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Der weiße Berg erzählt eindrucksvoll vom Erwachsenwerden eines Nomadenjungen aus der Mongolei, vom Einbruch der Moderne ins archaische Leben und von der Suche nach persönlicher Identität zwischen den Welten. Die weite Steppe der Tuwa-Nomaden in der Mongolei ist seine Heimat, hier wandern und stehen die Jurten seiner Sippe, seiner Vorfahren. Doch Dshurukuwaa besucht die ferne Schule, geht den "Weg des Wissens". Die moderne, sozialistische Erziehung der Mongolei in den sechziger Jahren will die jahrhundertealten Traditionen zerstören. Der Glaube an Vater Himmel und Mutter Erde gilt als…mehr

Produktbeschreibung
Der weiße Berg erzählt eindrucksvoll vom Erwachsenwerden eines Nomadenjungen aus der Mongolei, vom Einbruch der Moderne ins archaische Leben und von der Suche nach persönlicher Identität zwischen den Welten. Die weite Steppe der Tuwa-Nomaden in der Mongolei ist seine Heimat, hier wandern und stehen die Jurten seiner Sippe, seiner Vorfahren. Doch Dshurukuwaa besucht die ferne Schule, geht den "Weg des Wissens". Die moderne, sozialistische Erziehung der Mongolei in den sechziger Jahren will die jahrhundertealten Traditionen zerstören. Der Glaube an Vater Himmel und Mutter Erde gilt als rückständig, Geister und Schamanen werden verfolgt. Der jugendliche Dshurukuwaa, zum Schamanen berufen, zum Wissen verdammt, wird erwachsen. Er verliebt sich, macht erste sexuelle Erfahrungen und trifft schließlich seine große Liebe. Gleichzeitig spürt er Verantwortung gegenüber der Familie und der Vergangenheit und ist, hin und hergerissen zwisch en persönlichem Freiheitsdrang und einem ursprünglichen Leben als Jäger und Hirte, auf der Suche nach seiner ihm eigenen Bestimmung: Wer bin ich, wohin gehöre ich? Wie wollen wir leben?
Autorenporträt
Galsan Tschinag wurde 1943 als jüngster Sohn einer Nomadenfamilie in der Westmongolei geboren. Er ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa, einer ethnischen Minderheit in der Mongolei. Sein Name in der Sprache der Tuwa lautet Irgit Schynykbai-oglu Dshurukuwaa. Nach Abschluss der Schule erhielt er 1962 ein Stipendium, das es ihm erlaubte, in die DDR zu reisen. Er lernte Deutsch und Germanistik in Leipzig. Seitdem schreibt er seine literarischen Texte vor allem in deutscher Sprache. Sechs Jahre später, 1968, kehrte er in seine Heimat zurück und lehrte an der Universität in Ulan Bator deutsche Sprache und Literatur, bis er 1976 wegen »politischer Unzuverlässigkeit« Berufsverbot erhielt. In den folgenden Jahren arbeitet er als Redakteur der Zeitschrift Journalist und als Cheflektor bei Mongol Kino, wo er sich um die Verfilmung mongolischer Epen bemühte. Seit 1991 lebt er als freier Schriftsteller vor allem in Ulan Bator, ist aber auch viele Monate als Nomade mit seiner Sippe im Altaigebirge in der Nordwestmongolei unterwegs. Galsan Tschinag versteht sich als Mittler zwischen den Kulturen und ist im Ausland viel auf Lesereisen unterwegs. Seine Erzählungen wurden auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Geh auf das große Ziel los
Galsan Tschinag: Tuwa-Dichter und deutscher Erzähler
Der „richtungsweisende sowjetische Wille” schickt Anfang der sechziger Jahre einen mongolischen Abiturienten, einen Studenten vom Stamme der Tuwa von Ulan Bator ausgerechnet nach Leipzig. Was passiert, ist nicht einfach, dass ein Nomade mit Abitur statt zum Kybernetiker nun zum Germanisten wird. Denn der verwirrte kleine Stipendiat ist ein Ehrgeizling besonderer Art: Er will nicht nur den Fängen des Sippenalltags entfliehen, sondern erstens den „Weg des Wissens” ins sozialistische 20. Jahrhundert gehen und will zweitens Dichter werden. Das wird er dann auch, und zwar ein deutscher Dichter, der für unseren Gebrauch Galsan Tschinag genannt wird – als sei Galsan Vorname und Tschinag Nachname, aber irgendwie muss man sich ja ins westliche Namenssystem eingliedern; wer könnte sich schon „Irgit Schynakbaioglu Dschuruk-uwaa” merken, und was soll als Autorenname ins Verzeichnis der lieferbaren Bücher eingetragen werden?
Denn Galsan Tschinag schreibt seit seinem Studium in Leipzig Prosa in deutscher Sprache, in einem Deutsch, das er nicht einfach nur beherrscht, sondern das er sich, wenn’s drauf ankommt, ein ganz klein wenig zurechtbiegt und dem er einen bei uns unbekannten Erzählduktus abgewinnt. Alle seine Bücher sind eigentlich Teile oder Variationen dessen, was der Psychoanalytiker Otto Rank den „Mythos von der Geburt des Helden” genannt hat, es sind manchmal herzzerreißende und oft auch sehr komische Geschichten von einem kleinen Schamanen-Anwärter, den aber das 20. Jahrhundert ins aufgeklärte Wissen und nach Europa geworfen hat und der nun in sich einen der Grundkonflikte unserer Epoche austragen muss: den zwischen instrumentellem und mythischem Wissen. Kommt hinzu, dass Galsan Tschinag dem Stamm der Tuwa-Mongolen angehört, also einer turksprachigen Minorität und er also zum Chronisten einer Gemeinschaft und einer Kultur geworden ist, deren Tage wahrscheinlich gezählt sind.
Das Entzückendste an diesem autobiografischen Roman ist wieder, ähnlich wie in Die graue Erde (1999), dass Tschinag seinen tiefernst und tölpelhaft, ehrgeizig und bisweilen liebestoll durch Steppe und Schule, durch Jurte und Gebirge störzernden Jung-Dichter vom Jahrgang 1944 mit großer Ironie begleitet, mit Spott für den kleinen Streber, der ein Dichter wie Lermontow werden und dafür auch in Kauf nehmen will, nur 27 Jahre alt zu werden wie sein Vorbild. . . Also muss er zum Beispiel – es gilt, die epischen Traditionen der Tuwa mit dem sozialistischen Realismus zu verbinden – eine Wandzeitung komplett in Stabreimen abfassen, oder er verrennt sich in ein großes Lobespoem auf Juri Gagarin, dem er allerdings unterstellt, der habe sicher bei seinem ersten Weltraumflug auch mal Angst gehabt. Das ist aber Abweichlertum, Beleidigung eines Helden, politisch geradezu gefährlich!
Es sind die frühen sechziger Jahre; immer wieder kommen Chinesen über die Grenze in die Mongolische Volksrepublik, Indizien der Unruhe in Maos China; erstmals landet ein „geflügeltes Ross der bereits begonnenen Zukunft” (eine Iljuschin 18) bei den Tuwa, was die Stammes- und die Militärrituale, die Stammes- und die Militärhierarchie zwerchfellerschütternd durcheinander bringt; die Tuwa leben eingeklemmt zwischen Kasachen, Mongolen und Chinesen, die Russen nicht zu vergessen, und dazwischen sitzt im Internat ein kleiner Dichter, der Hunderte von Kladden mit Versen füllt; so ungeschickt wie je ein Pubertierender mit Mädchen in Berührung kommt; mit einer schläft und mit einer andern sich nur herumquälen darf und den seine Sippe gern „bejurtet und beweibt” sähe, den aber Muttertante Pürwü mit fast hinterhältiger, Zähigkeit als Quasi-Sohn und Schamanen-Lehrling an sich bindet und ihn auf ein langes Leben und immer weitere Stufen der Initiation und schamanischen Wissens verpflichtet. . . bis er dann doch davonläuft und plötzlich wie aus dem Mond gefallen in den Straßen von Leipzig steht.
Hier verlieren wir ihn aus den Augen, den „blinden Mensch-Welpen”, am Ende eines Buches, das die Nomadenwelt Zentralasiens in keinem Moment verklärt, aber liebevoll festhält, welche Kultur da verschwinden wird, wenn alle Turk-Mongolen nicht mehr Tuwa, sondern mongolisch sprechen werden.
Galsan Tschinag hat uns in unserer Sprache eine Ahnung gegeben von Schamanentum und Poesie bei den Tuwa, und er hat unserer Literatur die Geschichte einer großen, zuerst wunderbaren und dann tödlich unglücklichen Liebe geschenkt. Schon allein für sie, für den Prosa-Gesang von der Outcast-Frau und Kasachin Batana – auch sie nicht mehr oder noch nicht passend in die sich rapid verändernde Gesellschaft der Mongolei –, gebührt Galsan Tschinag ein ganz besonderer Platz in den Rängen unserer gegenwärtigen Literatur. Pürwü hat ihn dann doch nicht zum praktizierenden Schamanen gemacht; das Schicksal hatte ihn zu anderem bestimmt, zum Stammesoberhaupt und zum Dichter und Sänger.
JÖRG DREWS
GALSAN TSCHINAG: Der weiße Berg. Roman. Insel Verlag, Frankfurt/M. 2000. 290 Seiten, 39,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2001

Grüne Insel hinter Stacheldraht
Zwischen Jet und Jurte: Galsan Tschinags Roman "Der weiße Berg"

Ein Flugzeug ist gelandet in der Bezirksstadt, irgendwo in der mongolischen Steppe. Der strahlende Offizier, der ihm entsteigt, ist einer von hier, einer aus dem Volk der Tuwa, das in Jurten, großen Zelten, wohnt und im Sozialismus endlich seine halbnomadische Lebensweise und seinen reaktionären schamanistischen Glauben an die Beseeltheit der Materie aufgeben soll. In der offiziellen Sprache, die zwischen dem sowjetischen Pathos des Fortschritts und dem Mythenglauben der Tuwa einen kuriosen Kompromiß bildet, heißt das Flugzeug, das glänzend in der Steppe steht und von staunenden Kindern umringt wird: "das geflügelte Roß der bereits begonnenen Zukunft".

Solche Widersprüche zwischen Technik und Geisterglaube, Fortschritt und Schamanismus, zwischen dem weltweit triumphierenden Kommunismus und der alten Tradition der Tuwa, einer bedrohten Minderheit der Mongolei, schneiden durch den Ich-Erzähler des neuen Romans von Galsan Tschinag. Der in den vierziger Jahren als Tuwa geborene Autor, der 1962 nach Leipzig kam, um im befreundeten sozialistischen Ausland Literatur zu studieren, ist vermutlich der einzige Vertreter der mongolisch-deutschen Tuwa-Literatur, denn er schreibt seine Romane mittlerweile auf Deutsch und bleibt doch seinem Lebensthema treu: der prekären Situation jener nomadischen Tuwa, für die die mongolische Sprache, Kultur und Lebensform den lockenden Fortschritt bedeutet, dem sie ihre Traditionen opfern sollen.

Sein unverkennbar autobiographisch gefaßter Held geht durch alle Versuchungen, denen auch Tschinag ausgesetzt war. Soll er dem rückschrittlichen Schamanismus entsagen, den seine Tante als Geisterkundige verkörpert, und werden, wozu er berufen ist: ein großer sowjetischer Schriftsteller, der von der bunten Völkervielfalt des Sowjetreiches singt? Wenn er, in den Ferien von der mongolischen Schule in die Jurte der Eltern zurückgekehrt, über seinen Gedichten sitzt, trifft ihn der Tadel der Eltern. Die sind überzeugt, "Papierenes entsafte den Körper, Grübelei bringe die Flüsse im Gehirn durcheinander" und es gebe Wichtigeres zu tun, als in Bücher zu starren. Sich beispielsweise so früh wie möglich nach einer Schwiegertochter für die Eltern umzusehen. Denen käme die zarte Akina, eine kasachische Schulfreundin, die Ärztin werden möchte und eine große Zuneigung zu dem reifenden Dichter gefaßt hat, sehr recht.

Doch der Dichter, dessen Ehrgeiz Tschinag mit warmherziger Ironie gestaltet, ist ein Ungebändigter, einer, der mit sich noch hadert und ringt, nicht im Einklang lebt. In der Bezirksstadt möchte er am liebsten die Idee des Fortschritts widerrufen, in die Jurte der Nomaden zurückkehren und von der Tante zum Schamanen ausgebildet werden; in der Jurte der Tuwa sehnt er sich hinaus in die Welt, dorthin, wo der Fortschritt zu Hause ist und die Aufgeklärten und Wissenden leben. Wissen möchte der Fünfzehnjährige endlich auch etwas ganz Bestimmtes. Wie das nämlich geht, was "auf kasachisch liegen, auf mongolisch schlafen und auf tuwa sich nähern heißt. Weshalb man es tut, und wie es vor sich geht."

Mit seinem Wunsch, sexuelle Aufklärung zu erhalten und sie zugleich in der Praxis zu erproben, ist er bei der gleichaltrigen Akina freilich nicht bei der Richtigen. Erschreckt zieht sie sich von ihm zurück, der sich folglich anderswo Klarheit zu verschaffen trachtet. Der Roman von der Entwicklung eines Dichters, der sich in den Kinderglauben der Tuwa nicht mehr fügt, seine Herkunft aber auch nicht verraten und den spirituellen Reichtum der Nomaden retten möchte, ist schon ein ordentliches Stück weit gekommen, als unerwartet eine herzergreifende Liebesgeschichte daraus wird. Denn der Jüngling trifft auf eine schöne, gebildete, freizügige Frau, die ihn in jeder Hinsicht zum Erwachsenen initiiert und nur einen Makel hat: Sie ist Insassin eines Straflagers.

"Mitten in der Kiessteppe westlich von der Stadt grünt eine viereckige Insel, umschlossen von einer Stacheldrahtkoppel." Dorthin zieht es den Jungen, denn dort ist Batana zur Zwangsarbeit verpflichtet, eine junge, selbstbewußte Agronomin, die in der Steppe erfolgreich neue Pflanzen- und Getreidesorten angepflanzt, sich aber nicht den überkommenen Regeln des Zusammenlebens gefügt hat. Weil sie sich einen verheirateten Geliebten zulegte, wurde sie wegen "sittlicher Verfehlungen" hier eingesperrt; freigelassen, wird sie später einem Eifersuchtsmord zum Opfer fallen. Zwischen dem Dichter, der erwachsen werden möchte und so viele Konflikte in der eigenen Brust austragen muß, und der schönen Agronomin, die ihrer Freizügigkeit willen verachtet, ausgestoßen, inhaftiert wurde, entwickelt sich eine Liebesgeschichte, der Galsan Tschinag eindringliche Passagen widmet. Am Ende allerdings, na ja, da ist es in der mongolischen Steppe und in der Tuwa-Literatur nicht anders als in einem deutschen Entwicklungsroman: Die geliebte Frau ist tot, und der Mann, um ihren Tod gereift, ist erwachsen und kann endlich ein bedeutender Dichter werden.

KARL-MARKUS GAUSS

Galsan Tschinag: "Der weiße Berg". Roman. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000. 289 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Karl-Markus Gauss mochte dieses Buch, deshalb klingen kleine Vorbehalte behutsam nur zwischen den Zeilen durch. Galsan Tschinag sei, lesen wir, der vermutlich einzige Vertreter der mongolisch-deutschen Tuwa Literatur. Und damit sich der Otto-Normal-Feuilletonleser darunter etwas vorstellen kann, sind dann auch einige Informationen über Herkunft und Werdegang des Autors von Nöten, bevor Gauss sich mit dem Roman befassen kann. Dessen Inhalt klingt neben deutsch und mongolisch auch noch ziemlich sowjetisch, weil er den Konflikt zwischen dem Fortschritt, den die Sowjets von ihren Völkern forderten und der Verwurzelung in als rückständig empfundenen Stammestraditionen beschreibt. Die Geliebte des Protagonisten, lesen wir, ist außerdem Insassin eines Straflagers. Doch dies Buch, findet Gauss, sei auch ein deutscher Entwicklungsroman, in dessen Zentrum, wie es sich für diese Gattung gehört, ein Schriftsteller steht. Und am Ende, unkt unser Rezensent, da ist die geliebte Frau natürlich tot, "und der Mann, um ihren Tod gereift, ist erwachsen, und kann endlich ein bedeutender Dichter werden".

© Perlentaucher Medien GmbH"