Die dramatische Begegnung zwischen einem Ministerialbeamten und einer geheimnisvollen jungen Frau: Warum sucht sie ihn gerade jetzt auf, da er eine schicksalhafte Entscheidung für sein Land getroffen hat? Und weshalb kommt sie ihm so seltsam vertraut vor? - Mit diesem Roman gelang dem großen ungarischen Schriftsteller Sándor Márai ein Meisterwerk über Sehnsucht und Vergänglichkeit.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Franz Haas lässt keinen Zweifel daran, dass die Bücher, die Sandor Marai bis 1943 geschrieben hat, für ihn keine große Literatur sind: Zuviel gezierte Melancholie über das untergehende Bürgertum mit seinen Biedermeiersofas und alternden Erzherzoginnen schlägt ihm da entgegen. Das gilt laut Haas auch noch für den 1943 in Budapest erschienenen Roman "Die Möwe". Ein hoher Beamter, den eine Finnin auf den Ungarn erreichende Krieg aufmerksam macht, klagt im "Konversationston" über den drohenden Verlust seiner Welt, die er doch schon selbst nicht mehr ganz ernst nehmen kann. Der Krieg ist noch etwas ganz Fernes. Erst ab 1945, mit dem Roman "Befreiung" und den Tagebüchern wird Marai in den Augen des Rezensenten zu einem wirklich großen Schriftsteller.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2008Vollkommenes Leben
Sándor Márais Roman „Die Möwe” ist eine Enttäuschung
Es ist Winter in Budapest. Noch hat der Zweite Weltkrieg die Stadt nicht erreicht, aber lange kann es nicht mehr dauern. Eine junge Finnin stellt sich im Büro eines alternden Ministerialbeamten vor. Und der ist erschüttert: Wie eine Doppelgängerin gleicht die hübsche Aino seiner toten Geliebten Ilona, die sich im letzten Jahr aus unerfüllter Liebe zu einem charismatischen Chemieprofessor mit Blausäure vergiftet hat. Der Mann lädt die rätselhafte Frau in die Oper ein, dann zu nächtlicher Stunde in seine Wohnung. Verführen sie einander? Nein, sie reden: buchstäblich über Gott und die Welt und bis zur plötzlichen Verabschiedung weit nach Mitternacht.
Vom Vergehen der Jugend über die Krise der bürgerlichen Welt bis zum Verhältnis von Masse und Individuum: Alles, was in „Die Möwe” zu diesen für den Roman der klassischen Moderne typischen Themen steht, hat man anderswo schon genauer und gründlicher gelesen. Auch die Neigung des Autors zum Sentenziösen gebiert nicht unbedingt Originelles. „Es gibt Augenblicke, in denen das Leben zur Vollkommenheit reift und alles so dicht und einfach wird, wie es im Augenblick des Todes sein muss”: Zu solchem Philosophieren auf Kaffeehaus-Niveau passen die als Bildungssignale eingestreuten Zitate von Platon und Huizinga, Talleyrand, Metternich und Rilke. Seit der Wiederveröffentlichung von „Die Glut” vor knapp zehn Jahren wird Sándor Márai als großer europäischer Erzähler gehandelt. Dieses Buch gibt dazu kaum Anlass.CHRISTOPH HAAS
SÁNDOR MÁRAI: Die Möwe. Aus dem Ungarischen von Christina Kunze. Piper Verlag, München 2008. 188 Seiten, 16,80 Euro.
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Sándor Márais Roman „Die Möwe” ist eine Enttäuschung
Es ist Winter in Budapest. Noch hat der Zweite Weltkrieg die Stadt nicht erreicht, aber lange kann es nicht mehr dauern. Eine junge Finnin stellt sich im Büro eines alternden Ministerialbeamten vor. Und der ist erschüttert: Wie eine Doppelgängerin gleicht die hübsche Aino seiner toten Geliebten Ilona, die sich im letzten Jahr aus unerfüllter Liebe zu einem charismatischen Chemieprofessor mit Blausäure vergiftet hat. Der Mann lädt die rätselhafte Frau in die Oper ein, dann zu nächtlicher Stunde in seine Wohnung. Verführen sie einander? Nein, sie reden: buchstäblich über Gott und die Welt und bis zur plötzlichen Verabschiedung weit nach Mitternacht.
Vom Vergehen der Jugend über die Krise der bürgerlichen Welt bis zum Verhältnis von Masse und Individuum: Alles, was in „Die Möwe” zu diesen für den Roman der klassischen Moderne typischen Themen steht, hat man anderswo schon genauer und gründlicher gelesen. Auch die Neigung des Autors zum Sentenziösen gebiert nicht unbedingt Originelles. „Es gibt Augenblicke, in denen das Leben zur Vollkommenheit reift und alles so dicht und einfach wird, wie es im Augenblick des Todes sein muss”: Zu solchem Philosophieren auf Kaffeehaus-Niveau passen die als Bildungssignale eingestreuten Zitate von Platon und Huizinga, Talleyrand, Metternich und Rilke. Seit der Wiederveröffentlichung von „Die Glut” vor knapp zehn Jahren wird Sándor Márai als großer europäischer Erzähler gehandelt. Dieses Buch gibt dazu kaum Anlass.CHRISTOPH HAAS
SÁNDOR MÁRAI: Die Möwe. Aus dem Ungarischen von Christina Kunze. Piper Verlag, München 2008. 188 Seiten, 16,80 Euro.
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