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Mai 1945, kurz vor Kriegsende. Zwei junge deutsche Marinesoldaten im besetzten Dänemark begehen Fahnenflucht, weil es sie statt in den Endkampf um Berlin nach Hause zieht. Schon wenige Stunden später greift dänische Miliz sie auf und übergibt sie der Wehrmacht. Eingesperrt in einer finsteren Schiffskammer unterhalb der Wasserlinie, werden sie in die Geltinger Bucht gebracht. Dort, in Sichtweite der Ostsee-Steilküste, stellt man sie vor ein Marinekriegsgericht. Das Urteil, Tod durch Erschießen, wird am Tag nach der bedingungslosen Kapitulation gefällt. Der Gerichtsherr, der das umstrittene…mehr

Produktbeschreibung
Mai 1945, kurz vor Kriegsende. Zwei junge deutsche Marinesoldaten im besetzten Dänemark begehen Fahnenflucht, weil es sie statt in den Endkampf um Berlin nach Hause zieht. Schon wenige Stunden später greift dänische Miliz sie auf und übergibt sie der Wehrmacht. Eingesperrt in einer finsteren Schiffskammer unterhalb der Wasserlinie, werden sie in die Geltinger Bucht gebracht. Dort, in Sichtweite der Ostsee-Steilküste, stellt man sie vor ein Marinekriegsgericht. Das Urteil, Tod durch Erschießen, wird am Tag nach der bedingungslosen Kapitulation gefällt. Der Gerichtsherr, der das umstrittene Urteilspapier noch unterschreiben muss, verbringt eine Nacht ohne Schlaf.
Jochen Missfeldt erzählt von diesem historisch belegten Geschehen, dessen Ausgang so unsinnig wie tragisch ist, vor dem Hintergrund der schleswig-holsteinischen Küstenlandschaft. In seiner kraftvollen und zugleich poetischen, reichen Sprache zeichnet er das Bild einer gleich mehrfach menschlichen Tragödie.
Autorenporträt
Jochen Missfeldt, geboren 1941 in Satrup bei Schleswig, war Fliegeroffizier bei der Luftwaffe und studierte dann Musikwissenschaft und Philosophie. Er veröffentlichte die Romane "Solsbüll", "Gespiegelter Himmel", "Steilküste" und "Sturm und Stille", außerdem Erzählungen, Gedichte und eine Biographie Theodor Storms. Im Jahr 2002 erhielt er den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis, später auch den Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein, den Theodor-Storm-Preis der Stadt Husum sowie den Italo-Svevo-Preis. Jochen Missfeldt lebt in Nordfriesland.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2005

Das Menschliche im Krieg
Hingerichtet am 10. Mai 1945: In dem Roman „Steilküste” erzählt Jochen Missfeldt von der Soldatenlogik
War der Zweite Weltkrieg mit dem 8. Mai, dem Tag der Kapitulation, zu Ende? Überhaupt: Gibt es in der Geschichte Kippschalter, die entweder auf Null oder auf Eins stehen, tertium non datur? Genügt es, die Reichskriegsflagge einzuziehen, und der Krieg ist vorbei? Ist es nicht viel eher so, dass die historischen Prozesse an ihren Grenzen ausfransen? Denn wie in der physikalischen Welt die Körper unterliegen in der historischen die Ereignisse den Gesetzen der Trägheit und folgen der einmal eingeschlagenen Richtung auch dann noch, wenn an höherer Stelle längst auf die Bremse getreten worden ist.
Diese Frage ist keine philosophisch-räsonierende, sondern eine um Leben und Tod. Jochen Missfeldt, von den ganz großen Sprachbegabungen der deutschen Gegenwartsliteratur einer der unbekanntesten, erzählt in seinem neuen Roman „Steilküste” die Geschichte zweier junger Marinesoldaten, die Anfang Mai 1945 ihre Truppe verlassen, um der zu erwartenden britischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Doch man schnappt die Fahnenflüchtigen. Während der Kommodore der Schnellboote die vertragsgemäße Übergabe seiner Flotte an die Briten in aller Korrektheit vorbereitet, macht man den beiden einen Tag nach der Kapitulation, am 9. Mai, den Prozess.
Es ist nicht mehr leicht, die dafür nötigen Beisitzer, Ankläger, Verteidiger und Protokollanten zusammenzubringen, denn so unbegreiflich und gespenstisch dieser historisch verbürgte Vorgang dem heutigen Leser scheint, schon damals rieben sich die Kameraden angesichts dieser überflüssigen Ungeheuerlichkeit die Augen. Nichtsdestotrotz nimmt die Gerechtigkeit ihren pünktlichen Lauf, die Deserteure werden zum Tode verurteilt, von der Möglichkeit der Begnadigung sieht der Kommodore ab, am 10. Mai 1945 um 16:30 Uhr werden die Verurteilten durch ein Erschießungskommando der Kriegsmarine hingerichtet.
Ist das der helle Wahnsinn, die reine Bestialität? Es ist, wie man nach der bewegenden, ja bestürzenden Lektüre von Missfeldts Roman sagen muss, nicht die reine, sondern die unreine Bestialität - nämlich eine, die sich zum größten Teil aus ethischen Wertmaßstäben zusammensetzt. Das macht sie, im übrigen, nur umso widerlicher. Es ist nicht der Sadismus, sondern die Pflichterfüllung, nicht viehische Gewalt, sondern moralische Reflexion, nicht blinder Nationalsozialismus, sondern ein merkwürdig abstraktes Tugendideal, das zwei Tage nach einem verlorenen und beendeten Krieg zwei junge Männer (der eine noch fast ein Kind) der Exekution überstellt. Über den Kommodore und Gerichtsherrn, der dem Urteil durch seine Unterschrift Gültigkeit geben muss, heißt es in gleichsam fassungslosem Sarkasmus: „Ach, eine qualvolle Nacht lag hinter ihm. Fast wäre er unter der drückenden Last der Verantwortung zusammengebrochen.” Dann unterschreibt der Kommodore.
„Steilküste” ist ein bemerkenswerter Roman - und ein in vielerlei Hinsicht merkwürdiger, der sich nicht leicht einordnen lässt. So könnte man sich die literarische Aufarbeitung eines solchen Falles durchaus als trockene, zurückgenommene, aktenmäßige Reportage, als „Dokufiction” vorstellen, die keiner Ausschmückung bedarf, um ihren Schrecken zu verbreiten. Stattdessen ist „Steilküste” ein hochpoetischer, vor himmelwärtsfliegenden Metaphern und hinreißenden Landschaftsbildern geradezu selbstleuchtender Roman.
Vielleicht muss man es so sagen: Jochen Missfeldts Schreiben kombiniert wie seine Biographie Eigenschaften, von denen wir im postheroischen Zeitalter annahmen, sie träten nie zusammen auf: Lanze und Feder, Soldatentum und Empfindsamkeit, Verwegenheit und Lyrismus. Jochen Missfeldt, Jahrgang 1941, war jahrelang Starfighter-Pilot der deutschen Luftwaffe. Als er, wie in diesem Berufsstand üblich, in seinen Vierzigern in Ruhestand ging, studierte er Musikwissenschaft. Seither schreibt Missfeldt Lyrik und Prosa. Die Landschaft Nordfrieslands, wo er lebt, hat in ihm ihren zartesten Maler gefunden. 2001 erschien sein Meisterwerk „Gespiegelter Himmel”, das ihn endlich einem größeren Publikum bekannt machte - ein Roman, in dem sich auf einzigartige Weise die Starfighter-Erlebnisse des Autors in reine Poesie verwandeln, ohne dadurch das Soldatenleben irgend zu verherrlichen. Wer also gerne eindeutige Zuordnungen liebt, dürfte an diesem Autor wenig Vergnügen finden.
Heimat, deine Sterne
Dass „Steilküste” ein so verstörender Roman geworden ist, hat also nicht nur etwas mit Missfeldts Sprachmächtigkeit zu tun, sondern auch mit seiner biographischen Kenntnis soldatischen Denkens. Wie sich Missfeldt etwa in den Kopf des Kommodores hineinzudenken vermag, lässt den Wahnsinn in seiner ganzen Scheinrationalität und Scheinmoralität nachvollziehbar werden. Der Nihilismus, mit dem einen dieser Blick ins Innere des Kommodore zurücklässt, ist dadurch nur umso bodenloser.
Es ist ein Denken, das sich jeden naheliegenden Reflex konkreter Menschlichkeit gleichsam unter Schmerzen versagt. Die, wenn man so will, humane Wurschtigkeit (mehr braucht es ja oft schon nicht) hätte abwinkend gesagt: „Es ist aus und vorbei. Hier müssen keine Exempel mehr statuiert werden. Wir haben jetzt wirklich andere Sorgen. Wer in diesem Krieg sein Leben riskiert hat, muss es jetzt nicht noch nach seinem Ende, wo Deutschlands Städte in Schutt und Asche liegen, sinnlos einbüßen.” Stattdessen zwingt sich der Kommodore zu, wie er meint, höheren Gesichtspunkten durch: Gerade im Chaos dürften Manneszucht und Disziplin nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Schließlich gelte es, den Briten die Truppe in tadellosem Zustand zu übergeben - besiegt zwar, aber anständig. Jetzt Gnade vor Recht ergehen zu lassen, wäre auch ungerecht den Kameraden gegenüber. Und vor allem: Nie wieder 1918. Der Matrosenaufstand von 1918 war ein „unendlich langer Stachel im Fleisch der Kriegsmarine”. Diesmal aber werde die Kriegsmarine ihren Mann stehen und „unbefleckt aus dem jahrelangen Ringen hervorgehen.”
Der Kommodore und Gerichtsherr ist ein gläubiger Mensch, Sohn eines evangelischen Pastors, und nie ein Hitler-Anhänger gewesen. „Kaum war der Gerichtsherr zurück in seiner Kammer, gedachte er der Menschen, für die er gelebt, für die er alles auf sich genommen zu haben glaubte. Würde man vollenden, was er nicht hatte vollenden können? Er meinte das Menschliche im Krieg. Er meinte das Christliche im Militär. Nur zwei oder drei wie er würden genügen, und nichts wäre umsonst gewesen. Wie auf dem Koppelschloss: Gott mit uns. Glaubte er an die Gottähnlichkeit des militärischen Apparates? Man nehme nur das Gute mit nach Hause: Treue, Kameradschaft, Anstand, Briefpapier, Fernglas. ,Er zog seine Straße fröhlich.‘ Dieses Bibelwort wünschte er sich für den weiteren Weg.” Das historische Vorbild des Kommodore wurde im Jahre 1953 von einem Hamburger Schwurgericht freigesprochen.
IJOMA MANGOLD
JOCHEN MISSFELDT: Steilküste. Ein See- und Nachtstück. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 281 S., 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Voller Respekt notiert Jan Bürger, in was für ein gefährliches Gebiet sich Jochen Missfeldt da vorwagt. Einerseits untersucht er die verbrecherischen Todesurteile der Wehrmacht, hier am Beispiel zweier Marineangehörigen, die sogar noch nach der Beendigung aller Kampfhandlungen als Fahnenflüchtige hingerichtet wurden, andererseits wendet er sich den Opfern zu, die keine Widerstandskämpfer, sondern eher "unauffällige Mitläufer" waren. Um einen "reinen Dokumentationsroman" handelt es sich hier aber nicht, betont der Rezensent. Zitate aus verschiedenen historischen Quellen sorgen für einen abwechslungsreichen Tonfall, der durch ein "dichtes Gewebe an Leitmotiven" gestützt wir, die jedes der kurzen Kapitel "mit poetischer Energie aufladen". Missfeldts "schlichte und konzentrierte" Sprache kommt dem Thema nur zugute, lobt Bürger, "stilistische Virtuositätsbeweise" würden vom Autor bewusst und dankenswerter Weise unterlassen. Vielmehr versuche Missfeldt die Kriegsgeneration vorurteilslos zu begreifen und führt damit eines jener Experimente durch, "die nach 1968 selten geworden sind".

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Dieser Roman wird zu Recht in einem Atemzug mit der "Deutschstunde" von Siegfried Lenz oder Günter Grass' "Blechtrommel" genannt. Große Romane, die Aufstieg und Fall der nationalsozialistischen Verbrecherbande aus den Geschichtsbüchern in die Lebensrealität normaler Familien übertragen. Martin Schulte Flensburger Tageblatt 20210126