos geben und Urlaubsreisen zum Mars, doch vorerst muss er sich noch mit der Eselin begnügen, auf der er auf die Felder reitet. Das karge, rückständige Leben in Mágina ist ein Thema, zu dem Antonio Muñoz Molina immer wieder in seinen Büchern zurückkehrt. Der vierundfünfzigjährige Autor ist eine Galionsfigur der "nueva narrativa española", der wichtigsten literarischen Strömung des demokratischen Spaniens, und spätestens seit seiner Aufnahme in die Königlich-Spanische Akademie 1995 auch international bekannt.

Sein Mágina ist für die spanische Literatur so etwas wie Gabriel García Márquez' Macondo für die südamerikanische - mit dem Unterschied, dass Mágina kein Ort der Erfindung, sondern der Erinnerung des Autors ist. Zwar wird man es wie das südamerikanische Pendant auf keiner Landkarte finden, wohl aber den in "Mondwind" beschriebenen Fluss Guadalquivir, die Sierra de Mágina und die endlosen Olivenhaine an ihren Ausläufern. Wer nach einem Ort sucht, auf den Muñoz Molinas Beschreibung passt, der wird auf die maurische Festungsstadt Úbeda und Geburtsstadt von Muñoz Molina in der hitzeflirrenden Provinz Jaén stoßen. Hier liegt das in "Mondwind" beschriebene Viertel San Lorenzo, in dem ein niemals namentlich genannter Heranwachsender - der wie der Autor 1956 geboren ist - ängstlich die Veränderungen seines Körpers beobachtet. Es gibt in Úbeda bis heute das Salesianerkolleg Santo Domingo Savio, in dem 1969 den Söhnen reicher Eltern und einigen begabten Stipendiaten die Liebe zu Gott und die Ehrfurcht vor den Padres mit Kopfnüssen eingebleut wurde.

Die Geschichte des Jugendlichen an der Schwelle zur Pubertät, der sich aus eigenem Antrieb mit Rationalität bewaffnet, um gegen den Aberglauben und Obskurantismus seiner Umwelt zu bestehen, ist wohl die Beschreibung Muñoz Molinas eigener Jugend. Er wuchs auf in einer Welt, in der Lesen und Lernen als Zeitverschwendung galten. "Katholische Indoktrination in der Schule, jeden Morgen die Hymne der Falange", beschrieb er seine Jugendzeit in den düsteren Jahren der gefestigten Franco-Diktatur einmal. Mágina ist bei ihm Synonym für Fernweh, Überdruss und Trostlosigkeit, aber auch für Identität. Muñoz Molina kämpfe als Autor gegen die eigene Geschichtslosigkeit und die seines Landes, schrieb seine Frau Elvira Lindo, ebenfalls Schriftstellerin. Mit "Mondwind" liegt nun das wohl intimste Zeugnis der Selbstsuche des Autors vor.

In all seinen Romanen begegnet man Protagonisten, deren Biographien Überschneidungen mit der Muñoz Molinas aufweisen. Schon die Figur des Journalisten Solana aus seinem ersten Werk "Beatus Ille", das ihm 1986 den spanischen Ikarus-Preis und den Ruf des aufrechten Moralisten einbrachte, lässt sich als Alter Ego des Autors identifizieren. Ebenso der junge Mann, der in dem Roman "Der polnische Reiter" von 1973 auf ein Stipendium und den Ausbruch aus Mágina in die große weite Welt hofft. In "Mondwind" tritt nun das Personal der vorangegangenen Bücher in Nebenrollen wieder auf: Der Journalist Lorencito Quesada, der nun so engagiert Nacht für Nacht für das Lokalblatt über die Mondlandung schreibt, dass er bei seiner täglichen Lohnarbeit beinahe zusammenbricht, musste bereits in "Die Geheimnisse von Madrid" ein Verbrechen aufklären. Der freidenkerische Dorfarzt Medina spielte bereits in "Beatus Ille" eine wichtige Rolle. Und dann tauchen jener Held aus dem Erstlingswerk und sein von der Falange ermordeter Vater in den Gesprächen der Großeltern wieder auf.

Die Reduktion auf einen winzigen Zeitausschnitt, nämlich vom Tag, an dem die Apollo 11 startet, bis zur Rückkehr der Astronauten zur Erde vier Tage später, lässt Muñoz Molina viel Raum für Schilderungen der Alltagsbeobachtungen und Bewusstseinsprozesse des Jungen. Seite für Seite erschließt sich dem Leser das Leben im begrenzten Bezirk der Olivenhaine und weiß gekalkten Häuser. Dabei wird Muñoz Molina nie weitschweifig, sondern folgt dem von ihm propagierten Ideal eines reinen, präzisen aber doch bildreichen Ausdruckes. "Mondwind" ist ein konzentriertes und poetisches Buch, in dem Muñoz Molina es aber dennoch schafft, die Sprache in einem eigenwillig-drängenden Rhythmus voranzutreiben und bis zuletzt eine ungeduldige Spannung zu halten. Der sorgfältigen Arbeit von Willi Zurbrüggen ist es zu verdanken, dass die sprachliche Brillanz in der deutschen Übersetzung erhalten blieb.

Dass er genau kennt, was er beschreibt, bewahrt den Autor davor, ins Klischee zu verfallen. Es gibt kein Idyll. Nostalgie, über die Antonio Muñoz Molina einmal äußerte, sie würde der Literatur nicht guttun, schimmert nur durch. Ebenso fein dosiert ist der Humor, eine liebevolle Art von Ironie, mit der zum Beispiel beschrieben wird, wie sich der Junge nach einem geschwänzten Sonntagsgottesdienst als heroischer Freidenker fühlt, "wie Voltaire oder Giovanni Papini", und sich gleichzeitig vor der Rache Gottes fürchtet.

Der Autor hat die Geschichte seiner Jugend von New York aus rekonstruiert, wo er von 2002 bis 2004 das "Instituto Cervantes" leitete. Sosehr sich Muñoz Molina auch aus der Provinz weggesehnt haben mag, so liebevoll blickt er nun zurück. Es liegt eine große Zärtlichkeit in seiner Beschreibung einer Welt, deren Bewohner zwar den Sprung von der ptolemäischen Weltsicht zu der Galileos und Newtons noch nicht vollzogen haben und den Mond nach einem alten Lied Catalina nennen, die er aber doch nie als Hinterwäldler zeichnet. "Muss ich weniger arbeiten, wenn diese als Taucher verkleideten Amerikaner auf dem Mond landen?", stellt der Vater die entscheidende Frage. Die Skepsis gegenüber allem Neuen, so klingt durch, ist vielleicht weniger naiv als vorbehaltloser Fortschrittsglauben.

Die Perspektive des Noch-Kindes, das aus Mangel an geistiger Freiheit Zuflucht in imaginären Welten sucht, erlaubt es Muñoz Molina auch mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit über die bleierne Zeit der Diktatur zu schreiben. Aus dem Gemurmel, das durch verschlossene Schlafzimmertüren dringt, aus heimlichtuerischen Anspielungen, Gesprächsfetzen und Zeitungsnotizen rekonstruiert der Junge sein eigenes unschuldiges Bild der ständig präsenten Vergangenheit. Am Schluss sieht man den Ich-Erzähler als Mann mit grauem Haar, der sich in einer weit entfernten, tosenden Stadt in seinen Träumen Nacht für Nacht nach Mágina zurücksehnt. Der Vater ist tot, das Haus verlassen. Hier fällt Muñoz Molina nun doch allzu sehr ins Elegische. Der unvermittelte Sprung in die Gegenwart auf den letzten Seiten ist ein überflüssiger literarischer Trick, der das Gefühl des Lesers, ein Kleinod in den Händen zu halten, aber nicht beeinträchtigen kann.

ANNIKA MÜLLER

Antonio Muñoz Molina: "Mondwind". Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 336 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Annika Müller ist ganz verzaubert von Antonio Munoz Molinas neuem Roman. Die Zeitspanne von ein paar Tagen (während der Mondmission von Apollo 11) des Jahres 1969 genügt dem Autor, um rückblickend von einer Jugend in der andalusischen Provinz zu erzählen und die Rezensentin vom intimsten Zeugnis der Selbstsuche Molinas sprechen zu lassen. Den Beobachtungen und Reifungsprozessen des jugendlichen Helden wohnt Müller dank eines so konzentrierten wie poetischen Erzählens und dank Molinas liebevoller Ironie mit geruhsamer Spannung bei. Brillant findet sie die Sprache in der deutschen Übersetzung durch Willi Zurbrüggen. Einzig dass Molina am Ende in die Gegenwart schwenkt, hält Müller für überflüssig elegisch.

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