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Gefällt einem Sex auch, wenn man dafür bezahlt? fragt sich der Schriftsteller Thomas Brussig und bekennt: "Ich habe mal wenige Kilometer nach der Einreise in Tschechien am Straßenrand gehalten, weil ich dachte, sie würde trampen. In eine Nachtbar mit blinkenden Lichtern und blickdichten Fenstern bin ich nie gegangen." Warum also reizt es ihn trotzdem, sich mit den Berliner Orten der Lust zu beschäftigen? Weil er diese Welt nicht kennt. Weil er nicht glaubt, daß Geld einfach alle Regeln zwischen Männern und Frauen aufheben kann. Weil er seine Vorbehalte gegen das Milieu zu verlieren hofft. Im…mehr

Produktbeschreibung
Gefällt einem Sex auch, wenn man dafür bezahlt? fragt sich der Schriftsteller Thomas Brussig und bekennt: "Ich habe mal wenige Kilometer nach der Einreise in Tschechien am Straßenrand gehalten, weil ich dachte, sie würde trampen. In eine Nachtbar mit blinkenden Lichtern und blickdichten Fenstern bin ich nie gegangen." Warum also reizt es ihn trotzdem, sich mit den Berliner Orten der Lust zu beschäftigen? Weil er diese Welt nicht kennt. Weil er nicht glaubt, daß Geld einfach alle Regeln zwischen Männern und Frauen aufheben kann. Weil er seine Vorbehalte gegen das Milieu zu verlieren hofft. Im Stil eines literarischen Flaneurs stellt Thomas Brussig viele Fragen, die wir nie zu fragen wagten, und erfährt von Menschen, Leidenschaften, Begierden und Wünschen, die sich noch immer mit der Prostitution verbinden.
Autorenporträt
Thomas Brussig, 1965 in Berlin geboren, wuchs im Ostteil der Stadt auf und arbeitete nach dem Abitur u.a. als Möbelträger, Museumspförtner und Hotelportier. Er studierte Soziologie und Dramaturgie und debütierte 1991 unter Pseudonym mit einem Roman. 1996 erschien sein in zahlreiche Sprachen übersetzter und auch als Bühnenfassung erfolgreicher Roman "Helden wie wir". 1999 erhielt er - zusammen mit Leander Haußmann - den Drehbuchpreis der Bundesregierung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2007

Das kostet extra
Für's Fachbuch: Thomas Brussig hat Berlins Bordelle getestet

"Es ist etwas an der Prostitution, das ich, ganz altmodisch, nicht richtig finde", schreibt Thomas Brussig im Vorwort seiner zusammengetragenen Rotlicht-Reportagen: "Mich stört, dass es über das Geld läuft."

Um nur ein Beispiel zu nennen: In einer ihrer jüngsten Ausgaben druckte die Berliner Boulevardzeitung "B.Z." unter der Überschrift "Kneifen? Drehen? Oder ziehen?" einen "Ratgeber für Busen-Liebhaber" ("So fummelt er richtig"), der in der Erkenntnis gipfelte, mit den Berührungen des Busens sei es "wie mit einer anständigen Käseplatte: Man beginnt stets mit den leichten und zarten, geht danach zu den kräftigeren über." Artikel wie diese müssen genannt werden, damit wir wissen, worüber wir jetzt reden.

Dasselbe Boulevardblatt, das sich im Übrigen zu Teilen durch Sexanzeigen finanziert, fragte vergangenes Jahr beim Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig ("Helden wie wir", "Am kürzeren Ende der Sonnenallee") an, ob er nicht Lust habe, für sie Bordelle zu testen. Es wird wahrscheinlich niemand überraschter gewesen sein als die Redaktion selbst - jedenfalls sagte Brussig zu und testete dann also im Auftrag des Springer-Verlags, der alle Spesen zahlte, die Hauptstadt-Puffs durch. Brussigs Recherchen sind jetzt gesammelt im Piper Verlag erschienen - und zeichnen ein erschütterndes Bild: vom Autor Thomas Brussig.

"Es ist etwas an der Prostitution, das ich, ganz altmodisch, nicht richtig finde", schreibt Brussig im Vorwort seines auf Sach-, ja Fachbuch getrimmten "Reportage-Romans": "Mich stört, dass es über das Geld läuft." Ein Gedanke, der kaum von der Hand zu weisen ist. Und der dennoch erst mal formuliert sein will. Beschreibt er das Phänomen der Prostitution doch nur noch einmal in anderen Worten. Ähnlich finden ja auch viele Menschen nicht richtig, dass bei einem Mord jemand umkommt oder bei einem Versicherungsbetrug eine Versicherung betrogen wird. Was also bewegt einen, den an der Prostitution vor allem die Prostitution stört, dazu, sich da hineinzubegeben?

Brussig hat gleich mehrere Erklärungen für seine Leser bereit, unter anderem die, dass er sich noch nie mit diesem Thema befasst habe und dieser Auftrag - er nennt ihn "Traumjob" - also Gelegenheit biete, etwas vollkommen Neues zu erfahren. Außerdem interessiere ihn das Verhältnis zwischen Mann und Frau, schreibt Brussig. "Denn in der Welt der Prostitution ist es in gewisser Weise auf den Kopf gestellt. Hier ist es nicht der Mann, der versucht, die Frau ins Bett zu kriegen - hier ist es umgekehrt. Frauen wollen mit Männern Sex haben. Für dieses Ziel investieren sie Zeit, Geld und Ideen: Sie sitzen oder stehen viel herum, sie machen sich zurecht, und sie müssen Ideen haben, wie sie den Mann ansprechen." Deswegen sei hier der Mann in der Situation, in der sonst nur Frauen seien: "umworben zu sein, die Entscheidung zu treffen. Die Frauen wollen sowieso."

Man kann "Berliner Orgie", so der Titel des Buchs, auf mehrere Weisen lesen. Man kann es lesen, wie es ursprünglich intendiert war: als Testbericht für interessierte Konsumenten; dafür empfähle es sich aber, Mitglied der "B.Z."-Zielgruppe zu sein, also männlich, ohne Hochschulabschluss und nur durch den Anblick einer weiblichen Brust zu einem Aufflackern von Aufmerksamkeit zu verleiten.

Man kann es als Beschreibung von Orten lesen, an die man höchstwahrscheinlich selber nie kommt. ("Denken Sie einfach an den Stil jener vielen, vielen italienischen Restaurants mit Plastikgrotten und Zimmerspringbrunnen.")

Und man kann gar nicht umhin, es als ein Porträt des Autors zu lesen. Nach der Lektüre weiß man jedenfalls mehr über Thomas Brussig, als man wissen wollte.

Zum Beispiel, dass Brussig bei Prostituierten vor allem auf Frauen mit exotisch dunkler Hautfarbe steht. Und dass er bei solchen zu den hierzulande handelsüblichen Vorurteilen neigt: "Gina ist aus der Karibik, aus Jamaika. Da musst du ja wahnsinnig gut tanzen, sage ich, und indem sie den Takt der Musik mit dem Oberkörper aufnimmt, sagt sie mir: Ich tanze die ganze Zeit, Junge."

Oder dass er nicht "mit jeder kann": "Ich kann mir nicht mit jeder Frau Sex vorstellen, wäre aber dann für eine ganze Menge offen."

Und dass er mit einer geradezu rührenden Naivität gesegnet sein muss: "Vermutlich macht sie ihre Arbeit wirklich gerne, denn als sich unsere Blicke treffen, merke ich, dass sie schon versucht, mich zu verführen." Wie bitte? Eine Prostituierte gibt einem Mann das Gefühl, dass sie ihn heiß findet? Unglaublich, also so etwas hatte man ja noch nie gehört!

Aber das Verblüffendste: Thomas Brussig hat Bordelle getestet, ohne Sex zu haben. Seiner Ehefrau zuliebe habe er darauf verzichtet, schreibt er. Wie ein Restaurantkritiker, dem für seine Beurteilung der Anblick der Tischdecke genügt, ist Thomas Brussig durchs Rotlichtmilieu gezogen und hat sich mit Prostituierten: unterhalten. Er ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen:

"Dass in der Prostitution Männer Frauen kaufen, ist ein Irrtum, eine Verkennung der wahren Lage. Vielleicht sind sich auch alle Beteiligten über die wahren Verhältnisse im Klaren, verschweigen es nur aus Gründen der Peinlichkeit (Männer) und aus Geschäftssinn (Frauen). Der Mann kriegt nicht, was er will. Er bekommt ein Spektrum von Möglichkeiten angeboten, mit dem er sich zufriedengeben muss. Es ist nicht der Mann, der die Regeln macht. Sinnfälligster Ausdruck für diese Verhältnisse ist das Kondom, und wenn morgen die Aidsspritze auf den Markt käme, mit der sich die Krankheit ebenso wegimpfen ließe wie der Tripper - die Kunden der Prostitution müssten weiter Kondome benutzen. Mit dem Kondom halten sich die Huren ihre Kunden vom Leibe, wenn auch nur um Bruchteile von Millimetern. In einer Sphäre, in der es genau darum geht - für möglichst viel Geld möglichst wenig zu bieten -, ist das Kondom ein nicht mehr wegzudenkendes Utensil."

Noch mal langsam: Brussig hält Prostituierten vor, sich vor Krankheiten schützen zu wollen, und unterstellt ihnen, dies nur zu tun, um den Männern eins auszuwischen. Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, originell. Irgendwie scheint er sich das alles anders vorgestellt zu haben, romantischer offenbar, und seine Enttäuschung über den geschäftlichen Teil der ganzen Angelegenheit schlägt im Laufe der einzelnen Kapitel in Bitterkeit um: "Ich frage sie nicht nach dem Alter, weil sie in einem Alter ist, in dem man das nicht mal mehr eine Hure fragt." Oder, noch eine Spur menschenverachtender: "So wie sie aussehen, haben sie in diesem Beruf nichts verloren. Und wenn sie sich einen Fummel anziehen, von dem sie glauben, dass er scharf aussieht, dann muss man ihnen sagen: Nicht bei dir."

Schließlich lässt Brussig seinem Verdruss über Frauen im Allgemeinen freien Lauf: "Sie lacht. Sie mag Schmeicheleien. Auch mir gefällts, mit ihr zu flirten. Bleibt mir denn wirklich nur der Puff, wo ich noch mit einer schönen Frau flirten kann, ohne gleich wie ein Verbrecher angeguckt zu werden?" Oder: "Fazit, als sich der EC-Kartenbeleg aus dem Terminal schiebt: Ich hab 'ne nette Frau kennengelernt, hatte 'nen schönen Abend mit ihr und hätte sie sogar ins Bett  kriegen können. Eintritt und Getränke haben mich 48 Euro gekostet. Das ist nicht viel."

So viel zur Haltung. Nun könnte man ja wenigstens beim Beruf des Testers auf schöne Texte hoffen - aber nein. Die einzelnen Kapitel sind so brav und uninspiriert geschrieben, als wären sie Schulaufsätze zum Thema: "Mein schönstes Puff-Erlebnis". Brussig hatte es übrigens im "Artemis", einem Bordell, das für die erwartete gesteigerte Nachfrage während der Fußball-WM schön praktisch in Stadionnähe errichtet wurde. Brussig ist begeistert. Die Pornofilme im dortigen Kino hätten eine Handlung ("Als Drehbuchautor will ich so was einfach haben"), die Hygiene sei "sensationell" ("Dass im ,Artemis' seit der Eröffnung etliche Hektoliter Sperma geflossen sind, merkt man nicht. Das ,Artemis' ist sauber wie ein Ibis-Hotel"); beim Oralverkehr werde "sogar aufs Kondom verzichtet" - und "Tusch: im ,Artemis' wird hinterher bezahlt!"

Nee, also, kann man echt nichts sagen, oder? Ist schon 'ne tolle Sache, die Prostitution, wenn sie richtig gemacht wird, was, Herr Brussig?

JOHANNA ADORJÁN

Thomas Brussig: "Berliner Orgie". Reportage-Roman. Piper Verlag, München 2007. 208 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Johanna Adorjan befindet sich die Reportage, in der der Autor Thomas Brussig Berliner Bordelle in Augenschein nimmt, auf dem gleichen Niveau wie das Boulevard-Blatt, das sie in Auftrag gegeben hat. Drei mögliche Lesarten ergeben sich für die angesichts der an den Tag gelegten Naivität, Peinlichkeit und Frauenverachtung ungläubig staunende Rezensentin: einmal als tatsächlich ernst gemeinter Test-Bericht für zukünftige Kunden, dann als Bericht über Lokalitäten, die nicht jeder in seinem Leben aus eigener Anschauung kennen lernt, und schließlich als Selbstporträt eines Autors. Hier erfährt die Rezensentin allerdings mehr als erwünscht, wie sie abgestoßen mitteilt, und sie ist besonders von der, wie sie meint, sich von Kapitel zu Kapitel steigernde Verachtung gegenüber den Prostituierten und Frauen überhaupt, entsetzt.

© Perlentaucher Medien GmbH