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"Harald Poelchau ist eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler." -- Peter Schneider
Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: Harald Poelchau. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als…mehr

Produktbeschreibung
"Harald Poelchau ist eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler." -- Peter Schneider
Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: Harald Poelchau. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als Geistlicher genoss, hat Poelchau im Widerstand fast täglich sein Leben riskiert und in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, das politisch und rassisch Verfolgten Unterschlupf bot und vielen das Leben rettete. Mit Mitgliedern der Roten Kapelle hielt er engen Kontakt; er selbst gehörte dem Kreisauer Kreis an und war mit Peter Yorck von Wartenburg, Helmuth James von Moltke und Dietrich Bonhoeffer befreundet.
Autorenporträt
Harpprecht, KlausKlaus Harpprecht, geb. 1927, hat als Journalist unter anderem für RIAS, SFB und ZDF gearbeitet. Von 1966 bis 1969 war er Leiter des S. Fischer Verlags und von 1972 bis 1974 Chef der Schreibstube und Berater von Willy Brandt. Lebte zuletzt als freier Schriftsteller in Frankreich. Er starb am 21. September 2016. Publikationen u.a.: «Georg Forster oder Die Liebe zur Welt» (1990), «Thomas Mann. Eine Biographie» (1995), «Im Kanzleramt. Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt» (2000), «Harald Poelchau - Ein Leben im Widerstand» (2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Dr. Tegel gegen Hitler
Ein Gefängnispfarrer im "Dritten Reich" / Von Rainer Blasius

Am 1. April 1933 trat Harald Poelchau seine neue Stelle an. Etwa sechshundert Personen hatte er im "Verwahrhaus III" des Gefängnisses Tegel - elf Kilometer vom Berliner Stadtzentrum entfernt - seelsorgerisch zu betreuen. Der 1903 geborene staatliche Fürsorger und Theologe wurde noch im Sommer 1933 Staatsbeamter. Poelchau, der in seiner Tegeler Funktion in keinem Dienstverhältnis zur evangelischen Kirche stand, war "der erste Gefängnisgeistliche im Dritten Reich - eine düstere Pointe, die sich Poelchau später zuweilen zunutze machte, um den braunen oder schwarzen Schergen die eine oder andere Konzession abzupressen". Darauf weist Klaus Harpprecht in seiner einfühlsamen und sehr lesenswerten Biographie hin.

Am 17. April 1934 mußte der leidenschaftliche Gegner der Todesstrafe den ersten Delinquenten zur Exekution begleiten. Mehr als tausend Menschen sollte Poelchau bis 1945 auf die Hinrichtung vorbereiten oder auf dem schrecklichen letzten Weg beistehen, unter ihnen viele Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, der "Roten Kapelle" und des "Kreisauer Kreises". Zu den Kreisauern um Helmuth James Graf von Moltke stand Poelchau bereits vor deren Entdeckung durch die Gestapo in Kontakt, obwohl er nicht zum innersten Zirkel dieser Widerstandsgruppe gerechnet werden kann. Der Anstaltsgeistliche ermöglichte es vor allem, daß die Hitlergegner während ihrer Haftzeit untereinander und mit ihren Familien Verbindung halten konnten, und er kümmerte sich auch couragiert um die Hinterbliebenen der Hingerichteten. Über Poelchaus Einschätzung der tapferen Witwen stellt Harpprecht fest: "Ist ihm jemals deutlich geworden, daß sie alle bürgerlicher Herkunft waren: Freya von Moltke eine geborene Deichmann, Marion von Yorck, die Juristin, eine geborene Winter, Barbara von Haeften eine geborene Curtius (die Tochter des einstigen Außenministers der Weimarer Republik), Clarita von Trott zu Solz, die spätere Ärztin, eine geborene Tiefenbacher? Das bürgerliche Element, das sie in die Ehen brachten, mag den Blick der Männer für die sozialen Realitäten geschärft haben. Moltke und Yorck und Trott wußten wohl, daß die Mehrheit ihrer Standesgenossen keineswegs mit dem Widerstand sympathisierten . . . Um so bedeutender die Leistung der Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises und des 20. Juli, die - zum Teil manchen frühen Verwirrungen abschwörend - ihr Leben unter dem Gebot des Anstands und damit der wahren Ehre dahingaben."

Unter dem Decknamen "Dr. Tegel" war Poelchau eine Anlaufstelle für rassisch und politisch Verfolgte, denen er Verstecke bot oder zur Flucht verhalf. So nahmen er und seine Frau Dorothee beispielsweise Ende 1942 ein völlig verängstigtes achtjähriges jüdisches Mädchen für einige Wochen bei sich auf. Zur Tarnung erhielt das Kind den Namen einer Gleichaltrigen aus dem eigenen Bekanntenkreis. Trotzdem war die Gefahr groß, daß es sich selbst verraten würde. Als Dorothee Poelchau den Kindern in der Hausgemeinschaft ein Märchen erzählte und vom Tod eines alten Königs sprach, wollte die Kleine sofort wissen: "Tante, wie haben sie ihn denn umgebracht, haben sie ihn vergast, oder hat er sich das Leben genommen?" Nur diese Möglichkeiten des Sterbens kannte das Mädchen aus den täglichen Gesprächen im Lebenskreis der Mutter.

Harpprecht weist in seiner Studie, die das Nachkriegsleben Poelchaus bis zu dessen Tode am 29. April 1972 einbezieht, mehrfach darauf hin, daß ein Retter wie der Tegeler Gefängnispfarrer immer wieder selbst einige Helfer brauchte, um einem Verfolgten das Überleben sichern zu können. Riskiert hätten solche "Gerechte", von denen die Welt erst jetzt - also nach Jahrzehnten - Kenntnis nehme, Haft und Konzentrationslager. "Daß Harald Poelchau niemals in die Fänge der Gestapo und ihrer Häscher geriet, war ein Rätsel, nein, eines der Wunder jener Tage. Man muß kein frommer Christ oder Jude sein, um zu glauben, daß er und die Seinen durch eine Fügung bestimmt waren, den Menschen zu dienen, wie er es getan hat: ein harter Dienst." In der moralischen Leistung jener Retter und auch der Soldaten, die sich verbrecherischen Befehlen verweigerten, sowie im Opfer der Männer und Frauen des Widerstandes dürfe man das von einer "beschämend geringen" Minderheit gebildete Fundament erkennen, "auf das ein freies Gemeinwesen in einem europäisierten Deutschland gebaut werden konnte".

Klaus Harpprecht: "Harald Poelchau". Ein Leben im Widerstand. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 253 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2004

Ein Wunder in jener Zeit
Zum ersten mal aufgezeichnet: Harald Poelchaus Leben
KLAUS HARPPRECHT: Harald Poelchau. Ein Leben im Widerstand. Rowohlt Verlag, Hamburg 2004. 250 Seiten, 19,90 Euro.
Kaum zu glauben, dass dieses so überaus tapfere Leben erst jetzt seinen Biographen gefunden hat. Um so mehr muss man Klaus Harpprecht danken und diese Lebensgeschichte lesen, wenn man nur einen Funken Interesse daran hat, was nicht nur an Widerstand, sondern an elementarem Anstand und alltäglicher Subversivität im Dritten Reich möglich war.
Harald Poelchau war keine treibende Kraft bei den Planungen des Tyrannenmords wie die Stauffenberggruppe, er hat keinen politischen Widerstandszirkel initiiert wie Helmuth von Moltke oder Henning von Tresckow, auch wenn er mit Moltke, mit Bonhoeffer und vielen anderen Widerstandspersönlichkeiten eng vertraut war. Seine Leistung war eine stillere, sehr viel unauffälligere. Er hat über all die zwölf Jahre - in diesem Fall gilt das Wort „schlicht und ergreifend” - Verfolgten und Bedrohten geholfen und unrettbar Verlorenen Beistand geleistet. Es muss eine geradezu entwaffnende Selbstverständlichkeit um ihn gewesen sein, mit der er sich für Opfer des Regimes einsetzte, selbst wenn er sein eigenes Leben riskierte.
In der Tat: Weil er dies auf so sympathische, unaufgeregte Weise tat, erschien er vielen in seiner entspannten Selbstlosigkeit fast wie eine überirdische Gestalt. Nicht zufällig haben ihn manche als „Engel” apostrophiert. Dabei gehört es zum Schlimmsten, was man über die NS-Herrschaft sagen kann, dass einer, der menschlich handelte, auf seine Umwelt wirkte, als sei er nicht von dieser Welt.
Poelchau wurde kurz vor Hitlers Machtübernahme zum Priester ordiniert und trat im April 1933 als Anstaltspfarrer in das Gefängnis Berlin-Tegel ein; damals war er knapp 30 Jahre alt. Was dann kam, war eine üble Paradoxie, die nur in dieser Diktatur möglich war: Weil in Tegel nicht nur gewöhnliche Kriminelle einsaßen, sondern, in rasch wachsender Zahl, auch politische Gefangene, fiel Poelchau als Geistlichem immer häufiger die Aufgabe zu, zum Tode verurteilte Regimegegner auf den Gang zum Henker vorzubereiten oder gar auf ihrem Weg zur Richtstätte zu begleiten. Später, als er in die Haftanstalt Plötzensee versetzt wurde, eskalierte dieser grausame Dienst erst recht. Wenige mussten so früh und so intim erfahren, dass der politische Mord durch die Henker nicht die dunkle Kehrseite, sondern das wahre Gesicht des Regimes war. Zugleich aber wurde die Welt hinter den Gefängnismauern für ihn, je tiefer draußen die Gestapo auch in die letzten Nischen der Dissidenz und Opposition vordrang, zu einer Insel der inneren Freiheit: „Man war nur an einer Stelle sicher: im Gefängnis.”
So kam es, dass er nicht nur vielen todgeweihten Insassen den letzten Trost spenden, sondern aus dieser makabren Sicherheit des Gefängnisses heraus auch zur vertraulichen, oft überlebenswichtigen Instanz unzähliger hilfesuchender Juden, Widerstandsmitglieder, untergetauchter Kommunisten und anderer politisch Verfolgter außerhalb des Gefängnisses werden konnte. Poelchau konnte Kontakte zu Angehörigen, zu Fluchthelfern herstellen, Geld auftreiben oder selbst Unterschlupf gewähren. Dass er bei all diesen Hilfeleistungen direkt unter den Augen des Unterdrückungsapparates „niemals in die Fänge der Gestapo und ihrer Häscher geriet, war ein Rätsel, nein, eines der Wunder jener Tage”.
Woher Poelchau seine von allen so sehr bewunderte Kraft und Zuversicht nahm, ist schwer zu sagen. War es seine tiefe protestantische Religiosität, die ihm - ganz im Gegensatz zu seiner böse versagenden Kirche - diese souveräne Opferbereitschaft ermöglichte? War es seine politische Haltung, eine Art theologischer, nicht-marxistischer Sozialismus, die ihn zum Gesinnungsfreund vieler Verfolgter machte? Ganz sicher war es nicht seine familiäre Herkunft; auch sein Vater war Pfarrer, aber noch ganz von der obrigkeitshörigen Sorte. Er selbst hegte keinen Zweifel daran, dass es das christliche Gebot sei, den „Mühseligen und Beladenen” zu dienen - auch unter den konkreten Umständen des Dritten Reiches. Nach dem Krieg diente Poelchau bis zu seinem Tod 1972 in der kirchlichen Sozialarbeit, von den Glücklichen, die dank seiner Hilfe die NS-Verfolgung überlebt hatten, hoch geschätzt, vom Rest der Bundesrepublik lange Zeit übersehen.
ANDREAS ZIELCKE
Harald Poelchau, Gefängnispfarrer von Plötzensee.
Foto: epd
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Sehr angetan zeigt sich Rezensent Reiner Blasius von Klaus Harpprechts Biografie des 1903 geborenen Seelsorgers und Theologen Harald Poelchau, der ab 1933 im Dritten Reich als Gefängnispfarrer tätig war. Wie Blasius referiert, musste Poelchau, ein entschiedener Gegner der Todesstrafe, über tausend Menschen, darunter viele Widerstandskämpfer, zwischen 1933 und 1945 auf ihre Hinrichtung vorbereiten und auf ihrem letzten Weg begleiten. Er ermöglichte den Hitlergegnern, während ihrer Haftzeit untereinander in Kontakt zu bleiben, kümmerte sich couragiert um die Hinterbliebenen und gewährte politisch oder rassisch Verfolgten Schutz. Das Resümee des Rezensenten: eine "einfühlsame und sehr lesenswerte Biografie".

© Perlentaucher Medien GmbH"