Marktplatzangebote
29 Angebote ab € 1,95 €
  • Gebundenes Buch

Lea, Avishag und Yael leben in einem israelischen Dorf an der Grenze zum Libanon. Ihr Alltag ist geprägt von Unbe­ständigkeit, Langeweile und Krieg. Es gilt, die Zeit bis zum Militärdienst so gut es geht mit makabren Spielen und heimlichen Liebschaften totzuschlagen. Als die Mäd­chen eingezogen werden, ist es mit der Kindheit von heute auf morgen vorbei. Was sie an den verschiedenen Stützpunk­ten bewegt, sind Waffen, Tod und Sex. Und die Frage nach Gerechtigkeit und der Macht des Stärkeren. Sie exerzieren für den Moment des großen Bang, der vielleicht nie kommt. Alle drei kämpfen mit der…mehr

Produktbeschreibung
Lea, Avishag und Yael leben in einem israelischen Dorf an der Grenze zum Libanon. Ihr Alltag ist geprägt von Unbe­ständigkeit, Langeweile und Krieg. Es gilt, die Zeit bis zum Militärdienst so gut es geht mit makabren Spielen und heimlichen Liebschaften totzuschlagen. Als die Mäd­chen eingezogen werden, ist es mit der Kindheit von heute auf morgen vorbei. Was sie an den verschiedenen Stützpunk­ten bewegt, sind Waffen, Tod und Sex. Und die Frage nach Gerechtigkeit und der Macht des Stärkeren. Sie exerzieren für den Moment des großen Bang, der vielleicht nie kommt. Alle drei kämpfen mit der Ein­samkeit, mit Rivalitäten und mit den schrecklichen Bildern, die sie Tag für Tag mit ansehen müssen. Und jede findet einen anderen Ausweg: Lea träumt sich in eine Fantasiewelt, Avishag schafft es, in den Schutz des Militärgefängnisses zu gelangen, und Yael flüchtet sich in den Sex mit einem Rekruten. Doch auch nach der Zeit beim Militär ist nichts so, wie es sein sollte. Shani Boianjiu erzählt mit einzigartiger Stimme vom Erwachsenwerden unter extrem verschärften Bedingungen - das ist große Literatur.
Autorenporträt
Boianjiu, Shani
Shani Boianjiu, geboren 1987 in Jerusalem, hat irakische und rumänische Wurzeln. Sie wuchs in Westgaliläa in einem Dorf an der Grenze zum Libanon auf. Während ihres zweijährigen Militärdienstes, der in Israel auch für Mädchen Pflicht ist, wurde sie als Waffenausbilderin eingesetzt. Danach studierte Boianjiu in Harvard. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten in der New York Times und im New Yorker und wurde von der National Book Foundation als die jüngste Autorin unter die »5 under 35« gewählt. »Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst« ist ihr erster Roman und erscheint in 19 Sprachen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013

Gefrorenes Wasser im Blut

Vor dem Krieg wurde ich endlich schön: Shani Boianjiu erzählt in ihrem großartigen Debüt von Frauen in der israelischen Armee

Es gibt eine Episode in diesem Buch, in der die Absurdität des israelisch-palästinensischen Besatzungsalltags eine solche Wucht entfaltet, dass man einen Augenblick lang hofft, die Autorin schildere eine Szene aus der israelischen Version von "Versteckte Kamera". Schauplatz ist ein Checkpoint auf der Route 433, seit 2002 ist sie für Palästinenser gesperrt, und genau dagegen wollen nun drei Palästinenser protestieren. Höflich bitten sie die gelangweilten israelischen Soldaten, ihre Mini-Demonstration gewaltsam aufzulösen - nur so schaffe sie es in die Zeitung.

Offizierin Lea, 21 Jahre und froh über die Ablenkung, ist bereit, zu kooperieren. Erst feuert sie ohrenbetäubend laute Schockgranaten ab, so dass die Demonstranten bald verschwinden, doch kein Bericht darüber erscheint in der Zeitung. Am zweiten Tag gibt es Tränengas - wieder kein Artikel. Und so bitten die Palästinenser am dritten Tag darum, dass man mit Gummigeschossen auf sie zielen möge, auch dieser Wunsch wird ihnen erfüllt. In die Zeitung schafft der Protest es jedoch erst, als der jüngste der drei, ein Teenager, einen Stein aufhebt, und Lea ihn deshalb verhaftet: "Wenn ein Kind festgenommen wurde, kam das immer mindestens auf Seite 5, das wusste Lea", schreibt die israelische Schriftstellerin Shani Boianjiu.

Lea ist eine der drei israelischen Soldatinnen, um die es in dem großartigen Debüt der 1987 in Jerusalem geborenen Boianjiu geht. Mit Kurzgeschichten in der "New York Times" und dem "New Yorker" machte sie sich einen Namen, wurde 2011 von der "National Book Foundation" unter die besten Autoren unter 35 Jahren gewählt und hat nun, quasi über Nacht, das Genre des Kriegsromans, das immer irgendwie Jungsliteratur gewesen ist, weiblich gemacht. Und zwar auf der internationalen Bühne, denn der Roman erscheint in 19 Ländern gleichzeitig. Boianjiu hat ihn auf Englisch geschrieben, was dabei sicherlich geholfen hat.

In Israel erfährt jede Frau am eigenen Leib, was es bedeutet, Kriegerin zu sein: Der Militärdienst ist dort auch für sie verpflichtend, zwei Jahre dauert er. Es ist die Zeit, um die der Roman kreist. Die hochmütige Lea verbringt sie mit der Kontrolle palästinensischer Bauarbeiter an Checkpoints im Gazastreifen; die unsichere Yael ist Waffenausbilderin auf einem Ausbildungsstützpunkt nahe Hebron, und die selbstzerstörerische Avishag starrt an der Grenze zu Ägypten jeden Tag auf Monitore und überprüft, ob jemand DVDs schmuggeln oder unbefugt die Grenze übertreten will. Tagelang hängt dort ein Sudanese tot im Stacheldraht und somit fest auf Avishags Bildschirm. Weder die Israelis noch die Ägypter fühlen sich zuständig, die Leiche zu bergen.

Es sind solche Erlebnisse, von denen die Mädchen träumen, über die sie jedoch nicht reden werden. Die drei haben die Schule gerade beendet, sind zwischen achtzehn und zwanzig Jahren alt, wuchsen zusammen auf in einem Dorf an der Grenze zu Libanon, das es nur gibt, weil "Leute den genialen Einfall hatten, man solle Galiläa judifizieren". Gewalt und Militärisches gehören seit Kindertagen auf eine Weise zu ihrem Leben mit dazu, wie man es sich bei uns, wo immer alles friedlich ist, nicht vorstellen kann. Im Unterricht paukten die Mädchen militärische Begriffe; die Bananenfelder hinterm Haus brannten oft nach Granateinschlägen ab; palästinensische Kinder kommen ums Leben, während sie Panzerfäuste werfen, israelische Jungs begehen Selbstmord, nachdem ihr Militärdienst zu Ende ist.

Als Soldatinnen haben die drei Mädchen nun den Auftrag, zu verletzen und zu töten, falls es sein muss. Sie sind Teil eines riesigen militärischen Räderwerks, das an Kontrollpunkten, Wachtürmen und Mauern die israelische Politik der Trennung, der Abschließung, Sicherung und Überwachung Wirklichkeit werden lässt. Lea, Avishag und Yael stellen das nicht in Frage. Für sie ist der Militärdienst ein Automatismus, eine Möglichkeit, der elterlichen Enge zu entfliehen. Sie sind nicht gerade sympathisch; sich den Palästinensern überlegen zu fühlen ist für sie so selbstverständlich, dass Hass oder Feindseligkeit zu empfinden gar nicht in Frage kommt. Die Mädchen sind verantwortungslos und voller Gier nach Sex, Partys und Leben. Und so stehen sie nun schwerbewaffnet und in Uniform in der Hitze der Negev-Wüste und geben Leuten schreiend Befehle, die um viele Jahre älter oder nur wenige Monate jünger sind als sie.

Boianjiu weiß, wovon sie schreibt. Sie selbst war nach der Schule zwei Jahre lang bei der Armee. Sicherlich greift sie auf Autobiographisches zurück - ihr Roman ist keine Fiktion im reinen Sinn, sondern hat dokumentarischen Charakter, was das Lesen umso reizvoller macht. Dass sie sich dennoch nicht auf eine Perspektive beschränkt, sondern die drei im Wechselspiel von ihren Erfahrungen erzählen lässt, gehört zu den Stärken ihres Debüts. Denn so verschieden die Mädchen sind, so facettenreich und kompliziert ist auch das Porträt der israelischen Gegenwart, das dabei entsteht. Es ist ein ständiges Balancieren zwischen Lebensfreude und Bedrohung, der Grat mitunter unfassbar schmal. Der Tod ist stets gegenwärtig. Boianjiu erzählt das zwischen den Zeilen, indem sie ihre Protagonistinnen blitzschnell von euphorischer Verquatschtheit zu melancholischer Zurückgezogenheit wechseln lässt.

Gerade noch haben sie andere mit rüden Sprüchen bombardiert; "Unsere kleine Yael ist eine richtige Renaissance-Fotze", sagt Lea, und Yael zu einem Offizier, der sie heiraten will: "Ich geh über den Stützpunkt, durch die ganze Welt, für immer und ewig, auf allen vieren, mit deinem Schwanz im Mund", und dann sitzen die Mädchen abends zusammen und denken sich zarte Geschichten über Hunde aus, die in der Antarktis leben, und über Stiefmütter, die so dick sind, dass sie mit ihren Kopfsprüngen die Kibbuz-Schwimmbecken leeren. Das Schwanken wird auch für den Leser anstrengend. Abzustumpfen scheint der einzige Ausweg. Von heute auf morgen sollen die Mädchen Erwachsene sein und etwas beitragen zur Lösung des politischen Dilemmas ihres Landes, gleichzeitig suchen sie noch wie Kinder nach Sinn und Orientierung, und es gibt niemanden - Eltern oder Mentor -, der ihnen dabei hilft. Über Lea heißt es an einer Stelle: "Sie konnte sich nichts mehr vorstellen und sich auch an nichts erinnern, was sie vor ihrer Zeit als Soldatin gewollt hatte, und es fiel ihr schwer, etwas zu finden, was sie in ihrem zukünftigen Leben als Zivilistin wollen könnte."

Es ist eine schizoide Lage, die sich durch die ständig aufkommende Langeweile noch zu verstärken scheint. Denn dagegen hilft nur Blödsinn, und der steht erst recht im krassen Gegensatz zur ständigen Gefahr. In Unterwäsche legen sich die Mädchen etwa auf den Beton und schießen sich eiskaltes Wasser aus gefrorenen Infusionsbeuteln in die Venen, die eigentlich für Schwerverletzte reserviert sind. Oder sie spielen mit einer Waffe, die wenige Wochen später, der zweite Libanonkrieg ist inzwischen ausgebrochen, innerhalb von Minuten ein elf Stockwerke hohes Gebäude einstürzen lässt und Dutzende Menschen tötet.

"Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön", sagt Yael, und es ist einer dieser für den Roman typischen Sätze. Nämlich klar, wie er klarer nicht sein könnte und trotzdem voller Widerspruch, weil hier Dinge zusammenkommen, die eigentlich nicht zusammen denkbar sind. Mit Ari, einem hübschen Offizier, hatte Yael gerade noch in einem leeren Waffencontainer geschlafen, "Du hast mich umgebracht", witzelte er, und dann ist er tatsächlich tot, erschossen in den ersten Tagen des Krieges. Und über die palästinensischen Bauarbeiter erzählt Lea: "Wir brauchten sie, aber wir hatten auch ein bisschen Angst, dass sie uns töten, oder, noch schlimmer, für immer bleiben würden. Beides waren Dinge, die die Palästinenser manchmal taten."

Shani Boianjiu hat ihren Roman "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst" genannt, der Satz fällt so im Roman, und natürlich ist er eine Lüge: Er steht auf einem Aufkleber, den Avishag nach ihrer Militärzeit auf einem Lastwagen sieht. Seit Monaten verlässt sie kaum das Haus, ist gefangen in einer Traurigkeit, aus der es keinen Ausweg gibt. Es gibt keinen Verlust, den sie betrauert. Sie hat vielmehr erfahren, was Todesangst ist, und gleichzeitig die schreckliche Verzweiflung gefühlt, nicht zu sterben, wenn man sterben will.

KAREN KRÜGER

Shani Boianjiu: "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst". Kiepenheuer & Witsch, 332 Seiten, 19,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Souverän, rau und unterhaltsam." -- New York Times, 07.05.2013

"Der Ton ist rau, cool, herzzerreißend. Und komisch, trotz oder wegen der nicht endenden Tragik. [...] Das Buch ist eine erschütternde Stimme gegen den Krieg." -- EMMA, Alice Schwarzer, September / Oktober 2013

"Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil sich das Gefühl, gerade etwas verstanden zu haben vom Leben der jungen Israelis, mit jedem Satz steigert." -- Süddeutsche Magazin, 10.09.2013

"Das Debüt, das begeistert!" -- New York Magazine, 07.05.2013

"Selbst wenn Boianjiu über den Tod schreibt, ist ihre Prosa lebendiger als alles, was mir seit Langem untergekommen ist." -- Nicole Krauss, 07.05.2013

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013

Panzerfaust und Teddybär
Shani Boianjius Roman „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“ handelt vom Militärdienst israelischer
Frauen und von den vielen Parallelwelten in ihrer Heimat. Ein ebenso packendes wie rotzfreches Debüt
VON THORSTEN SCHMITZ
Nicht weit von Tel Aviv liegt ein Ort, an dem aus Mädchen junge Frauen werden – in einem Tempo, das keine Gnade kennt. Es ist die Armee-Basis „Mechane 80“. Unter einem Baldachin von Eukalyptusbäumen werden hier busweise junge Mädchen aus ganz Israel herangekarrt, um ihre Grundausbildung zu absolvieren. Die Bilder vergisst nicht, wer diesem Spektakel je zugeschaut hat: Aus den Bussen steigen Mädchen in olivgrünen Uniformen, mit rot geweinten Augen, sie halten Kinderzimmer-Insignien in ihren Händen, Teddybären und Schmusekissen.
  Im Debütroman „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“ von Shani Boianjiu ist diese Zeitspanne das Gerüst: noch nicht erwachsen, aber auch nicht mehr Kind. Gerade noch Abiturarbeiten geschrieben, ein paar Wochen später schon lernen, wie man eine MP16 bedient. Boianjiu hat selbst diesen für Mädchen in Israel verpflichtenden Armeedienst absolviert – und schadlos überstanden. Sie ist 26 Jahre alt und schon sehr bekannt, reist durch die Welt und gibt Interviews. Bereits mit 23 Jahren hat sie Kurzgeschichten im New Yorker und in der New York Times veröffentlicht, vor allem Episoden aus dem Armee-Alltag. Sie bilden die Basis für ihren Roman, der jetzt in 22 Ländern erscheint. Mit Humor, Tiefgang und einer atemraubenden Assoziationsfähigkeit erzählt Boianjiu die Geschichte der drei Freundinnen Lea, Avishag und Yael, die alle drei in einem Dorf nahe der libanesischen Grenze aufwachsen und zur Armee eingezogen werden.
  Das Buch beginnt, genial choreografiert, mit einem Ende und endet mit dem Anfang. Es startet mit dem Ende von Avishags Bruder. Die Freundinnen treffen sich immer am Handymast außerhalb des Dorfes, wo es Empfang gibt – und wo sich Avishags Bruder nach seinem Armeedienst das Leben genommen hat. Es stimmt also doch: Die Armee frisst ihre Kinder.
  Der Roman endet mit einer zarten Szene, die eigentlich den Anfang bilden müsste: Leas Mutter kämmt die Haare ihrer Tochter, gleich fahren sie zum Sammelpunkt für Neu-Rekrutinnen, und die Mutter fragt: „Hast Du Angst?“
  Das ist Israel, und Shani Boianjiu beschreibt es faszinierend: Eben noch die große Langeweile am Handymast und die Suche nach einem Ort für eine Party – ein paar Augenblicke später dann beginnt die Ausbildung in der Armee-Basis, wo man den Kinderzimmer-Mädchen beibringt, wie man Palästinenser kontrolliert, die immer doppelt so alt sind wie sie selbst.
  Boianjiu ist nach ihrem Armeedienst nicht zum Kiffen nach Goa gefahren wie viele Israelis, sondern hat in Harvard studiert. Zurückgekehrt ist sie nach Israel mit einem Roman, der eine große Wucht entfaltet. Sie beschreibt darin Israels Heiligtum aus der einzig sinnvollen Perspektive: von innen. Das Buch ist packend, rotzfrech, authentisch, und es ist ein Glück, dass der Verlag für die Übersetzung aus dem englischen Original Maria Hummitzsch und Ulrich Blumenbach engagiert hat. Exakt treffen sie Boianjius Ton.
  Die beeindruckendsten Szenen im Roman sind jene vom rohen und rauen Alltag am Checkpoint, da wird das Buch zum Doku-Roman: „Es war vier Uhr morgens und ich konnte nicht sehen, wo die Schlange der palästinensischen Bauarbeiter am Checkpoint Hebron zu Ende war. Hunderte von ihnen standen da und warteten, dass ich und die anderen Soldaten sie durchließen. Dabei durften wir das erst in einer Stunde. Das war Vorschrift. Wir öffneten morgens um fünf. Wir schlossen mittags um zwölf. Wir brauchten die palästinensischen Bauarbeiter, aber wir hatten auch ein bisschen Angst, dass sie uns töten oder, noch schlimmer, für immer bleiben würden. Beides waren Dinge, die die Palästinenser manchmal taten.“
  Boianjiu zoomt auf die Armee, wie sie auch ist: Die Soldatinnen entledigen sich ihrer Uniformblusen, um sich zu sonnen und lösen dadurch diplomatische Verwicklungen aus. Fast ersticken sie bei einer Übung in Tränengas-Zelten, wo getestet werden soll, ob sie in so einer Situation noch funktionieren. Der Nahost-Konflikt kriecht in den Alltag immer dann, wenn die Langeweile am größten ist. Lea hängt ihren Gedanken nach, als sie eines Tages mit ansehen muss, wie ihr Kollege von einem Palästinenser niedergestochen wird.
  Die Geschichten folgen keiner Chronologie, sie springen wie die Gedanken ihrer Protagonistinnen, die, erst einmal dem Armeedienst entronnen, heiraten, Sandwichs in Tel Aviv verkaufen, schwanger werden. Am Ende befindet sich Israel im Krieg mit Syrien, aber der Krieg spielt keine Hauptrolle. Der Roman ist vor allem so fesselnd, weil er die Parallelität der vielen Welten im israelischen Alltag zeigt, von denen der Krieg, die Bedrohung nur eine ist. Die Soldatinnen kotzen, sie schauen „Sex and the City“ und brasilianische Sitcoms, sie rauchen Marlboro und Joints, betrinken sich auf Partys, sie erinnern sich, was sie in der Schule über Panzerfäuste gelernt haben und in ihrer ersten Fahrstunde. Lea ist sarkastisch, Avishag deprimiert über ihren Dienst vor den Computern, auf denen sie stundenlang Live-Bilder von der israelisch-ägyptischen Grenze auswerten muss, und Yael flirtet mit Soldaten, während sie ihnen erklärt, wie man den Abzug einer MP16 bedient. Die Gedanken der Mädchen kreisen vor allem um sie selbst – aber manchmal um die sudanesischen Flüchtlingen, die über Ägypten nach Israel fliehen. Boianjius Buch hat eine Größe, deren Ursprung womöglich auch im Lesehabitus der Autorin liegt: Sie verschlinge zwei Bücher jeden Tag, sagt sie.
  Ungewöhnlich an ihrem Roman ist: Dass er gerade in 22 Ländern erscheint, in Israel aber erst Ende November auf den Markt kommt. Sie fürchte sich schon vor den Reaktionen ihrer Landsleute. Die Furcht mag begründet sein. Auf die Frage, was sie von der Armee halte, hat sie kürzlich erklärt: „Das ganze Armee-Konzept amüsiert mich, Jugendliche nach der Schule in Uniformen zu stecken, sie mit Titeln und Verantwortungen auszustatten und ihnen Regeln aufzuerlegen, die sie zu befolgen haben. Meine zwei Jahre in der Armee waren die lustigsten in meinem Leben, aber ich gebe zu, ich habe eine seltene Art von Humor.“
Shani Boianjiu: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst. Roman. Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Ulrich Blumenbach. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 336 S., 19,99 Euro, E-Book 17,99.
Immer, wenn die Langeweile
am größten ist, kriecht der
Nahost-Konflikt in den Alltag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Shani Boianjius Roman über drei Freundinnen aus einem kleinen Dorf nahe der Grenze zum Libanon, die nach der Schulzeit zum Militärdienst einberufen werden, hat Bernadette Conrad merklich berührt. Sie findet in dem Buch eine ungeschönte, manchmal quälende Darstellung der militärischen Ausbildung, des soldatischen Alltags, der allgegenwärtigen Gewalt in Israel. Eindrucksvoll führt die Autorin für sie vor Augen, was die politische Tragödie in Nahost in psychischer und sozialer Hinsicht für junge Israelis bedeutet. Das Fazit der Rezensentin: ein "aufwühlendes Debüt" über das Jungsein in Israel .

© Perlentaucher Medien GmbH
»Der Ton ist rau, cool, herzzerreißend. Und komisch, trotz oder wegen der nicht endenden Tragik. [...] Das Buch ist eine erschütternde Stimme gegen den Krieg.« Alice Schwarzer Emma