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Produktdetails
  • insel taschenbuch 2759
  • Verlag: Insel Verlag
  • Seitenzahl: 222
  • Deutsch
  • Abmessung: 14mm x 118mm x 190mm
  • Gewicht: 187g
  • ISBN-13: 9783458344599
  • ISBN-10: 3458344594
  • Artikelnr.: 09448580
Autorenporträt
Hans-Georg Möller ist Professor an der Brock University, St. Catharines, Kanada
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2002

Ach so, dann denk' ich um
Hans-Georg Möller erfindet das Rad des Daoismus neu

Kulturaustausch beruht immer auf Eigeninteresse. Affinitäten ergeben sich, wenn man plötzlich zu finden glaubt, was man bei sich schmerzlich vermißt. So empfahlen die in China seit dem sechzehnten Jahrhundert wirkenden Jesuitenmissionare dem westlichen Absolutismus als aufklärendes Heilmittel den Staatskonfuzianismus. Der wurde dann von Hegel und Weber entzaubert und für die unterbliebene Entwicklung Chinas zu einem modernen Staatswesen verantwortlich gemacht. Seit Nietzsche und der abendländischen Kulturkritik haben Buddhismus und Taoismus in buntesten Variationen Konjunktur. Hermann Hesse, C. G. Jung, Martin Buber, Heidegger, Peter Sloterdijk, die Linie der Enthusiasten des Tao ließe sich zwanglos fortführen. Die Bezüge zwischen Tradition und Rezeption sind oft eigenwillig.

So mag eine knappe Bestandsaufnahme der daoistischen Traditionen Chinas helfen: Im zweiten Jahrhundert entsteht eine daoistische Kirchentradition, die sich auf sehr viel ältere Texttraditionen aus der Zeit der Streitenden Reiche (fünftes bis drittes Jahrhundert vor Christus), besonders das "Tao-Te-King" (Laotse) und den "Meister Zhuang" beruft. Dieser sogenannte "religiöse Daoismus" bietet alles, was man von einer Kirchentradition erwartet: einen umfangreichen Textkanon, eine bunte Hagiographie, verschiedene Schulrichtungen, ein Fest- und Ritualjahr sowie einen Schatz an Körperpraktiken und alchimistischen Langlebigkeitsstrategien.

Hans-Georg Möllers Darstellung zum Daoismus beschränkt sich auf die Phase vor der daoistischen Kirchengenese. Dieser sogenannte "philosophische" Daoismus schmeichelt dem Auge westlicher Kulturkritik besonders: Er verspricht eine erlösende Ideologie des Aussteigertums aus den Zwangsjacken eines aufklärerischen Konfuzianismus. Solche Hoffnungen werden allerdings vom erst jüngst wiederentdeckten "Huang-Lao-Daoismus", der politischen Variante des philosophischen Daoismus, der die ideologische Grundlage für das erste chinesische Kaiserreich, das Han-Imperium (drittes Jahrhundert vor bis drittes Jahrhundert nach Christus), lieferte, gründlich enttäuscht. Daß nicht zuletzt Passagen des "Tao-Te-King" einer autoritären Staatsphilosophie Vorschub leisten konnten, müssen westliche Taosophen zähneknirschend hinnehmen.

Möllers Darstellung versucht nichts Geringeres, als die "Architektur des daoistischen Denkens" freizulegen, und findet sie (wie auch schon in seiner Übersetzung des Tao-Te-King) in der idealtypischen Gestalt des Rades: Die Radnabe sei die "Leerstelle", in der doch trotzdem alles zusammenlaufe. Mit dem Herausstreichen der Bedeutung der "leeren Mitte" im Daoismus erfindet Möller ein spätestens heideggersches Rad neu, das übrigens ebenso an einen buddhistischen Wagen paßt.

Doch der große Reiz von Möllers Methode besteht darin, Texte über ihre parabelhafte Bildlichkeit für ein philosophisches Projekt fruchtbar zu machen, im Sinne der kulturhermeneutischen "Metaphorologie" Hans Blumenbergs. Leider überwiegt oft die predigende Parabelparaphrastik, die dem Text nicht viel über sich hinaus entreißen kann; zudem verrät die Fülle der Anführungszeichen bei der Parabelexegese eine gewisse Trägheit, präzise zu Ende zu denken. Das hat auch grammatische Konsequenzen: Es ist immer der Daoismus selbst, der "denkt" und "meint", von den daoistischen Subjekten und der "Partizipationsstruktur" dieser Weltanschauung erfahren wir wenig. Mit schwindelerregender Schnelligkeit werden Bilder, Anekdoten, Ideen wie in einem Spiegelkabinett der philosophischen Bildlichkeit übereinandergeschoben und zum daoistischen Rad getrimmt.

Der Autor verweist oft auf binäre Strukturen in chinesischen Texten, wie etwa Leere und Fülle, Präsenz und Absenz. Im Chinesischen wirken solche Gegensatzbegriffe tatsächlich als rhetorische Ordnungsmodelle. Nicht zufällig unterscheidet die chinesische Poetik mehrere Dutzend Formen von Parallelismus und Antithese. Manchmal hätte der Autor aber gut daran getan, die Binärstrukturen eher rhetorisch und spielerisch zu deuten als metaphysisch und paradigmatisch für ein "daoistisches Denken". Im "Meister Zhuang" zeigt sich oft eine teuflische Freude, binäre Rhetorik mal zu verwerfen, mal zu verwenden und dabei den Leser im Paradoxen zu belassen. Das philosophische Hakenschlagen, gerade in daoistischen Texten, beweist rhetorischen Sportsgeist, taugt aber nicht als Grundriß eines Denksystems.

Möllers Darstellung ist hilfreich und prägnant in der Formulierung geläufiger Ost-West-Dichotomien, wobei er leicht von der Beschreibung eines "daoistischen" in ein "chinesisches Denken" schlechthin abgleitet. Dann heißt es: hier die "wahrheits-", im Osten die "wirkungsorientierte" Philosophie, hier eine "Semiotik der Repräsentation", dort eine "Semiotik der Präsenz". Im Abendland herrsche die aristotelische Substanzontologie, in China hingegen eine daoistische Prozeßontologie. So dichotom geht die Welt natürlich nur zu pädagogischen Zwecken auf, in einer "Einführung" mag es durchgehen.

Der metaphorologische Zugang zu philosophischen Texten ermöglicht eine wertvolle Entdeckung: die Bedeutung des Handwerklichen für eine chinesische Ästhetik des Conaisseurs, der nicht nur fachmännisch, sondern auch formvollendet handelt. Es sind die Köche, Radmacher, Holzschnitzer, die im "Meister Zhuang" die Rolle der wahrhaftigen Weisen übernehmen. Auch wenn ihnen das Tagewerk mühelos von der Hand geht, ist doch nicht zu vergessen, daß erst unermüdliche Einübung diese nahtlose, aber sekundäre Spontaneität im Einklang mit dem Tao ermöglicht. Dem westlichen Leser klingen die Ohren von Kleists Marionettentheater. Möllers Hinweis auf den handwerklichen Lernprozeß korrigiert den esoterischen Wunschtraum, Spontaneität des Handelns sei auch selber spontan.

Es gelingt Möller oft recht einfühlsam zu zeigen, wie sich abendländische Obsessionen (etwa die Identität des Subjekts und seine anamnestische Erinnerung) in die Übersetzungen aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert eingeschlichen haben. So in Martin Bubers Übertragung des "Meister Zhuang", wo die angedichtete Identitätskrise die Pointe des Schmetterlingstraums zerstört: Meister Zhuang ist keine zwischen Menschen- und Schmetterlingsdasein zerrissene Seele, sondern bestaunt die Wandlungsfähigkeit des Tao, mal in dieser, mal in jener Hülle. Die Neuübersetzung mit entlarvendem Blick überzeugt. Manche Übersetzungen sind aber auch recht eigenwillig. Der Leser wird mit einer knappen, aber repräsentativen Bibliographie in weitere daoistische Abenteuer entlassen. Eine Liste bedeutender deutscher und englischer Tao-Te-King-Versionen hätte zu einem Übersetzungsvergleich gereizt, der uns den Wechselspiegel kulturkritischer Sehnsüchte der letzten hundert Jahre vorhalten könnte.

Als methodisch anregende Einführung in die frühe Textwelt des Daoismus gibt Möllers Darstellung reichen Stoff zum Nachdenken. Sie hätte an historischer Tiefenschärfe gewonnen, hätte der Autor den Daoismus weniger "denken" lassen, sondern ihn aus dem Kontext einer allgemeine Geistesgeschichte des frühen China heraus plastisch gemacht. Von dort aus könnten wir auf einer umfassenderen, differenzierteren Geländekarte besser überblicken, wo der "Weg" läuft, den unser Interesse am Daoismus in Zukunft einschlagen möchte.

WIEBKE DENECKE

Hans-Georg Möller: "In der Mitte des Kreises". Daoistisches Denken. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001. 222 S., br., 9,-

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ziemlich durchwachsen findet Rezensentin Wiebke Denecke den ambitionierten Versuch Hans-Georg Möllers, die "Architektur des daoistischen Denkens" freizulegen. Sie lobt Möllers Vorgehen, die Texte - im Sinne einer kulturhermeneutischen Metaphorologie - über ihre parabelhafte Bildlichkeit philosophisch aufzuschlüsseln. Bedauerlicherweise überwiegt nach Ansicht der Rezensentin dabei oft die "predigende Parabelparaphrastik", die dem Text nicht eben viel an Gehalt entlocken könne. Denecke macht zudem eine gewisse "Trägheit" des Autors aus bei seiner Exegese der Parabeln Dinge "präzise zu Ende zu denken". Gleichzeitig lege Möller bei seinen Interpretationen ein irrwitziges Tempo vor: "Mit schwindelerregender Schnelligkeit werden Bilder, Anekdoten, Ideen wie in einem Spiegelkabinett der philosophischen Bildlichkeit übereinandergeschoben und zum daoistischen Rad getrimmt." Möllers Formulierungen geläufiger Ost-West-Dichotomien findet die Rezensentin einerseits "hilfreich und prägnant", sie weist aber zugleich darauf hin, dass die Welt nur zu "pädagogischen Zwecken" so dichotom aufgeht, was sie, weil es sich um eine Einführung handelt, noch mal so durchgehen lässt. Insgesamt bietet Möllers "methodisch anregende" Einführung nach Einschätzung der Rezensentin "reichen Stoff zum Nachdenken". Sie hätte sich aber gewünscht, dass Möller den Daoismus mehr aus dem Kontext einer allgemeinen Geistesgeschichte des frühen Chinas heraus dargestellt hätte.

© Perlentaucher Medien GmbH
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