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Wie konnte sich einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts im Nationalsozialismus engagieren, wie nah oder fern steht er zum Antisemitismus? Darüber gab es in den letzten beiden Jahren heftige öffentliche Auseinandersetzungen. Dieses Buch dokumentiert den entstandenen Widerstreit: Führende Heidegger-Forscher und andere Protagonisten des Diskurses stellen kurz und prägnant ihre Sicht zu Heideggers politischen Verirrungen dar.Außerdem werden aus der Korrespondenz zwischen Martin und Fritz Heidegger diejenigen Briefe veröffentlicht, in denen sich die Brüder in den 30er und 40er Jahren über gesellschaftliche und politische Themen austauschen.…mehr

Produktbeschreibung
Wie konnte sich einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts im Nationalsozialismus engagieren, wie nah oder fern steht er zum Antisemitismus? Darüber gab es in den letzten beiden Jahren heftige öffentliche Auseinandersetzungen. Dieses Buch dokumentiert den entstandenen Widerstreit: Führende Heidegger-Forscher und andere Protagonisten des Diskurses stellen kurz und prägnant ihre Sicht zu Heideggers politischen Verirrungen dar.Außerdem werden aus der Korrespondenz zwischen Martin und Fritz Heidegger diejenigen Briefe veröffentlicht, in denen sich die Brüder in den 30er und 40er Jahren über gesellschaftliche und politische Themen austauschen.
Autorenporträt
Homolka, WalterRabbiner Dr. Walter Homolka studierte u.a. am Leo Baeck College und King´s College London. Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust. Mitglied im Executive Board der World Union for Progressive Judaism, deren Präsident Leo Baeck von 1938 bis 1953 war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2016

Mitläufer des Seyns war ich schon immer
Schluss mit dem Gewurschtel: Der von Hitler begeisterte Martin Heidegger schreibt Briefe an seinen Bruder Fritz

Adolf Hitler mag mit "Mein Kampf" nicht gerade auf philosophische Ordinarien unter seinen Lesern gesetzt haben. Aber den später berühmtesten unter ihnen, Martin Heidegger in Freiburg, nahm er mit seinem Buch ein. Nachlesen kann man das nun in einer Auswahl aus Briefen, die Heidegger zwischen 1930 und 1949 an seinen jüngeren Bruder Fritz schrieb, der im heimatlichen Meßkirch geblieben war. Zu Weihnachten 1931 legt Martin Heidegger ihm eine Auseinandersetzung mit dem "Hitlerbuch" ans Herz. Deutschland scheine zu erwachen und Hitler habe "einen ungewöhnlichen und sicheren, politischen Instinkt", das könne kein Einsichtiger bestreiten: "Der nationalsozialistischen Bewegung werden künftig noch ganz andere Kräfte zuwachsen."

Nicht um "kleine Parteipolitik" gehe es ihr nämlich, so Heidegger weiter, sondern "um Rettung oder Untergang Europas und der abendländischen Kultur. Wer das auch jetzt noch nicht begreift, der ist wert, im Chaos zerrieben zu werden. Die Besinnung auf diese Dinge stört nicht den Weihnachtsfrieden, sondern führt zurück in das Wesen und die Aufgabe der Deutschen, das heißt dorthin, wo die Gestalt dieses wundervollen Fests ihren Ursprung hat." Ursprünge reizen Heidegger nun einmal, er sollte mit ihnen auch noch weit hinter die Erfindung des Weihnachtsbaums zurückgreifen.

Jedenfalls fühlt er sich, der auf akademischem Terrain bereits einen Ruf genießt, von Anfang der dreißiger Jahre an der Rettung von Abendland und deutschem Wesen verpflichtet, wofür ihm in politischer Hinsicht Hitler der beste Mann scheint. Es ist der Auftakt zu seinem im Frühjahr 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, unternommenen Versuch, sich mit der Übernahme des Freiburger Rektorats und dem Eintritt in die Partei als geistiger Präzeptor des nationalen Aufbruchs zu empfehlen, um ein Jahr später dann einzusehen, dass das nicht klappt.

Schließlich wird der Nationalsozialismus - samt dem amerikanisierten Westen und den "Bolschewisten" im Osten - von ihm mit in eine große Verfallsgeschichte hineingenommen, gegen die er ihn zuerst noch politisch hatte antreten sehen. Diesem Rückzug entspricht der Übergang zum Selbstverständnis als Denker, der gegen alle Metaphysik und den mit ihr verbündeten Common Sense die Möglichkeit eines anderen, ursprünglicheren Zugangs zur Welt, zum "Seyn", offenhalte. "Seynsgeschichte" überblendet Realgeschichte, die wesentlichen geschichtlichen Entscheidungen fallen für Heidegger nun in der Ersteren; der Kriegsausgang und die Judenvernichtung zählen vor dem Hintergrund so abgründiger Einsichten in den obsiegenden Nihilismus und das verstellte "Seyn" nicht dazu.

Über die Bewertung dieser Wendungen Heideggers sind seine Interpreten naturgemäß uneins. An der Frage, ob und wie eigentlich eine Grenze zu ziehen sei zwischen dem fatalen politisierenden Kleinbürger und dem Autor von großer Wirkung, scheiden sich die Geister. Die Auseinandersetzungen um die im Rahmen der Gesamtausgabe edierten "Schwarzen Hefte" aus den Jahren 1931 bis 1948, die das Bild zuletzt um einiges deutlicher gemacht haben, führten es wieder vor Augen. Die Briefe zwischen Fritz und Martin Heidegger fügen nun noch eine Facette hinzu.

Die Empfehlung von "Mein Kampf" - bis auf die "schwachen" autobiographischen Anfangskapitel - steht dort im Kontext einer nachdrücklichen Verteidigung Hitlers. Im März 1932 wird dem Bruder bedeutet, dass es bei dieser "Volksbewegung des Erwachens der Nation" keineswegs darauf ankomme, ob sie "in den Augen einiger verängstigter ,Gebildeter' ,Niveau' hat oder nicht", ja nicht einmal darauf, wer sie vertritt. Es gehe nur darum, das "jeder einzelne seine Willensentscheidung dorthin einsetzt, wo noch die einzige Rettung des Vaterlands ist". Denn: "Es gibt heute eine klare Linie, die rechts und links scharf trennt. Halbheit ist Verrat." Hitler tritt auf als Retter vor dem Bolschewismus, gegen den Weimar versagt habe.

Was die geforderte Entschlossenheit konkret bedeuten soll, bleibt offen. Aber jedenfalls gilt - "trotz aller Auswüchse und Unerfreulichkeiten muss zu ihnen und Hitler gehalten werden". Gerade jetzt nämlich, Ende Oktober 1932, wo es "den Juden" gelungen sei, Papen statt Schleicher bei den Wahlen an die Spitze der Regierung zu manövrieren. Die Verschwörungstheorie passt ins Bild. Wenn es aber "Hitler gelingt, die Stellung zu halten..., dann wird es werden. Denn mit dem ,Gewurschtel' muss es ein Ende nehmen", schreibt er am 4. Februar 1933.

Es hatte kurz darauf ein Ende, und es folgt Heideggers Versuch, ein Wörtchen mitzureden in dieser Zeit, die jeden, "der noch Augen hat zu sehen und Ohren zu hören und ein Herz zum Handeln . . . in eine echte und tiefe Erregung versetzt". Um nämlich die neue große Wirklichkeit "in die geistige Welt des Reiches und in den geheimen Auftrag des deutschen Wesens hineinzubauen" (13. April 1933). Woraus eben nichts wird, weil der Partei von Philosophieprofessoren wahrgenommenen Geheimaufträge allenfalls verdächtig sind.

Heidegger wendet diesen Misserfolg zur Bestätigung des Denkers gegen die Zeit. Er sei jetzt dort, wo er hingehöre, "ich werde heute auf der ganzen Linie vom ,Führerorgan der H.J.' bis zur ,Frankfurter Zeitung' . . . abgelehnt. Erfolg bei Zeitgenossen ist immer ein Einwand, ja vielleicht der Einwand gegen alles,was Bestand haben möchte." (24. März 1937). Zumal zu gelten scheine, dass "die Zeiten, die deutsche Denker brauchen, um verstanden zu werden, immer länger werden" (2. November 1938). Woran auch die "historische Denkweise" Schuld trägt, welche "uns Abendländer allzu lange schon in das grenzen- und ziellose Vergleichen von allem mit allem hinausgerissen hat".

Auch dieses Gewurschtel muss eben aufhören. Wofür die äußeren Katastrophen - der Krieg hat begonnen - zwar ein gutes Vorzeichen sind, doch: "Nur die tiefe Ruhe eines verschwiegenen Wissens darf am Werke sein und durch Haltung mithelfen an der Erweckung der Klarheit über die wesentlichen Entscheidungen." (3. März 1939). Da ist der Weg zum Hüter des Seyns schon beschritten, der sich in Hölderlin versenkt und auch Ina Seidels Bücher sehr schön findet. Ein deutscher Sieg ist 1941 zwar noch möglich, doch für die geschichtliche Mission der Deutschen darf es auf ihn nicht ankommen; die sich anbahnende Niederlage scheint schließlich sogar besser zum Selbstbild des einsamen Denkers zu passen, der über das untergründig wirklich waltende Geschick Bescheid weiß und für den, "je wüster es rundum aussieht, um so eindeutiger . . . das Wissen vom Anfang und die Gewissheit eines Kommenden" ist (23. Januar 1942). Als der Kriegsausgang immer klarer wird, zehrt das "stille Licht des Seyns" selbst noch von dieser "Verdüsterung" (3. September 1943), weshalb dann auch das "ekelhafte Schauspiel der in Moskau zusammengekommenen Hampelmänner der Verendung", also das Treffen der Alliierten zur Aushandlung der Nachkriegsordnung, nicht weiter beunruhigen darf.

Es kommt alles, wie es muss, und trifft die Deutschen, welche ihrer geschichtlichen Mission noch nicht gewachsen waren, verdient. Während der Denker des Seyns seine vom Bruder getreulich verfertigten - und gegen die Gefahr des Kriegsverlusts an verschiedenen Orten hinterlegten - Abschriften seiner Texte liest und daraus "so unmittelbaren Zuspruch [schöpft], daß dabei ganz versank, daß ich selbst das geschrieben. Alles liegt nur an dem, daß es gesagt ist" (4. Januar 1944).

Eine "Welt" geht nun zu Ende, die "ohnehin nur noch Fassade, Lärm, Vergnügen und Gleichgültigkeit war", aber "das Einzige des seynsgeschichtlichen Denkens geht seinen Weg und folgt der Stimme" (12. Januar 1945). Was natürlich meint: der Einzige, nämlich Heidegger selbst, der erfährt, "daß mein Denken ein Seyn ist, zu dessen Rechtfertigung nirgendwo im Seienden ein Grund und ein Argument sich bietet. Hier enthüllt sich eine Ein-samkeit, die nicht mehr die Person angeht, sondern das künftige Menschenerbe." (12. Februar 1945).

Störungen dieses Selbstbewusstseins als einsamer Zeuge des Seynsgeschicks sind nicht mehr zu befürchten. Bloß leichte Verschattungen im Seienden: "Hier ist es wenig schön. Wir müssen KZ-Leute in die Wohnung nehmen." (23. Juli 1945). Und weil er nun in der Universität kräftigen Gegenwind zu spüren bekommt, scheint ihm "alles übel und schlimmer als zur Nazizeit" (23. Juli 1945). Außerdem ist zuerst die französische Commission d'Épuration zu überstehen und dann das Entnazifizierungsverfahren, das 1949 mit der Einstufung als Mitläufer endet. Wozu diesem absolut humorfreien Autor ausnahmsweise ein trotziger Wortwitz einfällt: "Mitläufer des Seyns war ich schon immer und möchte ich auch bleiben."

Nach der Lektüre dieser Briefe gilt wenig überraschend: Kein besonders sympathischer Mann, der sich da in der Rolle des unberührbaren Seynsdenkers einkapselte und es noch zu Weltruhm bringen sollte. Allerdings ist Sympathie nicht der springende Punkt und wer erst den Nachweis meint haben zu müssen, dass Heidegger ein Antisemit war, um das kaum je ganz von der "vulgären" politischen Geschichte abgekoppelte Seynsdenken und seine bedenklich verkitschte Sprachgestalt auf Abstand zu bringen, scheint ziemlich spät dran.

Die Auswahl aus den Briefen an den Bruder bringt abseits der zitierten, nicht besonders gravierenden Passage aus dem Jahr 1932 für den Antisemitismusvorwurf übrigens nichts bei - die bisher publizierten "Schwarzen Hefte" sind da wichtiger - und Debatten über den subtilisierten "metaphysischen" Antisemitismus darf man dem Streit unter Heidegger-Exegeten überlassen. Die Essays, denen die ausgewählten Briefe der Brüder vorangestellt sind, geben einen guten Überblick über das Spektrum der dabei eingenommenen Positionen. Zudem ist gerade bei Suhrkamp ein weiterer Sammelband erschienen ("Martin Heideggers ,Schwarze Hefte' Eine philosophisch-politische Debatte". Hrsg. von M. Heinz und S. Kellerer). Das Seyn, das dieser "kleine dunkle Mann, der zu zaubern verstand" (Karl Löwith) in Umlauf brachte, beschäftigt immer noch viele.

HELMUT MAYER.

"Heidegger und der Antisemitismus". Positionen im Widerstreit. Mit Briefen von Martin und Fritz Heidegger. Hrsg. von Walter Homolka und Arnulf Heidegger.

Herder Verlag, Freiburg 2016. 443 S., geb., 24,99 [Euro].

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