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Lange Zeit war er einer der großen Unbekannten der europäischen Literatur: Paul Valéry. Und das Bild vom Schöpfer kristalliner Dichtung und vom brillanten Essayisten, vom zurückgezogen lebenden Dichter im Elfenbeinturm eines Pariser Ministeriums zumindest äußerst einseitig. Denn in Paul Valéry kämpften widersprüchliche Energien: Da waren Lebenskrisen, die ihn zeitweise völlig aus der poetischen Bahn zu werfen drohten; da war die über zehnjährige obsessive Beziehung zu Catherine Pozzi, die seine Ehe gefährdete. Valérys Genie der Ordnung lief stets Gefahr, von Gefühlen überwältigt zu werden.…mehr

Produktbeschreibung
Lange Zeit war er einer der großen Unbekannten der europäischen Literatur: Paul Valéry. Und das Bild vom Schöpfer kristalliner Dichtung und vom brillanten Essayisten, vom zurückgezogen lebenden Dichter im Elfenbeinturm eines Pariser Ministeriums zumindest äußerst einseitig. Denn in Paul Valéry kämpften widersprüchliche Energien: Da waren Lebenskrisen, die ihn zeitweise völlig aus der poetischen Bahn zu werfen drohten; da war die über zehnjährige obsessive Beziehung zu Catherine Pozzi, die seine Ehe gefährdete. Valérys Genie der Ordnung lief stets Gefahr, von Gefühlen überwältigt zu werden.
Diese große Valéry-Biographie ist glänzend geschrieben und faktenreich, ohne sich im Detail zu verlieren. Sie erfaßt Leben und Werk des Schöpfers einflußreicher Meisterwerke wie "Monsieur Teste" und den "Cahiers". Daß Valéry aus Anlaß seines 140. Geburtstags in Deutschland mit Neuausgaben seines Werks, Kolloquien und dieser Biographie gewürdigt wird, bedeutet mehr als nur die Beachtung eines äußeren Datums. Es ist der Beleg dafür, daß die Reichweite seines Dichtungskonzepts erst heute ganz erfaßt wird.
Autorenporträt
Bertholet, Denis
Denis Bertholet lebt als freier Autor in der Schweiz und hat Biographien unter anderem über Jean-Paul Sartre und Claude Lévi-Strauss geschrieben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2012

Monsieur Faust
Die neue Biographie Paul Valérys geizt mit Vertiefungen
Paul Valéry hat es seinen Biographen schwergemacht Nicht, dass er sich ihnen verweigert hätte; aber da ist nichts, kein Datum und kein Faktum seines äußeren Lebens, das er nicht selbst bereits gewogen, nicht selbst einer genauen Betrachtung unterzogen und gewürdigt oder verworfen hätte. Valéry war der radikale Enthüller seiner geistigen Existenz. Sein „Egotismus“, wie er selbst seine Obsession genannt hat, ist das Projekt eines entschlossenen Cartesianers, der das berühmte „Ich denke“ unter allen möglichen Aspekten zu ergründen versuchte: physiologisch, logisch, lyrisch, temporal, kulturell. Und er tat dies nicht in einem einzigen, groß angelegten Versuch, sondern beharrlich und diszipliniert, in allmorgendlichen, jahrzehntelang geführten Aufzeichnungen, den legendären „Cahiers“.
Welcher Biograph wollte es mit diesem Übermaß aufnehmen? Denis Bertholet macht gar nicht erst den Versuch und setzt stattdessen auf die Tugenden der Geduld und der Bescheidenheit. Deutungen und Motivierungen eher meidend, bietet Valérys jüngster Biograph die Daten des Lebens, erweitert um Zitate und Hintergrundberichte, in chronologischer Folge. Das Ergebnis ist unspektakulär, erzielt aber gerade durch seine prononcierte Schlichtheit wirksame Kontrasteffekte gegenüber der gleißenden und scharf geschnittenen Prosa Valérys. Bertholet rekonstruiert die Szenen des Alltags, denen Valéry die Wunderwelt seiner Sprache abgerungen hat.
Allerdings fiel dieser Alltag in bewegte Zeiten. Valéry, der bis zu seinem Tod im Jahr 1945 mehr als ein halbes Jahrhundert in Paris verbrachte, ist fast allen begegnet, die heute für uns den Geist und Ungeist dieser Zeit verkörpern: Einstein und Mussolini, Rilke und Pétain.
Neben den Marotten und hypochondrischen Anwandlungen, die Valéry zeitlebens pflegte, würdigt Bertholet die Freundschaften, allen voran die Verbindungen zu Mallarmé und Gide. Selbstverständlich verfolgt er akribisch den Aufstieg Valérys zur Lichtgestalt der Pariser Literaturszene, erinnert aber auch und völlig zu Recht daran, dass Valéry die Literatur nicht um der Kunst willen, sondern als Mittel zum Zweck einsetzte.
Zweifellos war Valéry, was man einen Großschriftsteller genannt hat, doch im Grunde geht die Charakterisierung an seinen Absichten vorbei. Die Literatur, schreibt er 1917, „muss auf einem noch nicht vorstellbaren Grad von Wissenschaftlichkeit ankommen und dann verschwinden“.
Das ist starker Tobak. Man darf es als das Kunststück seines Lebens bezeichnen, dass es Valéry gelang, für solche Verhöhnungen der bürgerlichen Kunstreligion Respekt erworben zu haben. Binnen weniger Jahre erschrieb er sich den Rang einer europäischen Autorität, die derjenigen Freuds oder Thomas Manns vergleichbar war. Valéry nutzte die ihm gebotenen Möglichkeiten, als er, der französische Patriot, in einer englischen Zeitschrift die Katastrophe des Ersten Weltkrieges nicht lediglich der deutschen Machtpolitik anlastete, sondern, in ein paar wenigen Zeilen den argumentativen Parcours der „Dialektik der Aufklärung“ vorwegnehmend, die selbstzerstörerischen Tendenzen der europäischen Kultur freilegte.
Freilich sprach aus dem denkwürdigen Befund der „Krise des Geistes“ von 1919 nicht einfach ein kritisch bilanzierender Aufklärer. Neben seiner verblüffenden Ingeniosität leistete sich Valéry ausgeprägt reaktionäre Züge, und sein Antisemitismus, der während der Dreyfus-Affäre aufflammte, war ebenso bedenklich wie seine Verachtung der Massen. Valéry konnte unerträglich sein. Erst im Alter wich die Hitzigkeit seiner Urteile einer milde gestimmten Ironie, in die er sich selbst mit einschloss.
Bertholet stellt dies alles in loser Reihe nebeneinander, geizt aber mit Vertiefungen. Das ist einerseits im Sinne Valérys, dem alles Triviale, alles Psychologisieren und Moralisieren, ein Gräuel war. Andererseits verlangt auch der moderateste Biographismus die Einhaltung gewisser Regeln. Dazu gehört, es nicht bei der Auflistung des Lesepensums zu belassen, sondern wenigstens anzudeuten, was Valéry an Poe, an de Maistre, an Nietzsche oder Marx fasziniert haben könnte. Warum bloß hat er Pascal gehasst? Bertholet bleibt die Erklärung schuldig. Ebenso verschweigt er die Gründe, die den großen Historiker Lucien Febvre Anfang 1937 veranlassten, der dann schließlich doch erfolgreichen Berufung Valérys zum Professor am Collège de France zu widersprechen. Hätte die Protokollierung des Eklats nicht die Chance geboten, ein paar Worte über die sehr grundsätzliche Kritik des Cartesianers Valéry an den Ansprüchen der historischen Vernunft einzuflechten?
Und schließlich: Hat, wie man nach der Lektüre dieses Buches meinen könnte, Valéry zu Lebzeiten ausschließlich in Frankreich gewirkt? Wie steht es überdies um seine Rezeption? Bertholet nennt weder Benjamin noch Blumenberg, weder Deleuze noch Derrida.
In einer Serie von Fotografien, die der vorliegende Band in Auszügen dokumentiert, findet sich eine Porträtaufnahme Valérys in Denkerpose. Kaum vorstellbar, dass dieses hoch expressive Arrangement ohne Zutun des Porträtierten zustande gekommen ist. Die Lichtregie hüllt Gesicht und Umgebung in Schatten und ist ganz auf die Stirnpartie konzentriert. Von dort wird der Blick des Betrachters zu einem leeren, fordernden Blatt Papier hinabgeführt, während am oberen Bildrand der aufsteigende Rauch einer Zigarette die angespannte Ruhe des Augenblicks kontrapunktiert. Das Erstaunlichste aber sind die kraftvollen Finger, zwischen denen die Stirn zu dramatischen Falten aufgeworfen ist.
Persönliche Exzentrizität und gedankliche Kühnheit finden in dieser Selbstinszenierung des modernen Faust zusammen. „Ich habe versucht“, schrieb Valéry im Mai 1921 an Gide, „das zu denken, was ich dachte, und ich habe es mit beharrlicher Naivität getan.“
RALF KONERSMANN
DENIS BERTHOLET: Paul Valéry. Die Biographie. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs und Achim Russer. Mit einem Vorwort von Jürgen Schmidt-Radefeldt. Insel Verlag, Berlin 2011. 660 Seiten, 39,90 Euro.
In seiner Selbstinszenierung fanden
persönliche Exzentrizität und
gedankliche Kühnheit zusammen
Ein französischer Patriot als europäische Autorität: Paul Valéry (1871 bis 1945). Foto: Ullstein-Bild
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gar nicht übel dieser Ansatz, meint Ralf Konersmann, der genau weiß, wie schwer es Paul Valery seinen Biografen macht, indem er nämlich seine geistige Existenz in höchster Transparenz gelebt hat, ausgestellt in einem ungeheuren Werk. Die schiere Überforderung für jeden Biografen. Wenn Denis Bertholet nun ganz bescheiden auftritt, statt auf Deutungen auf Daten und Zitate setzt und dabei Valerys Aufstieg und Alltag als Lichtgestalt der Pariser Literaturszene schildert, so hält Konersmann das für gelungen. Der Kontrast zwischen solcher Schlichtheit und Valerys funkelnder Prosa erscheint ihm reizvoll. Dass dabei auch die vertiefte Kritik flöten geht, etwa an Valerys Antisemitismus, sowie die ein oder andere erhellende Erklärung zum aufgelisteten Lesepensum des Meisters oder zu seiner Rezeption außerhalb Frankreichs, findet der Rezensent weniger gut. Hat sich der Autor wohl ein bisschen zu viel Zurückhaltung gestattet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2012

Aktien für den Geist
Denis Bertholets Biographie von Paul Valéry

"Einem Bedürfnis nach Reinigung nachgebend, schlug Monsieur Paul Valéry kürzlich vor, eine möglichst große Anzahl von Romananfängen zusammenzustellen, da er sich von ihrer Unsinnigkeit einige Wirkung versprach. Die berühmtesten Autoren sollten dazu herangezogen werden. Ein solcher Einfall macht Paul Valéry immerhin Ehre, ihm, der mir einmal in Bezug auf den Roman versicherte, er selbst würde sich immer weigern zu schreiben: ,Die Marquise ging um fünf Uhr aus.' Aber hat er Wort gehalten?"

So liest sich die Würdigung, die André Breton 1924 im ersten Manifest des Surrealismus seinem Förderer Paul Valéry zuteilwerden ließ. Valéry war damals bereits über fünfzig Jahre alt, aber wichtiger noch: Seit Ende des Ersten Weltkriegs war aus dem Dichter, der sich von der Dichtung abgewandt und zwanzig Jahre nichts publiziert hatte, ein bekannter Autor geworden. Bretons Stichelei verdankte sich gerade dieser Wendung, die aus dem Helden einer literarischen Verweigerung Schritt um Schritt den illustren und mondänen Repräsentanten der Dichtkunst und des französischen Geistes hervorgehen ließ.

Was allerdings an Valérys Distanzierung vom Roman oder allgemeiner "der Literatur", für die Bretons Marquise einstehen musste, nichts änderte. Das romanhafte Erzählen blieb für Paul Valéry mit der Auslieferung an Beliebigkeiten verknüpft, gegen die er seine Erkundungen geistiger Möglichkeiten in Stellung brachte. Nicht zuletzt natürlich im großen "Anti-Werk", von dem der engere Freundeskreis wusste, das aber den Zeitgenossen nur durch schmale Ausschnitte präsentiert wurde: den kontinuierlich in den Morgenstunden fortgeschriebenen "Cahiers".

In ihnen begegnet man tatsächlich der Marquise, wenn auch der dort inkriminierte Beispielsatz festhält, dass sie ihren Zug um neun Uhr nimmt. Und weil dergleichen unauflösbare Zufälligkeiten nun einmal keinen geringen Teil einer nacherzählten Lebensgeschichte ausmachen, war Valéry erst recht kein großer Freund von Biographien, in denen - um auf der Spur des paradigmatischen Satzes zu bleiben - zwangsläufig unzählige Marquisen unzählige Züge nehmen.

Aber diese Abneigung Paul Valérys ist gar kein schlechter Ansatzpunkt für das biographische Interesse an ihm. Es bekommt dadurch etwas von einer Rehabilitierung des verachteten Genres am Beispiel eines seiner Verächter. Zumal dann, wenn man die Sache so aufgeräumt angeht, wie es Denis Bertholet vorführt, bei dem man durchaus eine gewisse erzählerische Lust an der Ausübung solch biographischer Gerechtigkeit zu spüren meint. Er ist ein Biograph, der zwar nicht darauf verzichtet, eine Vorstellung von Werk wie Anti-Werk zu geben. Aber man muss bei ihm nicht befürchten, durch allzu nachdrückliche oder originelle Interpretationen vom biographischen Gang der Dinge abgelenkt zu werden.

Denis Bertholet erzählt sich mit viel Geschick durch die Jahre. Ob es nun die ersten emphatischen Lektüren sind, die Wagner-Begeisterung, das Eintreten in den Kreis um Stéphane Mallarmé, die später von Paul Valéry zur dramatischen "Nacht von Genua" verdichtete Wendung zur intellektuellen Selbstbemächtigung als erstes und gegen "die Literatur" in Stellung gebrachtes Ziel, das Familienleben, die Liebesgeschichten, bedeutende Freundschaften oder rührige Unterstützer: als routinierter Biograph weiß er mit den Quellen umzugehen und viele Details gut anzubringen.

In Zeiten von Debatten über Einkünfte von Autoren oder gar Dichtern, Stichwort "Urheberrecht", kann auch der Blick auf die finanziellen Grundlagen von Valérys Existenz nicht schaden. Joris-Karl Huysmans hatte ihm noch zur ruhigen Beamtenlaufbahn geraten, bevor ihn ein Glücksfall für lange Jahre zum Sekretär von Edouard Lebey, Direktor der Presseagentur Havas, machte. Und als Lebey starb, waren betuchte Bewunderer drauf und dran, eine Art Aktiengesellschaft mit Vorzugsrechten auf seine Manuskripte und Vorträge ins Leben zu rufen - was dann aber, selbst wenn die Zahl der Luxusausgaben von Valérys Texten tatsächlich beträchtlich ausfiel, doch nicht im strengen Sinn zustande kam.

Denis Bertholets Buch erschien im französischen Original im Jahr 1995. Mittlerweile liegt mit Michel Jarretys "Paul Valéry" (2008) eine ungleich detailliertere und genauer gearbeitete Biographie vor. Sie empfiehlt sich freilich mit ihren tausenddreihundert engbedruckten Seiten fast schon eher als Nachschlagewerk. Insofern wird Denis Bertholet hierzulande seinen Platz behaupten können. Die deutsche Ausgabe als "Die Biographie" auftreten zu lassen bleibt trotzdem eine verlegerische Unart.

HELMUT MAYER

Denis Bertholet: "Paul Valéry". Die Biographie.

Aus dem Französischen von Bernd Schwibs, Achim Russer. Insel Verlag, Berlin 2011. 659 S., Abb., geb., 39,90 [Euro].

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