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Feridun Zaimoglu bleibt den gesellschaftlichen Randgebieten und ihren Bewohnern treu. Er wendet sich dem Leben einiger Großstadtkreaturen zu, die fern von Berliner Hipness und Touristenströmen ihre eigenen Wege gehen. Isabel ist eine schöne Frau, aber nicht mehr schön und jung genug, um weiter zu modeln, und nicht anerkannt genug, um als Schau-spielerin an die großen Rollen zu kommen. So arbeitet sie als Gelegenheitsdarstellerin, ist mit der Liebe am Ende, verlässt ihren Freund und beschließt, ihr Leben neu zu entwerfen. Es ist die Zeit nach den Sensationen, sie verabschiedet sich von der Lust…mehr

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Produktbeschreibung
Feridun Zaimoglu bleibt den gesellschaftlichen Randgebieten und ihren Bewohnern treu. Er wendet sich dem Leben einiger Großstadtkreaturen zu, die fern von Berliner Hipness und Touristenströmen ihre eigenen Wege gehen. Isabel ist eine schöne Frau, aber nicht mehr schön und jung genug, um weiter zu modeln, und nicht anerkannt genug, um als Schau-spielerin an die großen Rollen zu kommen. So arbeitet sie als Gelegenheitsdarstellerin, ist mit der Liebe am Ende, verlässt ihren Freund und beschließt, ihr Leben neu zu entwerfen. Es ist die Zeit nach den Sensationen, sie verabschiedet sich von der Lust und wählt den Weg in die Keuschheit. Nachdem es auch ihren Eltern trotz großer Anstrengungen nicht gelungen ist, ihr einen passenden Heiratskandidaten zuzuführen, trifft sie Marcus, und es beginnt die Geschichte von Isabel und dem Soldaten. Marcus ist ein Kriegsheimkehrer aus dem Kosovo-Einsatz, traumatisiert und nur daran interessiert, eine aufs Nötigste reduzierte Existenz zu führen. Ihre Begegnung verändert beider Leben und führt sie auf eine faszinierende und bedrohliche Reise in Marcus' Vergangenheit. Gewohnt sprachmächtig, dabei sehr genau in der Beobachtung und bewusst in der Verknappung, führt Zaimoglu seine Leser in eine Welt der zurückgefahrenen Lebenserwartungen, die aufgebrochen wird durch Liebe, Schmerz, Reue und Rache.
Autorenporträt
Zaimoglu, FeridunFeridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, lebt seit seinem sechsten Lebensmonat in Deutschland. Er studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel und schreibt für Die Welt, die Frankfurter Rundschau, Die Zeit und die FAZ. 2002 erhielt er den Hebbel-Preis, 2003 den Preis der Jury beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt und 2005 den Adelbert-von Chamisso-Preis. Im Jahr 2005 war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Zahlreiche weitere Preise folgten, u.a. der Grimmelshausen-Preis (2007), der Corine-Preis (2008), der Jakob-Wassermann Literaturpreis (2010) sowie der Preis der Literaturhäuser (2012). 2016 erhielt er den Berliner Literaturpreis sowie die Ehrenprofessur des Landes Schleswig-Holstein. Nach »Leyla«, »Liebesbrand«, »Siebentürmeviertel« und »Evangelio« erschien zuletzt sein Roman »Die Geschichte der Frau« (nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Happy End als Alptraum erlebt Wiebke Porombka einmal mehr in einem Roman von Feridun Zaimoglu. Die "sperrige" Ästethik des Autors geht für die Rezensentin erstaunlicherweise wiederum auf, wenn Zaimoglu seine randständige türkischstämmige Heldin durch ein sozial und menschlich so gar nicht sexy aussehendes Berlin begleitet. Die atmosphärische, höchstens von der latenten Wut der Protagonistin unterströmte Kälte empfindet Porombka nicht zuletzt auch durch die Sprache, die der Autor so weit es geht reduziert. Unsinnlich wie die gezeigte Welt erscheint sie Porombka, ausgehungert und von einem namenlosen Schicksal stumm gestellt. Wenn jemand psychische Abgründe und Ängste darzustellen vermag, dann Zaimoglu, meint die Rezensentin, wenngleich ihr die Experimentierfreudigkeit des Autors in diesem Roman eher noch gedrosselt scheint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2014

Bei dieser Gewalt verschlägt es selbst dem Autor die Sprache

In Feridun Zaimoglus neuem Roman "Isabel" über eine Türkin in Berlin geht es um einen grausamen Selbstmord. Das Buch ist in einem Rigorismus geschrieben, der den geschilderten Ereignissen sprachlich immer näher kommt.

Dass sie von einer Notaufnahme zur nächsten renne, befindet ein Freund über das Leben von Isabel. Damit trifft er das Wesen der titelgebenden Heldin aus Feridun Zaimoglus jüngstem Roman allenfalls zur Hälfte: Denn mehr noch, als dass sie irgendwohin rennt, läuft Isabel permanent davon. Wie eine Flucht mutet der Auszug aus der Wohnung ihres Freundes an, der den Auftakt des Romans bildet. Was es mit diesem Mann auf sich hat, welchen Grund die Trennung hat, weshalb sie so panisch erfolgt - das alles bleibt ungesagt.

Während man also Isabel in den darauffolgenden Tagen begleitet, hin und wieder in ihrer kleinen Wohnung in einem Plattenbau am Alexanderplatz, die ein kaum eingerichtetes Provisorium bleibt, zumeist aber auf ihren Wegen durch Berlin, mag sich zunächst der Verdacht auftun: Dieser nicht mehr ganz jungen, türkischstämmigen Frau muss etwas Furchtbares widerfahren sein. Die Vehemenz, mit der sie jede Annäherung von Männern ablehnt, die Entschiedenheit, mit der sie sich nicht schminkt, die Wut, mit der sie etwa einen Polizisten auf angeblich in den Parkbüschen sich vergnügende Paare hetzt, scheinen auf tiefe Verletzungen zu verweisen.

Womöglich aber hat das Unglück von Isabel gar keinen konkreten Anlass, vielleicht hat diese Frau sich auch einfach nur selbst verloren zwischen Schauspielambitionen und Modelversuchen, nachdem auch die Berliner Dauerjugendlichkeit irgendwann ein Ende gehabt hat, nachdem das selbstgewählt Boheme-Prekariat schleichend in wahre Armut umgekippt ist.

Nun bewegt Isabel sich inmitten anderer verlorener Gestalten, wie Helga, der alten Flaschensammlerin, oder lässt sich durch den Schöneberger Transsexuellen-Strich treiben, wo beim gemeinsamen Tee am Kiosk immerhin ein wenig Behaglichkeit aufkommt. Von diesen Männern in Damenkleidern lässt Isabel sich in den Arm nehmen, und sogar ihre kleine giftige Hündin Ruby lässt sich streicheln.

Bei der Armenspeisung hingegen oder in der Kleiderkammer, die Isabel regelmäßig aufsucht, herrschen härtere Gesetze. Hier scheint jeder dem anderen das Essen zu missgönnen, und die abgelegten Kleidungsstücke anderer werden von Isabel gierig zusammengerafft, der zuständige Student, der eigentlich nicht so viele Stücke auf einmal herausgeben darf, wird notfalls bedroht. Ob Isabel tatsächlich so bedürftig ist, dass sie auf diese Einrichtungen angewiesen ist, oder ob sie hier nur den letzten ihr verbliebenen Rest von Macht ausagiert, bleibt ungewiss, wie so vieles in der Geschichte über diese in einem eigenartig Autismus durch die Welt taumelnde Frau, die alles daransetzt, sich gegen die Welt abzudichten.

Es passt zu dieser aus den Fugen geratenen Existenz, dass die einzigen Einkünfte, die Isabel hin und wieder hat, ausgerechnet daher stammen, in einen Keuschheitsgürtel gesperrt, dem Beischlaf eines Ehepaars beizusitzen, das auf diese Weise seine Erregungskurven in die Höhe treiben will. Den Keuschheitsgürtel nimmt Isabel demonstrativ mit auf eine Reise zu ihren Eltern in die Türkei, wo ihre Mutter ihr verschiedene Heiratsanwärter präsentiert, in der Hoffnung, Isabels Leben wieder Halt und Struktur zu verleihen. Die Widersprüchlichkeit passt nur allzu gut zu Isabels Wesen: Sie fährt zwar zu ihren Eltern, trifft sich mit den Kandidaten, aber nur, wie es scheint, um sie zu provozieren. Aber auch wenn sich aus dieser Episode eine kulturelle Zerrissenheit herauslesen lässt, mag diese doch nur ihren Anteil zu der grundsätzlichen Verlorenheit von Isabel, die bald nach Berlin zurückkehrt, beitragen.

Feridun Zaimoglu, der 1964 im türkischen Bolu geworden wurde und im Jahr darauf mit seinen Eltern nach Deutschland kam, erzählt, so wie man es bei diesem Autor erwarten kann, in seinem Roman "Isabel" über ein Berlin jenseits der schicken Metropolenkultur. Ihn interessieren die Randbereiche, die sozialen genauso wie die menschlichen, und diesem Fall sogar eher noch diejenigen, die bereits jenseits dieses Randes liegen. Und deshalb ist es vermutlich auch nur konsequent, dass Zaimoglu seinen Roman ebenfalls an den Rand des Literarischen delegiert. Seine Sprache verknappt zu nennen wäre ein Euphemismus. Über weite Strecken liest sich "Isabel" wie Notate zu einem Roman. Als hätte Zaimoglu sich die Sprache weggehungert, so wie seine Figuren ihren Körpern immer wieder das Nötigste verweigern. Oftmals beschränkt er sich auf bloße stakkatohafte Aufzählungen, die an Szenenweisungen in Theatertexten erinnern: "Lärm, Tumult, Wirt brüllte um Ruhe. Donnerhall draußen", lauten solche Wortreihen etwa.

Die Sinnlichkeit des Erzählens ist in dieser Welt abhandengekommen, so wie in den Figuren etwas Ursprüngliches, Natürliches verkümmert ist. Nur in Isabels Träumen erscheint hin und wieder ein Buch, das ihre in der Wachheit unausgesprochene Sehnsucht nachgerade schmerzhaft verdeutlichen mag: "Plötzlich fiel ihr ein Satz aus dem Buch im Traum ein: Hyazinthenpurpur strich sie sich auf Hals und Ellenbeugen. Isabel war beglückt."

Was Zaimoglu mit seinem Roman sprachlich unternimmt, auch wenn es seine erzähllogische Berechtigung hat, ist nicht nur weitaus weniger experimentell und artifiziell, als man es aus seinen früheren Texten, etwa in "Liebesbrand" (2008) oder "Hinterland" (2009), kennt. Wenn die Figuren daran kranken, dass ihre Beziehungsfähigkeit verlorengegangen ist, dann muss der Leser diesen Prozess auf ästhetischer Ebene mitvollziehen. Auch ihm wird, womöglich bewusst, der Zutritt zum Roman und seinen Charakteren erschwert.

Und so dringt die eigentliche Tragödie, die Zaimoglu erzählt, nur nach und nach ins Bewusstsein des Lesers, genauso wie in das von Isabel. So wie alle Männer wehrt sie zunächst auch Marcus ab, der, zumeist "Soldat" genannt, gerade von einem Einsatz im Kosovo zurückgekehrt ist und eine geheime Schuld mit sich trägt. Was Isabel und Marcus verbindet, ist ihre Freundschaft und Liebe zu Juliette, einer jungen Frau, deren Leben ähnlich oder vielleicht noch mehr aus dem Gleichgewicht geraten war, als das von Isabel es ist.

Dass Juliette ihrem Leben selbst ein Ende bereitet hat, weiß Isabel. Gemeinsam mit Marcus aber deckt sie die grausamen Zusammenhänge des Todes auf. Zaimoglu lässt die psychischen Abgründe und Lebensängste, über die er erzählt, im zweiten Teil seines Romans ihre Bestätigung in realer Gewalt finden, vor der man kaum anders als sprachlos stehen kann. Insofern bestätigt sich noch einmal das wenngleich sperrige ästhetische Konzept Zaimoglus. Dass das vermeintliche Happy End des Romans ein Albtraum ist, kann in diesem Erzählkosmos gar nicht anders sein.

WIEBKE POROMBKA

Feridun

Zaimoglu:

"Isabel". Roman.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 256 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2014

Das abgeschminkte Leben
In seinem neuen Roman „Isabel“ erzählt Feridun Zaimoglu von der Glückssuche
im Berlin der Gegenwart – und setzt seine Figuren dem Säurebad der Desillusionierung aus
VON MEIKE FESSMANN
Abgemagert bis auf die Knochen ist der neue Roman von Feridun Zaimoglu. Der Autor hat ihn dem kantigen Körper seiner Hauptfigur so passgenau nachgebildet, dass kein Quäntchen Fett mehr übrig ist. Isabel hätte das Zeug zur antiken Tragödin, so erbarmungslos wütet sie gegen sich selbst. Doch sie lebt in der Jetztzeit, mitten in Berlin, unter lauter verlorenen Gestalten, die sich in den Fallstricken ihrer prekären Existenz verheddern. Die anderen mögen noch vom großen Durchbruch träumen.
  Isabel aber hat genug: von der Schauspielerei, vom Modeln, vom Essen sowieso und von der Liebe neuerdings auch. Sie will keine Schminke mehr, keine Maskeraden, keine wie auch immer gearteten Spielchen. Wie aber Schluss machen damit? Zu Beginn des Romans schleppt sie mit lautem Gepolter ihre Matratze aus der Wohnung des Freundes. Exakt drei Jahre und zwölf Tage waren sie ein Paar. Die Liebe ist erloschen, er hat sie betrogen. Doch kaum kommt sie in ihrem neuen Domizil an, greift sie zum Telefon und stammelt Dankesworte und Entschuldigungen auf seinen Anrufbeantworter.
  Was ist nur los mit ihr? Und was ist los mit all den Frauen, die immer noch „bessere Frauen“ werden wollen? Warum quälen sie sich und andere? Warum strengen sie sich nur pausenlos an, verausgaben sich bis zum Umfallen, ohne jemals zu bekommen, was sie wollen? Welchen „Kriegslärm“ meinen sie die ganze Zeit zu hören? Es sind dringliche Fragen, die Feridun Zaimoglu in seinem neuen Roman aufwirft. Dass er es ernst meint, merkt man von der ersten Seite an.
  Der 1964 im anatolischen Bolu geborene Feridun Zaimoglu ist seit vielen Jahren einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller. Schon einmal ist er in den Körper einer Frau geschlüpft. Aus der Ich-Perspektive eines zur Frau heranreifenden anatolischen Mädchens erzählte „Leyla“ die Lebensgeschichte seiner Mutter, die sie ihm in zahlreichen Gesprächen anvertraut hatte. In seinem neuen, der Schwester gewidmeten, Roman geht er anders vor. Dieses Mal erzählt er in der dritten Person, allerdings nicht weniger einfühlsam. Die Erzählerstimme, die der gehetzten Isabel zur Seite steht, ist so etwas wie ein Begleiter. Mit offenen Augen und Ohren bleibt sie ganz nah am Körper der Heldin, umgibt sie beinahe wie eine Silhouette. Wurde „Leyla“ von einem langen epischen Atem getragen, so ist „Isabel“ bis zur Schmerzgrenze verknappt. In beiden Romanen aber geht es auch um Gewalt.
  Ist die Gewalt eines despotischen Vaters, der auch vor körperlichen Züchtigungen nicht zurückschreckt, leicht zu erkennen, so erkundet Feridun Zaimoglu in seinem neuen Roman, welchen Formen von Gewalt Frauen in einer Gesellschaft ausgesetzt sind, in der sie ständig ihre Haut zu Markte tragen müssen. Von klarer Schärfe sind die Szenen, mit denen der Roman eröffnet: Jo, der schwule Freund, der ihr beim Umzug hilft, mahnt, sie solle ein „braves Mädchen“ sein und den Ex nicht wieder anrufen. Das klingt freundlich und ist doch eine Demütigung. Ein junger Mann baggert sie im Club an. Als er merkt, dass seine Verführungskünste nicht verfangen, sagt er ihr dreist ins Gesicht, sie solle gefälligst froh sein, dass sich ein Jüngerer überhaupt noch für sie interessiere. Zehn Minuten später zieht er mit einer anderen ab – die „Drogengeilheit“ hat sie gefügig gemacht.
  Feridun Zaimoglu hat einen ausgeprägten Sinn fürs sprechende Detail. Wie er auf wenigen Seiten das Posen und Anbaggern in einem Club beschreibt, macht ihm so schnell keiner nach. Dabei leben die Beobachtungen vom doppelten Blick: Die weibliche Sicht der Dinge verbindet sich mit einer männlichen, die zum eigenen Geschlecht auf Distanz geht. Immer schneller jagt er seine Isabel durch ein Geschehen, in dem es nur noch bergab zu gehen scheint. Episode folgt auf Episode. Ihre beste Freundin Juliette, eine Modemacherin, noch magerer als sie, hat sich umgebracht. Bei der Armenhilfe begegnet sie Juliettes Mutter Christine, die bald erschlagen im Gebüsch liegt. Juliettes Bruder Patrick taucht auf, ein gewalttätiger Typ, der in üble Geschäfte verstrickt ist.
  Nur der Ex-Freund von Juliette, der als Soldat in Kosovo ein Mädchen überfahren hat, das von seinem Vater vor den Lastwagen gestoßen wurde, entpuppt sich als anständiger Kerl. Mit der Zeit gelingt es ihm, die raue Schale von Isabel, die ihn nur „Soldat“ nennt, aufzubrechen. Eigentlich hat er „die Schnauze voll von schwierigen Frauen“, die nachts mit einem Mann ins Bett gehen, um morgens ihre Stacheln aufzustellen. „Ganz normaler Umgang, darauf steh ich. (...) Rumeiern ist die Pest.“
  Wie in seinem letzten Roman „Ruß“ die Stadt Duisburg, so kartografiert der in Kiel lebende Schriftsteller nun Berlin, topografisch wie soziologisch. Mal lebt Isabel in ihrer neuen Plattenbau-Wohnung am Alex, mal in Juliettes alter Wohnung in Schöneberg, wo die schwulen „Spießer“ leben, mal trifft sie eine Freundin im verfallenen Vergnügungspark Plänterwald, mal taucht sie bei Marcus, dem Soldaten, im kleinbürgerlichen Rudow unter. Eine Künstlerparty lockt sie auf den Teufelsberg, die Verbindungslinien zwischen dem in Tegel lebenden Bruder ihrer toten Freundin und einem reichen Ehepaar in Dahlem führen sie quer durch den Westen der Stadt. Bei einem anderen Ehepaar verdient sie sich Geld. Angetan mit einem Keuschheitsgürtel muss sie still daneben sitzen, um den ehelichen Beischlaf anzufeuern.
  Ihre Mutter meint, sie solle endlich einen reichen Mann heiraten und Kinder bekommen. Per Handy ist sie ständig in Kontakt mit ihr. Eines Tages reist sie in die Türkei, um sich drei Bewerber anzuschauen, die um ihre Hand anhalten. Man trifft sich in Restaurants, es geht gründlich schief. Die Kluft zwischen den Geschlechtern wird durch kulturelle Missverständnisse vertieft. Isabel fühlt sich abermals gedemütigt. Außer ihrer Hündin Ruby scheint sie niemandem zu genügen. Also keine Rettung, nirgendwo?
  Zaimoglu, der auch Theaterstücke schreibt, entwirft seinen Roman als raues Tableau unlösbarer Konflikte. Manchmal reißt er seine erschöpften Helden mit einem Ruck nach oben, schenkt ihnen Seele und den Wunsch nach Erlösung. Meistens aber lässt er sie in den bösen Sätzen schmoren, mit denen sie ihre Gefühle auch vor sich selbst verbergen. „Weichheit find’ ich widerlich“, sagt Isabel zu Marcus, der ihr im Haus seiner Mutter Schutz gewährt.
  Der Krieg der Geschlechter und der kräftezehrende Kampf um Geld und Ansehen, den auch die Einwanderergruppen gegeneinander führen, vollzieht sich mit expressionistischer Schärfe. Ein großer Zorn wütet in diesem bis aufs Skelett heruntergehungerten Roman, in dem es keine romantische Verklärung der Liebe gibt wie in „Liebesbrand“ und keine Verschönerungs- und Spintisierungskünste wie in „Hinterland“.
  In seinen besten Momenten erinnert „Isabel“ an die schrille Wucht von Büchners „Woyzeck“. Nur die Liebe zwischen Mutter und Kind bleibt am Ende als etwas Unversehrtes übrig. Man schmälert die eigenwillige Stimmigkeit dieses Erzählexperiments nicht, wenn man sich wünscht, der nächste Roman möge wieder etwas mehr Fleisch auf den Rippen haben.
Was ist nur los mit all den
Frauen, die immer noch
„bessere Frauen“ werden wollen?
Wie Zaimoglu das Anbaggern
in einem Club beschreibt,
macht ihm so schnell keiner nach
Isabel hat genug: von der Schauspielerei, vom Modeln, vom Essen sowieso und von der Liebe neuerdings auch: Schaufensterpuppen bei der Arbeit
Foto: Regina Schmeken
  
  
  
  
  
Feridun Zaimoglu:
Isabel. Roman.
Kiepenheuer & Witsch
Verlag, Köln 2014.
240 Seiten, 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Feridun Zaimoglus Größe besteht darin, diese Kälte mit einer Poesie zu beschreiben, die noch aus der letzten Obdachlosen eine romantische »Flaschenpflückerin« macht [...].« Der Freitag 20141002
Zaimoglus Figuren leiden oft unter seelischen Verletzung, stellt Katharina Granzin eingangs fest und verortet den neuen Roman des Autors umgehend in diesem Motivzusammenhang. Denn auch dessen Titelfigur ist ein solcher Mensch, dessen Probleme, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, sich dem Leser allerdings nicht ohne weiteres voll offenbaren, berichtet die Rezensentin, die sich im weiteren vor allem der literarischen Ästhetik Zaimoglus widmet: Wie schon in "Ruß" beobachtet sie Ansätze eines Kriminalromans, dessen Fäden allerdings nur lose aufgegriffen werden und "angesichts des großen Daseinsdurcheinanders (...) ins Leere" laufen. Auch ist der in kurzen, doch literarisch in keineswegs banalen Sätzen verfasste Roman auffällig an der Gegenwärtigkeit des jeweiligen Moments interessiert, was schon die Fülle an rhythmisch sensibel konstruierten Dialogen verrät. Doch trifft nicht alles auf das Wohlwollen der Kritikerin: Dafür, dass der auch wegen seiner Verortung nahe dem Alexanderplatz an Döblin erinnernde Roman sich sehr für soziales Elend interessiert, interessiert er sich doch auffallend wenig für dessen Ursachen - ganz im Gegensatz, wie Granzin abschließend lakonisch anmerkt, zur Topografie des Orts, die vor diesem Hintergrund irritierend detailliert beschrieben wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ungemütlich und sperrig, aber unbedingt lesenswert, weil es intensiv, radikal und sprachmächtig ist. Radio Fritz