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1913, ein Dorf im Süden der Vereinigten Staaten. Leo Frank, jüdischer Fabrikbesitzer, wird fälschlicherweise beschuldigt, eine seiner weißen Angestellten vergewaltigt und ermordet zu haben. Er wird von der sensationsgierigen Menge vorverurteilt, vor Gericht angeklagt und zum Tode verurteilt, doch vor der Urteilsvollstreckung lyncht ihn die Menge. Anhand dieses Falls beschreibt David Mamet, wie sich Leo Franks Wahrnehmung, sein Selbstempfinden und sein Denken verändern. Vor dem Prozess sah er sich als Amerikaner, seine jüdische Herkunft spielte für ihn kaum eine Rolle, aber mit der Anklage…mehr

Produktbeschreibung
1913, ein Dorf im Süden der Vereinigten Staaten. Leo Frank, jüdischer Fabrikbesitzer, wird fälschlicherweise beschuldigt, eine seiner weißen Angestellten vergewaltigt und ermordet zu haben. Er wird von der sensationsgierigen Menge vorverurteilt, vor Gericht angeklagt und zum Tode verurteilt, doch vor der Urteilsvollstreckung lyncht ihn die Menge. Anhand dieses Falls beschreibt David Mamet, wie sich Leo Franks Wahrnehmung, sein Selbstempfinden und sein Denken verändern. Vor dem Prozess sah er sich als Amerikaner, seine jüdische Herkunft spielte für ihn kaum eine Rolle, aber mit der Anklage bricht das Trugbild einer gelungenen Assimilation zusammen. Leo Frank lebt in einer Gesellschaft voller uneingestandener Ängste und Vorurteile, die letztlich jeden vermeintlich Fremden als Bedrohung empfindet. Leo Frank wird angeklagt, weil er Jude ist. Gleichzeitig zwingen erst die Ausgrenzung und Verurteilung ihn zu einer verzweifelten Rückbesinnung auf die eigene Identität.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Machtlos gegen
die Moral Majority
David Mamets zweiter Roman:
Revision des Falles Leo Frank
Diesem Roman, dem zweiten von David Mamet, liegt ein authentischer Gerichtsfall zugrunde. 1914 wurde in Atlanta, Georgia, der jüdische Fabrikdirektor Leo Frank des Mordes an Mary Phagan, einer seiner Arbeiterinnen, beschuldigt. Eindeutige Beweise, die Frank vor Gericht entlastet und den wirklichen Mörder überführt hätten, wurden ignoriert. Ein klassischer Fall von Antisemitismus. „Nigger” oder Jude zu sein, das war – und ist zum Teil noch immer – in den Vereinigten Staaten, zumal im Süden, ein Makel.
David Mamet, international erfolgreicher Drehbuchautor und Verfasser so dialogsicherer Gesellschaftsdramen wie der Agenten-Komödie Hanglage Meerblick und des Campus-Stückes Oleanna, verlangt dem auf Identifizierung von Raum-Zeit-Gerüst, Plot und Erzählfigur angewiesenen Leser seines Romans Geduld ab. Er schildert zunächst eine sonntägliche Idylle: Auf der Terrasse eines Sommerhauses mit Seeblick führen Frank und sein Freund Morris Gespräche über Antisemitismus, den Talmud sowie Sinn und Unsinn religiös jüdischer Traditionen. Übergangslos führt Mamet dann die Perspektive Franks ein, der sich seinen Prozess – Anklage, Urteil und das Warten auf die Berufung – in Erinnerung ruft. Wie schon in seinem Erstling Das Dorf vernachlässigt Mamet dabei das äußere Handlungsgeschehen zugunsten von Einblicken in das Innen-, Gedanken- und Stimmungsleben der Figuren. Dabei spannt er den Bogen weit: Er reicht von Notizen über Reklame und die kapitalismuskritischen Betrachtungen des nachdenklichen Fabrikdirektors bis zum Bedauern über den eigenen Hochmut und die Reflexion über Sein und Nichtsein Gottes. So bedenkenswert das, für sich genommen, ist, hier bleibt es eher anekdotisches Beiwerk.
Doch immer wieder gelingen Mamet packende Beschreibungen. Er zeigt zum Beispiel, wie Staatsanwalt, Geschworene und Publikum während des Prozesses in dem beschnittenen Frank die sexuell „abartige Bestie” sehen oder wie sie ganz in der Art der bigotten Prüderie der amerikanischen Mittelklasse „gebilligte Geilheit” ausleben. Und Mamet gestattet seiner Figur Wut und Zorn: über die „barbarischen, psychotischen Schweine”, die ihm, durch nichts legitimiert als den Zufall ihrer Geburt, sein Amerikanertum absprechen. Von „diesen wilden Hunden auf einem Misthaufen” zum ewigen „Saujud Isidor”, zum Außenseiter und zur Hassfigur gemacht, besinnt Frank sich auf sein Judentum und lernt im Gefängnis Hebräisch. Aber er vermag nichts auszurichten gegen die „Moral Majority”, deren Patriotismus sich auf rassistisches Vorurteil, Lüge und die antisemitischen viktorianischen Romane Anthony Trollopes gründen. Seine Hoffnung, dass nach dem Todesurteil mit der Berufung doch noch Gerechtigkeit siegen werde, trügt.
STEPHAN REINHARDT
DAVID MAMET: Der Fall Leo Frank. Aus dem Amerikanischen von Bernd Samland. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 192 Seiten, 24 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2000

Außenseiter noch im Tod
David Mamets Roman über einen Lynchmord · Von Martin Ebel

Am 26. April 1913 wurde in einer Bleistiftfabrik in Atlanta, Georgia, die dreizehnjährige Arbeiterin Mary Phagan ermordet. Der Verdacht fiel auf Leo Frank, den Direktor der Fabrik. Frank war Jude, man klagte ihn des Mordes an. Der Prozess fand in einer Atmosphäre wachsender antisemitischer Hysterie statt und endete, obwohl keinerlei Beweise für Franks Schuld vorgelegt werden konnten, am 25. August 1913 mit dem Todesurteil. Franks Anwälten gelang es, den Gouverneur von Atlanta von der Unschuld ihres Mandanten zu überzeugen. Obwohl er unter starkem öffentlichen Druck stand, wandelte er am 25. Juni 1915 das Todesurteil in eine lebenslange Zuchthausstrafe um. Am 16. August drangen 25 bewaffnete Männer in das Gefängnis ein und entführten Leo Frank. Sie brachten ihn nach Mariette, dem Geburtsort der Ermordeten, kastrierten ihn und hängten ihn vor einer johlenden Menge auf. Fotos wurden geschossen, eines kursierte als Postkarte noch jahrelang in den Südstaaten. Von den Lynchmördern wurde kein einziger verfolgt, geschweige denn verurteilt. Die Anzeichen für Franks Unschuld mehrten sich, viele Jahre später meldete sich ein Zeuge, der das Geständnis eines schwarzen Pförtners zu Protokoll gab, er habe Mary Phagan getötet. 1986 wurde Leo Frank offiziell rehabilitiert, 70 Jahre nach seiner Ermordung.

Der Fall Leo Frank ist in den Vereinigten Staaten fast so bekannt wie die Dreyfus-Affäre. Er ist komplett aufgearbeitet, gut dokumentiert und in Georgia Schulstoff; er hat als Vorlage zu etlichen Büchern, einer TV-Dokumentation und sogar einem Musical gedient. Im Internet kann man alte Zeitungsausschnitte darüber lesen und Bilder von Frank und seiner Familie betrachten, auch die Lynch-Postkarte ist vorhanden, aber passwortgeschützt. Leo Frank ist, wenn nicht alles täuscht, das einzige jüdische Opfer weißer Lynchjustiz gewesen, neben Tausenden von Schwarzen. Sozialhistoriker erklären den Gewaltausbruch in Atlanta mit einem starken Modernisierungsschub im Süden der Vereinigten Staaten, der die Mittelschichten verunsicherte, und mit Frank als dreifach geeigneten Sündenbock: Er war reich, aus dem Norden und Jude.

Überlegungen solcher Art beschäftigen David Mamet wenig. Der überaus erfolgreiche amerikanische Dramatiker ("Oleanna") und Filmautor (Dutzende Drehbücher, von "The Postman always rings twice" bis "Wag the dog") hat aus dem Casus seinen zweiten Roman gemacht, und so heißt er auch in deutscher Übersetzung: "Der Fall Leo Frank". Der Originaltitel "The Old Religion" weist in eine andere, in die richtige Richtung. Mamet setzt die historischen Ereignisse als bekannt voraus und konzentriert sich ganz auf das innere Geschehen. Er zeigt, wie sich ein Bewusstsein unter Verfolgungsdruck verändert. Auf seine Stärke, auf szenische und dialogische Partien, hat der Theaterautor weitgehend verzichtet, es dominieren die Reflexionen des unschuldig Angeklagten. Auch an äußerer Spannung ist Mamet keineswegs gelegen. Der Ausgang ist bekannt, und auch dem Helden erscheint der Prozess von Anfang an als ein abgekartetes Spiel.

Der Angeklagte dient der vordergründig selbstzufriedenen, in Wahrheit verstörten Südstaaten-Gesellschaft zur Bestätigung ihrer Vorurteile; er ist der Mörder, weil er es sein muss. Deshalb verschwinden entlastende Beweismittel, schwören Zeugen Meineide und geht der eigentliche Täter frei aus. Der Prozess ist ein Ritual der Selbstvergewisserung.

Das hat Leo Frank, der dem Verfahren fast somnambul beiwohnt, fein durchschaut. Keiner ist dazu so geeignet wie er, ein Virtuose der Selbstbeobachtung und des Selbstzweifels. Anlass der Übung: seine Sonderstellung als Jude. Die wird, je mehr ignoriert, desto stärker empfunden. Das zeigt Mamet auf brillante Weise schon auf den ersten siebzig Seiten (den besten des Buches), da Frank sich noch in Freiheit befindet und mit seinen Glaubensbrüdern über Gräuelmärchen aus ferner Pogromzeit scherzt - eine gespenstische Szene, die nur der Schrecken der letzten Seite einholt. Nichts ist unschuldig, nichts selbstverständlich; was immer er tut, er tut es als Jude. Jeder Handlung haftet diese Auszeichnung, dieser Makel an. Aus solchen kleinen Steinchen setzt Mamet das Bild eines Opfers zusammen, das nur noch auf das Fallbeil der Anklage wartet, die es sogleich zu einem toten Mann macht. Schwer, hier nicht an Kafkas "Prozeß" zu denken.

Vom Moment der Anklage an ist Frank allein. Selbst die jüdische Gemeinde ist unangenehm berührt: Ein jüdischer Mörder ist natürlich "schlecht für die Juden". Keiner zweifelt an seiner Schuld; die Unschuldsvermutung ist ein Relikt eines bloß formal übernommenen, aber nicht wirklich angenommenen Rechtssystems, das in der Realität durch die Diktatur der Wohlmeinenden und Rechtgläubigen ersetzt ist. Was setzt Leo Frank, dem Glauben seiner Väter längst entfremdet und natürlich ein glühender Anhänger der Aufklärung, an die Stelle von Recht, Gesetz und Vernunft, wenn die sich derart schwach und unverlässlich erweisen? "The Old Religion" soll es sein. Zeigte Frank als freier Mann noch heftige Ablehnung gegenüber der Spitzfindigkeit jüdischer Speisegebote ("Idioten"), so nimmt er im Gefängnis Hebräisch-Stunden und platziert sich immer stärker außerhalb jener Gemeinschaft, zu der er immer gehören wollte: der der Christen.

Während antisemitischer Phasen in der Geschichte ist es häufig zu beobachten, dass "weltliche" Juden ihre Illusionen über eine geglückte Assimilation über den Haufen werfen und sich der Orthodoxie zuwenden, als eines letzten Hafens der Zugehörigkeit. Leo Frank nun kann in diesem Hafen nicht ankern. Der Rabbi, bei dem er Stunden nimmt, ist keine rechte Hilfe, die Sprache widerspenstig, ihr verborgener Sinn ein verworrener. Genauso wie die Schriftzeichen "Shin. Lamed. Tof" lässt sich auch etwa die Inschrift "Ginnett and Hubbard. Penal Engineering. Booth, Ohio" geometrisch neu anordnen und nach versteckten Botschaften durchsuchen. Frank macht die Probe aufs Exempel. Ein müßiger Zeitvertreib, eine Sackgasse. Franks säkularisierter, durch die Außenseiterrolle zusätzlich geschärfter Verstand ist zu weit entfernt vom Judentum, um dort wieder Wurzeln schlagen, sich durch Vokabeln und Listen disziplinieren, ablenken und beruhigen zu können. Unbeirrbar fragt dieser Verstand nach dem Sinn des ihm Zugestoßenen. Aber anders als Hiob kann er nicht hadern, dazu fehlt ihm der persönliche, verantwortliche Gott als Widerpart. Frank muss ihn erst schaffen. Was könnte das für ein Gott sein? Und welchen Platz hätte er wiederum in einer wie gearteten Gotteserfindung?

Das sind nun, quasi im Angesicht des Galgens, keineswegs mehr müßige Überlegungen. Sie quälen ihn allerdings mehr, als sie ihn weiterführen. Der Sprung auf eine höhere Ebene gelingt erst dem geschwächten, fiebernden, Blut hustenden Patienten der Krankenstation, der eine Messerattacke eines Mithäftlings knapp überlebt hat. Hier phantasiert sich Frank in eine Nachfolge Christi hinein: Indem er sich schuldig bekennte, würde er von der Gesellschaft akzeptiert und zugleich zu ihrem Erlöser. Wer sich an den freien Frank erinnert, der eifrig die Flagge der Südstaaten hisste, weiß, wo die Quelle dieses Schulddeliriums liegt. "Er sah sich in wallendem Gewand und Sandalen in einer Wüstenszene, predigend auf einem Hügel . . . Er schloß die Augen und sah ein tiefes, verbranntes Orange - die Farbe, dachte er, des Friedens." Die Mörder treffen auf ein Opfer, das sich mit den Verfolgern identifiziert und bereit ist, seine Rolle bis zum Ende zu spielen. Der Grat, auf dem Mamets schriftstellerische Fantasie wandelt, wird hier äußerst schmal. Vor dem Abgrund eines spekulativen literarischen Missbrauchs bewahrt ihn der kurz und brutal gestaltete Lynchmord selber. Diese knappe Seite erhält ihren Schrecken auch dadurch, dass Mamet die Erlebniswelt Franks verlässt. Sein letzter Blick gilt den Mördern, die sich an ihrer Tat voyeuristisch berauschen und sie stolz für die Nachwelt festhalten. Diese Schande hat bis heute überlebt.

David Mamet: "Der Fall Leo Frank". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Samland. Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2000. 192 Seiten, br., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"In einer differenzierten Rezension dieses zweiten Romans des amerikanischen Dramatikers David Mamet, führt Martin Ebel zunächst kurz in dessen Gegenstand ein: den Justizskandal um den jüdisch-amerikanischen Fabrikanten Leo Frank, eine amerikanische Dreyfus-Affäre. 1916 war ein antisemitisch motiviertes Todesurteil gegen Frank aufgehoben worden. Frank wurde aus dem Gefängnis entführt und gelyncht. Ebel kritisiert, daß die deutsche Übersetzung, auf die er sonst nicht näher eingeht, unter dem Titel "Der Fall Leo Frank” erscheint und damit eine Richtung bestärkt, die er schon im Original (amerikanischer Titel: "The Old Religion”) problematisch findet. Nur haarscharf schlittere Mamet in seinem besonders auf den ersten 70 Seiten brillant erzählten Roman am "spekulativen, literarischen Mißbrauch” seiner Figur vorbei. Der Roman, der Ebel auch an Kafkas "Prozess” denken läßt, hat ihn jedoch offensichtlich sehr gefesselt, besonders wie Mamet aus kleinen Steinen das Bild des Opfers zusammensetzt, "dessen letzter Blick den Mördern gilt, die sich an ihrer Tat voyeuristisch berauschen.”

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