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Im Schnitt muss einer von fünf Bundesbürgern pro Jahr ins Krankenhaus. Dort ist er den Systemen hilflos ausgeliefert "einem Irrgarten, in dem Macht und Einfluss, Geld und Gebote eine große Rolle spielen". Christoph Lohfert erklärt die phänomenalen Erfolge und grandiosen Fehlentwicklungen im Medizinbetrieb. Er weiß, wie ohnmächtig der kranke Mensch dem Gesundheitssystem ausgeliefert ist. Anhand von Erlebnisberichten, seiner vierzigjährigen Berufserfahrung und unzähligen Gesprächen mit Ärzten wie Patienten zeigt Lohfert, wie man sich im Labyrinth der Systeme bewegen muss, damit man dem…mehr

Produktbeschreibung
Im Schnitt muss einer von fünf Bundesbürgern pro Jahr ins Krankenhaus. Dort ist er den Systemen hilflos ausgeliefert "einem Irrgarten, in dem Macht und Einfluss, Geld und Gebote eine große Rolle spielen". Christoph Lohfert erklärt die phänomenalen Erfolge und grandiosen Fehlentwicklungen im Medizinbetrieb. Er weiß, wie ohnmächtig der kranke Mensch dem Gesundheitssystem ausgeliefert ist. Anhand von Erlebnisberichten, seiner vierzigjährigen Berufserfahrung und unzähligen Gesprächen mit Ärzten wie Patienten zeigt Lohfert, wie man sich im Labyrinth der Systeme bewegen muss, damit man dem Lotteriespiel "Heilung" nicht hilflos ausgesetzt ist. Patient sein muss nicht heißen, Würde und Selbstbestimmung aufzugeben.
Autorenporträt
Christoph Lohfert, geboren 1937, Studium der Ingenieurs- und Betriebswirtschaft, Promotion 1965. Seit 1970 im Krankenhausbereich als Begleiter zahlreicher Projekte tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2011

Das Krankenhaus ist ein gefährlicher Ort
Mit reichlichem Anschauungsmaterial: Christoph Lohfert stellt deutschen Spitälern ein miserables Zeugnis aus

An der Spitze der medizinethischen und medizinrechtlichen Wertepyramide steht seit einigen Jahrzehnten der Grundsatz der Patientenautonomie. Im Krankenhausalltag herrschen jedoch zumeist ganz andere Gesetze. "Der mündige Mensch gibt seine Eigenständigkeit auf, wenn er krank wird. Er begibt sich als Patient in die Hände der Medizin und liefert sich einem unbekannten System aus. Er wird ,ohnmächtig' im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist der Preis für seine Hoffnung auf Genesung." Der Autor dieser Zeilen, Christoph Lohfert, weiß, wovon er spricht. Als Mitinhaber eines auf medizinische Einrichtungen spezialisierten Beratungsunternehmens verfügt er über reichhaltiges Anschauungsmaterial.

Dem deutschen Krankenhauswesen stellt Lohfert ein miserables Zeugnis aus. "In einer Medizin von morgen, mit den Forschungsergebnissen von übermorgen arbeiten wir in den Krankenhäusern mit Strukturen von gestern und mit der Organisation von vorgestern." Dieser Umstand sei dafür verantwortlich, dass viele Kranke schlechter behandelt würden, als es dem gegenwärtigen Stand der Medizin entspreche. Ärztliche Fehler im eigentlichen Sinne machten nämlich nur einen kleinen Teil der vermeidbaren Schädigungen von Patienten aus. "Die weitaus größere Fehlerquote liegt im kommunikativen und organisatorischen Umfeld des Patienten. Jemand ,vergisst' eine Information weiterzugeben, der andere versteht sie falsch, also Interpretationsschwierigkeiten und jede Menge Organisationswirrwarr im Tagesstress des Routinebetriebs."

Insbesondere an den Brennpunkten des Geschehens, in der Notaufnahme, im Operationssaal und auf der Intensivstation, sei das Gesamtbild im besten Falle unübersichtlich, häufig aber chaotisch. Für den einzelnen Patienten könne dies desaströse Folgen haben. "Hier ein kleiner Irrtum, dann etwas falsch interpretiert, obendrauf ein organisatorisches Missgeschick, und zu allem Überfluss fällt noch ein Gerät aus. Und dann werden die Mitarbeiter nervös. Die typische Ereigniskette, die explosionsartig in die Katastrophe führt."

Die Schlussfolgerung Lohferts ist ebenso schlicht wie einleuchtend. Es gebe keine gute Medizin in schlechter Organisation. Statt reflexartig mehr Geld zu fordern, sollten die Krankenhäuser sich deshalb zunächst daran machen, ihre Organisation zu verbessern. Neben dem Ausbau der Kooperation zwischen Kliniken und Fachabteilungen gehörten dazu vor allem die nachlaufende Beobachtung und die darauf basierende Standardisierung medizinischer Prozesse und Behandlungsabläufe. In wenigen Jahren werde sich schon aus Kostengründen kein Krankenhaus mehr die Beliebigkeit medizinischer Entscheidungen leisten können.

Vor allem aber diene es dem Wohl des Patienten, vorgezeichnete Wege so deutlich zu machen, dass jede Abweichung von dem vorgeschriebenen Pfad besondere Aufmerksamkeit auslöse. "Wenn die Prozesse richtig gesteuert sind, der Patient auf einem sicheren Pfad durch das Krankenhaus geleitet wird, erhält er eine erstklassige Behandlung mit allem, was für ihn aus ärztlicher Sicht erforderlich ist, aber ohne überflüssige und unsinnige Leistungen."

Definitionsfragen sind freilich stets auch Machtfragen. Es kommt deshalb maßgeblich darauf an, welche Personen nach welchen Kriterien über den Verlauf der von Lohfert geforderten Behandlungspfade entscheiden. Dass es im Gesundheitssystem mit seinen einflussreichen Lobbygruppen einen über dem Streit der Parteien stehenden Philosophenkönig nicht gibt, weiß Lohfert selbstverständlich. Das daraus erwachsende Problem spricht er an einer Stelle seines Buches in einer geradezu an Carl Schmitt erinnernden Schärfe aus. "Neue Kontrollverfahren oder noch mehr Einrichtungen, die Kontrollverfahren entwickeln, andere Finanzierungssysteme, noch mehr Interessengruppen? All das wären nur Einflugschneisen für weiteren Missbrauch."

Zumindest ist es nicht fernliegend, dass nicht nur die beteiligten Kaufleute, sondern auch die von Lohfert gerühmten "Ärzte einer neuen Generation", die neben ihrer medizinischen Fachkompetenz die Bereitschaft zu wirtschaftlichem Denken mitbrächten, derartige Kommissionen zu Instrumenten einer verdeckten Rationierung machen würden. Diese Gefahr entwertet Lohferts Vorschlag zwar nicht, sie zeigt aber, dass so wie jede andere Arznei auch diese nicht nebenwirkungsfrei ist und ihr Einsatz deshalb der aufmerksamen Beobachtung bedarf.

Angesichts der Kommerzialisierung und Vermachtung des Gesundheitssystems tun Kranke jedenfalls gut daran, sich von der Institution Krankenhaus nicht widerstandslos konsumieren zu lassen, sondern die Augen offen zu halten und sich ein eigenes Urteil zuzutrauen. Lohfert bringt es treffend auf den Punkt: "Wenn du im Krankenhaus bist, so bist du immer auch in einem Kaufhaus. Alle wollen etwas verkaufen. Du willst nur gesund werden. Also schaue dir das Angebot erst einmal an. Misstraue medizinischen Innovationen. Viele neue Dinge in der Medizin werden für einen gigantischen Markt gemacht. In Sachen eigener Gesundheit ist Bewährtes besser als das angepriesene undurchsichtige Neue."

Vorsicht und Misstrauen bilden gleichsam die Wetterseite der Patientenautonomie. In der Diskussion über den normativen Stellenwert des Autonomieprinzips spielen sie zwar praktisch keine Rolle. Für das Schicksal des einzelnen Patienten sind sie aber häufig ungleich bedeutsamer als die subjektiv-rechtliche Schauseite jenes Grundsatzes. Daran erinnert zu haben ist womöglich die wichtigste Leistung von Lohferts eindrucksvollem Buch.

MICHAEL PAWLIK

Christoph Lohfert: "Weil du arm bist, musst du früher sterben". Der ohnmächtige Patient.

Piper Verlag, München 2010. 304 S., br., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die wichtigste Lehre, die Michael Pawlik aus diesem Buch eines medizinischen Beraters zieht, ist diese: Als Patient Augen aufhalten, denn eine Klinik, das ist oft nicht viel mehr als ein Kaufhaus. Klingt schrecklich, entspricht laut Christoph Lohfert aber der Realität. Diese Realität bekommt Pawlik hier in allen Einzelheiten geschildert. Das Hauptmanko der medizinischen Versorgung, das der Autor dabei herausarbeitet, sind nicht etwa ärztliche Fehler im klassischen Sinn, sondern Mängel in der Organisation, in den Abläufen und in der Kommunikation, kurz: Chaos. Die Schlussfolgerung des Autors, dass gute Medizin nichts ist, folgt ihr nicht auch gute Organisation, kann Pawlik nachvollziehen, Lohferts Forderung nach mehr wirtschaftlichem Denken bei den Ärzten aber hält er für nicht ganz nebenwirkungsfrei.

© Perlentaucher Medien GmbH