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Die Erzählungen der kanadisch-amerikanischen Autorin Rivka Galchen, «Amerikanische Erfindungen» verbinden Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften und führen ihre Protagonisten wie Leser immer wieder auf neues Terrain. So geht es, wenn man lernt, der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen.
In einer dieser blühend phantasievollen Storys laufen einer Frau ihre Möbel davon. In einer anderen nimmt die Erzählerin eine Bestellung für Knoblauch-Huhn entgegen, ohne dem hungrigen Anrufer zu sagen, dass sie gar keine Imbiss-Bude ist. In einer dritten Erzählung geht es um Ehe, Beziehung und
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Produktbeschreibung
Die Erzählungen der kanadisch-amerikanischen Autorin Rivka Galchen, «Amerikanische Erfindungen» verbinden Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften und führen ihre Protagonisten wie Leser immer wieder auf neues Terrain. So geht es, wenn man lernt, der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen.

In einer dieser blühend phantasievollen Storys laufen einer Frau ihre Möbel davon. In einer anderen nimmt die Erzählerin eine Bestellung für Knoblauch-Huhn entgegen, ohne dem hungrigen Anrufer zu sagen, dass sie gar keine Imbiss-Bude ist. In einer dritten Erzählung geht es um Ehe, Beziehung und Einsamkeit. Eine Frau ignoriert beharrlich, dass ihr Mann einen Blog mit dem Namen Ich-hasse-meine-Frau-Dot-Blogspot-Dot-Com betreibt.

All diese Storys, die zunächst so tun, als entstammten sie unserem realistischen Alltag, öffnen jählings verborgene Pforten in Schicksale und Welten, die uns nicht so vertraut sind. Ob die davonlaufenden Möbel, die Mysterien des Tunguska-Ereignisses, ein durch Geräusche sprechendes Haus oder die Finessen des Zeitreisens - das Phantasierte und das Erlebte, das Banale und das Erhabene sind in Galchens Welt nur durch eine zart irisierende Wahrnehmung getrennt. Wundersames geschieht, und zugleich stehen die Storys in geheimem Austausch mit kanonischen Erzählungen der Weltliteratur, von Gogols «Nase» über Keats «Ode an eine griechische Urne» bis hin zu Borges' «Aleph».
Autorenporträt
Galchen, RivkaRivka Galchen wurde 1976 in Toronto geboren und wuchs in Norman, Oklahoma, auf. Sie studierte die seltene Mischung von Literatur und Medizin in Princeton und an der Mount Sinai Medical School. Ihr Romanerstling «Atmosphärische Störungen» war ein großer Erfolg in den USA und wurde von den bedeutendsten Rezensenten auf den Titelseiten der Feuilletons gelobt. Der New Yorker listete sie 2010 unter die 20 besten ihrer Generation unter 40. Rivka Galchen lebt in Manhattan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2017

Sag mir deine Echokammer, und ich sage dir, wer du bist
Die großen Schutzschirme sind weggezogen: Rivka Galchens Erzählband "Amerikanische Erfindungen"

Als die amerikanische Schriftstellerin Grace Paley in den sechziger Jahren ihre weiterhin sehr lesenswerten Kurzgeschichten über New Yorker Frauen um die dreißig und deren schwieriges Alltagsleben schrieb, war das noch ein ausdrücklich politisches Vorhaben. "Mädchen", so heißt es in einer ihrer Prosastücke, "leben ein Steinzeitleben in einer Höhle aus geblasenem Glas." Das war Noras Puppenheim, versetzt ins moderne amerikanische Großstadtleben, mit derselben Kritik an männlicher Dominanz, mit demselben Ringen um weibliche Selbstbestimmung wie zu Ibsens Zeiten.

Wenn Grace Paley den Erzählband "Amerikanische Erfindungen" der 1976 geborenen Rivka Galchen noch hätte lesen können - sie wäre aus dem Kopfschütteln wohl nicht herausgekommen. Die für den Band charakteristischen Erzählerinnen in den zehn hier versammelten Texten sind zwar auch in ihren Dreißigern und leben meist in der Großstadt, zum Teil ebenfalls in New York. Ihr Lebensgefühl ist aber nicht durch den alltäglichen Kampf um Gleichberechtigung geprägt, sondern von einem tiefgreifenden, das Dasein vollkommen bestimmenden ennui. Obwohl diese Frauen allesamt die Freiheit haben, autonom über ihr Leben zu entscheiden, zumal keine allzu verbindliche Beziehung oder gar Kinder sie daran hindern könnten, kommt es in den meisten Fällen nicht dazu. Paley wäre vermutlich nichts anderes eingefallen, als das zu ihrer Zeit noch frische Lied von der "Entfremdung" anzustimmen. Damit aber hätte sie die Pointe der vorliegenden Texte gänzlich verfehlt.

Galchen geht es nämlich weniger darum, ihre Figuren - im womöglich politischen Sinne - zu bewerten. Sie will verstehen: Woher dieser Stillstand, diese Melancholie, dieses eigenartig Unbeteiligte? Während es Paley in ihrem Leben (als Aktivistin) wie in ihren Erzählungen stets um weibliche Gleichberechtigung im vollumfänglichen Sinne zu tun war, stehen im Kern heutiger Debatten meist sehr viel speziellere Fragen, etwa die nach equal pay und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Galchens Figuren aber haben meist weder beruflichen Ehrgeiz noch familiäre Ambitionen. Nicht nur für den sozioökonomisch orientierten Feminismus sind diese Frauen also vollkommen irrelevant. Auch ansonsten interessiert sich eigentlich keiner recht für sie.

Hieraus ergibt sich ein Folgeproblem, nämlich der Rückzug und die gleichzeitige Einkapselung der Figuren in selbsterschaffene Welten: sei es in die Philosophie (eine der Frauen begibt sich in einen weltabgewandten Kreis von Denkern, in dem man mit Augustinus über "die Zeit als Symptom einer aus der Ordnung gefallenen Welt" räsoniert), sei es in die Literatur (eine Schriftstellerin muss sich sagen lassen, sie schreibe "Geschichten über erfundene Menschen in Welten, die gar nicht existieren und keine Bedeutung für unser wirkliches Leben haben"), besonders aber ins Internet. Als ein unvorteilhaftes Handyporträt seinen Weg ins Netz findet und in Windeseile zum viralen Schmäh-Hit avanciert, beginnt die Erzählerin in den sozialen Netzwerken danach zu recherchieren, wer sie denn nun eigentlich sei, was sie für die virtuelle Welt repräsentiert: "eine Vierte-Welle-Feministin, ein Fakestertum-Symptom, eine Rebellin wider die Tyrannei des ,Natürlichen' oder ein Mensch, der wirklich Hilfe brauchte"?

Auch nur zeitweise aus diesen echokammerartigen Räumen herauszutreten gelingt diesen Figuren meist nicht. Wahrnehmungs- und Kommunikationsschwierigkeiten sind die Folge. Trish zum Beispiel, die immerhin gerade von ihrem Mann verlassen worden ist, treibt nichts mehr um als ein mitausgezogener Haushaltsgegenstand: "Ich suchte online nach Ersatz für die Parmesanreibe." Die lange nicht gesehene Tante einer anderen Erzählerin hat sich gänzlich dem Online-Bridge verschrieben und gibt nun rätselhafte Sätze aus einer anderen, fremden Welt von sich: "Wir landen bei vier Coeur in einem Vier-Zwei-Fit." Unverbundenheit und Vereinzelung spiegeln sich auch in formaler Hinsicht wider: Galchen untergliedert ihre Erzählungen häufig in Episoden, die von einzelnen Geschehnissen berichten, sich aber nur selten zu einer Geschichte mit Anfang, Mitte, Ende zusammensetzen.

Dass in diese Lebenswelten unversehens das Unerklärliche einbrechen kann (Galchen bezieht sich in Gesprächen auf James Thurbers Erzählung "The Secret Life of Walter Mitty" und Jorge Luis Borges' "El Aleph" als Impulsgeber für ihr Schreiben), lässt sich auf mindestens zwei Arten erklären: als zeitweise Loslösung der selbstbezüglichen Rückzugsräume von aller Logik und Kausalität oder als unbewusste Lust, die Konstruktionen durcheinanderzuwirbeln, um im Zustand des Kontrollverlusts überhaupt irgendetwas zu empfinden. Jedenfalls changieren diese Erzählungen vom ganz prosaischen Alltagsrealismus (im ersten Text "Die verlorene Ordnung" ruft ein Unbekannter fälschlich bei der Erzählerin an und bestellt ein Knoblauchhuhn) bis zu der Schilderung einer vielleicht phantastischen, vielleicht aber auch nur imaginierten Geisterstunde (in dem Schlussstück "Einst ein Weltreich", das vom buchstäblichen Ausfliegen des Mobiliars aus der eigenen Wohnung erzählt). Was hier tatsächlich geschieht, entzieht sich der eindeutigen Bestimmung, aber, so erklärt uns eine Erzählerin, "die Wissenschaft bestätigt heutzutage ja immer wieder die seltsamsten Sachen".

Das unsichere Wissen ist schließlich auch der Grund, warum sich Galchen in keiner ihrer Geschichten zu einer Beurteilung hinreißen lässt, sei es in Form einer Kritik der neuen Medien oder der sozialen Netzwerke, von denen in ihren Erzählungen viel die Rede ist. Gerade darin aber entspricht sie recht präzise dem, was der Literaturwissenschaftler Dirk von Petersdorff, mit Bezug auf Gemälde von Neo Rauch, Musikvideos von Lana del Rey und Romane von Lars Gustafsson, als zentralen Wesenszug avancierter Gegenwartskunst identifiziert hat: "Die großen Schutzschirme sind weggezogen, und der Einzelne steht nun direkt dem Ungewissen gegenüber, dem großen Ganzen, auf das sich das Verstehen richtet und das sich dem Verstehen immer entzieht." Genauso ergeht es Galchens Figuren, und ähnlich ergeht es auch den Lesern dieser Texte, die einfach, weil lakonisch erzählt, und schwierig, weil immer wieder doppelbödig, zugleich sind.

KAI SINA

Rivka Galchen: "Amerikanische Erfindungen". Storys.

Aus dem Englischen von Grete Osterwald und Thomas Überhoff. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 208 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Kai Sina muss während der Lektüre von Rivka Galchen "Amerikanischen Erfindungen" unweigerlich an die Kurzgeschichten von Grace Paley denken. Rangen die New Yorker Mittdreißigerinnen dort noch mit Alltagsproblemen und um Gleichberechtigung, sind Galchens Heldinnen Jahrzehnte später in einem "tiefgreifenden ennui" gefangen, bemerkt der Kritiker. Dennoch folgt Sina den kinder- und ambitionslosen Frauen ganz und gar nicht gelangweilt: Galchen lässt ihre Figuren zwischen "prosaischem Alltagsrealismus" und Fantasie in den selbsterschaffenen, "echokammerartigen" Welten der Philosophie, Literatur und des Internets versinken, informiert der Rezensent, der bewundert, wie die Autorin die Isolation ihrer Heldinnen durch episodenhaftes Erzählen auch formal gestaltet. Mehr noch: Wie Galchen mit Jorge Luis Borges und James Thurber im Hinterkopf plötzlich das Unerklärliche hereinbrechen lässt, alle Logik auf den Kopf stellt und mit dem doppelten Boden ihrer "lakonischen" Stories spielt, hat den Kritiker beeindruckt.

© Perlentaucher Medien GmbH
Rivka Galchen ist die Flipper-Meisterin der amerikanischen Literatur: Ihre Stimme jagt und zickzackt binnen einer Atemlänge vom Erschrecken zur Ausgelassenheit. Karen Russell