Marktplatzangebote
15 Angebote ab € 2,05 €
  • Gebundenes Buch

Der Sohn des berüchtigten Vito Ciancimino ist Italiens berühmtester Kronzeuge gegen die Mafia. Führen seine Enthüllungen dazu, dass Italiens Geschichte der letzten 30 Jahre neu geschrieben werden muss?
Don Vito, eigentlich Vito Ciancimino, ist die Verkörperung des mafiösen Politikers schlechthin. In den 1970ern Palermos Bürgermeister, schusterte er dem Mafia-Clan Corleonesi Tausende Bauaufträge zu und wurde zum Multimillionär. Bei ihm schaute der Boss der Bosse gern mal zum Kräutertee vorbei und besprach, was zwischen Staat, Geheimdiensten und Mafia anlag. Die Aussagen seines Sohnes bringen…mehr

Produktbeschreibung
Der Sohn des berüchtigten Vito Ciancimino ist Italiens berühmtester Kronzeuge gegen die Mafia. Führen seine Enthüllungen dazu, dass Italiens Geschichte der letzten 30 Jahre neu geschrieben werden muss?
Don Vito, eigentlich Vito Ciancimino, ist die Verkörperung des mafiösen Politikers schlechthin. In den 1970ern Palermos Bürgermeister, schusterte er dem Mafia-Clan Corleonesi Tausende Bauaufträge zu und wurde zum Multimillionär. Bei ihm schaute der Boss der Bosse gern mal zum Kräutertee vorbei und besprach, was zwischen Staat, Geheimdiensten und Mafia anlag. Die Aussagen seines Sohnes bringen Cosa Nostra und Italiens Politikelite in größte Bedrängnis. Schon gibt es erste Urteile, neu aufgerollte Prozesse und unglaubliche Anschuldigungen: Berlusconis Partei Forza Italia sei mithilfe der Mafia entstanden. Der Staat sei in die Ermordung der Staatsanwälte Falcone und Borsellino verwickelt gewesen.
Autorenporträt
Massimo Ciancimino, geb. 1963 in Palermo, Sohn des mafiösen Politikers Vito Ciancimino und dessen Vetrauter und Bote. Nach dessen Tod übernahm er die Geschäfte, wurde 2006 verhaftet und ist nun Italiens wichtigster Kronzeuge gegen die Mafia.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2011

Der Staat und das Verbrechen
Don Vito Ciancimino war eine Schlüsselfigur der Cosa Nostra in Palermo. Jetzt hat sein Sohn ein Buch über ihn geschrieben – und wird bedroht
Zwischen den sechziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebten Palermo und Umgebung eine Folge von Blutbädern, die als „Mafia-Kriege“ in die Geschichte eingingen. Mehr als tausend Menschen starben. Der Hintergrund waren riesige Gewinne der „Familien“ der Cosa Nostra durch den internationalen Drogenhandel, den die sizilianische Mafia seinerzeit wegen ihren verwandtschaftlichen Kontakte in den USA dominierte. Der plötzliche, ungeheure Reichtum zerstörte die traditionellen Machtverhältnisse innerhalb der Organisation.
Am Ende der Kriege hatte der Clan Corleonesi, zunächst als Ansammlung von „Bauerntölpeln“ aus dem kleinen Landwirtschaftszentrum Corleone der Provinz Palermo verlacht, durch geschickte Allianzen, aber vor allem durch nackte Gewalt die Führung der Cosa Nostra übernommen. Ihre Gegner waren entweder tot oder geflohen. Diese blutige Strategie setzten die Corleonesi unter dem Paten Totò Riina und seinem Stellvertreter Bernardo Provenzano gegenüber den Staatseinrichtungen fort, nachdem in einem ersten Großprozess 1986/87 Hunderte Mafiosi hinter Gitter gebracht werden konnten.
Herausragende Ereignisse waren die Ermordungen des Richters Giovanni Falcone im Mai 1992 (als ein ganzes Stück Autobahn in die Luft gesprengt wurde) und des Staatsanwalts Paolo Borsellino (der mit Falcone die Anklageschrift im ersten Großprozess geschrieben hatte) zwei Monate später in der Via D’Amelio von Palermo (wo es nach dem Attentat aussah „wie in Beirut“). Riina wurde im Januar 1993 verhaftet. Im selben Jahr folgten Bombenanschläge in Mailand, Florenz und Rom, bei denen mehrere Personen starben. An die Stelle von Riina trat Provenzano, der erst 2006 aufgespürt wurde. Seitdem schweigt die Cosa Nostra. Bis heute.
Vor diesem Hintergrund ist das Buch „Don Vito – Mein Vater, der Pate von Palermo“ zu verstehen, das Massimo Ciancimino zusammen mit dem Journalisten Francesco La Licata, dem Mafia-Experten der Turiner Tageszeitung La Stampa geschrieben hat. Darin erzählt der heute 47-jährige Massimo vom Leben an der Seite seines Vaters Vito Ciancimino (1924–2002), einer der schillerndsten Figuren der Cosa Nostra, aber sicher nicht „der Pate von Palermo“, wie der deutsche Untertitel behauptet. Ciancimino war kein Boss im Sinne der Hierarchie oder gar Oberhaupt der Mafia Palermos. Er stammte aus Corleone, wollte gerne Ingenieur werden, aber es langte nur zum Vermessungstechniker.
In der Cosa Nostra stieg er zum Vertrauten von Bernardo Provenzano auf, den sein Sohn Massimo als befreundeten Geschäftsmann unter dem Namen Lo Verde kennenlernte. In der Politik engagierte sich Don Vito im Andreotti-Flügel der sizilianischen Christdemokraten. Als Stadtdezernent für öffentliche Arbeiten leitete er Ende der 60er Jahre den Bauboom ein, der die Villenviertel der Regionalhauptstadt in Betonsiedlungen verwandelte, wobei, sicherlich nicht zu seinem Schaden, fast ausschließlich Mafiaunternehmen eingesetzt wurden.
Anfang 1970 wurde er zum Bürgermeister gewählt, musste aber bereits nach ein paar Wochen Amtszeit wegen verschiedener Skandale zurücktreten. 1984 zum ersten Mal wegen seiner Mafia-Tätigkeit verhaftet, schlossen ihn bald darauf die Christdemokratischen aus der Partei aus. Doch behielt Don Vito bis zu seinem Tod eine Sonderstellung. Unter den Mafiosi galt er als Politiker mit einflussreichen Kontakten (und konnte es sich leisten, im Pyjama im Bett liegend einen Riina zu empfangen). Unter den Politikern galt er als seriöser Mafioso (und wurde als Kontaktmann zur Cosa Nostra gesucht). Eine Art graue Eminenz, die weiterhin in beiden Kreisen geschätzt wurde
Der Geschäftsmann Ciancimino wiederum wusste illegal erworbenen Gewinn legal zu investieren: zum Beispiel in das Immobilienprojekt „Milano 2“, das der aufstrebende Unternehmer Silvio Berlusconi Mitte der 70er Jahre am Stadtrand von Mailand realisierte. Der italienische Ministerpräsident lehnt heute entrüstet solche Unterstellungen als „romanesk“ ab. Aber unlängst hat die Witwe Ciancimino in einem Fernsehinterview erklärt, ihr Mann habe sich zwischen 1972 und 1975 drei Mal mit Berlusconi in Mailand getroffen. Ob diese Aussage, wie viele dieser Art, auch vor Gericht standhält, ist eine andere Frage. Massimo Ciancimino arbeitet inzwischen den Justizbehörden in unterschiedlichen Verfahren als Zeuge oder in „Kenntnis der Hintergründe“ zu. In den letzten Lebensjahren hatte Don Vito mit seiner Hilfe Notizen auf „Tausenden Blättern“ für ein „Buch der Wahrheit“ gesammelt, um die eigene Rolle in den Beziehungen von Verbrechen und Politik zu klären. Und wohl auch, um sein (immer noch verstecktes) Privatvermögen und Erbe zu sichern.
Die Gerichte reagierten bislang unterschiedlich auf Massimos „Enthüllungen“ aus dem Leben seines Vaters. Mal wird er als glaubwürdig eingestuft, mal als unglaubwürdig. Staatsanwalt Antonio Ingroia, dem sich Don Vitos Sohn anvertraut hat, sagt, dass man jede seiner Aussagen für sich prüfen und bewerten müsse. Der Sohn erzählt, wie er dem Vater von klein auf assistieren musste und ihn später im Alter pflegte. Massimo war kein Angehöriger der Mafia, seine Einblicke in ihre Organisationen bleiben – vielleicht gewollt – marginal. Er berichtet oft nur anekdotenhaft von Don Vitos Aktivitäten in Palermo.
Spannend wird es jedoch, wenn es um Vito Cianciminos Rolle als Vermittler bei einer Art „Verhandlung“ zwischen Mafia und Staat geht. Die Frage bewegt die italienische Öffentlichkeit und die Gerichte bis heute. Nach dem Anschlag auf Falcone im Mai 1992 hatten hohe Polizeioffiziere den Kontakt zu Ciancimino gesucht. Taten sie das, um Bedingungen zu sondieren, unter denen die Cosa Nostra ihre Gewaltstrategie aufgeben könnte? Oder nur, um einen Weg zu finden, wie man den untergetauchten Bluthund Riina fangen könnte? Bei diesen Kontakten soll auch ein „Signor Franco“, ein Vertreter der Geheimdienste, der zu Don Vito ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, eine Rolle gespielt haben. Offensichtlich hatte Staatsanwalt Paolo Borsellino Wind von diesen Geheimtreffen bekommen und Untersuchungen aufgenommen. Der Mordanschlag gegen ihn, so haben jüngste Ermittlungen ergeben, war keine reine Angelegenheit der Cosa Nostra. Es ist durchaus möglich, dass „fehlgeleitete“ Teile von Polizei und den Geheimdiensten darin verwickelt waren. Es sei ein „Staatsmassaker“ gewesen, behauptet heute Salvatore Borsellino, der Bruder des Ermordeten.
Die Treffen mit Ciancimino hörten jedenfalls nicht auf. Totò Riina legte nach dem Mord an Borsellino eine Liste mit zehn Forderungen vor, die Don Vito an seine Gesprächspartner weitergab. Darin wurden unter anderem mildere Haftbedingungen für einsitzende Mafiosi und eine Änderung des Gesetzes über die Glaubwürdigkeit von Überläufern, den sogenannten reuigen Mitgliedern der Cosa Nostra gefordert, die durch ihre Aussagen zur Verhaftung von Dutzenden Mafiosi geführt hatten. Angeblich sei Ciancimino damals zugesichert worden, dass die Polizeioffiziere bei ihren Verhandlungen politische Rückendeckung unter anderem durch den damaligen Innenminister Nicola Mancini, den heutigen Vizepräsidenten des obersten Gerichtsrates, gehabt haben sollen. Mancini weist das inzwischen als „reine Phantasie“ weit von sich. Es wäre auch ziemlich peinlich für die Beteiligten, wenn bei den damaligen „Verhandlungen“ Repräsentanten des Staates ein doppeltes Spiel gespielt hätten.
Während Don Vito im Auftrag Riinas verhandelte, brachte er auch die Figur seines Mentors Bernardo Provenzano ein. Provenzano war überzeugt, dass Riinas Gewaltstrategie in die Sackgasse führte. Er schien bereit zu sein, Riina zu opfern, wenn die Organisation keinen weiteren Schaden nehmen und wieder zu ihren Geschäften zurückkehren könnte. Tatsache ist: Riina konnte direkt vor seiner Villa verhaftet werden. Die Carabinieri, die wochenlang die Wohnanlage beobachtet hatten, zogen im selben Augenblick ab. Als sie nach zwei Wochen wiederkamen, hatten die Mafiosi aufgeräumt, Dokumente und Wertsachen weggeschafft und sogar die Wände neu gestrichen.
Das war ein Missverständnis, entschuldigten sich die Verantwortlichen. Bernardo Provenzano, der dann die „Pax mafiosia“ in der Organisation durchsetzte, konnte sich anschließend relativ frei auf Sizilien bewegen. Mindestens einmal, so will auch Massimo Ciancimino von seinem Vater erfahren haben, sei eine mögliche Festnahme auf Befehl von „oben“ verhindert worden. Ein entsprechender Prozess gegen den General der Carabinieri Mario Mori und späteren Chef des Geheimdienstes Sisde (der auch zu den „Gesprächspartnern“ von Vito Ciancimino gehört hatte) ist noch nicht abgeschlossen.
Massimo untermauert mit seinem Text, den Francesco La Licata an einigen Stellen zurückhaltend kommentiert, Aussagen ehemaliger „reuiger“ Mafiosi. Er bestätigt zudem Recherchen über die Verhandlungen zwischen Staat und Mafia, wie sie etwa die Journalisten Nicola Biondo und Sigfrido Ranucci in ihrem Buch „Il patto“ (Der Pakt, 2010) vorgelegt haben. Auch der Soziologe und Kriminologe Nando dalla Chiesa, der Sohn des von der Mafia ermordeten Carabinierigenerals Alberto dalla Chiesa, kommt in seinem Buch beim Editore Melampo über „Die Konvergenz. Mafia und Politik in der zweiten Republik“ zu einem ähnlichen Schluss. Die Verhandlungen seien eine „Geburtssünde“ der zweiten Republik, zwischen dem Untergang des alten Parteiensystems und dem Beginn einer neuen Ära – der Ära Berlusconi. Staat und Verbrechen hätten – jedenfalls für eine gewisse Zeit – eine Art Arrangement zu beider Nutzen getroffen.
Zu dem Zeitpunkt allerdings wurde Vito Ciancimino nicht mehr gebraucht. Für die neuen Politiker brauchte man neue Kontaktpersonen wie den Berlusconi-Vertrauten Marcello Dell’Utri. Vito Ciancimino wurde 1993 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, lebte unter Hausarrest in Rom und starb unter bislang nicht ganz geklärten Umständen im November 2002 zu Hause in seinem Bett. Sein Sohn glaubt, dass er zu diesem Zeitpunkt bereit war, sein gesamtes Wissen offenzulegen, und deshalb sterben musste.
Massimo Ciancimino wird seit Monaten von Drohungen aus dem Mafia-Milieu verfolgt. Vor einigen Wochen wurde ihm wieder einmal ein Brief mit zwei scharfen Patronen zugestellt. Doch diesmal war das Schreiben an Vito Andrea, seinen fünfjährigen Sohn, gerichtet. Dabei lag ein Brief mit den Worten: „Die Schuld niederträchtiger Väter und Verräter wird auf die Kinder zurückfallen.“ Der Feltrinelli Verlag, bei dem das italienische Original im Frühjahr 2010 erschienen ist, verzichtet seitdem auf jegliche Buchpräsentation.
HENNING KLÜVER
MASSIMO CIANCIMINO / FRANCESCO LA LICATA: Don Vito. Mein Vater, der Pate von Palermo. Aus dem Italienischen von Enrico Heinemann und Ines Klöhn. Piper Verlag, München 2010. 365 Seiten, 19,95 Euro .
Vor seinem Tod hatte Don Vito
„Tausende Notizen“ für ein
„Buch der Wahrheit“ gesammelt
Vor einigen Wochen wurde dem
Autor wieder einmal ein Brief
mit scharfen Patronen zugestellt
Mafia und Politik: Bei diesem Essen der Democrazia Christiana (DC) im sizilianischen Corleone in den fünfziger Jahren kündigte der junge Don Vito Ciancimino (zweiter von links am Kopf der Tafel) seinen Eintritt in die Politik an. Abb. aus dem besprochenen Band
Vito Ciancimino, hier auf einem Foto aus dem Jahr 1990. Foto: contrasto/laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Henning Klüver hat sich für seine Kritik des Buches, in dem Massimo Ciancimino mit Unterstützung des Journalisten Francesco La Licata die Verstrickung seines Vaters mit der Cosa Nostra offen legt, tief in die Geschichte der Mafia von Palermo begeben. Da Ciancimino selbst kein Mitglied der Mafia war, sind seine Einblicke in deren Organisation nicht besonders aufschlussreich und eher vom anekdotischen Blick geprägt, stellt der Rezensent fest. Sehr viel fesselnder findet er die Darlegungen über die "Rolle" des Vaters, der als palermitanischer Stadtdezernent für öffentliche Arbeiten zwischen Politik und Mafia vermittelte und dabei ganz offensichtlich kräftig profitierte. Der Rezensent ruft die blutigen Mafia-Kriege in Erinnerung, die mehr als tausend Menschenleben kosteten und referiert interessiert die unselige Verquickung zwischen Politik und dem organisierten Verbrechen, wobei er auch darauf hinweist, dass es durchaus in Italien Debatten über die Glaubwürdigkeit von Cianciminos Aussagen gibt. Allerdings spricht die Tatsache, dass sogar der fünfjährige Sohn des Autors Drohbriefe erhält, für die Brisanz des Buches, wie Klüvers Ausführungen vermuten lassen.

© Perlentaucher Medien GmbH