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Douglas Pitt steckt in der Klemme. Der Wissenschaftler, Spezialgebiet Geschichte der Geologie, Ende Dreißig, braucht dringend eine akademische Dauerstelle. Verzweifelt sucht er nach einem Thema für seine Forschungsarbeit und stößt dabei auf den bisher völlig unbekannten Samuel Highgate Syme, der um 1820 eine Theorie des hohlen Erdinneren aufgestellt hat. Begeistert glaubt Pitt, einen zu Unrecht vergessenen genialen Naturwissenschaftler wiederentdeckt zu haben. Seine Recherchen führen ihn zu den Aufzeichnungen des jungen romantischen Naturforschers Dr. Friedrich Müller aus dem Fürstentum…mehr

Produktbeschreibung
Douglas Pitt steckt in der Klemme. Der Wissenschaftler, Spezialgebiet Geschichte der Geologie, Ende Dreißig, braucht dringend eine akademische Dauerstelle. Verzweifelt sucht er nach einem Thema für seine Forschungsarbeit und stößt dabei auf den bisher völlig unbekannten Samuel Highgate Syme, der um 1820 eine Theorie des hohlen Erdinneren aufgestellt hat. Begeistert glaubt Pitt, einen zu Unrecht vergessenen genialen Naturwissenschaftler wiederentdeckt zu haben.
Seine Recherchen führen ihn zu den Aufzeichnungen des jungen romantischen Naturforschers Dr. Friedrich Müller aus dem Fürstentum Kolwitz-Kreminghausen an der Elbe, der sich um 1825 auf den Weg über den Atlantik machte, um Symes Experimente an Ort und Stelle zu verfolgen. In seinen Erinnerungen an Syme berichtet Müller, wie er ein Jahr lang mit ihm durchs Land gezogen ist. Zwar hat er bald erkannt, daß Symes Theorien unhaltbar sind, doch konnte er sich der charismatischen Ausstrahlung des Mannes, der erklären will, "was die Welt im Innersten zusammenhält", nicht entziehen.
Ähnlich ergeht es Pitt, dem die Wiederentdeckung und Rehabilitierung Sam Symes zur Obsession wird; je aussichtsloser sein Unternehmen erscheint, desto stärker identifiziert er sich mit Syme, ohne Rücksicht auf seine Familie und seine Karriere; sein Leben droht zu zerbrechen.
Autorenporträt
Benjamin Markovits, geboren 1973 in Palo Alto, wuchs in Texas, London und Berlin auf. Studium der Literaturwissenschaft in Yale und Oxford. Versuch einer Karriere als Basketballspieler. Heute lebt Benjamin Markovits in London, arbeitet als Journalist und schreibt für den "Observer", die "London Review of Books" und das "Times Literary Supplement".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2005

Der zerlegte Traum
Ins Innere der Welt: Benjamin Markovits' Forscherroman

In Amerika ist eine Form von Armut oder Knappheit sehr weit verbreitet, die man in Europa kaum kennt: ein Mangel an Zweifel. Es ist jener unbeugsame Glaube, daß Träume irgendwann wahr werden können, daß durch Fleiß und Hartnäckigkeit beinahe jedes Ziel erreichbar ist, daß sich für eine gute Idee die nötigen Mittel schon finden lassen werden. Ist es dieses fast blinde Vertrauen auf die eigene Kraft und den Sieg des Guten, der uns an amerikanischen Romanen so fesselt, selbst wenn wir diese Einstellung als Naivität belächeln? Ist es ebendiese Triebkraft, die uns wie in Jonathan Franzens "Korrekturen" über Hunderte von Seiten gebannt das Schicksal kleiner Leute begleiten läßt? Von Figuren, die von tollen Patenten, einer Karriere als Drehbuchautor oder einer glücklichen Familie träumen, obwohl die Realität so unbedingt dagegen spricht? Sind diese Menschen in ihrer Durchschnittlichkeit für uns interessant, weil sie so leidenschaftlich für das Unerreichbare kämpfen und dabei ihre klägliche Beschränktheit so kunstvoll ausblenden?

Auch Benjamin Markovits hat mit seinen im vergangenen Jahr in England erschienenen "Syme Papers" einen dicken Roman über den amerikanischen "Mangel an Zweifeln" geschrieben. Doch sein Debüt, das einen geduldigen und investigativen Leser fordert, ist keine Familiensaga unserer Zeit. Vielmehr ist es eine zwischen Fakten und Fiktionen, Historie und Gegenwart changierende Ideengeschichte über das Innere der Welt.

"Dies ist die Geschichte von einem Spinner, der gedacht hat, er könne beweisen, daß die Erde hohl ist, und von einem anderen Spinner, der gedacht hat, er könne beweisen, daß der erste recht gehabt hat": Das behauptet jedenfalls die Ehefrau des zweiten Spinners, des Historikers Dr. Douglas Pitt. Dieser kämpft wie alle amerikanischen "tenure-track"-Assistenzprofessoren um eine Dauerstelle an einer texanischen Universität, unterwirft sich also notgedrungen dem Prinzip publish or perish - hier mit "publizieren oder platzen" etwas hölzern übersetzt.

Pitt ist ein guter Fährtensucher und fleißiger Bibliograph, letztlich bringt er aber wenig zu Papier und scheitert. Das geschieht langsam und mit detailverliebter Ausdauer. Der Leser darf ihn auf seinen Forschungsreisen in englische und deutsche Archive und zur Nachlaßrecherche an amerikanische Originalschauplätze begleiten. Am Ende wird er diesen kauzigen "Phantasten, der einem Phantasten nachjagt", sicher so liebevoll bedauern wie sein Dekan, der ihn dann doch nicht unbefristet anstellen kann. Den verlorenen Posten ersetzt Pitt, gut amerikanisch, rasch durch einen anderen. Sein Traum ist dadurch aber nicht entwertet, schließlich hat er sich als Historiker auf Abwege und Irrtümer der Naturwissenschaft spezialisiert. So kommt sein Gegenstand - der zweite Spinner und Titelheld des Buches - ins Spiel: Samuel Highgate Syme, genannt "der Professor", "Hexenmeister" oder "Chirurg der Metaphysik".

Markovits schafft seinen zwielichtigen Naturforscher Syme (1794 bis 1850) offenbar auf Grundlage eines gewissen John Cleves Symmes (1780 bis 1829), dessen Assistent 1826 in Cincinnati "The Symmes's theory of concentric spheres, demonstrating that the earth is hollow, habitable within, and widely open about the poles" herausgab. Das kann der Leser aber eigentlich kaum herausfinden. Nehmen wir deshalb Syme als gefundene und erfundene, keineswegs aber unwahrscheinliche Figur. Seine angeblich 1820 formulierte Behauptung, daß die Erde innen hohl sei, stellte 1817 auch schon der deutsche Montanist Johann Gottfried Steinhäuser auf und münzte damit Ludvig Holbergs utopische Satire "Niels Klims unterirdische Reise" (1741) zu einer wissenschaftlichen These um. Markovits macht seinen romantischen Geognostiker Syme nun zum Begründer einer Theorie, die besagt, daß sich mit Abkühlung der Erde konzentrische, frei rotierende Metallschalen im Erdinnern gebildet hätten. Voneinander getrennt seien sie durch flüssige Gase, die als starke Eruptionen oder fein meßbare "Fluvia" entweichen, sobald vorhandene Löcher in den Kugeln zufällig zur Deckung kommen.

Auf den ersten Blick mag das alles recht bizarr und überdies reichlich vertrackt erscheinen. Aber es wird noch komplizierter. Denn zu den beiden fiktiven Spinnern gesellt sich noch ein dritter, der Symes Geschichte überliefert und sie mit zwei historischen Geologen verknüpft. Der Mann heißt schlicht Friedrich Müller und ist wie Alexander von Humboldt, Novalis oder Freiherr vom Stein ein Schüler des Freiberger Geologen und Plutonisten Abraham Gottlob Werner. Dieser wohl frei erfundene Müller, den 1861 der Tod ereilt, segelt nach Amerika, um über den praktischen Nutzen von Symes Entdeckungen zu berichten. Statt aber bald wieder heimzukehren, zieht der zunehmend verzauberte Müller mit Syme durchs Land. Er unterstützt dessen obsessive Kampagne für Forschungsgelder, um Tiefbohrungen zum Erdkern und andere Experimente zu finanzieren.

Trotz anfänglicher Zweifel macht Müller Symes Sache zu seiner eigenen. Vor allem bringt er aber ein Exemplar von dessen Zeitschrift "Der neue Platoniker" mit zurück nach Europa, nach der Pitt dann vergeblich sucht. Dieses Blättchen, so will es Markovits' Konstruktion, gerät hier durch abenteuerliche Umstände in die Hände des Wissenschaftsvisionärs Alfred Lothar Wegener, den es wirklich gab. Wegener ersann 1914 im Kriegslazarett tatsächlich die Theorie der Kontinentalverschiebung, die im Roman als Plagiat von Symes Idee von den beweglichen Kugeln ausgelegt wird.

Diese Mutmaßungen über unsere Erde sind allemal faszinierend, und die verschlungenen Pfade historischer Forschung dürften auch in der Wirklichkeit selten verschlungener sein. Beide bilden aber mehr die sichtbaren Schalen als den geheimen Kern dieses Werkes, das nur anfänglich einem historischen Roman oder einer akademischen Schnitzeljagd ähnelt, wie sie etwa Antonia S. Byatts Roman "Besessen" so erfolgreich vorführte.

Benjamin Markovits geht es bei diesem verwickelten Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit um mehr. Im Mittelpunkt des Buches steht nichts Geringeres als der Pioniergeist der Amerikaner, ihr Mangel am Zweifel, letztlich der "American Dream". Markovits' Roman vermittelt sehr plastisch jene zupackende Art, die seit zweihundert Jahren von immer neuen Generationen von Einwanderern und ihren Kulturen lebendig gehalten wird. Nicht zu vergessen ist dabei, daß der Verfasser in diesem Sinne auch selbst ein global player ist: 1973 in Kalifornien geboren, in Texas, London und Berlin aufgewachsen, hat er in Yale und Oxford studiert und arbeitet heute als Journalist, Kritiker und Schriftsteller in London.

Wie Benjamin Markovits seinen Syme zum Erfinder des Seismographen macht, so erweist er sich selbst als Meßkünstler kultureller Synergien. Er porträtiert sie in durchschnittlichen amerikanischen Einwandererfamilien, und das über Generationen hinweg. Neben vielen Nebenfiguren, die ein gespaltenes Verhältnis zu ihren europäischen Wurzeln verraten, sind das vor allem die Symes und die Müllers. Symes Vater verläßt als junger Oxford-Absolvent England, um sich in Virginia einer Naturkommune anzuschließen. Sein Sohn quittiert den Militärdienst und widmet sich ausschließlich seinen visionären Forschungen. Ihm schließt sich ein Assistent an, der dafür eine journalistische Karriere aufgibt und "Syme Papers" bis an seine Enkel vererbt, wo Pitt sie später aufstöbert.

Friedrich Müller, dessen "Erinnerungen an Syme", in anderer Schrifttype gesetzt, genau den halben Umfang des aus vielen Perspektiven erzählten Buches bilden, wandelt sich vom tumben Deutschen zum risikobereiten Amerikaner. Ihm folgt seine Schwester nach Amerika, bei deren Nachfahren Pitt eine Dachstube, mit weiteren Manuskripten von Friedrich Müller tapeziert, findet. Pitt selbst sucht mit einem Fulbright-Stipendium in der Alten nach den Errungenschaften der Neuen Welt und stellt viele Experimente Symes praktisch nach. Vielleicht hätte Pitt für seine rastlosen Recherchen über einen vergessenen Pionier, die sein Ghostwriter Markovits für ihn aufzeichnet, doch noch eine Lebensanstellung verdient - freilich nicht für die Vermittlung von Wissenschaftsgeschichte, sondern für die Erforschung der amerikanischen Traummentalität vom großen Glück.

Benjamin Markovits: "Symes Entdeckung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005. 654 S., geb., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Einen "geduldigen und investigativen Leser" erfordert nach Ansicht von Rezensent Alexander Kosenina dieser Debütroman des in London lebenden amerikanischen Autors. Es handelt sich, so der Rezensent, um eine "zwischen Fakten und Fiktionen, Historie und Gegenwart changierende Ideengeschichte über das Innere der Welt". Nachdem Kosenina mit investigativer Akribie einige faktische und historische Wurzeln des Romans verfolgt und offengelegt hat, kommt er zu dem, was er als eigentlichen Kern des Romans empfunden hat. Aus seiner Sicht nämlich geht es Benjamin Markovits um mehr als dieses "verwickelte Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit", nämlich um "nichts Geringeres" als "Pioniergeist der Amerikaner", ihren "Mangel an Zweifel", letztlich also den "America Dream" selbst. Hier erweist sich der Autor aus Sicht des Rezensent dann als "Messkünstler kultureller Synergien" und leistet mit seinem Buch auf diesem Weg einen Beitrag zur "Erforschung der amerikanischen Traummentalität vom großen Glück".

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