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"Zurück bleibt ein Ton, der uns gefangen nimmt weil er Atmosphäre schafft." Die Welt, 8.3.2008; Roter Flieder ist ein gewaltiger Roman, geformt aus der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, seinen Hoffnungen und Wirren. Goldberger musste weg aus dem Innviertel. Man hatte ihm eine neue Existenz in einiger Entfernung versprochen - wenn er nur bald ginge. Und nachdem er seine Frau beerdigt hatte, verließ er Wald und Hof, begleitet von seiner Tochter Martha. Als Ferdinand aus dem Krieg nach Hause kam, da übergab Goldberger seinem Sohn die Verantwortung für den neuen Hof, mit dem er selbst nie…mehr

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Produktbeschreibung
"Zurück bleibt ein Ton, der uns gefangen nimmt weil er Atmosphäre schafft." Die Welt, 8.3.2008; Roter Flieder ist ein gewaltiger Roman, geformt aus der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, seinen Hoffnungen und Wirren. Goldberger musste weg aus dem Innviertel. Man hatte ihm eine neue Existenz in einiger Entfernung versprochen - wenn er nur bald ginge. Und nachdem er seine Frau beerdigt hatte, verließ er Wald und Hof, begleitet von seiner Tochter Martha. Als Ferdinand aus dem Krieg nach Hause kam, da übergab Goldberger seinem Sohn die Verantwortung für den neuen Hof, mit dem er selbst nie etwas anzufangen gewusst hatte. - Ferdinand gelang viel, die junge Familie kam zu etwas, "die Dinge liefen" und alles ging seinen vorherbestimmten Gang Auf der langen Strecke gehen Menschen dreier Generationen verloren. Sie scheitern an ihrer Unfähigkeit, den anderen wahrzunehmen, sich verständlich zu machen oder sich auch nur über die eigenen Gefühle klarzuwerden. Gottesfürchtigkeit und Schicksalsergebenheit bemänteln Sprachlosigkeit und stumme Gewalt.
Autorenporträt
Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien. Als Literat war er 2007 Stipendiat des Herrenhauses Edenkoben. 2008 debütierte er mit dem Roman 'Der lange Gang über die Stationen', für den ihm u.a. der Jürgen-Ponto-Literaturpreis und das Hermann-Lenz-Stipendium verliehen wurden. 2009 folgte der Roman 'Magdalenaberg', 2011 der Roman 'Wiedersehen in Fiumicino'.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Keine neue Geschichte, was Wiebke Porombka da gelesen hat. Doch so, wie der 1982 geborene österreichische Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker vom Generationenfluch einer Familie im Innviertel Anfang der 40er Jahre erzählt, davon, wie sich die Last eines Verbrechens in den Augen der Figuren von einem Familienmitglied zum nächsten fortsetzt, hat es Porombka noch nicht gelesen. Zaghaft, gedehnt, so dass die Rezensentin den Verlauf der Jahre spürt, aber auch die Schwere der Schuld jederzeit. Für Porombka ein nahezu existentielles Erlebnis, bei dem die Figuren mitunter in den Hintergrund treten. Das geht so über fast 600 Seiten, dann zerfasert der Text etwas, wie die Rezensentin feststellt. Ob absichtlich oder weil dem jungen Autor der Atem ausgeht - an der Faszination der Rezensentin für dieses Buch ändert das nichts.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012

Eines Tages steht ein junger Mann am Feldrand

Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt leise, langsam und eindringlich von seiner Heimat in Oberösterreich. Er wagt den Widerstand gegen jede behauptete Jugendlichkeit

Dieses Gesicht möchte man lange anschauen. Ein sinnlicher Mund, traurige Augen, Sturm-und-Drang-Frisur, und - wie zum Beweis der eigenen Zeitgenossenschaft - ein silberner Ohrring. Der Doppelname dieses knapp Dreißigjährigen klingt altmodisch, nach Feldarbeit und vergangenem Glanz. Vielleicht ist er aber auch Programm.

Reinhard Kaiser-Mühlecker hat Landwirtschaft und Geschichte in Wien studiert, bevor er 2008 mit seinem Roman "Der lange Gang über die Stationen" debütierte, einer kurzen, berührenden Geschichte über die Entfremdung zweier Eheleute: Der eine liebt das Leben auf dem Land, die Arbeit auf seinem Hof, die andere fährt in die Stadt, will was erleben. "Magdalenaberg", sein zweiter Roman, spielt in der gleichen heimatlichen Gegend des Autors. Ein junger Mann bricht auf, will in der Stadt studieren, den elterlichen Hof hinter sich lassen und erfährt doch bald, dass ihm die Suche nach seinen eigenen Erinnerungsorten wichtiger ist als die Begegnung mit neuen Menschen. In "Wiedersehen in Fiumicino", 2011 erschienen, hat Kaiser-Mühlecker den Handlungsort erstmals in die große Welt verlegt, schildert er aus der Perspektive verschiedener Personen das "argentinische Jahr" des Agrarwissenschaftlers Joseph, auch er ein Entflohener, ein Suchender. So geschickt hier erzählt wird, es fehlt die eindringliche Stimmung der ersten beiden Romane. Kaiser-Mühlecker braucht das Landleben, die Hofatmosphäre, um seinen Geschichten die richtige Tiefenschärfe zu geben. Er ist der stille Fährtenleser unter den jungen deutschsprachigen Autoren, einer, der den Blick geheftet hält auf den Boden, die Herkunft. "Roter Flieder" ist nun sein vierter Roman und sein bester, hier kehrt er wieder zurück in seine oberösterreichische Heimat.

Über drei Generationen hinweg verfolgt er das Schicksal einer Bauernfamilie, die nach dem Zweiten Weltkrieg umsiedeln muss, weil der Vater sich als "Ortsgruppenführer" im Heimatdorf verhasst gemacht hatte. Der Mann heiratet zum zweiten Mal, der Sohn kehrt aus dem Krieg zurück, die Schwester sitzt nur noch verstockt im Zimmer. Der greise Vater fällt in den Fluss, der Sohn übernimmt den Hof, findet eine Frau und bekommt zwei Kinder, ein Sohn erbt wiederum das Land, der andere muss als "Bettnässer" ins Internat und rächt sich später grausam. Das Ende des Buches bedeutet nicht das Ende der Familiensaga, eines Tages steht wieder ein junger Mann am Feldrand, und es beginnt ein neuer Lebenszyklus.

Die Motive des Autors sind die, die immer schon das Erzählen bestimmt haben: Die Zeit und die Wiederholung des Immergleichen, das sich in jedem Leben doch anders fügt. Kein Großstadtautor, einer, der im und auf dem Land verwurzelt ist. Hier herrscht Stille, hier kann einer in Ruhe schreiben.

Den unsichtbaren Lauf der Zeit abzubilden wie eine Geheimschrift, die nur unter bestimmten Lichtbedingungen erkennbar wird, das könnte das Motto dieses Autors sein.

Die Menschen und Landschaftsbilder seiner Heimat sind ihm dabei die Gradmesser, an denen er abliest, wie sich die Lebenswelt der Einzelnen verändert und sich die Weltzeit in ihnen widerspiegelt. Der Moment etwa, in dem Sohn und Vater die Rollen tauschen, ihm, der immer befahl, nun auf einmal befohlen wird: "Sie füllten die Säcke, die Zeit verging. Als sie fertig waren, hievte sich Ferdinand ächzend einen Sack auf die Schultern und sagte: ,Und jetzt schmeißen wir sie noch schnell auf den Anhänger.' Da sagte Thomas: ,Nein. Das machen wir morgen.' Der Vater hielt inne. Er sah sich von außen und spürte, dass der Moment, den er um keinen Preis hatte übersehen wollen, fast unbemerkt gekommen war. Er ging zurück und sagte möglichst beiläufig: ,Du hast recht, Thomas. Morgen ist auch noch ein Tag.'" So beiläufig er fällt, so bedeutsam ist dieser Satz. In diesem Augenblick findet der Generationenwechsel statt, hier gibt einer auf und ein anderer fängt an. Das ist kein Drama, nur der Lauf der Zeit. Kaiser-Mühlecker misstraut der Suggestivwirkung linear ansteigender Jahreszahlen, selten gibt es in seinen Büchern konkrete Zeitangaben. Stattdessen blüht und vergeht der Flieder und ein Pferd wird erschossen, weil jetzt das Auto da ist.

Die Welt, aus der dieser Autor stammt, über die er schreibt, von der er sich schreibend abnabelt, ohne mit ihr zu brechen, diese Welt ist eine stille, schweigsame, in der wenige Worte ausreichen, um alles zu sagen: ",Ich kann dir zur Hand gehen', sagte Goldberger und ruckte mit dem Kinn in die Richtung, aus der er gekommen war. Er sah die goldenen Felder vor sich, wie sie sich abends still wälzten. ,Ich brauche auch wen', sagte die Wirtin. Eine winzige Sekunde lang streiften sich ihre Blicke. Alles war ausgeredet. Alles war abgemacht."

Es braucht keine großen Gefühlsausbrüche, um die Entscheidung für eine Ehe zu beschreiben. Kaiser-Mühlecker nimmt das Wortkarge seiner Protagonisten ernst, ohne dass er sich ihrer Sprache andiente, ohne dass er einen bäuerlichen Ton zelebrierte. Er hat eine ruhige, eine in sich ruhende Art des Erzählens, die einige Rezensenten an Adalbert Stifter, andere an den jungen Peter Handke erinnert hat. Aber was nützen diese Analogien? Hier schreibt einer ungewöhnlich, und er tut es allein und aus sich heraus, und nur weil er zur deutschen Sprache aufschaut und sie erstaunlich schön fügen kann, muss man ihn nicht gleich in die Ecke der Altvorderen stellen. Natürlich gibt es Traditionen. Und die sind diesem Autor wichtig. Wichtiger ist aber, dass sich seine Erzählstimme eine angenehme Verhaltenheit auferlegt, sie nie auftrumpft oder den Figuren voyeuristisch auf den Leib rückt. Manchmal muss man sich seine Sätze laut vorlesen, um sie aufzubrechen, um ihre Schönheit fassen zu können. Da gibt es etwa diesen einen Satz, der in fast jedem seiner Bücher auf die eine oder andere Weise vorkommt, der von der "Vergangenheit" handelt, "von der man sagt, sie sei ins Grab getragene Zeit". Man überliest ihn schnell, weil er so unvermittelt und unprätentiös daherkommt, ohne großen Vor- oder Abspann, und gerade deswegen hat er eine solch ungeheure Kraft, die einen packt und noch Seiten später wieder zurückzieht. Und dann muss man ihn sich laut vorlesen und will ihn immer wieder und wieder lesen.

Als junger Autor schreibt man heute eigentlich anders. Da muss man radikal und innovativ sein, schockieren, sich ausziehen. Der Markt verlangt die Selbstdarsteller. Kaiser-Mühlecker ist altmodisch, aus der Zeit gefallen. Und er schert sich - wie jeder genuine Künstler - nicht darum. Bei ihm haben Wörter wie Heimat, Erinnerung oder auch Gott eine glaubhaft existentielle Bedeutung. Dieser Schriftsteller ist retro im besten und angriffslustigsten Sinn des Wortes. Er hat das Zeug zum neuen großen Außenseiter der deutschen Literatur, den all die mit Begeisterung lesen werden, denen die behauptete Jugendlichkeit von heute zum Hals heraushängt. Über seinen Protagonisten Ferdinand schreibt Kaiser-Mühlecker an einer Stelle: "Er war der letzte Bewohner einer alten Welt, die nicht mehr existierte. Man betrachtete ihn mit einer Mischung aus Wehmut und Mitleid und mit einem Gefühl der Überlegenheit. An ihm sah man die eigene Entwicklung, die man sonst oft nicht sah, weil einem zum Innehalten und Kopfheben und Schauen keine rechte Zeit blieb."

Dieser Autor hält inne, schaut auf und bewahrt sich und uns dadurch etwas von dieser alten Welt. Ihn zu lesen ist ein großes Glück. Hier kann man das Staunen wieder lernen - und den Widerstand: gegen all die, die heute genau zu wissen meinen, was Jugend bedeutet und wie sie klingen soll, und auch gegen ältere Autoren, die das Verbrauchte, Geistlose ihrer Nachfolger beklagen. Reinhard Kaiser-Mühlecker: vielleicht ist das ein guter Name für große Literatur. Vielleicht genau der richtige.

SIMON STRAUSS

Reinhard Kaiser-Mühlecker: "Roter Flieder". Hoffmann und Campe 2012, 624 Seiten, 24,99 Euro

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"Eine solche ungeheure Kraft, die einen packt und noch Seiten später wieder zurückzieht. Ihn zu lesen ist ein großes Glück." Simon Strauss FAS, 07.10.2012