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Sie nennt sich Ines, aber niemand kennt ihren echten Namen, ihren Geburtsort; nur das Ziel ihrer Reise ist bekannt: Berlin. Ob sie Geschwister hat, ob ihre Eltern noch leben, könnte keiner der Menschen sagen, denen die junge Afrikanerin auf ihrem Weg durch die Festung Europa begegnet ist. Sie erinnern sich, sie erzählen von ihr, der Frau im blauen Mantel, deren Haut ungewöhnlich hell ist und sommersprossig. Nach und nach entfaltet sich ihre Geschichte und mit ihr die Geschichte der Menschen, deren Weg sie gekreuzt hat, die sie beschenkt, benutzt und in ihre eigenen Lebenslügen eingesponnen…mehr

Produktbeschreibung
Sie nennt sich Ines, aber niemand kennt ihren echten Namen, ihren Geburtsort; nur das Ziel ihrer Reise ist bekannt: Berlin. Ob sie Geschwister hat, ob ihre Eltern noch leben, könnte keiner der Menschen sagen, denen die junge Afrikanerin auf ihrem Weg durch die Festung Europa begegnet ist. Sie erinnern sich, sie erzählen von ihr, der Frau im blauen Mantel, deren Haut ungewöhnlich hell ist und sommersprossig. Nach und nach entfaltet sich ihre Geschichte und mit ihr die Geschichte der Menschen, deren Weg sie gekreuzt hat, die sie beschenkt, benutzt und in ihre eigenen Lebenslügen eingesponnen haben: der Straßenkünstler, der sich in Ines verliebt, der blinde Mann, dem sie den Haushalt führt - und schließlich der Kommissar, der bald erkennt: Die Wahrheit hat viele Gesichter. «Lloyd Jones ist ein wagemutiger Schriftsteller, einer der interessantesten, ehrlichsten, anregendsten Autoren, die wir heute haben.» (The Guardian) Er führt uns in eine Welt, die der unsrigen kaum vertraut und doch unmittelbar neben ihr angesiedelt ist - in einem Roman, der ergreift und berührt durch seine menschliche Wärme, seine Unbestechlichkeit, seinen Sinn für die Wirklichkeit, in der wir leben.
Autorenporträt
Jones, LloydLloyd Jones, geboren 1955 in Lower Hutt, Neuseeland, hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht und gehört zu den namhaften, vielfach preisgekrönten Autoren seiner Heimat. Sein Roman «Mister Pip» wurde in über 30 Sprachen übersetzt, mit Hugh Laurie verfilmt, mit dem Commonwealth Writers' Prize ausgezeichnet, und er stand auf der Shortlist des Booker Prize 2007. «Die Frau im blauen Mantel» wurde für den Internationalen Literaturpreis nominiert. Lloyd Jones lebt in Wellington, Neuseeland. 2015/16 ist er Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

Osterwald, GreteGrete Osterwald, geboren 1947, lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen in Frankfurt am Main. Sie wurde mehrfach mit Übersetzerpreisen ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Jane-Scatcherd-Preis. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen Siri Hustvedt, Alfred Jarry, Anka Muhlstein, Jacques Chessex sowie Nicole Krauss, Jeffrey Eugenides und Elliot Perlman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Ihr könnt euch niemals sicher sein

Lloyd Jones verhandelt in "Die Frau im blauen Mantel" das gewichtige Thema der Migration keinesfalls schwerfällig. Einfache Antworten hat der neuseeländische Romancier nicht parat.

Von Sandra Kegel

Die unbekannte Frau wird wie Treibgut an die sizilianische Küste gespült. Als die junge Afrikanerin aus den Fluten des Meeres auftaucht, läuft sie gleichwohl erhobenen Hauptes an den überraschten Badenden vorbei. Niemand soll ihr anmerken, dass sie die letzten vierundzwanzig Stunden um ihr Leben geschwommen ist. Was die fremde Frau besitzt, trägt sie in einer Plastiktüte um den Leib gewickelt, es ist nicht mehr als eine Hoteluniform und ein Messer. Sonst besitzt sie nichts. Sie hat auch keine Heimat, keinen Namen. Sie hat weder Geld, noch spricht sie eine europäische Sprache. Gleichwohl hat sie sich mutterseelenallein auf eine Odyssee begeben, die sie von Italien über die Schweiz und Österreich bis nach Berlin führt. Dort, hofft sie, ihr Kind zu finden. Und den Mann, der es ihr geraubt hat.

So dramatisch sich der Auftakt des neuen Romans von Lloyd Jones liest, so schnell wird klar, dass es sich bei Neuseelands renommiertestem Romancier nie so einfach verhält, wie es zunächst vielleicht den Anschein haben könnte. Simple Lösungen hat der 1955 in Lower Hutt geborene Schriftsteller nicht zu bieten. Der Weg zur Wahrheit einer Geschichte ist bei ihm immer nur der halbe Weg. Denn während der zweiten Hälfte der Lektüre werden all jene Gewissheiten, die man zuvor gewonnen hat, verlässlich wieder zunichte gemacht. Wer recht hat und wer nicht, was gut ist und was böse, das ist bei Jones so widersprüchlich wie das Leben selbst.

Wie schon in seinem letzten Roman, "Mister Pip", der von einem blutigen Bürgerkrieg auf einer Pazifikinsel erzählte und der inzwischen in fünfunddreißig Sprachen vorliegt, gelingt es Lloyd Jones auch in "Die Frau im blauen Mantel", eindimensionalen Auslegungen entgegenzuwirken. So ist der Tunesien-Urlauber, der die Hotelangestellte schwängert und sie später ahnungslos die Adoptionspapiere unterschreiben lässt, ehe er das Kind entführt, zwar aus Berlin, doch ist er schwarz - wenn auch "nicht in dieser Haut aufgewachsen". Jermayne entzieht sich somit dem plakativen Bild des bösen Weißen, der die namenlose Afrikanerin kaltblütig überlistet und ausbeutet. Um postkoloniale Anklage ist es diesem Autor nicht zu tun. Lloyd Jones, der in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington lebt, sich 2007 jedoch mit einem Stipendium für ein Jahr in Berlin aufhielt, interessieren Identitäten und ihre fließenden Grenzen. Auch seiner Romanheldin, die sich selbst den Namen Ines gegeben hat, ist jegliche Opferrolle fern. Die junge Afrikanerin reagiert stattdessen schroff und hartherzig. Natürlich rührt dies aus ihrer Verzweiflung darüber, immer wieder benutzt, gekränkt und verletzt zu werden. Doch sie selbst wiederum schadet gerade jenen besonders, die ihr zugetan sind und eigentlich helfen wollen.

Literarisch interessant ist die Geschichte der "Frau im blauen Mantel" durch die multiperspektivische Erzählung. Denn sie setzt sich nur in Bruchstücken zusammen aus Berichten immer neuer Erzähler, die der Fremden auf ihrem Leidensweg begegnen. Da kommt ein Italiener zu Wort, der Ines nachts aufgreift und im Auto an die Grenze bringt, besorgt, seine Frau könnte etwas bemerken. Als Ines durchs Gebirge irrt, begegnet sie Männern auf Rebhuhnjagd, ein Lastwagenfahrer greift die Fremde am Straßenrand auf, weil er sie für eine Prostituierte hält. Eine Schneckensammlerin berichtet von ihrer Begegnung, schließlich ein Priester, ein französischer Anarchist und ein neuseeländischer Biologe namens Dafoe. Der Ton ist nüchtern, fast protokollarisch, wobei Jones anhand kleiner Farbtupfer durchaus erkennen lässt, dass einige Zeugen unfreiwillig mehr Dinge über sich preisgeben, als ihnen lieb sein kann. Zusammengetragen hat diesen Chor der Stimmen ein italienischer Polizist, der in mühevoller Recherchearbeit die Reise der Afrikanerin von Italien nach Berlin rekonstruiert, um einen Mord aufzuklären, den sie womöglich begangen hat.

Wie bei einem Kaleidoskop verändert sich durch jede neue Drehung das Muster der Geschichte. Stück für Stück setzt sich der Leser ein immer neues Bild von Ines zusammen, das gleichwohl bis zuletzt unvollständig bleibt, da die Reisebekanntschaften immer nur kurz währten. Außerdem stellt sich heraus, dass nicht allen Zeugen zu trauen ist. Sie haben durchaus ihre eigene Version der Ereignisse.

Dass es dem Roman auch um das Thema Unsichtbarkeit geht, lässt der englische Originaltitel von 2010, "Hand Me Down World", eher erkennen. Hand me down nennt man zum Beispiel die vererbten Kleidungsstücke älterer Geschwister an die Jüngeren. Jones' Protagonistin trägt gleich eine ganze Biographie einer anderen auf. Hinter dieser Maske sucht sie Schutz, und ihr Versuch, Europa zu durchkreuzen, ohne bemerkt zu werden, birgt ungeahnte Freiheiten. Ihre Anonymität steht aber auch für ihre Hilflosigkeit. Ines ist ein Mensch, der nicht gesehen wird, der keine Stimme hat und dessen Existenz marginalisiert wird.

Auch wenn vieles in der Geschichte ungeklärt bleibt, wirkt der Roman nicht unvollständig. Die verschiedenen Schichten, die sich darin übereinanderlagern, ergeben das fragmentarische wie fesselnde Porträt einer Frau und der Gesellschaft, die sie umgibt. Lloyd Jones führt sie uns in seinem dekonstruierten Märchen als eine Welt der Lüge, der Selbsttäuschung und der Manipulation vor. Das wirkt elektrisierend und abstoßend zugleich.

Durch eine Zeitungsmeldung über ein Flüchtlingsboot, das im Mittelmeer in Seenot geriet und trotzdem sich selbst überlassen wurde, führte Lloyd Jones zu der Geschichte. Sein Zugang ist originell, und bei aller Schwere der Themen wie Menschenhandel oder illegale Migration ist die Lektüre nie schwerfällig. Als Neuseeländer entstammt der Autor einem Land, das so jung ist, dass seine Geschichte der Einwanderung und Besiedelung zum Greifen nahe scheint. Sein besonderes Gespür für reale und imaginäre Fluchten ist ihm quasi in die Wiege gelegt. Mit dieser Einsicht führt er uns an Orte menschlicher Extreme, mit denen wir nicht rechnen konnten.

Lloyd Jones: "Die Frau im blauen Mantel". Roman.

Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einfache Lösungen sucht Rezensentin Sandra Kegel in diesem dramatischen Roman des Neuseeländers Lloyd Jones vergebens. Die Frage nach Gut und Böse lässt sich bei ihm nie so leicht beantworten, erklärt sie und meint das als Plus dieses Autors, zumal es um das oft schwarzweiß gemalte Thema der Migration geht. Jones, meint Kegel, sei es eher um das Fließende der Identitäten zu tun. Dass der Autor die Geschichte der jungen Afrikanerin Ines multiperspektivisch erzählt, zugleich nüchtern protokollarisch, passt laut Kegel insofern gut, als das Bild von der Frau, das der Leser erhält, sich auf die Art stetig verändert. Vieles bleibt so ungeklärt. Für Kegel allerdings kein Grund an der Vollständigkeit des Romans zu zweifeln. Die vielen Schichten, findet sie, ergeben das Porträt einer Frau und der sie umgebenden Gesellschaft als einer Welt der Lüge. Bei aller Schwere der Themen eine nie schwerfällige Lektüre, so Kegel.

© Perlentaucher Medien GmbH
Herausragend. The Sunday Times