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"In Deutschland weiß eigentlich niemand, dass es mich gibt", sagte Elisabeth Mann Borgese einmal, und es schien sie nicht zu bekümmern. Die jüngste Tochter von Thomas Mann hat früh ihren Weg aus dem Schatten des großen Vaters gefunden. Trotzdem liebte sie ihn genauso wie die vitale und praktisch veranlagte Mutter. Und es scheint das Vermächtnis Katjas zu sein, der willensstarken und hochintelligenten Ehefrau Thomas Manns, das Elisabeth vor schmerzlich gefährlicher Selbstbespiegelung, vor der Mannschen Zerrissenheit zwischen Begabung und Labilität bewahrte. Das familiäre Erbe prägte Elisabeth…mehr

Produktbeschreibung
"In Deutschland weiß eigentlich niemand, dass es mich gibt", sagte Elisabeth Mann Borgese einmal, und es schien sie nicht zu bekümmern. Die jüngste Tochter von Thomas Mann hat früh ihren Weg aus dem Schatten des großen Vaters gefunden. Trotzdem liebte sie ihn genauso wie die vitale und praktisch veranlagte Mutter. Und es scheint das Vermächtnis Katjas zu sein, der willensstarken und hochintelligenten Ehefrau Thomas Manns, das Elisabeth vor schmerzlich gefährlicher Selbstbespiegelung, vor der Mannschen Zerrissenheit zwischen Begabung und Labilität bewahrte.
Das familiäre Erbe prägte Elisabeth Mann Borgese, ohne sie zu lähmen. Sie ist ausgebildete Konzertpianistin, hat diesen Beruf aber nie ausgeübt. Sie arbeitete als Politologin an mehreren wissenschaftlichen Instituten, seit 1980 - ohne je studiert zu haben - als Professorin an der politischen Fakultät der Universität von Halifax, Canada.Sie schrieb Bücher mit Essays und Aufsätzen, Novellen und Theaterstücke und zog außerdem zwei Töchter groß. Als engagierte Meeresschützerin hat sie sich internationale Anerkennung und Berühmtheit erworben.
Autorenporträt
Kerstin Holzer, geboren 1967 in Bonn, studierte Politikwissenschaften und Germanistik. Nach journalistischen Stationen bei der "FAZ" und "Focus" arbeitet sie als Buchautorin und freie Journalistin, u.a. für die "Süddeutsche Zeitung". Kerstin Holzer hat einen Sohn und lebt in München. Sie ist zum zweiten Mal verheiratet.
Rezensionen
Ein schnelles Porträt
Warum eigentlich kennt man in Deutschland den jüngsten Spross der Familie Mann kaum? Erst durch die hervorragende TV-Verfilmung der Familiengeschichte Thomas Manns durch Heinrich Breloer rückte auch die inzwischen verstorbene Tochter Elisabeth ins Licht der Öffentlichkeit. Sie lebte ein mindestens ebenso spektakuläres Leben wie ihre Geschwister. Wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Das hochintelligente, mehrfach begabte Mädchen studierte, hatte eine Professur für Politik und Internationales Seerecht in Halifax, Kanada, zog zwei Töchter groß, publizierte, war für ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre politische Rigorosität international anerkannt.
Die ganz andere Mann-Tochter
Eine Biografie war also längst überfällig. Holzer nimmt den Stoff für ihr Buch aus Gesprächen mit der Wissenschaftlerin, die über einen eigenwilligen Humor verfügt, mit 80 noch schelmisch und mädchenhaft wirkt und dabei so hellwach wie intelligent und skuril erzählen kann. Darüber hinaus wertete die Autorin bekannte Quellen aus. Herausgekommen ist ein Lebensporträt, das sich ganz und gar auf das Gegenüber eingelassen hat, man könnte auch sagen, dass Holzer ihrer Gesprächspartnerin auf den Leim gegangen ist. Denn wie alle Manns hat auch Elisabeth ihr Geheimnis.
Den Film zur Ergänzung
Wer sich einmal für diese außergewöhnliche Frau begeistert hat, sollte in jedem Fall die TV-Trilogie, die im wesentlichen von ihren Interviews lebt, nicht verpassen. Das Buch kommt spät - man hätte Elisabeth Mann Borgese schon sehr viel früher die Aufmerksamkeit schenken sollen, die sie verdient. (Mathias Voigt, literaturtest.de)…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Herzensdingerle und Herrnpapale
Vom Luxus, ohne Rauschgift und Rebellion erwachsen zu werden: Kerstin Holzer erzählt das Leben der Elisabeth Mann, die zu Männern aufschaute und zu den Fischen hinabstieg
Genau neunhundertsiebenundsiebzig Hexameter hießen das „heilige Kindchen” willkommen. Den ersten Schritt, den ersten Laut, die erste Grippe wollte der Vater, der sich endlich vom abenteuernden Jüngling zum liebenden Mann gereift sah, metrisch verewigen. Er deutete das „feurig Mal” auf Kindchens Stirn als Zeichen der Erwähltheit, die Ärmchen erinnerten ihn an Engelsflügel, die Wiege an „das heitre Moses- Körbchen”, und wenn die jüngste Tochter den Vater ansah, dann machte ihr Lächeln ihn „glücklich fast wie den Liebenden das der Geliebten”. Vier Kinder bevölkerten bereits den herrschaftlichen Familiensitz, doch einzig Elisabeth eroberte das Herz des Hausherrn im Sturm. Einzig sie wurde Gegenstand einer Hymne, mit der Thomas Mann unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an Goethe und Homer anschließen wollte.
Der „Gesang vom Kindchen” hat seinem Autor wenig Ruhm eingetragen. Reinlichst geschrieben, aber auch peinlichst zu lesen sei dieses Pamphlet, spottete Die Weltbühne. Thomas Mann selbst bemerkte durchaus die unterschiedliche Geglücktheit der Hexameter, das Nebeneinander von klappernden Rhythmen und philosophischer Spekulation, an der Angemessenheit des Projekts aber ließ er keinen Zweifel. Er war anno 1918 fest entschlossen, Elisabeth von Geburt an voraussetzungslos zu lieben, und er blieb es ein Leben lang. Oft notierte er im Tagebuch „Ärger und Gram über das Wesen der Kinder”, über den „ein wenig idiotischen” Michael oder den „hemmungslos genäschigen” Klaus, allein Elisabeth war die vergötterte „Medi”, das treue „Herzensdingerle”. Sie wiederum vergalt dem „Herrnpapale” die Zuneigung, indem sie sein schwieriges Wesen vor den Geschwistern verteidigte und sich den Luxus gönnte, ohne Rauschgift und Rebellentum erwachsen zu werden.
Hartnäckig höflich
Fast könnte man die letzte Überlebende für eine untypische Angehörige der seltsamen Familie halten, für den biederen, lebenstüchtigen Ausnahmefall unter so viel Exzentrik und Labilität, wäre nicht auch ihr Leben einer gewaltigen Leidenschaft gewidmet. Diese jedoch gibt Ziele vor, die mit Narzissmus nicht zu vereinbaren, mit Destruktion nicht zu erreichen sind. Elisabeth Mann Borgese perfektionierte ihr spezifisches Talent, das wohl am besten als hartnäckige Höflichkeit beschrieben werden kann: Sie wurde zur Anwältin der nichtmenschlichen, vorzugsweise ozeanischen Natur. Dem Leben unter Wasser gilt ihr Einsatz, die Fische und Gräser dort unten sind ihr ebenso teuer, wie die südindischen Elefanten es waren – im Jeep brach sie 1964 auf, nach drei Wochen hinterm Lenkrad hatte sie die Tiere erreicht.
Die Liebe zum Meer scheint in den Sommermonaten der zwanziger Jahre begonnen zu haben. Die beiden jüngsten Kinder, Elisabeth und Michael, verbrachten gemeinsam mit ihren Eltern den Urlaub regelmäßig an Nord- oder Ostsee, am Mittelmeer oder auf der Kurischen Nehrung. Vater Thomas saß im Strandkorb und schrieb, Mutter Katia schwamm weit hinaus, und Elisabeth plantschte zwischen beiden. Die Kindheit im Hause Mann, die nicht nur Bruder Golo eine elende nannte, war für Elisabeth eine heitere Epoche. Der Dichter hielt nämlich Wort: Er behandelte sein Kindchen genau so, wie Engel es verdienen. Trotz dieser frühen Prägung wurde erst im fünften Lebensjahrzehnt aus der Sympathie eine Berufung.
Die Liebe zum Meer rückte wieder in den Hintergrund, zuvor war die Menschheit von ihrer Kriegslüsternheit zu kurieren. 1933 hatten die Eltern und ihre jüngste Tochter Deutschland verlassen, seit 1938 lebte man im amerikanischen Princeton. Dort stieß Elisabeth Mann auf ein Buch des italienischen Politologen Giuseppe Borgese, nach dessen Lektüre sie entschied, den Verfasser zu heiraten. „Für mich war immer alles aus einem Stück”, sagt die heute Dreiundachtzigjährige, das Denken und das Lieben, die Arbeit und das Private, und Borgese hatte geschrieben, was Elisabeth Mann dachte. Ein Jahr später heiratete sie den, so Schwester Erika, „munteren Greis”. Gemeinsam wollten die mittlerweile fertig ausgebildete Konzertpianistin und der sechsunddreissig Jahre ältere Wissenschaftler dem Faschismus in die Speichen greifen.
Als der Krieg zuende war, entwarf Borgese eine Weltverfassung für die „Ära der Menschheit”, die das Zeitalter der Nationalstaaten ablösen sollte. Seine „Sekretärin, Chauffeur, Köchin, Pianistin und Ehefrau Elisabeth”, als die sich die Jungvermählte selbst bezeichnete, unterstützte ihn nach Kräften. Lange ertrug sie seine Launen, denn sie wollte von ihm lernen. Die ausnahmslos älteren, klugen Männer, zu denen Elisabeth Mann sich hingezogen fühlte, aktualisierten das Bild des distinguierten, gütigen „Herrnpapale”. Eines der sechsunddreissig dem „Lebensporträt” beigegebenen Fotos zeigt sie sitzend am Schreibtisch. Borgese steht daneben, schaut streng zu ihr hinab, und sie – fast tochterhaft – schaut zu ihm empor.
Eine Einkehr in die Kindheit ist auch die nach Borgeses Tod erwachende Leidenschaft für das Meer. Was im Wohnzimmer ihrer wechselnden Häuser skurrile Züge annimmt, wenn vier Setter in den Sesseln sitzen, wenn ein Schimpanse Cocktails schlürft und Hunde auf der Schreibmaschine schreiben, damit sie lernen, was Elisabeth Manns Tierbuch von 1968 in Aussicht stellte: „Wie man mit den Menschen spricht”. Ebendiese Vernarrtheit in alles Kreatürliche treibt ausserhalb des Wohnzimmers politische Blüten. Sie gründet 1972 das „Internationale Ozean-Institut”, sie ist die treibende Kraft hinter dem UN- Abkommen von 1982, das den Meeresboden zum „Erbe der Menschheit” erklärt, und seit 1980 lehrt sie, weil dies offenbar in Kanada begrüßt wird, ohne jedes Studium als Gastprofessorin für Seerecht an der Universität von Halifax.
Mit Whisky und Bach
Zu schön, um wahr zu sein, wirkt dieser selbstbestimmte Lebenslauf, der Adoration und Emanzipation eigenwillig verschränkt, doch die Biografin vermisst das Atmosphärische. Die „humanistische Sozialistin”, von der es mehrfach heißt, sie lebe in der Gegenwart, wird deshalb zur Figur einer treuherzigen Kolportage umgebildet. Elisabeth Mann, so steht zu lesen, benutzte „die Meere, um ihre Vorstellung einer gerechteren Weltordnung durchzusetzen”, weil sie sich nicht auf das „ehrenhafte Austüfteln unrealisierbarer Traumwelten unter der akademischen Glasglocke” beschränken wollte. Jetzt habe sie, die pragmatische, unsentimentale, robuste, durchweg von Genies umgebene Elisabeth, „in vielem das Ziel erreicht”, und genieße erlesenen Whisky, die Klavierwerke Bachs, interpretiert von Glenn Gould, und vor allem „die Schönheit eines Sonnenuntergangs über der flammenden Bucht” von Halifax.
Vollends zum Erbauungsbuch droht die empatische Lebensbeschreibung an jenen Stellen auszuarten, an denen Kerstin Holzer, hauptberuflich Journalistin bei einem Münchner Magazin, ihre Lebensweisheiten zum Besten gibt. Staunend erfährt man, dass „viele Lieben Züge einer Flucht tragen”, aber keineswegs jede Liebe zur Passion wird, dass in Italien gut wohnen ist und dass viele Menschen, nicht jedoch Elisabeth Mann „im Alter von zweiundsechzig Jahren begehrlich nach dem Ruhestand äugen”. Kübelweise ergießt sich der Biografin Ehrerbietung über die Porträtierte. Von soviel Devotion durchnässt, stehen am Ende beide reichlich begossen da.
„Rührend und seltsam” nannte Thomas Mann die Liebe seines Kindchens zu dem alten Professor Borgese. Er hatte damit vorausschauend dieses Werk kommentiert: Es besteht aus sechsunddreissig Familienfotos, viel Engagement und manchem munteren Wort.
ALEXANDER KISSLER
KERSTIN HOLZER: Elisabeth Mann Borgese. Ein Lebensporträt. Kindler Verlag, Berlin 2001. 240 Seiten, 44,79 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2001

Die letzte Mann und das Meer
Kerstin Holzer über den Lebensweg von Elisabeth Mann Borgese

"Die Manns" haben ungebrochen Konjunktur. Dabei ist die Auswahl an Gestalten, mit deren Präsentation der deutsche Kulturbetrieb auf seiner Ebene jene Publikumsbedürfnisse befriedigen kann, für die der Massenpresse mit dem Adel, dem Film und dem Sport ein ganz anderes Reservoir zur Verfügung steht, nicht sehr groß. So kommt es, daß über dem bleibenden Ruhm, den das Werk von Thomas Mann erlangt hat, ein pseudomythisches Kollektiv, fast von der Art der Wagner-Sippe, generiert werden konnte.

Zwar schwimmt auch Kerstin Holzer, wie die erkennbar schnelle Machart ihres Buches verrät, auf dieser Welle. Doch hat sie sich dankenswerter Weise jene Persönlichkeit zum Gegenstand für ihr locker gemaltes Lebensbild gewählt, die in der bisherigen Mann-Literatur fast nur als des Vaters früher Herzensliebling zur Kenntnis genommen wurde, weil der Dichter dieses "Kindchen" in einem Hexameter-Gesang gefeiert hatte: von Elisabeth Veronika, dem zweitjüngsten der sechs Kinder von Katia und Thomas Mann, also handelt das Buch, und eben darum ist es zu begrüßen.

Elisabeth, Medi genannt, ist hierzulande ziemlich unbekannt. Im großen "Literatur Lexikon der Autoren und Werke deutscher Sprache" von Walter Killy sind nicht nur Erika, Klaus und Golo, sondern sogar Monika und Michael Mann mit eigenen Artikeln vertreten; hingegen sucht man Elisabeth Mann Borgese vergeblich, obwohl sie mit ihrer Lebensleistung und sogar mit davon zeugenden Büchern und späten poetischen Improvisationen einige ihrer Geschwister bei weitem überragt. Ja, man darf ohne Übertreibung sagen, daß sie weltweit, das heißt über den engeren deutschen und literarischen Horizont hinaus betrachtet, als die berühmteste der Geschwisterschar gelten darf. Und nicht etwa, weil sie die anderen überlebt hat und folglich als "die letzte Mann", wie man sie im Augenblick gerne nennt, als authentische Zeugin begehrt ist.

Was sie von ihren Geschwistern unterschied, war ihre Unabhängigkeit innerhalb der familiären Verstrickungen - eine Freiheit, die ihrer Liebe zu den Eltern eher zugute kam und die Teilhabe an den Leiden der Geschwister nie gemindert hat. Diese Freiheit war nicht die Folge einer frühen Ehe, sondern umgekehrt: Die Einundzwanzigjährige entschloß sich nicht, den dreieinhalb Jahrzehnte älteren sizilianischen Adligen G. A. Borgese zu heiraten, um von der Mann-Familie loszukommen und sich unter den Schutz eines Ersatz-Vaters zu begeben. Ihr imponierte vielmehr die geistige Statur und die politische Haltung des schon 1931 in die Vereinigten Staaten emigrierten Mussolini-Gegners, der in Chicago Literatur- und Politikwissenschaft lehrte.

Thomas Mann kam so zu einem gerade sieben Jahre jüngeren Schwiegersohn, der zwar zu seiner eigenen Generation gehörte und selber schon erwachsene Kinder aus anderer Ehe hatte, ansonsten aber bei Besuchen meist gehörig auf die Nerven ging. Borgeses gefürchtete Temperaments-Explosionen und seine autoritär vertretenen Anschauungen ließen ihn zu einem anstrengenden Zeitgenossen werden. Elisabeths Fazit, nach einem halben Jahrhundert der Biographin anvertraut, lautet denn auch: "Er war ein Gentleman, ehrenhaft und hochanständig, und ich habe ihn verehrt. Aber er war eben unerträglich." Das erinnert, wie vieles hier von Kerstin Holzer auf der Basis von Gesprächen und Tonband-Aufzeichnungen als glaubhaft authentisch Mitgeteiltes an Katia Manns knappe, realistisch-unsentimentale Diktion. Überhaupt hat sich das mütterliche Erbe bei Elisabeth erkennbar stärker durchgesetzt als bei ihren Geschwistern.

Nach zehn Jahren geriet die Ehe - die Borgeses hatten inzwischen zwei Töchter - in ihre schwerste Krise. Sie schleppte sich dahin. Als sich für Borgese, der, wie Thomas Mann, unter dem mit dem Kalten Krieg in den Vereinigten Staaten eingetretenen politischen Klimawechsel immer stärker litt, die Möglichkeit einer gesicherten Existenz in der alten Heimat bot, versprach er sich mit der Rückkehr nach Italien auch die Rettung seiner Ehe. Elisabeth hatte ihre begründeten Zweifel. Desungeachtet zog man im Oktober 1952 nach Florenz. Im November war Borgeses siebzigster Geburtstag zu feiern; Anfang Dezember schon ist die erst Vierunddreißigjährige Witwe. Ein Foto zeigt sie, mit den beiden Töchtern an der Hand, begleitet von Katia, auf dem Weg zur Beerdigung.

Vierzehn Jahre wird sie dann in Italien bleiben. Nach einer Weile, in der sie neben den häuslichen Pflichten sich wieder mehr Zeit für ihre musischen Neigungen gönnte, begann sie, wie schon früher, als sie Borgese auch als Mitarbeiterin zur Seite gestanden, sich bei Projekten zu engagieren, in denen sich die Sphären der Politik mit denen der Humanität und der Ökologie überkreuzen und folglich meist reiben. Elisabeths quasi angeborenen Liebe zum Meer zerrinnt ihr dadurch nicht im kontemplativen, von Klagen begleiteten Genuß, sie wird vielmehr zur Forscherin und energischen Organisatorin. 1970 ist sie, als Mitbegründerin des Club of Rome, dessen einziges weibliches Mitglied. Mit Gesinnungsgenossen weckt sie das Weltgewissen gegen die zerstörerische Ausbeutung der Ozeane, so daß nach zähem Kampf gegen nationale und merkantile Egoismen mit der UN-Seerechtskonvention von 1982 wenigstens ein Anfang zur Rettung der bedrohten Meere zustande kommt. Der Lebens- und Berufsweg führte von Italien wieder zurück nach Kalifornien und schließlich an die kanadische Atlantikküste. Auch dort gibt sich die längst zur Expertin und Professorin avancierte Hochbegabte nicht einem gemächlichen Ruhestand hin.

Ein erfolgreiches Leben wird nicht immer auch als ein glückliches empfunden, es kann sich, gerade im Alter, die realistische Skepsis von einst in Resignation oder gar Depression verwandeln. Elisabeth Mann Borgese ist von solcher Verdüsterung verschont geblieben, und sie besteht auch darauf, daß ihre Kindheit glücklich war. Und nicht nur die ihre. Sie opponiert damit vehement gegen die von den eigenen Geschwistern initiierte und durch einige Schicksale angeblich beglaubigte Legende von einem dem Vater anzulastenden unheilschwangeren Familienleben. Daß Elisabeths Revision des tendenziös ausgenützten Bildes vom kalten, narzistischen Großschriftsteller durch Kerstin Holms Buch auch in weitere Kreise dringt, ist ein Grund mehr, ihm eine große Leserschaft zu gönnen.

Den Meriten stehen freilich erhebliche Schwächen gegenüber. Biographien entstehen für gewöhnlich durch die geschickte Mixtur von Primärzeugnissen mit den Ergebnissen der Forschung, also der Sekundärliteratur. In diesem Sinne kann man sie dann als Tertiärliteratur bezeichnen, ohne sie damit abwerten zu wollen. Das gilt auch für die beiden beachtenswertesten neueren Biographien, die von Klaus Harpprecht (1995) und die von Hermann Kurzke (1999). Für Kerstin Holzer sind sie, vor allem jene von Kurzke, zur Hauptquelle nicht nur im Hinblick auf die Mann-Familie, sondern auch auf die historisch-politischen Begleitumstände geworden. Noch einmal verkürzt wird so aus der Teritär- eine Art Quartärliteratur. Daneben kann die Autorin erfreulicherweise aber viele unveröffentlichte Dokumente, vor allem aus dem Besitz Elisabeths, präsentieren.

Der schnelle Zugriff auf Bücher wie die von Harpprecht oder Kurzke führt naturgemäß zu riskanten Vereinfachungen. So lesen wir nun, daß Thomas Mann an einem Kreislaufkollaps gestorben sei. Als Quelle dient wiederum Kurzke. Bei ihm taucht das Wort zwar auch auf, aber davor heißt es korrekt, wenn auch ohne Herkunftsangabe (der authentische Obduktionsbericht wurde 1997 im Thomas Mann-Jahrbuch publiziert): "Riß der unteren Bauchschlagader, plötzlicher großer Blutverlust und Kreislaufkollaps." Fataler ist freilich, wenn die junge Autorin und "Focus"-Mitarbeiterin durch den allzu dünnen Bildungsboden ihres Politologie- und Germanistikstudiums bricht. So zitiert sie aus Thomas Manns Tagebuch vom 7. Mai 1933 und meint, dem Leser durch ein hinzugefügtes Wörtchen zu Hilfe kommen zu sollen: "Angesichts eines beeindruckenden Regenbogens, der sich über die blaue Bucht spannte, sang er für Elisabeth sogar den Rheingold-Schluß, wie ich schon früher, angesichts des Meerschloßartigen des Hotels, zitiert hatte: ,Bin ich in Cornwall? - Nicht doch, in Kareol!'" - Selbst Peter de Mendelssohn, der ansonsten nie eine Gelegenheit ausließ, den Kommentar zu bereichern, hielt es in diesem Fall für unter seiner und der Leser Würde, darauf hinzuweisen, daß das zweite Wagner-Zitat dem "Tristan" entstammt. Pech für Kerstin Holzer, sie wäre sonst vielleicht doch nicht auf die Idee verfallen, Thomas Manns Text dergestalt zu verdeutlichen, daß der Regenbogen nun auch über Kareol glänzt.

Trotz alledem und manch anderem: dem Buch ist, um seines Gegenstandes willen, die breite, mit den "Manns" noch wenig vertraute Leserschaft zu wünschen, auf die es, seiner Machart gemäß, angelegt ist.

ECKHARD HEFTRICH

Kerstin Holzer: "Elisabeth Mann Borgese". Ein Lebensportrait. Kindler Verlag, Berlin 2001. 240 S., geb., 44,79 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Elisabeth Mann Borgese, konstatiert Rezensent Eckhard Heftrich, ist in Deutschland nach wie vor das vermutlich unbekannteste Mitglied des "pseudomythischen Kollektivs", das die Manns darstellen. Für das Ausland gilt das nicht - und angesichts ihrer Lebensleistung, stellt der Rezensent fest, ist die deutsche Geringschätzung auch keineswegs gerechtfertigt. Als unerschöpfliche Forscherin und Organisatorin, als Kämpferin für die Verbindung von "Humanität und Ökologie" ist sie, die an ihrem sehr viel älteren Mann vor allem dessen Unabhängigkeit bewunderte, aus dem Schatten des großen Vaters getreten. Eine Biografie hat sie längst verdient, meint Heftrich, und daher ist es gut, dass sie sie nun bekommt. Über die Maßen glücklich ist er mit dem "locker gemalten Lebensbild" von Kerstin Holzer allerdings nicht. Seine "schnelle Machart", bedauert er, ist dem Buch deutlich anzumerken. Zwar biete es die Veröffentlichung bisher unbekannter Dokumente, insgesamt aber handelt es sich, so Heftrich, unverkennbar um "Quartärliteratur", die die bekannten Biografien des Vaters noch einmal ausschlachtet.

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