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Liska, eine junge Russin vom Land, wagt den Sprung in die nächstgrößere Stadt. Auf der Flucht vor den üblen Nachreden des Heizers Pascha stolpert sie von Mann zu Mann: von einem sie um den Finger wickelnden Kartenspieler in die Arme eines Parteifunktionärs, aus der Ehe mit einem schmucken Trolleybusfahrer zu einem Kriegsveteranen, der irgendwo im Süden seine Zukunft verloren hat, und noch immer ist sie auf ihrer Suche nach Arbeit und Liebe nicht am Ziel. Dieser Roman, in dem Männer unterschiedlichster Milieus wie in einem Reigen vor Liska auf- und abtreten, ist ein Kaleidoskop der russischen…mehr

Produktbeschreibung
Liska, eine junge Russin vom Land, wagt den Sprung in die nächstgrößere Stadt. Auf der Flucht vor den üblen Nachreden des Heizers Pascha stolpert sie von Mann zu Mann: von einem sie um den Finger wickelnden Kartenspieler in die Arme eines Parteifunktionärs, aus der Ehe mit einem schmucken Trolleybusfahrer zu einem Kriegsveteranen, der irgendwo im Süden seine Zukunft verloren hat, und noch immer ist sie auf ihrer Suche nach Arbeit und Liebe nicht am Ziel. Dieser Roman, in dem Männer unterschiedlichster Milieus wie in einem Reigen vor Liska auf- und abtreten, ist ein Kaleidoskop der russischen Gesellschaft. Mit Einfühlungsgabe und Menschenkenntnis und in der Tradition der großen russischen Dichter begegnet Alexander Ikonnikow seinen in tragikomische Sehnsüchte verstrickten Figuren, zeigt uns die Welt, in der sie leben, mit Augenzwinkern und Humor.
Autorenporträt
Alexander Ikonnikov, 1974 in der russischen Provinzstadt Urshum bei Kirow geboren, hat nach seinem Studium der Germanistik eine Zeitlang als Dorfschullehrer und Dolmetscher gearbeitet. Er lebt in der Kleinstadt Kirow, 800 Kilometer östlich von Moskau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2003

Welch dumme Geschichte
Russische Beziehungskisten: Ein Roman von Alexander Ikonnikow

Am Anfang allen Erzählens steht das Gesetz der Serie. Auf A folgte B, auf B folgte C - aus der Aufzählung selbst aber folgte nichts. Denn das Ziehen einer Summe gehörte nie zum Kerngeschäft der Ependichter. Erst die Romanschreiber und später dann die Personalchefs huldigten dem Glauben, die Aneinanderreihung von Mutproben, Liebschaften oder Arbeitszeugnissen führe die Entwicklung eines Charakters vor. Doch das Einerlei der Chronik, wo alle Erzählfäden ins Nirgendwo führen, überwinterte in den Grauzonen der Literatur - und nicht zuletzt an den Rändern Europas, wo die Hoffnung auf ein Ziel der Geschichte immer aufs neue betrogen wurde.

Auch Alexander Ikonnikow dichtet seit seinem beachtlichen Erstlingswerk "Taiga-Blues" am trägen Epos der Provinz, obwohl er doch als hoffnungsvoller Endzwanziger zur jüngsten Generation russischer Gegenwartsliteratur gehört. In seinem Roman "Liska und ihre Männer" verschwindet der Autor fast vollständig in jener unscheinbaren Chronistenrolle, die seit Walter Benjamins Aufsatz über Leskow als Markenzeichen einer im Alltag verwurzelten Erzählkunst gilt. Denn Ikonnikow führt den Lebensweg seiner ungefähr gleichaltrigen Heldin zwar von Wohnung zu Wohnung, von Beruf zu Beruf und von Lebensabschnittspartner zu Lebensabschnittspartner. Doch statt Entfaltung zu beschreiben, feiert Ikonnikow heilige Einfalt. Liskas Fortschritt jedenfalls besteht, zumindest auf dem Papier, aus einer Serie von Fehltritten.

Wer Ikonnikows Rückzug in die Tiefe des Raums als Paradebeispiel naiver Dichtung auslegen will, hat leichtes Spiel. Liskas Vater "wuchs als schwächlicher Knabe auf", das Mädchen selbst beginnt in der Pubertät "ein süßes Weh zu fühlen", und das Jungvolk im Wohnheim in der Provinzhauptstadt "grölte Lieder zur Gitarre und fluchte nach Herzenslust" - fast jeder niedergeschriebene Satz scheint einem volkstümlichen Sagenschatz zu entstammen, und das liegt offenbar nicht nur an der Übersetzung. Denn auch das Personal - sei es die "alte Jungfer", der "wortkarge Bursche" oder der "Trunkenbold von Mann" - kommt überwiegend aus der Schnitzwerkstatt der Archetypen.

Als Erzähler scheint Ikonnikow also jedes Experiment zu meiden. Daß zu Beginn eines Kapitels "murmelnde Bäche, jaulende Kater und Vitaminmangel" den Frühling ankündigen, wirkt in diesem von Schlichtheit geprägten Rahmen fast schon wie eine Ausschweifung. Doch auch wenn der unzeitgemäße Tonfall des Buchs die Schmerzgrenze an manchen Stellen überschreitet, liegt mit "Liska und ihre Männer" kein Manifest eines heimwehkranken Konservatismus vor. Eher steckt in der literarischen Enthaltsamkeit eine listige Rebellion gegen die großen Erzählungen. Denn der Kunstgriff der Retro-Rhetorik dient Ikonnikow mitnichten dazu, Liskas Lebensgeschichte gegen die Zumutungen der Geschichte abzuschotten. Lediglich das Heilsversprechen einer besseren Zukunft perlt an ihrer glatten Oberfläche ab.

Versteckte Geschichtsmarken nämlich tauchen in Ikonnikows Roman wie in einem Suchbild auf. Immerhin bekommt die junge Liska gleich nach ihrem Umzug in die Provinzhauptstadt von ihren Wohnheimgenossinnen "einen Kurzhaarschnitt nach dem letzten Schrei der Zeitschrift ,Die Arbeiterin' verpaßt". Der aufstrebende Komsomolsekretär Viktor, der Liska für eine Weile in seine Luxuswelt aufnimmt, tauscht unter Gorbatschow das rote Tuch auf dem Präsidiumstisch gegen grünen Stoff aus. Liskas Ehe mit dem Trolleybusfahrer Artur bleibt kinderlos, weil die benötigten Hormonpräparate ohne Beziehungen ins Ausland nicht zu bekommen sind. Und bei Liskas erstem Rendezvous mit dem Kriegsinvaliden Max steigen schauerliche Erinnerungsbilder aus Tschetschenien an die Oberfläche.

Doch Ikonnikow verwendet die Zeitleiste wie ein abgenutztes Requisit. "Das Land wurde zum x-tenmal verrückt", hebt eine Passage an, welche die Ereignisse des Systemwechsels in einem an Johann Peter Hebels Erzählung "Unverhofftes Wiedersehen" erinnernden Zeitraffer abspult, "aber durch die breiten Straßen der Stadt G. rollte der hellgrüne Trolleybus Nr. 17". Auch die unabhängige und immer noch recht junge Liska, die am vorläufigen Ende ihrer Odyssee durch die Männerwelt als Busfahrerin ihre Runden dreht, erfährt ihr Leben längst als Zeitschleife.

Man müßte diesen Roman als erzählerischen Tribut an die Trostlosigkeit betrachten, als knatternden Stummfilm der Jetztzeit, vollzöge nicht das Schlußkapitel eine wilde und vollkommen überraschende Drehung. Denn der Erzähler, bislang im toten Winkel einer schmucklosen Chronik verborgen, tritt hier in einem buchstäblichen Rausch der Wörter selbst in die Handlung ein und auf eine ziemlich unverschämte, jedenfalls aber sehr witzige Weise an seine Heldin heran. Die namenlose Provinz des Epischen erfährt mit dem Auftritt des abgestürzten Schriftstellers, der alle Naivität abwirft und ein Feuerwerk der Ironie abfackelt, gleichsam ihre Entweihung - und verliert dennoch, immerhin handelt es sich um eine russische Erzählung, deshalb ihren Zauber nicht. Denn auch der Erzähler fügt sich am Ende ins gleichmütige Gesetz der Serie: In der Reihe von Liskas Männern besetzt er den allerletzten Platz.

ANDREAS ROSENFELDER

Alexander Ikonnikow: "Liska und ihre Männer". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Annelore Nitschke. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 192 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2004

Tataren im Trolleybus
Alexander Ikonnikows Roman „Liska und ihre Männer”
Mit dem viel gelobten Episodenband „Taiga Blues” hat der junge Alexander Ikonnikow vor wenigen Jahren das Genre der russischen Dorfgeschichte wieder belebt und sich damit zwangsläufig den Ruf eines Tschechow von heute eingehandelt. Die Zeit, sie schien in Ikonnikows postsozialistischer Provinz ebenso stillzustehen wie einst in Tschechows Zarenreich, und der einzige Unterschied bestand darin, dass auch menschenfreundliche und fortschrittsgläubige Ärzte und Erzähler wie Tschechow inzwischen wohl ihre Hoffnungen begraben hätten. Zu weit das Land, zu unbefahrbar seine Wege, zu groß das Herz und der Fatalismus seiner Bewohner.
Ikonnikows ewiges Russland entspricht dem Bild, das man von Russland hat, auch wenn man es nicht kennt. Bedient der Autor mit seiner liebenswürdigen Karikatur des russischen Menschen ein Klischee oder ist er einer ethnographischen Konstante auf der Spur, an der die vorüberziehenden Systeme bis heute nichts geändert haben? Es könnte aber auch sein, dass den Autor die Frage, wie es wirklich ist, nicht übermäßig interessiert. „Tieren steht nicht der Sinn nach Wahrheitssuche” heißt das Motto über seinem ersten Roman „Liska und ihre Männer”.
Bereits der Titel deutet auf das Episodische der erzählten Begebenheiten. Liska, um 1970 in einem mittelrussischen Landstädtchen namens „Klettenberg” geboren, wird im Verlauf des Romans mit einer repräsentativen Auswahl russischer Männer Bekanntschaft schließen. Es beginnt mit dem schweigsamen Heizer Pascha, dem Liska auf dem Schulweg die Aufwartung macht, um endlich das Geheimnis hinter dem Schulhofgetuschel ihrer Klassenkameradinnen zu enthüllen. Als wenig später Pascha öffentlich mit seiner Großtat hausieren geht, kann Liskas Bleiben in Klettenberg nicht länger sein.
Liska wird Schwesternschülerin im nahe gelegenen G., einer richtigen Stadt, erkennbar an mächtigen Plattenbauten und Hunderten von Fabrikschloten. Ihren Nebenjob als Hausmeisterin eines Plattenblocks versieht sie mit solcher Verve, dass sie sich unschuldigerweise auf einem Polizeirevier wiederfindet, wo sie Mischa kennen lernt: Gitarrist, Outlaw, Lebenskünstler und, wie sich später herausstellen wird, notorischer Schwindler und „Witwentröster”. Mischa ist in Wahrheit Semjon und Liska wieder allein und immer noch Hausmeisterin. „Mit dem Studium hatte es nicht geklappt, dann hatte sie sich in einen Gauner verliebt und wohnte in einem Arbeiterviertel-Wohnheim mit drei Mädchen zusammen, die genau wie sie keine besonders rosigen Perspektiven hatten.”
Saufen, Sitzen, Träumen
Das ist der nicht sonderlich erfreuliche, aber auch nicht alarmierende Zwischenstand von Liskas Männersuche, als mit Viktor Michailowitsch, dem Sekretär des städtischen Komsomolkomitees, ein aufstrebender Funktionär in ihr Leben tritt. Es ist die Zeit der Perestroika, und Viktor ist dabei, sich für die Zeit danach zu positionieren, ein Opportunist und Technokrat des Übergangs, den Ikonnikow mit einiger Komik porträtiert. Im Bett agiert er „sachkundig”, wenn auch nicht liebevoll. Nach zwei Jahren ist Liska der mechanischen Beziehung mit dem Funktionär überdrüssig. Im Komsomolbüro, wo sie inzwischen arbeitet, läuft ihr der Tatare Artur über den Weg, ein Mann mit Sommersprossen und auch sonst das Gegenteil seines Vorgängers. Artur lenkt einen Trolleybus und macht Liska umgehend einen Heiratsantrag.
Bald wird in Anwesenheit der großen tatarischen Verwandtschaft und fast aller Männer des Trolleybusdepots Nummer vier geheiratet. Bald fährt Liska selbst Trolleybus, das Leben sieht vorübergehend rosig aus. „Das Eheleben gefiel Liska”, aber zur selben Zeit wird „das Land verrückt”: „Moskau brodelte, die Provinz hortete Salz und Streichhölzer”. Artur säuft und spielt abends mit den Kumpeln Karten, während Liska immer öfter vom Ehebruch träumt. Im „Maiglöckchen” sitzt eines Abends Max, ein Invalider aus dem Afghanistankrieg.
So geht es dahin. Wiederholung ist das Gesetz dieser Episoden, während im Hintergrund der Monotonie die große Geschichte voranschreitet. Während das Land verrückt wird, tun Liska und ihre Männer, wie es scheint, das Immergleiche, von den Umständen und vom Wodka Vorgegebene. Als wolle er nun endlich einmal Schluss machen mit der ewigen Absehbarkeit und Fatalität des russischen Alltags, bringt Ikonnikow im neunten und letzten Kapitel beherzt eine Figur ins Spiel, die bis dahin niemand auf der Rechnung hatte. Ihr Name ist „Ich”.
Ich ist ein Schriftsteller, und er wird mit Linda ein Leben anfangen, von dem man nicht weiß, wie es enden wird, aber doch, dass mit ihm die Zeit der trüben Männerfiguren und Wiederholungen vorbei ist. Ist sie das wirklich? „Manchmal”, so endet Ikonnikows Roman merkwürdig genug, „wenn ich es mir abends im Sessel bequem mache, um ein Hockey-Turnier anzuschauen, verlässt sie schweigend die Wohnung und zieht lautlos die Tür hinter sich zu. Ich betrachte ihre zurückgelassenen rosa Pantoffeln in Form zweier drolliger Plüschkaninchen und frage mich, ob sie wohl wiederkommt.”
CHRISTOPH BARTMANN
ALEXANDER IKONNIKOW: Liska und ihre Männer. Roman. Aus dem Russischen von Annelore Nitschke. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 190 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit der 17jährigen Liska, die sich Anfang der neunziger Jahre aus der russischen Provinz in die Stadt begibt, hat Alexander Ikonnikow eine Hauptfigur erschaffen, der es an jeglicher Eigenschaft mangelt, und damit dem "Leser keinen Gefallen getan", findet Adam Olschewski. Das ausgeprägteste Merkmal sei noch ihre "Naivität", die ihr den titelgebenden Männerreigen beschert, den Liska "unzureichend gewappnet, schmerzvoll, aber ohne jeglichen Lerneffekt bewältigt". Zwar attestiert der Rezensent dem Autor eine "zumeist gelenkige Sprache", doch sei er bei jedem Neuanlauf "gescheitert", "aus den Figuren Erzählenswertes zu heben". Offensichtlich gelangweilt zeigt sich Olschewski von der "Darstellung des Täglichen" und mutmaßt, dass selbst dem Autoren der "Sinn abhanden" gekommen sei, "wozu es gut sein soll". Dass die Übersetzung noch dazu eine fehlerhafte ist, wie der Rezensent weiß, sei wenig hilfreich.

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