Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 9,65 €
  • Gebundenes Buch

Ein faszinierendes Buch über Neuseeland, die vom Erdbeben zerstörte Stadt Christchurch, eine Einwandererfamilie aus Europa, über Lloyd Jones selbst.
Nach dem schweren Erdbeben, das Christchurch im Februar 2011 nahezu in Schutt und Asche legte, fährt Lloyd Jones in die zerstörte Stadt. Er hört der Stille nach, die auf ein Beben folgt, und lässt sich von ihr leiten. Die Betrachtung der Stadt wird immer mehr zu einer Spurensuche und Selbsterforschung - als wären mit den verheerenden Erdstößen erst die Brüche und Lücken in Jones' eigener Familiengeschichte erkennbar geworden. Seine Großeltern…mehr

Produktbeschreibung
Ein faszinierendes Buch über Neuseeland, die vom Erdbeben zerstörte Stadt Christchurch, eine Einwandererfamilie aus Europa, über Lloyd Jones selbst.

Nach dem schweren Erdbeben, das Christchurch im Februar 2011 nahezu in Schutt und Asche legte, fährt Lloyd Jones in die zerstörte Stadt. Er hört der Stille nach, die auf ein Beben folgt, und lässt sich von ihr leiten.
Die Betrachtung der Stadt wird immer mehr zu einer Spurensuche und Selbsterforschung - als wären mit den verheerenden Erdstößen erst die Brüche und Lücken in Jones' eigener Familiengeschichte erkennbar geworden. Seine Großeltern hat er nie kennengelernt, die Mutter wollte es nicht. Denn ihre Mutter hatte sie als Kind weggegeben, um einem Mann zu folgen, und das hat sie nie überwunden. In der Familie wurde darüber geschwiegen. Und über so manches andere auch. Wie viel leichter wäre seine Jugend gewesen, stellt Lloyd Jones auf seiner Spurensuche fest, wenn man stattdessen geredet hätte. Sein Buch ist ein Plädoyer für Offenheit und für das Niederreißen von familiären Tabus.
Nachdem er das Hinterland von Christchurch erkundet hat, reist Lloyd Jones weiter, übers Meer nach Pembroke Dock in Wales. Von dort sind seine Urgroßmutter und sein Großvater zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgebrochen, um ein neues Leben auf dem fernen Kontinent zu beginnen. Was haben sich die Auswanderer erhofft? Konnte das raue Leben in Neuseeland ihren Träumen gerecht werden?
Dieses feinfühlige Buch verbindet Familiengeschichte und Landesgeschichte auf gekonnte Weise. Die Mythen von Auswanderung und Eroberung einer fremden Welt vermischen sich mit literarischer Selbsterkundung. Es ist das bislang persönlichste Buch von Lloyd Jones, in dem er seinen Wurzeln nachgeht und aufzeigt, wie wichtig für uns alle das Wissen um unsere Herkunft ist.
Autorenporträt
Jones, Lloyd
Lloyd Jones, geboren 1955 in Lower Hutt, Neuseeland, hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht und gehört zu den namhaften, vielfach preisgekrönten Autoren seiner Heimat. Sein Roman «Mister Pip» wurde in über 30 Sprachen übersetzt, mit Hugh Laurie verfilmt, mit dem Commonwealth Writers' Prize ausgezeichnet, und er stand auf der Shortlist des Booker Prize 2007. «Die Frau im blauen Mantel» wurde für den Internationalen Literaturpreis nominiert. Lloyd Jones lebt in Wellington, Neuseeland. 2015/16 ist er Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

Osterwald, Grete
Grete Osterwald, geboren 1947, lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen in Frankfurt am Main. Sie wurde mehrfach mit Übersetzerpreisen ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Jane-Scatcherd-Preis. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen Siri Hustvedt, Alfred Jarry, Anka Muhlstein, Jacques Chessex sowie Nicole Krauss, Jeffrey Eugenides und Elliot Perlman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2015

Hineingeboren in ein Reich der Amnesie
Der neuseeländische Schriftsteller Lloyd Jones macht sich auf, die Geheimnisse seiner Familie zu lüften

Manchmal ist es gut, sich daran zu erinnern, auf was für einem Fundament man steht und lebt. Am 22. Februar 2011 wurde die neuseeländische Stadt Christchurch schmerzhaft daran erinnert, welches Fundament das ihre ist. Ein Erdbeben der Stärke 8 auf der Richterskala erschütterte die zweitgrößte Stadt des südpazifischen Inselstaates. Der Schutt begrub die überraschten Menschen unter sich, 185 fanden den Tod, fast 6000 wurden verletzt. Das Hauptbeben dauerte nur 25 Sekunden - genug, um die Stadt in ein Katastrophengebiet zu verwandeln und die Menschen daran zu erinnern, dass ihre Stadt einst auf einem Sumpfgebiet erbaut worden war.

Auch Lloyd Jones fühlte sich von diesem Ereignis in seiner Heimat tief betroffen. Der Schriftsteller, der mit dem Roman "Mister Pip" internationalen Ruhm erlangte, beschloss, nach Christchurch zu reisen. Dort spricht er mit den Leuten, streift durch die zerstörte Stadt und macht sich Notizen: "Diese Welt war zerbrechlicher, als irgendjemand hatte ahnen können, so fragil, dass sie einem auf Dauer wie eine Attrappe vorkam, als hatten dort alle in einer Theaterkulisse gelebt." Intuitiv wird Jones klar, warum ihn das Erdbeben so sehr fesselt - unabhängig von der menschlichen Tragödie, die es in erster Linie darstellt. Er bemerkt "einen Schwall von Erinnerungen, die ohne bestimmten Zusammenhang unsortiert in mir aufstiegen, als wäre lockerer Bodensatz aus meinem Inneren nach oben gespült worden".

Die wirren Erinnerungen betreffen Jones' eigene Familie - sein Fundament, von dem er fast nichts weiß. Er begibt sich auf eine Reise zu seinen Wurzeln und den Geheimnissen, die seine Familie umgeben. Mit "Die Geschichte der Stille. Eine Spurensuche in Neuseeland" ist ihm ein Erinnerungsbuch gelungen, das in der genuinen Verbindung von Sprache und Form ein berauschendes Kunststück darstellt.

Jones wird 1953 als fünftes Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Sein Zuhause ist die Kleinstadt Lower Hutt, in der Nähe der Hauptstadt Wellington. Da seine Geschwister wesentlich älter sind, wächst er fast wie ein Einzelkind auf. So trainiert er seine Sinne auf den Ton der zwischenmenschlichen Atmosphäre, auf das Zwischenzeilige, auf das Ungesagte. Viel gesprochen wird im Hause Jones ohnehin nicht. Es gibt keine Geschichten und keine Familienfotos, die dem kleinen Lloyd begreifbar machen, woher er stammt und wer er ist. "Ich bin in ein Reich der Amnesie hineingeboren worden. Und im Reich der Amnesie geht zuerst die Sprache verloren - Erzählungen von Feen und Nymphen verschwinden, sobald der Schatten, in dem sie Schutz suchen, für immer zerstört wird durch das flutende Tageslicht, das den Waldesgrund erreicht, wenn die Baumriesen zu Boden krachen."

Jones erschafft sich eine Sprache für seine Geschichte - davon lebt dieses Buch. Man merkt jedem Satz förmlich an, wie Jones bestrebt ist, Erinnerungen mit der Hilfe von originellen Bildern, von ungewohnten Wortverbindungen, von passenden Anekdoten und eines poetischen Tons sprachlich aufzuspüren und zum Leben zu erwecken. Grete Osterwald ist es auf herausragende Weise gelungen, diese ungewöhnliche Sprache aus dem Englischen ins Deutsche zu überführen.

Die Geschichte, die Jones literarisch freilegt, manchmal freischlägt, ist eine von Schuld, Verrat, vom Verlassen- und Zurückgelassenwerden und von verlorener Liebe - in einer mütterlicherseits, wie väterlicherseits wurzellosen Familie. "Fehler mögen willkürlich erscheinen, aber sie sind nie zufällig", besagt ein dem Buch vorangestelltes Motto. "Es gibt immer einen verborgenen Auslöser, einen Grund für ihr Vorhandensein."

Jones glaubt an eine Art psychologische Blutlinie, die sich durch eine Familie zieht. Diese wird aber nicht nur durch Fehler geprägt, sondern auch durch vermeintlich positive Entscheidungen. In einer Episode erinnert er sich daran, wie ihn seine Mutter Joyce als kleinen Jungen mitnahm, wenn sie mit dem Auto zu einem Haus fuhr, das Auto davor parkte und das Haus einfach nur anstarrte. Wie sich später herausstellte, lebte dort ihre Mutter, die Joyce weggegeben hatte, als sie noch klein war - auf das Drängen ihres Mannes, der aber nicht der Vater von Joyce war. Jones' Vater Edward wuchs elternlos in einem Waisenhaus auf. "Einige Tage nach dem schweren Erdbeben von 1931 in Napier war mein Vater", schreibt Jones in seinem Buch, "385 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen." Der Sohn wird vom selben Instinkt getrieben, als er 2011 beschließt, nach Christchurch zu fahren.

In solchen Passagen spiegelt sich nicht nur die Bedeutung der Mythologisierung in der Familie, sondern auch die Bedeutung der Mythologisierung, die in einem Einwanderungsland wie Neuseeland eine ganz eigene Rolle spielt. Als im neunzehnten Jahrhundert viele Menschen aus Europa ans andere Ende der Welt reisten, kappten sie damit die Verbindung zu ihren eigenen Wurzeln, ihren ureigenen Geschichten und Mythen. Jones nimmt den umgekehrten Weg und reist im zweiten Teil des Buches nach Wales, woher ein Teil seiner Familie stammt, um seine Geschichte zu erforschen.

Bereits in seinen vorherigen Romanen hat sich Jones, der zurzeit auf Einladung des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin lebt, eingehend mit der Frage der Identität auseinandergesetzt. Besonders trefflich in "Die Frau im blauen Mantel", in der er von einer Afrikanerin erzählt, die über das Mittelmeer nach Berlin flüchtet. Es ist kein Zufall, dass ein Neuseeländer, dazu ein Pakeha, also ein europäischstämmiger, die scheinbar Wurzellosen, die Flüchtigen und die Frage nach der Identität zu seinem literarischen Leitthema gemacht hat. Denn auch die Pakeha sind in Neuseeland die Eingewanderten, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder neu erfinden mussten. "Die Geschichte der Stille" erzählt davon, was es heißt, sich selbst und seine Herkunft neu denken zu müssen. Damit ist dies auch ein aktuelles Buch, das uns Deutschen vielleicht ein Anreiz sein kann, darüber zu forschen, wer wir sein könnten, wenn wir nur wollten.

In Christchurch werden die Häuser seit geraumer Zeit wieder aufgebaut, nicht aus Stein übrigens, sondern aus einem neuartigen Sperrholz, das eine Art Gummifundierung besitzt. Bei einem Erdbeben werden sich die Häuser so mit den seismographischen Schwingungen bewegen. Die Zeit der Einstürze sollte dann hoffentlich vorbei sein.

INGO PETZ

Lloyd Jones: "Geschichte der Stille". Eine Spurensuche in Neuseeland.

Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 288 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Auf Sylvia Staude hat dieses Buch Eindruck gemacht. Der Neuseeländer Lloyd Jones geht darin auf eine doppelte Spurensuche. Einerseits erzählt er, wie er nach dem großen Erdbeben von 2011 nach Christchurch reiste. Andererseits erforscht er die Geschichte seiner Familie. Beides fügt sich zwar überhaupt nicht zusammen, meint die Rezensentin, doch für sich genommen findet sie die jeweiligen Stränge sehr stark.

© Perlentaucher Medien GmbH
Sprachgewandt und exquisit. The Sunday Times