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April 1945: In New York erscheint ein Roman mit dem Titel 'The Blue Danube', der sofort Aufsehen erregt. Sein Verfasser war dreißig Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert. Mit einer geradezu unglaublichen Präzision erzählt er vom Grauen des NS-Staats, vom Alltag des Terrors in der deutschen Provinz.Der Roman, von dem es bis heute keine deutsche Übersetzung in Buchform gab, spielt 1944 und beginnt in einem Biergarten an der Donau, in dem sich Herr Stolz, der Gauleiter von Regensburg, über das Essen beklagt. Als er zu einer Kapuzinerpredigt über den Schwarzhandel anheben will, schreit jemand:…mehr

Produktbeschreibung
April 1945: In New York erscheint ein Roman mit dem Titel 'The Blue Danube', der sofort Aufsehen erregt. Sein Verfasser war dreißig Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert. Mit einer geradezu unglaublichen Präzision erzählt er vom Grauen des NS-Staats, vom Alltag des Terrors in der deutschen Provinz.Der Roman, von dem es bis heute keine deutsche Übersetzung in Buchform gab, spielt 1944 und beginnt in einem Biergarten an der Donau, in dem sich Herr Stolz, der Gauleiter von Regensburg, über das Essen beklagt. Als er zu einer Kapuzinerpredigt über den Schwarzhandel anheben will, schreit jemand: "Ein Schwein!" In diesem Augenblick spaziert der Bürgermeister am Donaukai vorbei, doch es handelt sich um ein echtes Schwein, das mitten im Fluß auf einem Floß dahintreibt und schließlich auf einer Insel landet, die von den Fischers bewohnt wird, die hier den Regensburger Rettich anbauen. Die Insel ist "ein Stachel im Fleisch des Finanzamts", weil sie nirgends registriert ist, offiziell also gar nicht existiert. Vor allem aber erweisen sich die Inselbewohner nicht nur als eigensinnig, sondern auch als renitent gegenüber der Naziherrschaft.
Autorenporträt
Ludwig Bemelmans wird am 27. April 1898 geboren. Im Jahr 1914 wird der Sechzehnjährige nach Amerika geschickt, nachdem er in Schule und Lehre gescheitert ist. Bemelmans beginnt zu zeichnen und zu schreiben. 1934 erscheint in Amerika sein erstes Kinderbuch, doch der Durchbruch gelingt ihm erst 1939 mit seinem fünften Buch, Madeline, das zu seinem größten Erfolg wird. Er arbeitet von nun an u. a. für die Magazine Vogue und Town and Country, und er liefert Titelbilder für den New Yorker. Am 1. Oktober 1962 stirbt Ludwig Bemelmans in New York.
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, 2008 erhielt Eva Demski den Preis der Frankfurter Anthologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2008

Der Rettich des Gauleiters
Eine scharfsinnige Groteske von Ludwig Bemelmans

Vielleicht sollte man eine Weile in Regensburg gelebt haben, um Geschmack an diesem skurrilen, derben, aber auch sehr weisen und zarten Buch zu finden. Auf jeder Seite jedenfalls ist die alte Reichsstadt präsent mit Dom, Donau, Brücke und engen Gassen. Der Dunst von Brauereien, Biergärten und Bratwürsten zieht hindurch wie der Weihrauch der vielen Kirchen, und der ortseigene Rettich wird "groß, dick und schneeweiß" auf dem Markt feilgeboten. Geschrieben hat das Buch ein in Regensburg aufgewachsener Amerikaner mit dem flämischen Namen Bemelmans, gedruckt wurde es auf Englisch im April 1945 in New York. Als Sechzehnjähriger war Ludwig Bemelmans 1914 in die Vereinigten Staaten gekommen und hat dort bis zu seinem Tod 1962 gelebt. Was brachte ihn gerade in dem Augenblick, da das Deutschland seiner Kindheit in Schande, Schutt und Asche zerfiel, an die schöne blaue Donau zurück? Seine gar nicht sentimentale Erinnerungsgeschichte erinnert an den jüdischen Witz vom deutschen Emigranten, der sich ein Hitler-Bild aufhängt - gegen Heimweh.

In Bemelmans' Regensburg nämlich herrscht "Gauleiter" Stolz, das "Tier mit der menschlichen Stimme", gefräßig, versoffen, geil, feig und tückisch. Um ihn weiteres übles Gelichter, so Gruppenführer Schuft, Hauptmann Trost von Dachau, elegant in schwarzer Uniform, und Parteidichter Unruh, der "Rosenfeld" auf "Judengeld" reimt. Täglich verschwinden ein paar Bürger, die zu viel gesagt haben, und das Geläut der Glocken wird zuweilen vom Zusammenschlagen der Hacken beim Strammstehen übertönt. "Diejenigen, die mit uns sind, sind unsere Brüder, und für die anderen werden wir Schlachthäuser in jeder Stadt errichten."

Die Stadt seiner Kindheit ist unter die Nazis gefallen. In Bemelmans' Phantasie geht es zwar nicht immer wirklichkeits-, aber sehr wohl wahrheitsgetreu zu. Nur fügt er, damit Trost nicht aus der Welt verschwinde, dem Bösen eine winzige Traum-Insel des Guten und der Hoffnung hinzu: donauabwärts, gleich hinter der Steinernen Brücke. Feiner Bierrettich und ein angetriebenes wirkliches Schwein können tatsächlich Medien des Guten und Schönen werden, wo sich die Menschen wie Schweine und Raubtiere benehmen. Dort nämlich, auf dieser Insel von Dichters Gnaden, leben der alte Anton, seine Schwestern Anna und Martha sowie deren junge Nichte Leni. Sie sind es, die den besten "Radi" anbauen, aber ihr Wohnort ist von keinem Katasteramt erfasst, und sie selbst sind ebenso wenig fassbar für den fetten "Gauleiter". Entschiedener noch: Anton wird ihn in einem Biergarten öffentlich ohrfeigen und dafür fliehen müssen.

Eine abenteuerliche Handlung entwickelt sich aus den Folgen dieser Tat. Schulkinder, kleine kulturrevolutionäre Nazis, werden die Insel zu zerstören suchen, aber von der Donau strafend ertränkt. Die beiden alten Frauen pumpen weiterhin hoch über der Insel und souverän mit ihrem - übrigens historischen - Tretbrunnen Wasser auf den neuen Rettich. Ein guter Bischof wird nicht nur Segen, sondern auch praktische Hilfe spenden und dafür sorgen, dass ein französischer Kriegsgefangener die Männerrolle nach Antons Flucht übernehmen kann. Und so ist es schließlich nur ein Zeichen höherer Gerechtigkeit, dass schließlich "Gauleiter" Stolz auch vom heimlich zurückgekehrten Anton auf der Insel erschlagen und in einen Bombentrichter geworfen wird, der von einem Luftangriff der Alliierten übrig geblieben ist. Nur wird dann freilich der Herr Schuft neuer "Gauleiter" werden.

Bemelmans' kleiner Roman, das ist offensichtlich, mag die Einbildungskraft mancher heutiger Leser anstrengen oder auch überanstrengen, wenn manches nicht so recht stimmt mit den Titeln der Nazi-Hierarchie oder dem, was möglich oder unmöglich gewesen sein mag. Aber ein Beitrag zur Geschichte Regensburgs soll und will das Buch auch nicht sein. Es sei mehr Wahrheit in ihren Märchen als in gelehrten Chroniken, hat Novalis einmal von den Dichtern gesagt, und um solch ein Märchen handelt es sich denn auch bei dem, was Bemelmans hier zu erzählen hat, nur eben um ein Märchen von der dunkelsten Sorte.

So wird eben den Wahrzeichen Regenburgs neben Dom und Brücke auch jene erträumte Insel hinzugefügt, die einige Stille im Lande betrachteten "wie einen palmenumsäumten, weit entfernten Ort, an den sie sich gern geflüchtet hätten". Die Wirklichkeit aber ist die des "Tiers mit der menschlichen Stimme", dessen "wichtigstes Organ, der Mund, durch eine dicke Leitung mit dem Parteigehirn verbunden" ist, "ohne Kläranlage für Gedanken dazwischen". Ein Panoptikum serviler deutscher Spießer, die zu kleinen oder großen Verbrechern werden, ist hier bei Bemelmans zu finden, und aus der Sicht des Amerikas von 1945 auch manche Einsicht, die den Deutschen erst später deutlich wurde. "Es war klar, daß wenn in der langen Nacht, in der sie lebten, von irgendwoher ein Licht kommen sollte, daß es von außen kommen mußte - denn diejenigen innerhalb der Mauer, die Mut und Witz hatten, waren zu wenig, zu alt und viel zu sentimental." Es ist der letzte Satz des Buches und eine subtile, sehr scharfsinnige Kritik auch am deutschen Widerstand.

Es ist Eva Demski zu danken, dass sie, die selbst in Regensburg aufgewachsen ist, dieses Buch ans Licht gezogen und außerdem auch noch ein Theaterstück daraus gemacht hat. Und zu danken ist dem Übersetzer Florian Sendtner, der das Buch in einen so lebendigen deutsch-oberpfälzischen Text verwandelt hat, dass man das englische Original nicht mehr mithört.

GERHARD SCHULZ.

Ludwig Bemelmans: "An der schönen blauen Donau". Roman. Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Florian Sendtner. Mit einem Vorwort von Eva Demski. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 175 S., geb., 17,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht die Wirklichkeit ist das Entscheidende für Gerhard Schulz, wenn er Ludwig Bemelmanns in Amerika entstandenes von Eva Demski wiederentdecktes und von Florian Sendtner "lebendig" übersetztes, ebenso skurriles wie weises Buch zur Hand nimmt. Wahrheit aber findet sich darin dennoch genug, um Schulz den Schauplatz Regensburg zur Nazizeit, die Servilität des deutschen Spießers und die Kritikwürdigkeit des deutschen Widerstands eindrücklich vor Augen zu führen. Doch wieder auch nicht zu sehr, als dass Schulz das Buch nicht als Märchen mit Traum-Inseln, wo der Bierrettich wächst, freilich "von der dunkelsten Sorte", lesen könnte und mit Freude.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Es sei mehr Wahrheit in ihren Märchen als in gelehrten Chroniken, hat Novalis einmal von den Dichtern gesagt, und um solch ein Märchen handelt es sich denn auch bei dem, was Bemelmans hier zu erzählen hat, nur eben um ein Märchen von der dunkelsten Sorte.«
Gerhard Schulz, Frankfurter Allgemeine Zeitung