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Edinburgh in der Vorweihnachtszeit: Im Mordkommissariat gibt es für Sergeant Bruce Robertson gerade Schöneres zu tun, als zu arbeiten: nette Beschäftigungen auf der Herrentoilette, kleine Intrigen gegen Kolleginnen oder auch ein Kurztrip nach Amsterdam, ins Sex- und Drogenmekka. Ärgerlich, daß Bruce dann doch noch einen ekligen Mord aufklären soll. Aber vielleicht springt ja endlich die erhoffte Beförderung dabei raus... Immer tiefer begibt sich Bruce Robertson, mit dem der Autor gewiß eine der widerwärtigsten Figuren der jüngsten Literatur geschaffen hat, in die Abgründe menschlichen Daseins.…mehr

Produktbeschreibung
Edinburgh in der Vorweihnachtszeit: Im Mordkommissariat gibt es für Sergeant Bruce Robertson gerade Schöneres zu tun, als zu arbeiten: nette Beschäftigungen auf der Herrentoilette, kleine Intrigen gegen Kolleginnen oder auch ein Kurztrip nach Amsterdam, ins Sex- und Drogenmekka. Ärgerlich, daß Bruce dann doch noch einen ekligen Mord aufklären soll. Aber vielleicht springt ja endlich die erhoffte Beförderung dabei raus... Immer tiefer begibt sich Bruce Robertson, mit dem der Autor gewiß eine der widerwärtigsten Figuren der jüngsten Literatur geschaffen hat, in die Abgründe menschlichen Daseins. Widerstand gegen das Böse kommt von unerwarteter Seite: Als Sprachrohr der Moral entpuppt sich der Bandwurm, der Burce seit längerem quält. Diesen Gegner bringt noch nicht einmal Bruce zum Schweigen. Ungefragt kommtentiert der Wurm das Verhalten seines Wirts. Die Dinge stehen schlecht für Bruce Robertson...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2000

Wurmorden am Bande
Irvine Welsh weiß, wie man den Anstand herzlich verletzt

Irvine Welsh ist der Bad Boy des New Britain. Sein Roman "Trainspotting" dürfte für etwas mehr Ruhe in den schottischen Touristenbüros gesorgt haben und Nessie zwei, drei entspannte Saisons beschert haben. Mit "Drecksau" hat Welsh nun einigen Wirbel auf den schottischen Polizeikommissariaten veranstaltet.

Vorweihnachtszeit in Edinburgh, in Schottland ist es kalt. In einer düsteren Nebengasse geschieht ein Mord. Im Polizeipräsidium steht eine Beförderung an, und Sergeant Bruce Robertson ist einer der Anwärter auf den Führungsposten. Gleichzeitig darf dieser Ich-Erzähler als aussichtsreicher Kandidat für eine leitende Stelle unter den fiesesten Romanfiguren der Literaturgeschichte gelten. Sein Leben ist leer. Er füllt das Vakuum mit Drogen, Sex und bösen Psychospielchen. Regelmäßige Erniedrigung seiner Mitmenschen ist seine Leidenschaft. Im Präsidium entwickelt er Mobbingstrategien, um sich nach oben zu intrigieren. Im Hirn dieses Mannes geht es zu wie im Inhaltsverzeichnis eines psychiatrischen Lehrbuches. Er ist Rassist, Sexist, Schwulenfeind, Kommunistenfresser, vetternwirtschaftender Logenbruder, Alkoholiker im Dienst, Kokser in der Freizeit und umgekehrt. Das Blairsche Antikriminalitätsprogramm "Zero Tolerance" wird zu seinem Lebensmotto. Die Welt an sich ist intolerabel. Irrenhaus, später.

Der Psychopath ist nicht auf den Mund gefallen. Seine Sprache kommt vom glühenden Rand der Paranoia. Seine Erzählung ist eine unflätige Haßtirade auf alles, was die Unverschämtheit besitzt, sich zu bewegen. Mit jedem Satz verteidigt Robertson die Lufthoheit über den schottischen Stammtischen. Allerdings hat der manische Robo-Cop auch Stilgefühl. Nennt sein Vorgesetzter eine Treppe "die Nabelschnur der Stadt, die Old Town und New Town verbindet", so kommentiert er entnervt: "Nabelschnur, du meine Fresse! Es ist ne beschissene Treppe, du dämlicher Clown. T-R-E-P-P-E. Ich weiß, wo's bei dem Mongo hakt; der will'n Scheiß-Drehbuchautor werden." Sergeant Bruce Robertson hat eine andere Auffassung von Stil: "Mein Darmtrakt fühlte sich so verschleimt an wie der Pelz von ner Nutte nach der Schicht im Saunaclub."

Welsh läßt alle freiwillige Selbstkontrolle fallen und jagt seinen fluchenden, schwadronierenden, sich selbst befeuernden Sergeant durch den Krimi-Plot. Dabei entfaltet er eine manische Energie, die den Leser immer tiefer in den tobenden Strudel zieht. Die stilistische Bandbreite dieser Suada ist groß, schwingt aber immer im Hochfrequenzbereich schriller Vulgarität. Wer demnächst in der Warteschlange vor dem Fußballstadion noch eindrucksvoller kraftmeiern möchte, kann hier einiges lernen.

Auch körperlich ist Robertson am Ende. Während der Aufklärungsarbeiten verwahrlost er zunehmends. Wenn er mal duschen geht, atmet sogar der Leser auf. Gefräßig wie ein Wurm bohrt sich Sergeant Robertson in den Dreck der Welt, doch auch in ihm steckt der Wurm. Bruce hat einen Bandwurm. Und je mehr die Handlung voranschreitet, desto größer und geschwätziger wird der Wurm in ihm. Er scheint sich von der Erzählung zu nähren, ergreift immer öfter das Wort, und seine Worte legen sich über den Text von Robertson, fressen sich in das Schriftbild hinein. Der Band- mutiert zum Bücherwurm. Welsh vertauscht die Rollen: Der Wurm wird einem sympathischer als sein Wirt. Immer, wenn die chemische Attacke der Abführmittel kommt, hofft man, daß er sich gut festklammert. Der Bandwurm entrollt Robertsons Vergangenheit und analysiert sie. Der alphabetisierte Anrainer des Gürteläquators zeigt osmotisches Einfühlungsvermögen.

Gegen Ende erzählt er ausführlich die verkorkste Jugend des verkoksten Cops. Resümee: Robertson ist die Frucht einer Vergewaltigung. Er wurde auf dem ungepflegten Grab seines Onkels mütterlicherseits von einem bestienhaften Triebtäter gezeugt. Sein Stiefvater war Bergmann und fütterte ihn abends mit Kohle. Aus Rache schubste er seinen Halbbruder Steve von einer Kohlehalde in ein Verlies, wo er unter Tonnen von Koks begraben wurde. Bruce wird von zu Hause verjagt und wächst bei einer alkoholabhängigen Oma auf. Seine erste Liebe ist gehbehindert. Während eines Schäferstündchens wird sie vor Robertsons ungläubig aufgerissenen Augen vom Blitz erschlagen (die Metallschiene!). Erste Liebe tot, jegliche Liebe tot. Mit einer solchen Biographie kann man natürlich nicht Albert Schweitzer werden. Eine glaubhafte Romanfigur allerdings auch nicht mehr.

Welshs Wurm läßt den Roman vollends in eine Soap-Groteske umkippen. Der Text endet in comichafter Überzeichnung. Was Bruce schon immer gefehlt hat, ist Zuneigung, Zärtlichkeit und ein nicht ganz so veralgter Gen-Pool. Dem Roman liegt ein abgegriffenes biographisches Schema zugrunde, in dem die ursprüngliche Unschuld so lange von Schicksalsschlägen malträtiert wird, bis sie sich in grenzenlose Widerwärtigkeit wandelt. So unkompliziert ist Seelenalchimie. Oder mit den Worten Robertsons: "Ts, ts, ts, wie es in den Comics immer heißt."

Welsh zeigt eine sehr lebendige, witzige, bunt changierende, gärende, schwärende und glaubhafte Drecksau an der Arbeit. Aber statt sie als monströses Energiebündel existieren zu lassen, versucht er ihr mit Hilfe einer psychoanalytischen Bauklötzchenkonstruktion einen menschelnden Kern unter die harte Schale zu implantieren. Vulgarität mag in Ordnung gehen, Vulgärpsychologie ist inakzeptabel. Beschreibt Welsh seinen Helden anfangs beinhart in all seiner Widerlichkeit, so gibt sich der "Dichterfürst der Drogengeneration" gegen Ende seines Romans windelweich. Robertson löst sich in Tränen und Selbstmitleid auf: "Es ist so schrecklich, daß wir einsam sterben, aber das ist nicht so schlimm, wie einsam zu leben . . ." So what, Doktor Schlau! hätte der Bruce Robertson Seiten früher kommentiert.

Welsh ist also Moralist. Bei all dieser Gefühlsduselei am Ende des Romans hätte sich Welsh etwas mehr an der Weltsicht seiner Figur orientieren sollen: Für Sergeant Robertson waren Gefühle immer "Klippen, die es zu umschiffen gilt, und jede, gegen die du schrammst, schlitzt dich wieder etwas mehr auf, und es warten immer neue am Horizont." Entweder war es Welsh schließlich zu unheimlich, ein Monster unmotiviert in die Literatur entlassen zu haben, oder er glaubt wirklich an eine solche Seifenoper-Psychologie.

Welshs Roman kennt keinen Mittelweg. Er springt von gnadenloser Brutalität zu kitschiger Weinerlichkeit und mündet in einer Weltsicht, der einzig die Liebe noch wie ein leuchtender Rettungsring im Schlammstrom unseres Jammertals hienieden leuchtet. Die Mordwaffe in den Eröffnungsseiten ist ein Klauenhammer: "Drecksau" ist Vorschlaghammer-Literatur. Sie katapultiert jedem Hau-den-Lukas den Hut in hohem Bogen übers ganze Kirmesgelände: Geisterbahn, Lebkuchenherzen, Zuckerwatte. Lustig, laut, ekelhaft, kitschig, bunt, sentimental. Richtig gefährlich kann der Roman allerdings für Leser mit mimetischem Sprechverhalten werden.

STEPHAN MAUS

Irvine Welsh: "Drecksau". Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 1999. 456 S., br., 28,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stephan Maus ist über dieses Buch geteilter Meinung. Einerseits zeigt er sich spürbar fasziniert von der Vulgarität, die Welsh seinem Protagonisten mit auf den Weg gibt, von der Sprache, die - wie er findet - vom "glühenden Rand der Paranoia" kommt und von der unbändigen und mitreißenden Energie dieser Erzählung. Weniger begeistert ist der Rezensent allerdings von der "psychoanalytischen Bauklötzchenkonstruktion", durch die der Fiesling und Protagonist des Buchs, Seargent Bruce Robertson, letztlich als vom Leben gebeutelter, empfindsamer Typ mit schrecklicher Kindheit gezeichnet wird. Lieber hätte es Maus gesehen, wenn Welsh konsequent bei seinem Bild einer "bunt changierenden, gärenden, schwärenden und glaubhaften Drecksau" geblieben wäre. Denn dadurch wäre dem Leser letztlich das Abgleiten dieser Geschichte in den Kitsch und die "Seifenoper" erspart geblieben.

© Perlentaucher Medien GmbH