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Die Biographie zu Leben und Werk des Wandsbecker Boten - das Standardwerk zu Matthias Claudius "Der Mond ist aufgegangen, / Die goldnen Sternlein prangen / Am Himmel hell und klar; / Der Wald steht schwarz und schweiget, / Und aus den Wiesen steiget / Der weiße Nebel wunderbar." - Matthias Claudius war mehr als nur der Verfasser des "Abendlieds": Annelen Kranefuss zeichnet das Leben eines beeindruckenden Mannes nach. Matthias Claudius (1740 - 1815) gehört zu den wohl berühmtesten Lieddichtern deutscher Sprache. Ihn aber lediglich auf sein Gedicht "Abendlied" zu reduzieren, das als Volkslied…mehr

Produktbeschreibung
Die Biographie zu Leben und Werk des Wandsbecker Boten - das Standardwerk zu Matthias Claudius "Der Mond ist aufgegangen, / Die goldnen Sternlein prangen / Am Himmel hell und klar; / Der Wald steht schwarz und schweiget, / Und aus den Wiesen steiget / Der weiße Nebel wunderbar." - Matthias Claudius war mehr als nur der Verfasser des "Abendlieds": Annelen Kranefuss zeichnet das Leben eines beeindruckenden Mannes nach.
Matthias Claudius (1740 - 1815) gehört zu den wohl berühmtesten Lieddichtern deutscher Sprache. Ihn aber lediglich auf sein Gedicht "Abendlied" zu reduzieren, das als Volkslied große Popularität erlangte, täte ihm unrecht: In dem frommen Idylliker und Familienvater steckte ein wacher Geist. So machte sich Matthias Claudius als Journalist, homme de lettres und Poet, vor allem aber als Redakteur des Wandsbecker Boten einen Namen. Er scheute nicht davor zurück, die Umbrüche und Kontroversen seiner Zeit kritisch und scharfsinnig zu kommentieren und dabei stets eine der eigenen Prämissen zu befolgen: Niemand ist frei, der nicht Herr über sich selbst ist.
Autorenporträt
Kranefuss, Annelen§Annelen Kranefuss war bis zum Jahr 2000 Kulturredakteurin im Westdeutschen Rundfunk Köln, von 1975 bis 1990 im Fernsehen, danach im Hörfunk. Sie war einige Jahre Vorsitzende der Literarischen Gesellschaft Köln. Bereits ihr Studium der Germanistik, Anglistik und Theologie schloss Annelen Kranefuss 1973 mit einer Dissertation über Matthias Claudius' Lyrik ab und beschäftigte sich seither immer wieder mit dessen Leben und Werk.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2011

Oft glühten ihm die Fußsohlen vor Liebe
Wir hätten Grund, uns einiges auf ihn einzubilden: Annelen Kranefuss erzählt das Leben des Volksdichters und Zeitungsmachers Matthias Claudius
Gar manches gibt es an Dichtern zu preisen: ihr grundstürzendes Denken (Nietzsche), ihr dramatisches Talent (Shakespeare), oder ihr uferloses Sprachfexentum (Joyce). Matthias Claudius zeichnet vor allem eine enorme Faulheit aus. Die Zeitgenossen wunderten sich über den so wenig erwerbslustigen Mann, der fast sein Leben lang in der sozialen Hängematte lag. Er „mochte Nichts tun, als Vögel singen hören, Clavier spielen und spazieren gehen“, ging eine gewöhnliche Denunziation. Dabei war er aller Welt gut Freund, ein zufriedener Hausvater, dessen geruhsames Leben allerdings heftig durcheinandergeriet, wenn er auf ein paar Monate sein geliebtes, dänisch protektioniertes Hamburg verlassen musste.
Als er in Darmstadt in Stellung ging, holte er sich eine Krankheit, die beinahe tödlich verlaufen wäre. Damals entstand das wundersame „Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an den Fürsten der ihn parforcegejagt hatte“, bestimmt eine Kritik am Absolutismus, aber auch das Klaglied des bedrängten Geistesarbeiters. „Wie können Ihre Durchlaucht es doch übers Herz bringen“, petiert der schwitzende und blutende Hirsch über den Fluss hinweg, „ein armes unschuldiges Tier, das sich von Gras und Kräutern nährt, zu Tode zu jagen?“
Immer wieder bedrängten ihn Arbeitgeber, weil er zu wenig arbeitete, sich lieber mit „Tändeleyen“ abgab und Frau und Kinder herzlich gern hatte. Nach einem etwas zerdehnten Studium in Jena und Gesellschafter-Jahren in Kopenhagen begann er 1768 im hohen Alter von 28 Jahren seine nie sich rundende Laufbahn als Hilfsredakteur für Vermischtes. Klopstock hatte ihn empfohlen, und Männer wie Lessing und Herder, die er bald kennenlernte, wurden sein Umgang. So durfte er den Hamburger Adreß-Comptoir-Nachrichten ein bisschen Allotria in dem Einerlei aus Kurseinbrüchen und Laderaumsuperlativen liefern, und dichtete dabei Nonsensiges, das auch Robert Gernhardt nicht von der poetischen Bettkante gestoßen hätte. „Hier liegt begraben ein lieber Mann,/Den seine lieben Kinder sahn,/Und er, der Mann, nicht minder/Sah seine lieben Kinder;/Nun aber sehn sie ihn nicht mehr,/Und er sieht sie noch weniger.“
Brauchte die Welt das? Natürlich nicht, und die Hamburger Kaufleute, die doch wissen wollten, wie der Ballen sich übers Jahr stehen würde, werden nur kurz geblinzelt und dann weitergeblättert haben zum Kurszettel. Sein Auskommen als Journalist zu finden, ein absurdes Vorhaben seinerzeit, gelang Claudius nur selten, da half auch sein Unernst nicht weiter, der ihn vom nutzwertorientierten Journalismus fernhielt. Wer die Leser zwischen Schiffsmeldungen und Börsenberichten mit der Nachricht überrascht „Gestern hat hier zum erstenmal die Nachtigal wieder geschlagen“, kann kein ganz schlechter Mensch sein, ist aber für die tägliche Berichterstattung nicht zu gebrauchen.
Claudius war unnütz, reinstes Feuilleton, und deshalb nicht lang geduldet. Wieder musste ein Freund helfen. Johann Joachim Christoph Bode, Freimaurer wie Claudius, gerüchteweise sogar Illuminat und Revolutionsanstifter, brachte mit Unterstützung des dänisch privilegierten Großunternehmers Schimmelmann von 1771 an den Wandsbecker Bothen heraus, ein karges Blättchen, aber durch Beiträger aus der gesamten deutschen Gelehrtenrepublik bald gefragt und berühmt. Auch wenn er nur über vierhundert Bezieher verfügte, wurde Claudius damit einer der ersten Zeitungsmacher in Deutschland.
„Gelehrte und polit’sche Mähr“ wollte er bringen, Nachrichten aus aller Welt, Curiosa und natürlich Literatur. Das „journalistische Experiment“, wie das noch heute im Hamburger Presseclub heißt, währte nicht lang, der Bothe musste bald wieder einpacken. Ein Plan war, den Hain aus Göttingen nach Wandsbek zu holen, gemeinsam Lieder zu schreiben, dort im Mondschein zu singen. Die studierten Dichter Hölty, Voß, die Stolberge imaginierten sich als anakreontische Naturburschen, verehrten Klopstock als Leitstern und mussten doch besorgt sein, eine Stellung zu finden.
Die Herren kamen wohl vorbei, sie mieteten sich ein, auf Wochen, auf Monate, bestaunten den Hausvater, der mit seinem silbernen Haar immer mehr einem alttestamentarischen Erzvater glich, ein Vorzeitiger und kein Zeitgenosse, ein Pre-diger, in stetem Kontakt mit der Drübenwelt, aber dabei ganz irdisch um seinen Hausstand besorgt, dass er die Töchter auch recht verheirate und die Söhne etwas Rechtes studierten. Er liebte sein Frauchen, die Handwerkerstochter Rebecca, zeugte munter Kind auf Kind, betrauerte die, die früh starben und schrieb dazwischen einige der vollkommensten Gedichte deutscher Sprache und nicht nur „Der Mond ist aufgegangen“.
Annelen Kranefuss versteht mehr als andere die theologischen, die biblischen Anspielungen, mit denen Claudius seine Verse tränkt. Sie hat beinah jedes Dokument, das von Claudius und seinem Umkreis überliefert ist, hin und her gewendet. Da so wenig an Briefen und kein Tagebuch überliefert ist, wird ein Zeugnis einmal auch irreführend zerlegt. Wenn Johann Heinrich Voß seiner Braut Ernestine den Wandsbeker Hausstand schildert und das brave Weiblein Rebecca preist, kann er sich die ökonomischen Bedenken nicht verkneifen, die der verliebte Claudius übergangen hatte: „Aber heyrathen hätt’ er noch nicht sollen. Die Zeitung trägt nicht so viel, daß eine Familie davon leben kann.“ Ja mei, wo ihm doch „oft die Fußsohlen für Liebe“ glühten!
Immer wieder mussten die Freunde einspringen und wieder halfen sie, verschafften ihm den Posten eines Revisors bei der königlichen Spezies-Bank in Altona – eine verwegene Vorstellung. Die Revolution, die im Jahr drauf in Paris ausbrach, war dem gottesfürchtigen Christen fremd und dem Beamten der dänischen Krone noch weniger geheuer. Die achthundert Taler Gehalt, die ihm und der vielköpfigen Familie endlich ein vernünftiges Auskommen sicherten, lieferten ein nicht unerhebliches Argument für die Treue zur Obrigkeit.
Mehr als seine Kollegen Dichter sang er das Herrscherlob, schließlich war er fast zeitlebens von der Gunst diverser Könige und Magnaten, von mehr oder weniger großzügig ausgefolgten Stipendien, sogar von Spenden abhängig, die Freunde zusammentrugen, damit ihr Claudius munter weiter faul sein und dichten konnte. Gedichte, Lieder wie das an den Mond, der aufgegangen ist mit den goldenen Sternlein. Gedichte wie „Der Tod und das Mädchen“, später von Franz Schubert vertont und auch so einzig.
Ältere, dem Dichter wohlgesonnene Lebensbeschreiber nennen das dann die „Jahre der Reife“, und wirklich brachte Claudius sein Leben zum größten Teil mit Reifen zu. In den letzten Jahren gab er sich zufrieden mit einem klappernden Lobgesang des Altbewährten, ein frommer Protestant. So fromm ward Claudius, dass er manchen Zeitgenossen als nächster Kandidat für den Übertritt zur katholischen Kirche galt. Doch blieb er ein braver Lutheraner und zugleich ein Schwärmer sein Leben lang.
Annelen Kranefuss sieht bei Claudius auch den wirkungsvollen Minimalisten. Der volkstümliche Ton, den der Bothe pflog, wenn er höhere Dinge wie in den Reimarus-Fragmenten oder die Kantische Philosophie unter die Leute brachte, die Seiten gefleckt mit Apostrophen und Elisionen, kam auch durch ihn in die Neue Deutsche Literatur der 1770er und 1780er Jahre. Das Korsett der Sprache, das die Göttinger Hainbündler schon aufzuknöpfen begonnen hatten, öffnete Claudius noch weiter.
Anders als Klopstock zeigte er keine Neigung zum Epos in antiker Manier; Claudius hielt sich an die Zeitung. Im Comptoir wurde gemeldet, bearbeitet, gekürzt, sensationalisiert und auch gedichtet. „Ich schreibe nicht bloß die Nachrichten so hin, sondern thue gemeiniglich etwas von meinem Eigenen hinzu, eine Exclamation oder Lügenstrafung, oder was Satyrisches, oder sonst noch allerley, und ich habe eine besondere Gabe, die Semicolons anzubringen.“ Und noch etwas kann er: Dinge beredt verschweigen. „’n Gedankenstrich am rechten Orte hat sein Verdienst.“ Da ihm, wie seine Biographin einleitend bemerkt, die „Distinction zwischen Schriftsteller und Menschen“ nicht viel galt, musste sich sogar seine Tochter darüber ärgern, wenn er allzu sehr mit Worten geizte: „Es ist ein himmelschreiendes Unrecht, daß Du mir nur – durch Gedankenstriche antwortest.“
Claudius war der Bote, der den Leser ansprach, der ihn belehrte, ihn auch unterhielt, aber nie auf den eigenen Spaß vergaß. In der Stürm- und Drängerei der Franz Moore und Fauste lebte er nicht, um zu schreiben, sondern vor allem um zu – leben. Trotzdem bleibt der Gegenstand dieser gründlichen und für die nächste Zeit maßgeblichen Biographie recht farblos. Die Zeitgenossen haben ihn eifrig besucht und besungen. Manche meinten, den vielfach Verehrten mangelhaft und doch irdisch finden zu müssen. Der Physiognom Lavater schmälte ihn wegen seiner Einfachheit, Wilhelm von Humboldt erklärte ihn für eine „völlige Null“ (wie der ewig neidige Schiller festhielt), selbst Freund Hamann nannte ihn den „faulen Socius“. Aber was wäre aus ihm geworden, wäre er nicht so faul gewesen? Ein Pfarrer, ein Beamter, ein lebenslang gefesselter Redakteur?
Auf einen Scherz, der für die bisherigen Claudius-Biographen von Urban Roedl bis Eckart Kleßmann selbstverständlich zum Charakterbild des „Bothen“ gehörte, verzichtet Frau Kranefuss. Die skrupulöse Aufstellung, wie teuer den Freunden Voß und Hölty das Leben und Wohnen in Wandsbek käme, verzeichnet auch „Nachttöpfe fein gut“, die „auf ½ Rthlr.“ zu stehen kämen. Allerdings folgt dann die lebenspraktische und womöglich sogar Rebecca’sche Einschränkung: „Nb kann auch gespart werden und die Herren können außer der Tür oder aus dem Fenster Operiren“.
In der Literaturgeschichte ist Matthias Claudius immer kleiner geworden und fast zur Hamburgensie geschrumpft, ein Autor, wie er ungewiss zwischen den Zeiten steht, kein Aufklärer und auch kein Klassiker, revolutionsfeindlich, misstrauisch gegen alle Veränderungen, aber ein Volksdichter ist er geblieben. „Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles“, meinte Goethe in einem seiner großzügigeren Momente. Es habe deshalb niemand „besondere Ursache (. . .), sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht“. Claudius hat mehr als eines gemacht, und wir hätten Ursache, uns einiges auf ihn einzubilden. WILLI WINKLER
ANNELEN KRANEFUSS: Matthias Claudius. Eine Biographie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2011. 320 Seiten, 23 Euro.
„‘n Gedankenstrich am rechten
Orte hat sein Verdienst“
Was wäre aus ihm geworden, wenn
er nicht so faul gewesen wäre?
Parforcejagd um 1740: „Wie können Ihre Durchlaucht es doch übers Herz bringen, ein armes unschuldiges Tier . . .  zu Tode zu jagen?“ Abb.: picture alliance/Artcolor
Matthias Claudius (1740-1815).
Abb.: Blanc Kunstverlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2011

Ohne Stock und Degen und Puder

Wer war der Mann, der das bekannteste Gutenachtlied der Deutschen dichtete? Annelen Kranefuss beleuchtet das Leben von Matthias Claudius im Kontext der Aufklärung.

Der Mond ist aufgegangen" ist eines der populärsten Lieder der Deutschen. Die mehr als zweihundert Jahre alte Melodie haben wir im Gedächtnis, den Dichter Matthias Claudius aber nicht. Wenn er die Welt in diesem "Abendlied" ganz leicht und selbstverständlich als "so stille", "traulich" und "hold" besingt und das menschliche Leben im Kreis von frommer Einfalt, ruhigem Schlaf und sanftem Tod beschreibt, dann spricht er zugleich von sich und seinen Werten. Claudius trifft immer den Ton des Volkes, ganz bescheiden nennt er sich einen bloßen Liebhaber der Theologie und Philosophie. Wenn er auf die "goldnen Sternlein" über sich und die Moral in sich schaut, gerät er nicht wie Kant auf die Spur erhabener Prinzipien, sondern bleibt in der Sphäre von Familie, Häuslichkeit und christlicher Erbauung.

Goethe verspottet ihn dafür als "Narr voller Einfaltsprätensionen". Diesem Verdikt widerspricht Annelen Kranefuss jetzt energisch in ihrer großen Biographie. Ihr Einwand: Auch bei aller gespielten Einfalt war Claudius sicher nie prätentiös und anmaßend, nichts lag ihm ferner als Geltungssucht. Detailliert und kundig zeichnet sie das umgekehrte Bild eines extrem zurückgenommenen Mannes, den die Zeitgenossen vor allem unter dem Pseudonym Asmus im "Wandsbecker Bothen" kannten und schätzten. Tatsächlich gelangt er über den Journalismus zur Schriftstellerei. Nach Studien in Jena beginnt der aus einer Pastorenfamilie im Holsteinischen stammende Claudius 1768 als Redakteur bei den "Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten". Dort darf er Poesie und Literaturkritik unter Wirtschaftsmeldungen mischen. Zwei Jahre später übernimmt er den "Bothen" und steigt zum selbständigen Blattmacher auf.

Der "Wandsbecker Bothe" gehört zu den ersten Tageszeitungen für eine breite Öffentlichkeit. Mehrmals wöchentlich erscheinen vier Seiten Politisches und Gelehrtes, Nachrichten vom frühen Morgen werden schon mittags gedruckt. Die meisten Artikel schreibt Claudius selbst, gewinnt mit Herder, Lessing, Klopstock und Freunden des Göttinger Hains aber auch Mitarbeiter aus der ersten Liga. Goethes Verse "Schlagt ihn todt, den Hund! / Es ist ein Recensent" werden hier gebracht, nicht aber sein unappetitlicher Spott über Nicolais Werther-Parodie. Claudius hält sich an die Linie der Aufklärung, gibt dem Blatt ein eigenes Profil. Schade, dass es 1775 scheitert. Fortan aber veröffentlicht Claudius seine journalistischen "Bonmots" in Buchform. Bis 1812 kommt er auf acht Bände, prall gefüllt mit Gedichten und Erzählungen.

Damit macht er sich einen Namen, gut davon leben kann er aber nicht. Auch die Zugehörigkeit zur Hamburger Freimaurerloge "Zu den drei Rosen" verspricht keine Rettung, der spätere Illuminat Bode streut lediglich Kryptogramme in die Zeitung, die erst in unserer Zeit als Geheimbotschaften an die Logenbrüder entschlüsselt wurden. In der Not muss Claudius einen gutdotierten Verwaltungsposten in Darmstadt nebst der dortigen "Land-Zeitung" übernehmen, dafür zieht er mit seiner ständig wachsenden Familie in den Süden. Doch die Sache scheitert schon nach einem Jahr an der Weigerung, "ein Rad in der Maschine zu seyn". Er geht, wie sein Freund Merck verstört festhält, "ohne Stock und Degen und Puder" zum Präsidenten. Dem Sturm und Drang steht er zwar nicht sonderlich nahe, benimmt sich aber wie ein Rebell gegen die Hofgesellschaft.

In solchen Passagen entfaltet die Biographie von Kranefuss ihre besonderen Stärken. Mit gleichem Geschick beleuchtet sie Claudius' Stellung unter Hamburger Freimaurern, pfälzischen Aufklärern, Göttinger Hainbündlern oder norddeutschen Protestanten. Nach dem hessischen Hof-Abenteuer verlässt der nunmehr freie Schriftsteller Claudius den Ort Wandsbeck zwar kaum noch, dafür holt er sich aber die Welt in seine kärglich ausstaffierte Provinz. Zum einen kommen Besucher und Briefe von überallher - Jacobi in Düsseldorf, Gleim in Halberstadt, Lavater in Zürich werden enge Partner. Zum anderen geschieht es imaginär, etwa in "Urians Reise um die Welt" oder der "Audienz beim Kaiser von Japan" - wenn nicht gar durch kühne Träume vom Auswandern nach Tahiti. Doch Claudius bleibt, für seine Familie, Freunde und Nachbarn sorgt er so gut wie Herr Cornelio in der Erzählung "Besuch im St. Hiob". Auf die Frage, wie er das Elend täglich ansehen könne, antwortet dieser Krankenpfleger: "Ist es darum weniger, wenn ich es nicht sehe?" Ähnlich einfühlsam porträtiert Kranefuss diesen oft übersehenen Dichter und religiösen Erbauungsschriftsteller, der sich vor allem aufs Allzumenschliche bestens versteht: Krankheit, Schwachheit und Vergänglichkeit gehören zu seinen wichtigsten Themen.

ALEXANDER KOSENINA

Annelen Kranefuss: "Matthias Claudius". Eine Biographie.

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2011. 320 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Er war faul, erklärtermaßen, und ein Familienmensch. Die Tagespolitik und das Nützliche interessierten ihn wenig. Konservativ war er immer, im Alter wurde es mit dem Herrscherlob aber schlimmer. Allerdings hielt sich Matthias Claudius seine "besondere Gabe, die Semicolons anzubringen", mit Gründen zu Gute. Auch die Worte brachte er in Gedichten wie "Der Mond ist aufgegangen" schlicht, aber nicht unbegabt an. Wilhelm von Humboldt hielt ihn trotz allem für eine "völlige Null". Diesen Mann, dessen ehrgeizigstes Zeitungprojekt, der "Wandsbecker Bothe", rasch scheiterte, porträtiert Annelen Kranenfuss in ihrer Biografie, die Willi Winkler als äußerst kenntnisreich lobt. Sie werde auch das Standardwerk über den Dichter für die nähere Zukunft bleiben. Ganz glücklich scheint der Rezensent dennoch nicht. "Recht farblos", schreibt er, bleibe der Mann im Zentrum dieses Buches.

© Perlentaucher Medien GmbH
»... enorme Gründlichkeit und einfühlsame Stilsicherheit ...« Allgäuer Zeitung, 26.10.2011